Hepatitis-E-Virus: Zur Bedeutung des Blutspenderscreenings

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.02.04

Humane Hepatitis-E-Viren werden meist zoonotisch und fäkal-oral über den Verzehr von unzureichend gegartem Schweinefleisch übertragen, aber auch eine Übertragung durch eine Blutspende ist möglich. In Deutschland dürfen seit dem 1. Januar 2020 Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate sowie Stammzellpräparate nur aus Spenden hergestellt werden, die mit einem Nukleinsäure-Amplifikationstest negativ auf Hepatitis-E-Viren getestet worden sind.

Schlüsselwörter: HEV, eHEV, ORF2, ORF3, Blutspende, Prävalenz, Therapie

Das Hepatitis-E-Virus (HEV) ist ein Mitglied der im Tierreich weit verbreiteten aus acht Genotypen bestehenden Orthohepeviren, die außerhalb des Körpers keine Hülle tragen. Sie werden über die Nahrung aufgenommen, verbreiten sich im Körper und werden über Fäzes ausgeschieden. Die Infektionsphase wird nach wenigen Monaten durch die sich entwickelnde erworbene Immunität beendet. Chronische HEV-Infektionen beim Menschen kommen nur bei Immunsupprimierten vor [1].
Menschliches HEV mit den Genotypen 1 bis 4 wird normalerweise zoonotisch übertragen. Der wesentliche Wirt ist das Haus- und Wildschwein (in dem zusätzlich die Genotypen 5 und 6 vorkommen). HEV wurde auch bei weiteren Tieren wie Rehwild, Rind, Kaninchen und Ratte nachgewiesen. HEV-7 und -8 sind unter Kameliden verbreitet [2, 3].
Das menschliche HEV kommt in zwei Formen vor: als hüllenloses, sog. nacktes Virus, und umhüllt mit einer Lipidschicht, die aus der menschlichen Zelle stammt und in die das ORF3-Protein eingelagert ist. Letztere wird als quasi-umhüllte Form oder eHEV bezeichnet [1, 3]. Eine schematische Darstellung beider Virusformen findet sich in Abb. 1.

Die Eigenschaften beider Viren sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1: Unterschied zwischen nacktem und umhülltem HEV.

  Nacktes HEV – nHEV Umhülltes HEV – eHEV
Entstehung Wird über Galle-Kanälchen in den Darm ausgeschieden. Galle wirkt als Detergenz und entfernt die Lipidhülle des eHEV [14]. Einzige Form im Blut, wenn HEV von Hepatozyten produziert wird. Die Hülle wird vom zellulären endosomalen Membran-Komplex genommen, mit weiteren Komponenten wie CD9, CD63, CD81.
Rezeptor
  • Heparansulfat-Proteoglykan (HSGPs)
  • Glukose-reguliertes Protein 78 (GRP78)
  • Asialo-Glykoprotein (ASGPR)
  • ATP Synthase subunit 5β (ATP5β)
  • Intergrin alpha 3 (ITGA3)
Rezeptor-Bindung: Weniger effizient, deswegen wird weniger Virus und dies zeitlich verzögert aufgenommen. ORF3 hemmt die Rezeptor-Bindung und wirkt als Ionenkanal.
Zellaufnahme
  • Direktes Anheften an unbekannte Zelle im Darm.
  • Es kommt zur Vesikelbildung im Lysosom, bei saurem pH und nach Freisetzen der RNA zur Vermehrung.
  • HEV verlässt die Zelle und wird im Blut als nHEV plus eHEV zur Leber transportiert.
  • Über Clathrin-bedingte Phagozytose wird HEV aufgenommen.
  • Im Lysosom ist die Freisetzung der RNA gehemmt – saures pH-Milieu entsteht nur teilweise.
  • Dann wird HEV-RNA im Endosom abgebaut. HEV vermehrt sich und verlässt die Hepatozyten als eHEV.
  • Extrahepatische Vermehrung ist beschrieben. Der Einfluss von ORF3 ist unklar.

Stabilität

 

Verbleibt für wenige Monate in Nahrung, Wasser und Umgebung temperaturabhängig infektionsfähig. Kommt außerhalb des Körpers nicht vor; bei Abbau der Hülle entsteht nHEV.
Immunreaktion Führt nach einigen Wochen zur Bildung neutralisierender Antikörper und lebenslanger T-Zell-Immunität. Immunreaktion ist im Vergleich zu nHEV gering.

 

Epidemiologie der Genotypen

Menschliches HEV besteht wie bereits erwähnt aus vier Genotypen, die über den fäkal-oralen Weg übertragen werden. Initial war HEV-1 von Süd-Ost- über Mittel-Asien bis nach Afrika verbreitet, HEV-2 in West-Afrika bis in den Vorderen Orient. HEV-3 ist in Europa endemisch und wurde über Migration nach Amerika gebracht. HEV-4 kommt im Wesentlichen in Ost-Asien vor, ist aber auch in Europa zu finden. HEV-1 und HEV-2 sind pathogener als HEV-3 und HEV-4. Die Genotypen vermischen sich derzeit weiter über menschliche Migration, Tierhandel und Ernährung. HEV-1 kann bei Ersterwerb während der Schwangerschaft bei etwa 10 % eine fulminante Hepatitis mit Todesfolge auslösen; bei HEV-3, das als am wenigsten pathogen gilt, ist diese Komplikation nie aufgetreten [2, 5, 6].  

Übertragung

Die Übertragung von HEV erfolgt

  1. über den fäkal-oralen Weg, meist zoonotisch über kontaminierte Nahrung und Wasser. Hauptinfektionsquelle ist das Schwein bzw. unzureichend gegartes Schweinefleisch, Schweineleber, etc.
  2. über Bluttransfusion bei asymptomatischen Blutspendern, wenn nicht auf HEV-Marker (RNA über die RT-PCR und/oder Anti-HEV-IgG) getestet wird.

Die Seroprävalenz bei Blutspendern und in der erwachsenen Bevölkerung (Abb. 2) ist altersabhängig und je nach Land und Studie sehr unterschiedlich.

Insgesamt ist in mehreren Ländern Europas eine abnehmende Tendenz zu beobachten (u. a. [4], Abb. 2). Die Prävalenz ist in Europa generell höher als in Nordamerika. Ausgewählte Daten von Blutspendern sind in Tab. 2 zusammengestellt.

Tab. 2: Seroprävalenz von HEV bei Blutspendern (teils entnommen aus [7]).

Land Anti-HEV-IgG-positiv (%) HEV-RNA-
positiv
Jahr der
Publikation
Deutschland 29,5 1 : 1.200 2012
Frankreich 22,4

1 : 2.218

2014; 2016
Niederlande 27,0

1 : 2.671; 1 : 600

2012; 2015
England 12,0

1 : 2.848; 1 : 7.000

2011; 2012
Schottland 4,7

1 : 14.520

2013
Dänemark   1 : 2.330 2016
Spanien 19,9 1 : 3.333 2015
USA  

1 : 17.000

2019
Canada  

1 : 4.600

20191

Brasilien

 

2–4,4; 7,0   20052;20193

1 Delage et al., 2019 [8]; 2 Carrilho et al., 2005 [9]; 3 Tengan et al., 2019 [10].

Dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) wurden zwischen 2013 und 2015 insgesamt neun gesicherte HEV-Übertragungen durch Blutprodukte gemeldet. Drei dieser neun Empfänger entwickelten eine symptomatische Hepatitis E, wobei ein stammzelltransplantierter Patient in der Folge der Infektion verstarb. Die Dunkelziffer dürfte wegen des relativ großen Anteils oligo- oder asymptomatischer Infektionen deutlich höher liegen. Im Rahmen einer PEI-Umfrage aus dem Jahr 2017 stimmten 31 von 52 Blutspendeeinrichtungen der Notwendigkeit eines allgemeinen HEV-Spenderscreenings zu. Seit dem 1. Januar 2020 müssen in Deutschland Erythrozyten-, Thrombozytenkonzentrate und Stammzellpräparate aus Spenden hergestellt sein, die mit einem Nukleinsäure-Amplifikationstest (NAT, z.  B. PCR) auf HEV-Genome getestet worden sind. Der verwendete Test muss eine HEV-RNA-Konzentration von 2.000 IU/ml, bezogen auf die Einzelspende, zuverlässig detektieren können. Die NAT muss zudem ein für diesen Zweck CE-markierter Screeningtest sein oder ein Verfahren, das entsprechend validiert wurde. Mit dieser Teststrategie können nach der Hochrechnung des PEI 80 % der HEV-Infektionen in Blutspenden erkannt und deren Übertragung verhindert werden [11].
Nach den vorläufig ausgewerteten Daten des RKI (Verzug durch COVID-19; persönliche Mitteilung von Dr. Ruth Offergeld) besteht eine HEV-RNA-Prävalenz von etwa 52–55 pro 100.000 (entsprechend 1 : 1.870), sodass mit etwas mehr als 3.000 HEV-RNA-positiven Spenden in 2020 gerechnet wird.

Epidemiologie

Weltweit wird mit etwa 20 Millionen HEV-Neuinfektionen jährlich gerechnet, von denen etwa 70.000 versterben und unter denen etwa 3.000 Totgeburten (HEV-1) sind [2]. Somit ist zahlenmäßig die HEV-induzierte Hepatitis die häufigste virale Hepatitis. Nachdem in LMIC (low and medium income countries) Blutspender nicht regulär auf Präsenz von HEV getestet werden, wird sich die epidemiologische Verbreitung über das Testen von Blutspenden nicht ändern.
In Deutschland ist laut Infektionsschutzgesetz (IfSG) der Krankheitsverdacht, die Erkrankung und der Tod an akuter Virushepatitis für den behandelnden Arzt meldepflichtig. Laboratorien melden den direkten (NAT, PCR) oder unter bestimmten Voraussetzungen den indirekten (Antikörper) Virusnachweis an die zuständigen Gesundheitsämter. Die meisten Infektionen wurden in Deutschland erworben (2019: 85 %). Von 2001 bis 2019 war eine starke Zunahme der Meldezahlen von Hepatitis-E-Fällen zu verzeichnen. Im Jahr 2020 konnte erstmalig ein Rückgang der Meldungen beobachtet werden – möglicherweise durch die COVID-19-Pandemie mitbedingt (Abb. 3).

Klinik und Diagnostik

Die Mehrzahl der HEV-Infektionen bleibt asymptomatisch. Aufgrund der Hepatitis-E-Meldezahlen (Robert Koch-Institut, survstat.rki.de) und von Ergebnissen aus seroepidemiologischen Studien [4] ist von etwa einer symptomatischen Erkrankung unter ca. 200 HEV-Infektionen auszugehen. Neben der Hepatitis sind aber auch neurologische Manifestationen wie eine neuralgische Amyotrophie (auch bekannt als Parsonage-Turner-Syndrom) oder ein Guillain-Barré-Syndrom beschrieben [12]. Weitere Symptome wie autoimmunhämolytische Anämie und Thrombozytopenie sind beschrieben [13]. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch scheint bei dieser zoonotischen Hepatitis-E-Infektion selten bis überhaupt nicht vorzukommen.
Die Inkubationszeit bis zum Auftreten von Symptomen beträgt etwa zwei bis neun Wochen oder entsprechend kürzer, bis HEV-RNA in Blut und Fäzes nachgewiesen werden kann. Anti-HEV-IgM ist teils nach zwei Wochen, IgG eine Woche später nachweisbar (Abb. 4 und [2]).

Eine chronische Infektion liegt vor, wenn in Blut und/oder Fäzes HEV-RNA oder -Antigen länger als drei Monate nachweisbar ist.

  • Antikörpertests: Für IgM und IgG sind kommerzielle Tests auf ELISA-, Immunoblot- oder Chemolumineszenzbasis mit ausreichender Sensitivität und Spezifität verfügbar. Falsch-positive Reaktionen können über einen Immunoblot abgeklärt werden, der verschiedene Antigene und meist auch Teile des ORF2-Kapsids enthält.
  • Antigentest: Die Tests sind verglichen mit der PCR weniger sensitiv, aber seit 2019 sensitiver geworden [2].
  • Nukleinsäure-Nachweis: Die RT-PCR ist der Standard des HEV-Nachweises. Mit der Wahl der geeigneten Primer können alle vier Genotypen oder auch nur das in Deutschland prävalente HEV-3 nachgewiesen werden.

Antivirale Therapie

Akute HEV-Infektionen sind im Allgemeinen selbstlimitierend und bedürfen keiner spezifischen Therapie. Bei sehr schweren akuten (z. B. bei bereits vorbestehenden Leberschäden) oder chronischen Verläufen kann eine Behandlung mit dem Nukleosid-Analogon Ribavirin erwogen werden. Bei chronischen Infektionen unter Immunsuppression sollte zunächst versucht werden, die Immunsuppression zu reduzieren und gegebenenfalls zu modifizieren. Es konnte gezeigt werden, dass mTOR(mechanistic Target of Rapamycin)-Inhibitoren (z. B. Everolimus) und Calcineurin-Inhibitoren (z. B. Tacrolimus, Cyclosporin A) die HEV-Replikation stimulieren, während Mycophenolat-Mofetil (MMF) inhibitorisch wirkt. Steroide verhalten sich neutral. Nach einer mehrmonatigen Therapie mit Ribavirin (400–800 mg/Tag) wird bei rund 80 % eine bleibende Heilung erreicht. Als Alternative wird die Therapie mit pegyliertem Interferon-alpha diskutiert. Beide Medikamente sind nicht offiziell für die HEV-Therapie zugelassen. Zur Therapie-Erfolgskontrolle kann der (semi-)quantitative Erreger-Direktnachweis mittels HEV-PCR aus dem Plasma eingesetzt werden.

Prävention

Ein Impfstoff gegen HEV steht in Europa nicht zur Verfügung und eine Impfung wird zum heutigen Zeitpunkt nicht empfohlen. Von einer routinemäßigen Impfung gegen Hepatitis E mit dem zurzeit einzigen erhältlichen Impfstoff aus China auf HEV-1-Basis („Hecolin“) wird auch von der Weltgesundheitsorganisation abgeraten, da noch viele Fragen bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit offen sind. Der betreffende Impfstoff ist vom Paul-Ehrlich-Institut nicht zugelassen. Es besteht die grundsätzliche Möglichkeit, dass diese Behörden für einen Impfstoff, der im jeweiligen Land noch nicht zugelassen ist, eine Sonderbewilligung bzw. Einzeleinfuhrbewilligung ausstellen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Impfstoff in einem Land mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle zugelassen ist (u. a. EU-, EFTA-, EWR-Mitgliedstaaten, Australien, Japan, Kanada, USA); China zählt nicht zu diesen Ländern.

Ausblick

Das Testen von Blutspenden auf HEV verhindert teils tödliche Infektionen bei Transfusionsempfängern und ist damit ein valider Beitrag um nosokomiale Infektionen zu verhindern. Nachdem HEV im Wesentlichen durch zoonotische Übertragung vom Schwein in der Bevölkerung zirkuliert, wird sich über das Testen von Blutspenden an der HEV-Prävalenz wenig ändern. Da das Krankheitsbild außer bei Immunsuppression mild ist, ist das Interesse, weitere Medikamente zu entwickeln oder einen besser wirkenden Impfstoff zu konfektionieren, nicht groß. HEV wird weiterhin persistieren und seine Übertragung kann durch Einhalten von Hygiene bei der Lebensmittelzubereitung eingeschränkt werden.

Autoren
Prof. Dr. med. Jürgen Wenzel (korr. Autor)
Institut für Klin. Mikrobiologie und Hygiene
Universitätsklinikum Regensburg
Prof. Dr. Lutz G. Gürtler