Zielgerichtete Therapien haben sich in den letzten Jahren als feste Größe in der Behandlung von hämatologischen und soliden Tumoren etabliert. Grundlage dieses therapeutischen Ansatzes sind molekulare Veränderungen, die nur oder vornehmlich in Tumorzellen auftreten und in der Regel zu einer gesteigerten Zellproliferation führen. Dadurch ist eine spezifische, gezielte medikamentöse Intervention möglich, welche die Aktivität der Tumorzellen bremst oder unterbindet und mit geringeren Nebenwirkungen durch unbeabsichtigte Schädigung von Nicht-Tumorzellen verbunden ist [1].
Die Mutationen treten häufig an Wachstumsfaktor-Rezeptoren auf der Zelloberfläche wie dem epidermal growth factor receptor (EGFR) oder an nachgeschalteten Molekülen der intrazellulären Signalkaskade wie z. B. KRAS, BRAF, ALK und vielen anderen auf. Sie wirken wie durch Umlegen eines Schalters im Sinne einer höheren Transkriptionsrate, einer gesteigerten Zellproliferation, einer geringeren Apoptoserate und einer verbesserten Überlebensfähigkeit der Tumorzellen [2].
Die zielgerichteten Therapien (targeted therapies) sollen nun gerade an diesen genetisch modifizierten Molekülen ansetzen und den Schalter umlegen, um die Funktion der Signalwege wieder zu regulieren. Für oberflächliche Moleküle wie die Wachstumsfaktor-Rezeptoren stehen Antikörpertherapien wie der EGFR-Blocker Cetuximab zur Verfügung, die extrazellulär an die Rezeptoren binden und die Weiterleitung der Signale inhibieren. Alternativ – und v. a. auch für intrazelluläre Komponenten der Signalkaskade – können sogenannte small molecule-Therapien wie Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs) eingesetzt werden, die durch die Zellmembran in die Tumorzelle gelangen und dort die veränderten Moleküle blockieren [1, 2].
Vor der Therapie steht die Diagnostik
Voraussetzung für eine derartige Therapie ist der Nachweis einer entsprechenden Mutation – denn nur dann ist eine relevante Wirksamkeit der genannten Therapien zu erwarten. Andererseits ist auch der Nicht-Nachweis der Mutation einer nachgelagerten Komponente des Signalwegs therapierelevant, z. B. das Nichtvorliegen einer KRAS, NRAS oder BRAF-Mutation beim kolorektalen Karzinom, da nur dann die Antikörper-basierte Blockade des EGF-Rezeptors wirksam ist. In der Regel ist die Mutationsanalyse im Tumorgewebe eine Domäne der Molekularpathologie [1, 2].
Allerdings ergeben sich in einigen Fällen Schwierigkeiten bei der Diagnostik, sei es bei der sachgerechten Entnahme eines aussagekräftigen Biopsiematerials, dem Vorliegen einer molekularen Heterogenität innerhalb einer oder zwischen mehreren Tumorläsionen oder der Veränderung der Klonalität im Laufe einer Tumorerkrankung bzw. im Zuge von Therapien und der Notwendigkeit wiederholter invasiver Untersuchungen. Hier ist die Tatsache hilfreich, dass gerade in fortgeschrittenen Tumorstadien hohe Mengen an Tumor-DNA in die Blutzirkulation freigesetzt werden und dort für die Diagnostik genutzt werden können [1, 3].
Hochsensitive Diagnostik tumorspezifischer DNA im Blut
Höchst sensitive Technologien machen es seit einigen Jahren möglich, sozusagen „die Nadel im Heuhaufen zu finden“ – sprich: den sehr geringen Anteil an Tumor-DNA aus der großen Menge nicht tumoröser DNA im Blut zu identifizieren und zu charakterisieren: Mittels digitaler droplet (dd) PCR können einzelne oder Kombinationen von Mutationen mit einer Auflösung von 0,01 % bis 0,1 % nachgewiesen werden. Dabei wird eine hohe Konkordanz von mehr als 90 % mit dem Mutationsstatus im Tumorgewebe erreicht [2, 4]. Allerdings sind ein ausreichendes Probenausgangsvolumen, eine standardisierte Präanalytik und eine hoch qualitätskontrollierte Analytik zu gewährleisten. Bei nicht zugänglichem oder verwertbarem Tumorbiopsie-Material ist somit mittels ddPCR eine gezielte Mutationsdiagnostik im Blut möglich. Beispiele hierfür sind das RAS-Mutationspanel beim kolorektalen Karzinom als „Companion Diagnostik“ für eine EGFR-Inhibitor-Therapie, der Nachweis einer sensitivierenden PIK3CA-Mutation beim Brustkrebs, sowie sensitivierende und Resistenz-bildende EGFR-Mutationen für die gezielte Wahl eines Tyrosinkinase-Inhibitors beim Lungenkarzinom [2, 4].
Für serielle Messungen während einer Tumorerkrankung oder einer Tumortherapie ist neben dem bloßen qualitativen Nachweis einer Mutation die quantitative Veränderung der Mutationslast von Bedeutung. Dadurch kann nicht nur bei generellem Verschwinden oder Auftauchen einer neuen Treibermutation die Veränderung der Klonalität verfolgt, sondern auch individuelle, relative, molekulare Verschiebungen über die Zeit beobachtet werden – wie es ja auch bei etablierten Protein-Tumormarkern der Fall ist. Bei einer derart differenzierten Diagnostik kann dann die Wirkung einer Therapie auf einen Tumorklon oder die Entwicklung eines Rezidivs genauer eingeschätzt werden. Für diese seriellen quantitativen Messungen sind jedoch umfangreiche analytische Validierungen und Qualitätskontrollen erforderlich – wie auch für andere quantitative Laboruntersuchungen aller Art [2–4]. Für die externe Qualitätskontrolle bietet das Referenzinstitut für Bioanalytik (RfB) seit kurzem entsprechende Ringversuchsprogramme an.
Häufig übersehen wird, dass für die Beurteilung der Laborbefunde die Kenntnis der Biologie zirkulierender Nukleinsäuren, der zeitlichen Kinetik deren Freisetzung aus den Tumorzellen und deren Elimination aus der Blutzirkulation sowie weiterer möglicher Einflussfaktoren erforderlich ist [5, 6]. Das ist bereits bei der Planung geeigneter Blutentnahmezeitpunkte bei Studien und bei der späteren Diagnostik von Bedeutung. Zu große Zeitabstände können dazu führen, dass die wesentliche Information übersehen wird: Bei einer Studie mit Patienten mit einem Pankreaskarzinom zeigte sich, dass in den ersten beiden Wochen während einer Chemotherapie die Werte von mutiertem KRAS (mtKRAS) auf zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) nicht nur bei Patienten mit einem guten Ansprechen um mehrere Größenordnungen abfiel, sondern dies häufig auch bei Patienten mit einer frühen Progression der Fall war. Allerdings stiegen die Werte bei letzterer Gruppe kurz danach wieder an, während sie bei Patienten mit erfolgreichem Ansprechen weiter abfielen und schließlich nicht mehr nachweisbar waren. Um nun die Progression tatsächlich anhand des Zielmarkers diagnostisch zu entdecken, waren in dieser Studie engmaschige wöchentliche Blutentnahmen am Therapiebeginn notwendig [7]. Die Aufgabe besteht nun darin, das adäquate Setting für einzelne Tumore, molekulare Marker und Therapiesituationen zu untersuchen und zu definieren.
Next Generation Sequencing
Die umfassende molekulare Charakterisierung von ctDNA mittels Next Generation Sequencing (NGS) ist ein unverkennbarer Trend beim Liquid Profiling solider Tumoren. Eine Vielzahl von ständig weiter verbesserten Methoden können zur gezielten (targeted) Sequenzierung eines ca. 10–70 Gene umfassenden Panels eingesetzt werden. Bei entsprechender Fragestellung und Kapazität können auch Exom- oder Genom-weite Sequenzierungen durchgeführt werden. Die Fehlerrate wurde durch Einführung von molekularen Barcodes bereits drastisch gesenkt. Sensitivität und Tumor-Spezifität können zudem durch Tumor-proximale Probengewinnung und Fragmentlängen-Anreicherung von ctDNA verbessert werden. Dabei macht man sich zunutze, dass Tumor-DNA im Vergleich zu genomischer DNA etwa 20 Basenpaare kürzer ist (Abb. 1) [4, 5].