Therapie der CLL: Chemotherapie-frei, zeitlich begrenzt, künftig MRD-gesteuert?
Ob vom heimischen Schreibtisch oder live in Atlanta: Beim ASH-Kongress im vergangenen Dezember war wie immer ein vielfältiges Programm geboten, bei dem auch die chronische lymphatische Leukämie (CLL) eine wichtige Rolle spielte. Zentrale Themen waren die Bedeutung der minimalen Resterkrankung (MRD) bei der Therapiesteuerung sowie die Weiterentwicklung moderner, Chemotherapie-freier und zeitlich limitierter Behandlungsprotokolle.
Schlüsselwörter: Chronische lymphatische Leukämie, CLL, minimale Resterkrankung, MRD, CD20-Antikörper, BCL2-Inhibition, BTK-Inhibition, Obinutuzumab, Atezolizumab, Venetoclax, Ibrutinib, Durchflusszytometrie, Chemoimmuntherapie, Therapiesteuerung, kardiale Risikofaktoren
MRD zur Prognoseabschätzung …
Die MRD ist bei der CLL, ob molekulargenetisch oder durchflusszytometrisch gemessen, inzwischen als prognostischer Biomarker für das progressionsfreie Überleben (PFS) etabliert. Die neuesten Therapieprotokolle für die CLL bestehen aus ausschließlich oral zu verabreichenden Kombinationen – etwa aus dem BCL2-Inhibitor Venetoclax und dem Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase (BTK) Ibrutinib (VenI) – und sind deutlich wirksamer, aber weniger toxisch als die herkömmlichen Chemoimmuntherapien: So hatte in der internationalen Phase-III-Studie GLOW die VenI-Kombination – auf ein Jahr begrenzt – das Risiko für Progression oder Tod gegenüber der Chemoimmuntherapie aus Chlorambucil und dem CD20-Antikörper Obinutuzumab (ClbO) um beinahe 80 % reduziert (HR 0,216; p < 0,0001). Die Rolle der MRD als Prognosefaktor für das PFS unter VenI in dieser Studie wurde beim ASH-Kongress von Talha Munir, Leeds, UK, beleuchtet [1].
Die knapp über 200 Patient:innen wiesen etwa zur Hälfte einen unmutierten IGHV-Status, zu 18 % eine Deletion 11q und zu 4,3 % eine TP53-Mutation auf. Im VenI-Arm erreichten drei Monate nach Ende der Behandlung mit 40,6 % über fünfmal mehr Patient:innen als im Kontrollarm (7,6 %) einen MRD-negativen Status (< 10-5; Abb. 1), bei den Patient:innen mit unmutiertem IGHV war der Unterschied noch stärker ausgeprägt (45,5 % vs. 5,6 %).

Abb. 1 GLOW: MRD-Ansprechen drei Monate nach Ende der Therapie. Nach [1].
Bei 90 % der Patient:innen waren die MRD-Ergebnisse im peripheren Blut und Knochenmark konkordant.
80 % der Patient:innen im VenI-Arm, die drei Monate nach Therapieende MRD-negativ waren, hatten diesen Status auch neun Monate später gehalten, im ClbO-Arm war es nur etwa jeder Vierte (26,3 %). Interessanterweise lag im VenI-Arm die PFS-Rate nach zwölf Monaten unabhängig vom MRD-Status bei über 90 %, während dies im ClbO-Arm nur für die MRD-negativen Patient:innen galt; von denjenigen mit nachweisbarer MRD waren nach einem Jahr rund zwei Drittel wieder progredient. Die weitere Nachbeobachtung wird zeigen, ob dieser Trend im Arm mit der rein oralen Therapie anhält.
… und zur Therapiesteuerung
Die bisherigen Protokolle mit den modernen, rein oralen Medikamenten sehen entweder eine Dauerbehandlung bis zur Progression oder eine feste Dauer für ein oder zwei Jahre vor. Mittels MRD-Bestimmung ließen sich diese Therapien vielleicht stärker individualisieren, indem man die weitere Behandlung vom Erreichen oder der Erhaltung der MRD-Negativität abhängig macht. Die Machbarkeit einer solchen Strategie wurde in der randomisierten niederländisch-skandinavischen Phase-II-Studie VISION HO141 untersucht, die Carsten Utoft Niemann, Kopenhagen, Dänemark, vorstellte [2].
Insgesamt 225 CLL-Patient:innen hatten 15 Zyklen VenI erhalten. Wer danach im peripheren Blut und im Knochenmark noch MRD-positiv war, bekam weiter Ibrutinib, die anderen mit einem MRD-Abfall auf unter 10-4 (36 %) wurden im Verhältnis 1 : 2 randomisiert, weiter Ibrutinib oder keine Therapie zu bekommen. Wenn in der letzteren Gruppe erneut eine MRD auftrat, konnte wieder VenI gegeben werden.
Das Erreichen von MRD-Negativität nach der Initialtherapie war unabhängig vom TP53- sowie vom IGHV-Mutationsstatus. Die Patient:innen ohne weitere Therapie waren ein Jahr später zu 98 % progressionsfrei am Leben; egal, ob eine Ibrutinib-Erhaltung gegeben oder nur beobachtet wurde, blieben etwa drei Viertel der Patient:innen auch ein Jahr nach Ende der Induktionstherapie MRD-negativ (75 % bzw. 71 %).
Das Absetzen jeder Behandlung nach erfolgreicher Induktion ist – auch unabhängig von den Kosten – ein lohnenswertes Ziel: Unter der Ibrutinib-Erhaltung wurden bei 3 % der Patient:innen Vorhofflimmern, bei 7 % ein Hypertonus und bei 9 % Blutungsereignisse vom Grad 2 oder 3 registriert, bei den nicht weiterbehandelten Patient:innen in keinem Fall. Nach diesen noch vorläufigen Daten erspart man den Betroffenen damit möglicherweise die Nebenwirkungen einer fortgesetzten Therapie mit dem BTK-Inhibitor, ohne eine klinische Progression zu riskieren, und ein eventueller Wiederanstieg der MRD lässt sich jederzeit mit der Wiederaufnahme der Therapie auffangen. Allerdings sind noch mehr Daten erforderlich, bevor diese Konzepte in die Routineversorgung eingehen können.
Chemotherapie-frei und zeitlich begrenzt mit Obinutuzumab und Venetoclax: jetzt auch bei fitten Patient:innen
Das erklärte Ziel bei der CLL ist, mit Chemotherapie-freien und zeitlich limitierten Therapien die Krankheit langfristig zu kontrollieren und möglicherweise zu heilen. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung stellt sicherlich die CLL13-Studie der Deutschen CLL-Studiengruppe (GCLLSG) dar, deren erste Ergebnisse in Atlanta vorgestellt werden konnten.
Protokolle mit Anti-CD20-Antikörpern und Venetoclax bewirken nicht nur hohe Raten an MRD-Negativität, die mit einem verminderten Rezidivrisiko einhergehen, sondern haben außerdem den Vorteil einer zeitlichen Begrenzung. Weil die auf der CLL14-Studie basierende Kombination aus Obinutuzumab und Venetoclax zwar generell für die Primärtherapie der CLL zugelassen wurde, bislang aber nur bei unfitten Patient:innen geprüft worden ist, war die CLL13-Studie für fitte Patient:innen ohne TP53-Mutationen sehr breit angelegt; drei verschiedene Anti-CD20-basierte Protokolle wurden randomisiert miteinander verglichen. Wie Barbara Eichhorst, Köln, beim ASH-Kongress ausführte [3], wurden insgesamt 926 Patient:innen in vier Arme randomisiert: Im Kontrollarm erhielten sie die klassische FCR-Chemoimmuntherapie (Fludarabin, Cyclophosphamid, Rituximab, bei über 65-Jährigen Bendamustin/Rituximab), in den drei anderen Armen wurde Venetoclax mit Rituximab (RVe), Obinutuzumab (GVe) oder Obinutuzumab und dem BTK-Inhibitor Ibrutinib (GIVe) kombiniert und für ein Jahr gegeben. Ko-primäre Endpunkte waren die Rate an MRD-negativen Patient:innen nach 15 Monaten (< 10-4 in der Durchflusszytometrie im peripheren Blut, Vergleich zwischen GVe und Chemoimmuntherapie) und das PFS im Vergleich zwischen GIVe und Chemoimmuntherapie.
Nach median 28 Monaten war beim ersten ko-primären Endpunkt der Unterschied zwischen GVe und FCR signifikant, mit MRD-Negativitätsraten von 86,5 % versus 52,0 % (p < 0,0001); GIVe war mit 92,2 % ebenfalls überlegen (p < 0,0001), während sich RVe mit 57,0 % nicht vom Kontrollarm unterschied (Abb. 2a); im Knochenmark waren die Verhältnisse ähnlich. Auch bei den klinischen Ansprechraten waren insbesondere die beiden Arme mit Obinutuzumab und Venetoclax der Chemoimmuntherapie deutlich überlegen (Abb. 2b).

Abb. 2 CLL13: Raten an MRD-Negativität nach 15 Monaten (a) und klinische Ansprechraten (b).
PB: peripheres Blut, BM: Knochenmark, uMRD: nicht detektierbare MRD. Mod. nach [3]
Das Sicherheitsprofil war gut, der zweite ko-primäre Endpunkt, das PFS, wird im Frühjahr 2022 auswertbar sein. Die Studie CLL13 zeigt allerdings schon jetzt auch bei fitten CLL-Patient:innen eine hohe Wirksamkeit mit tiefem Ansprechen sowie eine gute Verträglichkeit der GVe-Kombination und bestätigt diese Kombination auch für diese Patientengruppe als eine Standardtherapie in der Primärbehandlung.
Um für die MRD-Negativität als Surrogatmarker für die Dauer einer Remission bei der CLL eine noch bessere Diskriminierung zu erreichen, wurden die Proben in der CLL13-Studie außerdem mit hochsensitiven durchflusszytometrischen und molekulargenetischen Methoden überprüft, die eine Empfindlichkeit von 10-5 bzw. 10-6 gestatten, d. h. den Nachweis einer malignen Zelle in 100.000 bzw. einer Million Leukozyten. Damit war, wie Moritz Fürstenau, Köln, beim ASH-Kongress berichtete [4], eine noch feinere Unterscheidung der Therapiearme möglich. Insbesondere die Obinutuzumab-haltigen Therapien zeichneten sich nach 15 Monaten, also drei Monate nach Ende der Therapie, durch hohe Raten an nicht nachweisbarer MRD im peripheren Blut aus, bei einer Empfindlichkeit von 10-5 (61,8 % unter GVe, 70,5 % unter GIVe).
Hohe Wirksamkeit und gute Verträglichkeit des BTK-Inhibitors Ibrutinib, ...
Die wirksamste der klassischen Chemoimmuntherapien für die neu diagnostizierte CLL ist die FCR-Kombination, die die GCLLSG vor mehr als zehn Jahren mit der CLL8-Studie eta-blieren konnte [5]. Wegen der Toxizität wird sie mehr und mehr durch neuere, zielgerichtete Therapien ersetzt, die außerdem in bestimmten Risikogruppen besser wirksam sind. In der großen britischen Phase-III-Studie FLAIR etwa wurde FCR randomisiert mit der Kombination aus Ibrutinib und Rituximab verglichen. Wie Peter Hillmen, Leeds, UK, beim ASH-Kongress berichtete [6], wurden zwischen 2014 und 2018 in 113 britischen Zentren 771 Patient:innen mit zuvor unbehandelter, aber therapiepflichtiger CLL randomisiert, entweder sechs Zyklen FCR oder sechs Dosen Rituximab und bis zu sechs Jahre lang den irreversiblen BTK-Inhibitor Ibrutinib zu erhalten. Über 75-jährige Patient:innen und solche mit mehr als 20 % Zellen mit 17p-Deletion waren ausgeschlossen. Beim durch die Prüfärztinnen und -ärzte bestimmten primären Endpunkt PFS war nach median 52,7 Monaten der Medianwert im Ibrutinib-Arm noch nicht erreicht, während er im FCR-Arm 67 Monate betrug (HR 0,44; p < 0,001; Abb. 3).

Abb. 3 FLAIR: PFS unter Ibrutinib/Rituximab versus FCR. Mod. nach [6].
Signifikant war der Unterschied aber nur für die 53 % der Patient:innen mit einem prognostisch ungünstigen unmutierten IGHV-Status (HR 0,41; p < 0,001), die unter FCR auch in der CLL8-Studie schon deutlich schlechter abgeschnitten hatten. Für diejenigen mit mutiertem IGHV war mit einer Hazard Ratio von 0,66 auch eine Differenz erkennbar, die aber statistisch nicht signifikant ausfiel (p = 0,179).
Mit 29 Todesfällen im FCR- und 30 im Ibrutinib-Arm war beim Gesamtüberleben kein Unterschied zu sehen (HR 1,01; p = 0,956). Der Grund dafür ist relativ offensichtlich, so Hillmen: Im Vergleich zu früheren britischen Studien mit FCR war die 4-Jahres-Überlebensrate unter der Chemoimmuntherapie in FLAIR deutlich besser (94,5 % vs. 84,2 %); der wesentliche Grund dürfte sein, dass 88 % der Patient:innen im FCR-Arm noch weitere, zielgerichtete Therapien erhielten, die in den früheren Studien noch nicht verfügbar gewesen waren und die die Überlebenschancen nach Chemoimmuntherapie beträchtlich verbessern.
... aber auf kardiale Risikofaktoren achten
Ibrutinib plus Rituximab ist auch deutlich besser verträglich als FCR, zumindest was schwere Nebenwirkungen wie Infektionen (27,1 % vs. 33,6 %) und hämatologische Toxizitäten betrifft (10,7 % vs. 19,8 %). Schwere kardiale Nebenwirkungen waren hingegen unter Ibrutinib fast achtmal häufiger (8,3 % vs. 1,1 %), und acht von zehn plötzlichen oder kardialen Todesfällen traten in diesem Arm auf. Dazu stellte Hillmen eine separate Subgruppenanalyse vor [7]:
Kardiale Nebenwirkungen wie Hypertonus, Vorhofflimmern und Todesfälle sind bekannte Komplikationen, die selten, aber unter Ibrutinib häufiger auftreten. Die FLAIR-Daten wurden auf mögliche Risikofaktoren hin untersucht: Tatsächlich war bei sieben der acht plötzlichen oder kardialen Todesfälle im Ibrutinib-Arm anamnestisch ein Hypertonus und/oder eine kardiale Störung vorhanden gewesen; das relative Mortalitätsrisiko war dadurch um den Faktor 23,6 erhöht (p = 0,0003). Bei drei obduzierten Patient:innen wurde eine hypertensive Kardiomyopathie und/oder eine koronare Herzkrankheit detektiert. Lediglich einer von 291 Patient:innen ohne diese Risikofaktoren erlitt einen plötzlichen oder kardialen Tod unter Ibrutinib/Rituximab (0,3 %).
Außerdem fand sich bei 24 % der Patient:innen im Ibrutinib- und bei 22 % im FCR-Arm eine Einnahme von Antihypertensiva oder von anderen Herzmedikamenten zu Studienbeginn. Dabei scheinen vor allem ACE-Hemmer kritisch zu sein: Alle sieben plötzlich oder aus kardialen Gründen verstorbenen Patient:innen im Ibrutinib-Arm hatten sie zu Studienbeginn eingenommen; zwei dieser Patient:innen hatten im Verlauf wegen eines auftretenden Hustens von ACE-Hemmern auf Angiotensin-II-Rezeptorblocker gewechselt. Auch wenn die Zahlen niedrig sind und diese Ergebnisse in weiteren Kohorten bestätigt werden sollten, so Hillmen, sollten bei Patient:innen mit kardialer oder hypertensiver Anamnese, die ACE-Hemmer einnehmen, Nutzen und Risiken einer Ibrutinib-Therapie sorgfältig abgewogen werden.