Die vergangenen Jahrzehnte – und insbesondere die letzten 15 Jahre – haben die Diagnose und Therapie des multiplen Myeloms (MM) in nie dagewesenem Maße verändert. Was einst eine Krankheit mit einer medianen Überlebenszeit von nur etwa zwei Jahren (in den 1960er-Jahren) war, ist heute eine Erkrankung, bei der in vielen Populationen 5-Jahres-Überlebensraten von 60 bis 65 % zu erwarten sind. In bestimmten Subgruppen (jünger, fitter, günstige Zytogenetik) ist mittlerweile sogar ein Gesamtüberleben von zehn Jahren und mehr erreichbar.
Neue Entwicklungen in der Prognosebestimmung
Prognosebestimmend bleiben Alter, Komorbiditäten und Organfunktion. Moderne Klassifikationen wie das R2-ISS (zweite Revision des International Staging System) und molekulare Marker erlauben jedoch eine deutlich differenziertere Einschätzung. Daneben haben sich die Bestimmung der minimalen Resterkrankung (MRD) sowie das Erreichen und die Aufrechterhaltung von MRD-Negativität im Knochenmark in klinischen Studien durchgesetzt.
Zudem hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA im April 2024 erstmals die MRD-Negativitätsrate als primären Endpunkt bei klinischen Studien zugelassen, was zu einem deutlichen Anstieg entsprechender Studienkonzepte und zu einer beschleunigten Endpunkte-Evaluation geführt hat.
Die MRD wird aktuell mit Sensitivitätsniveaus von 10-5 bis 10-6 mittels Durchflusszytometrie beziehungsweise Next Generation Sequencing aus Knochenmarkaspirat bestimmt – ein Nachweis im peripheren Blut ist hingegen noch nicht stabil etabliert. Diese Tatsache ist neben der Heterogenität der Methodik und einer kritischen Bedeutung der Präanalytik („sampling error“) der Grund dafür, dass die MRD-Bestimmung derzeit noch kein Bestandteil der klinischen Routine ist. Dennoch kann man wohl davon ausgehen, dass sich angesichts der rasanten Technologieentwicklung die MRD-Analyse beim MM im Laufe der nächsten Jahre auch in der klinischen Routine etablieren wird.
Neue therapeutische Ansätze
Therapeutisch sind Vierfachkombinationstherapien mit CD38-Antikörpern, Erhaltungskonzepte und die frühe Integration von Immuntherapien wie CAR-(Chimärer Antigenrezeptor)-T-Zell-Therapien, bispezifische Antikörper und Antikörper-Wirkstoff-Konjugate richtungsweisend. Auch beim Hochrisiko-Smouldering Myelom zeichnet sich ein Wandel hin zur frühen Intervention ab.
In der kürzlich publizierten MM-Leitlinie der European Hematology Association (EHA) und des European Myeloma Network (EMN) werden all die genannten Entwicklungen aufgegriffen und auch zukünftige Entwicklungen wie MRD-basierte klinische Entscheidungen diskutiert [1].
Trotzdem bleibt das MM eine heterogene Erkrankung. Rezidive sind die Regel, Hochrisikopatienten profitieren weniger, und ältere oder gebrechliche Patienten sind besonders herausgefordert. Die Kosten, die Zugänglichkeit und die Komplexität der Therapiesequenzierung stellen weitere Hürden dar.
Überblick über aktuelle Konzepte und Weiterentwicklungen
Dieses Schwerpunktheft zum Thema multiples Myleom in Trillium Krebsmedizin soll eine aktuelle Orientierung über moderne diagnostische Verfahren, risikoadaptierte Therapieentscheidungen sowie das Management von Immuntoxizitäten und sekundären Immundefekten nach T-Zell-involvierenden Therapien geben.
Dr. Felix Czernilofsky und Prof. Marc-Steffen Raab, beide Heidelberg, haben die neuen Therapie- und Studienkonzepte sowie kürzlich zugelassene Behandlungsoptionen für die Erstlinientherapie des MM zusammengestellt. Hier können wir in den kommenden Jahren hochinteressante und relevante Daten erwarten, die – das ist anzunehmen – die Therapielandschaft und Empfehlungen erneut umpflügen werden.
Die Einführung der Hochdosischemotherapie mit Melphalan und autologer Stammzellrückgabe war ein Meilenstein in der MM-Behandlung. Für geeignete Patienten bleibt die Hochdosistherapie auch weiterhin der Standard in der Erstlinientherapie. Dennoch wird dieses Konzept immer stärker durch die hochwirksamen – aber auch mit spezifischen Nebenwirkungen behafteten – neuen T-Zell-basierten Therapien herausgefordert. Dieser Einordnung und Diskussion der Perspektiven widmen sich Prof. Marcus Hentrich und Prof. Christian Straka, beide München, in ihrem Beitrag.
Eine nach wie vor große klinische Herausforderung stellt die Therapie von MM-Patienten mit Hochrisikofaktoren dar. Trotz der kürzlich publizierten neuen Definition von Hochrisikomyelomen besteht weiterhin eine große diagnostische, aber auch klinische Variabilität [2]. Die aktuellen Optionen und Konzepte haben in dieser Ausgabe Dr. Jule C. Artzenroth, Dr. Maximilian Al-Bazaz, Dr. Ricardo Kosch, Dr. Christoph Schäfers, Prof. Katja Weisel und PD Dr. Lisa B. Leypoldt, alle Hamburg, zusammengestellt.
Die in den vergangenen wenigen Jahren wohl am stärksten einschneidende Neuerung bei der Behandlung des rezidivierten MM stellen sicherlich die T-Zell-involvierenden Therapien dar. So haben wir beeindruckende Ansprechraten gesehen, obgleich diese mit spezifischen und teils unerwarteten Toxizitäten nach einer CAR-T-Zell-Therapie, aber auch unter der Gabe bispezifischer Antikörper verbunden waren. Zu den aktuellen Zulassungen, Weiterentwicklungen und dem Management von Toxizitäten haben Dr. Tim Richardson, Prof. Udo Holtick und Prof. Christof Scheid, alle Köln, wichtige und klinisch relevante Daten zusammengefasst.
Ich bin sicher, dass dieses Schwerpunktheft zu den aktuellen Konzepten und Weiterentwicklungen bei der MM-Behandlung hervorragend geeignet ist, um sich einen Überblick über dieses sich äußerst dynamisch entwickelnde Feld zu verschaffen, und wünsche Ihnen große Erkenntnisse und viel Freude bei der Lektüre.