Neutrophile Granulozyten: Schlüsselzellen in kardiovaskulären Entzündungen

Kardiovaskuläre Komplikationen sind oft das Resultat von Entzündungsreaktionen, die von neutrophilen Granulozyten, Monozyten und Makrophagen gesteuert werden. Dabei werden im Blut zirkulierende Neutrophile aufgrund Ihrer Häufigkeit und funktionellen Charakteristika während der akuten Phase zuerst rekrutiert. In dessen Folge wandern Sie in das betroffene Gewebe aus um die entstehenden Entzündungsreaktionen zu regulieren und können so das Ausmaß des Organschadens kontrollieren. Jedoch hat bei der Atherosklerose und deren Komplikation wie Herzinfarkt oder Schlaganfall eine Dysbalance des Neutrophilenpools oder ein verändertes funktionelles Profil einen schlechteren Krankheitsverlauf zur Folge. Dabei schädigt die von Neutrophilen getriebene Immunantwort körpereigenes Gewebe und inhibiert oder aktiviert andere Immunzellen, wodurch deren reparative Eigenschaften eingeschränkt werden können. Neuste Forschungsergebnisse belegen dass eine Manipulation des Neutrophilenpools oder deren Reaktivität den Verlauf kardiovaskulärer Erkrankungen beeinflussen, und so die Lebensqualität von Betroffenen verbessern könnte.

Schlüsselwörter: Neutrophile, Entzündung, Atherosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall

Neutrophile Granulozyten – versatile Immunzellen

Neutrophile Granulozyten sind die häufigsten Immunzellen im menschlichen Blut. Sie sind einerseits in der Lage Krankheitserreger zu erkennen, aufzunehmen und zu zerstören, und tragen somit wesentlich zur antimikrobiellen Abwehr bei. Andererseits geht die Einwanderung von Neutrophilen ins Ge-webe immer mit einem Kollateralschaden einher, der unter Umständen zu chronischen Entzündungen führen kann. Im menschlichen Körper werden täglich 1 x 1011 Neutrophile im Knochenmark gebildet und in die Zirkulation freigesetzt. Diese Vorgänge werden durch Chemokine, Adhäsionsmoleküle sowie Wachstumsfaktoren kontrolliert, wobei die Expression des CXC-Motiv-Chemokinrezeptors 4 (CXCR4) das Zurückhalten bzw. Freisetzen der Neutrophile aus dem Knochenmark reguliert. Mit zunehmender Verweildauer in der Zirkulation kommt es zu einer vermehrten Expression von CXCR4 auf der Zelloberfläche von Neutrophilen wodurch diese ins Knochenmark zurückwandern und dort beseitigt werden [1]. Bei akuten Entzündungen, wie sie während einem Herzinfarkt auftreten, werden Neutrophile vermehrt rekrutiert, wobei sie proteolytische Enzyme oder reaktive Sauerstoffspezies (ROS) freisetzen, welche den Herzmuskel schädigen [2]. Des Weiteren wurde kürzlich gezeigt, dass Neutrophile auch chronische Entzündungen der Gefäßwand und die daraus resultierende Atherosklerose vorantreiben, was zu einem schlechteren Verlauf für die Betroffenen führen kann [3]. Im Folgenden sollen wichtige Aspekte Neutrophilen-getriebener Entzündungsreaktionen während kardiovaskuläre Krankheiten näher beschrieben werden.

Neutrophile fördern die Entwicklung der Atherosklerose

Atherosklerose ist eine chronische Entzündung der arteriellen Gefäßwand und stellt den grundlegenden Pathomechanismus für Herzinfarkt und Schlaganfall dar. Dabei kommt es, zum Teil als Folge einer ungesunden Ernährung, zu einer Erhöhung des Cholesterinspiegels im Blut mit nachfolgender Einlagerung von Lipiden in die Gefäßwand [4]. Dies fördert die Aktivierung arterieller Endothelzellen und konsequenterweise die Adhäsion myeloider Zellen. Die arterielle Adhäsion wird durch Chemokine begünstigt, die von aktivierten Thrombozyten (Plättchen) freigesetzt werden. So setzen Plättchen im turbulenten Fluss C-C-Chemokinligand 5 (CCL5) frei und fördern folglich die Adhäsion von Neutrophilen. In dessen Folge sezernieren Neutrophile ihrerseits chemotaktische Moleküle wie Cathepsin G, Cathelicidin oder CCL2, welche die Rekrutierung von Monozyten begünstigen [5–7]. Darüber hinaus bildet Plättchen-CCL5 Heteromere mit dem von Neutrophilen freigesetzten α-Defensin, welche die Rekrutierung von Leukozyten weiter verstärken und deren Akkumulation in der Gefäßwand vorantreiben [8]. Es wurde weiterhin gezeigt, dass von Neutrophilen freigesetzte Proteine wie Azurocidin, Proteinase-3 oder α-Defensin zu einer erhöhten Expression endothelialer Adhäsionsmoleküle führen, wodurch die Rekrutierung anderer Leukozyten, vornehmlich Monozyten, abermals erhöht wird [9]. Auch andere Immunzellen wie Makrophagen, welche das Fortschreiten der Atherosklerose begünstigen, werden durch Neutrophile und deren lösliche Mediatoren aktiviert. So produziert die von Neutrophilen freigesetzte Myeloperoxidase (MPO) hypochlorige Säure, welche die Oxidation von Lipiden begünstigt. Diese oxidierten Lipide werden von Makrophagen in den Plaques aufgenommen, wodurch diese zu Schaumzellen differenzieren und so das Plaquewachstum fördern [10].
In späten Stadien der Atherosklerose kommt es zu einer Umstrukturierung der Gefäßwand, wobei glatte Muskelzellen von der Media hin zur Intima in unmittelbarer Nähe der Endothelzellen wandern. Hinzu kommt es zu Kollageneinlagerungen in diesem Bereich, wobei eine hochentzündete Gefäßwand mit einer sogenannten fibrösen Kappe und dem darunterliegenden nekrotischen Kern entsteht. Diese so entstehende athero­sklerotische Plaque hat eine Verengung des Gefäßes zur Folge. Bleiben diese Vorgänge unbehandelt, kann es zu einer Ruptur der fibrösen Kappe kommen, wodurch pro-thrombotische Mediatoren freigesetzt werden, was die Bildung eines Thrombus zur Folge hat, welcher sich ablösen und an anderer Stelle einen kompletten Gefäßverschluss hervorrufen kann [11]. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass Neutrophile auch in diesen fortgeschrittenen Stadien der Atherosklerose entscheidenden Einfluss haben. Neutrophile können einen Teil ihrer DNA explosionsartig als netzähnliche Strukturen, sog. neutrophil extracellular traps (NETs), freisetzen. Jüngste Forschungs­ergebnisse belegen, dass eine limitierte Fähigkeit zur Freisetzung von NETs mit verminderter Atherosklerose­entwicklung korreliert [12], und einen möglichen Therapieansatz für Patienten darstellt. NETs beinhalten eine Vielzahl von Proteinen, von denen Histone besonders abundant sind. Aufgrund der kationischen Natur der Histone lagern diese sich in benachbarten Zellmembranen ein und generieren Poren, die zu einer Lyse der betroffenen Zellen führen. Im Spätstadium der Atherosklerose tragen NETs und deren Histone zum Tod von glatten Muskelzellen in der fibrösen Kappe bei und begünstigen somit die Destabilisierung der Läsion. Es konnte gezeigt werden, dass eine Neutralisierung von Histonen zu einem stabileren Plaque­phänotyp führt und so eine bessere Prognose in Aussicht stellt [3]. Zusammengefasst stellen Neutrophile und deren Aktivierungszustand ein attraktives Ziel zur Eindämmung der Plaqueentwicklung und den Langzeitfolgen der Atherosklerose dar.

Neutrophile als Regulatoren von Herzinfarkt und Schlaganfall

Als unmittelbare Folge einer Plaqueruptur werden Kollagen sowie apoptotische Zellbestandteile in die Blutbahn exponiert, wodurch sich ein, hauptsächlich aus Thrombozyten bestehendes, Blutgerinnsel bildet [11]. Dieser Thrombus verringert zum einen zusätzlich den Blutfluss im entsprechenden Blutgefäß, zum anderen besteht nun die Gefahr, dass der Thrombus sich löst und Richtung Herz oder Gehirn transportiert wird, wodurch es zu einer Ischämie und folglich dem Absterben des betroffenen Gewebes kommt. Um das Überleben der betroffenen Patienten zu sichern, ist es notwendig, diesen Gefäßverschluss zu revidieren und eine Wiederdurchblutung zu gewährleisten [13]. Jedoch ist bekannt, dass die abrupte Öffnung des Gefäßes circa 30 % des finalen Schadens im Herzen ausmacht, was durch das rapide Umschalten von einem hypoxischen Zustand hin zur Reoxygenierung hervorgerufen wird. Dieser Vorgang wird als Ischämie/Reperfusionsschaden bezeichnet. Dabei werden während den ersten 6 Stunden nach Öffnen des Gefäßes Neutrophile verstärkt an den betroffenen Gefäßabschnitt rekrutiert, aktiviert und wandern in der Folge vermehrt in das Herzgewebe ein. Dort setzen sie ihr Arsenal an degradierenden Enzymen wie MPO frei, fördern die Produktion von ROS und führen zu einem Überschuss an pro-inflammatorischen Zytokinen wie Tumornekrosefaktor α (TNF-α) [2, 14]. Dies resultiert in einem hochentzündlichen Zustand, bei dem die eingewanderten Neutrophilen zusätzlichen Schaden im Herzen anrichten. Dabei sind Rekrutierung und Aktivierung teilweise von Thrombozyten abhängig, welche über P-Selektin und Glykoproteine Neutrophile direkt binden und aktivieren können [15]. Außerdem setzen Thrombozyten Stoffe wie CCL5 oder Serotonin frei, wodurch sie auch ohne direkte Zell-Zell Interaktionen zur Neutrophilenaktivierung beitragen. In Mausmodellen des Ischämie/Reperfusionsschadens konnte gezeigt werden, dass geringere Stimulation durch und Interaktion mit Thrombozyten zu milderer Neutrophilenreaktivität und folglich Einwanderung in das infarzierte Herz führen [14]. Darüber hinaus führt eine pharmakologische Depletion von Neutrophilen mittels Antikörpern zu einer reduzierten Infarktgröße, was mit einer besseren Herzfunktion nach Ischämie/Reperfusionsschaden einhergeht. Interessanterweise haben Neutrophile in Modellen mit permanenter Ligatur eines Herzkranzgefäßes eine gegensätzliche Rolle. Hier ist eine Depletion von Neutrophilen mit einer schlechteren Herzfunktion nach 7 Tagen assoziiert. Hervorgerufen wird dies durch eine verminderte Polarisierung von Makrophagen zum reparativen Phänotyp hin. Reparative, anti-entzündliche Ma­krophagen sind wichtig für die Langzeitheilung des Herzens, und in Abwesenheit von Neutrophilen sinkt deren Potenzial, totes Zellmaterial aufzunehmen, zu beseitigen und so die Reorganisation des Herzgewebes zu ermöglichen [16]. Zudem sind Neutrophile die Hauptquelle von Annexin A1, ein Protein das u. a. Makrophagen dazu anregt, angiogene Wachstumsfaktoren wie VEGF zu produzieren. VEGF induziert die Bildung neuer Blutgefäße, welche für die zelluläre Umstrukturierung im Herzen und Wundheilung notwendig sind. Folglich kommt es in Mäusen, die kein Annexin A1 synthetisieren können, zu einem verringerten Spiegel an VEGF im infarzierten Herz nach einer permanenten Ligatur der Herzkranzgefäße. Die therapeutische Applikation von Annexin A1 in Mäusen bzw. die Überexpression von Annexin A1 in Schweinen begünstigt die myokardiale Heilung nach Infarkt, was die translationale Bedeutung dieser Befunde unterstreicht [17]. Diese Studien belegen, wie sensibel das Herz-Kreislaufsystem auf Manipulationen durch Neutrophile reagiert, und wie wichtig eine gewisse Balance zwischen zu vielen bzw. zu wenigen Neutrophilen beim Verlauf eines Herzinfarktes ist.
Auch bei Schlaganfällen wurde eine tragende Rolle für Neutrophile beschrieben. Eine Depletion der Neutrophilen während cerebraler Ischämie resultiert sowohl in einem besseren Überleben der Neuronen im betroffenen Hirnareal als auch in einer verbesserten Wiederherstellung neuronaler Funktionen [18]. Dies hängt wiederum mit der Fähigkeit der Neutrophilen zusammen, NETs freizusetzen. NETs enthalten u. a. Proteasen, welche Gerinnungsfaktoren spalten und so eine Auflösung des Thrombus im Gehirn verhindern können, wodurch die Regeneration verlangsamt wird und bleibende neuronale Schäden schwerwiegender ausfallen. Ein Blockieren oder Auflösen von NETs bei Schlaganfällen zeigte einen protektiven Effekt und eine signifikante Verhaltensverbesserung in Tiermodellen, und auch bei Menschen wurde ein Zusammenhang zwischen NETs und neurologischem Zustand berichtet [19].
Diese Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Neutrophile bei lokalen Ischämien und deren Folgen eine tragkräftige Rolle spielen und suggerieren, dass mögliche neue Therapieansätze das Angebot an Neutrophilen dahingehend manipulieren sollten, dass weder ein Überschuss noch eine zu starke Reduktion dieser Zellen entsteht.

Ausblick

Neutrophile sind gut charakterisiert und Gegenstand der aktuellen Forschung, jedoch sind noch einige Aspekte im Kontext kardiovaskulärer Erkrankungen zu klären. Ein Eingreifen in das Immunsystem, welches die Häufigkeit einer Zellpopulation verändert, birgt immer das Risiko von Nebenwirkungen, welche sich in anderen Aspekten der Immunabwehr niederschlagen. Erste Ansätze, die von Neutrophilen freigesetzten Moleküle und anderen Strukturen wie NETs zu minimieren, zeigten Verbesserungen in Tiermodellen und beherbergen das Potenzial neuartiger Behandlungsstrategien. Auch die Interaktion von Neutrophilen mit anderen Zelltypen stellt ein mögliches Ziel für Therapieansätze dar, jedoch bedarf es in beiden Fällen noch entsprechender Daten aus klinischen Studien, um ein Umsetzen in den klinischen Alltag zu realisieren. 

Autoren
Dr. Maximilian Mauler
Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten (IPEK),
LMU München
Univ.-Prof. Dr. Dr. Oliver Soehnlein
Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf- Forschung (DZHK), Standort München
und Abteilung für Physiologie und Pharmakologie (FyFa), Karolinska Institut, Stockholm, Schweden
Aus der Rubrik