Immun-modulierende Therapie bei atherosklerotischen Gefäßerkrankungen
Zahlreiche experimentelle Studien haben auf die Bedeutung der angeborenen und erworbenen Immunität für die Entwicklung und Progression der Atherosklerose hingewiesen. In den letzten zwei Jahren konnten nun erstmals zwei große klinische Studienprogramme zeigen, dass eine Immunmodulation durch eine Interleukin-1β-Antikörper-Therapie (CANTOS-Studie) beziehungsweise durch Colchicin (COLCOT-Studie) die klinische Progression bei Patienten mit atherosklerotischer Gefäßerkrankung und einem akuten Koronarsyndrom reduzieren kann.
Canakinumab Anti-Inflammatory Thrombosis Outcomes Study (CANTOS)
In der CANTOS-Studie wurde eine spezifische anti-inflammatorische Therapie mittels Canakinumab, einem monoklonalen Antikörper, der Interleukin-1β blockiert, getestet. Canakinumab wurde bei Patienten mit Herzinfarkt in der Vorgeschichte und erhöhten hsCRP-Werten (hochsensitives C-reaktives Protein, > 2 mg/l) im Serum getestet [1]. Die CANTOS-Studie zeigte Superiorität von Canakinumab (150 mg) gegenüber Placebo in Bezug auf Prävention von kardialen Ereignissen. Die Patienten wurden randomisiert und erhielten entweder Canakinumab 50 mg (n = 2.170), Canakinumab 150 mg (n = 2.284), Canakinumab 300 mg (n = 2.263) oder Placebo (n = 3.344). Das Medikament wurde alle drei Monate subkutan appliziert. Die mittlere Follow-up-Zeit betrug 3,7 Jahre und das mittlere Alter 61 Jahre. Der Frauenanteil betrug 26 %. Patienten wurden von der Studie ausgeschlossen, wenn sie an chronischen oder wiederkehrenden Infektionen litten, ein hohes Risiko für Tuberkulose oder HIV hatten, Krebs in der Vorgeschichte, in immunkompromittiertem Zustand waren und/oder unter systemischer Anwendung von anti-inflammatorischen Medikamenten. Als primäre Ereignisse der Studie zählten Tod aufgrund kardiovaskulärer Ursache, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Davon traten 4,11 pro 100 Personenjahre bei der Gruppe mit 50 mg auf, 3,86 in der 150 mg-Gruppe, 3,9 in der 300 mg-Gruppe und 4,5 pro 100 Personenjahre in der Placebo-Gruppe (p = 0,02 für 150 mg gegenüber Placebo). Bei den sekundären Ereignissen wurde eine dosisabhängige Reduktion von hsCRP durch Canakinumab beobachtet (p < 0,001 für alle Gruppen gegenüber Placebo). Tödliche Infektionen oder Sepsis zeigten sich in 0,31 pro 100 Personenjahre in der kombinierten Canakinumab-Gruppe gegenüber 0,18 pro 100 Personenjahre in der Placebo-Gruppe (p = 0,02). Patienten, in welchen hsCRP trotz Behandlung bei ≥ 2 mg/l lag, zeigten auch keine Reduktion des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse. Zusätzlich hatte Canakinumab einen modulierenden Effekt auf Interleukin-6, was ebenso mit einer Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse verbunden war.
Zusammenfassend führte die Behandlung mit Canakinumab 150 mg subkutan alle drei Monate bei Patienten nach Herzinfarkt und anhaltend erhöhtem hsCRP (> 2 mg/l) zu einer Reduktion des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse über eine mittlere Zeitspanne von 3,7 Jahren. Canakinumab war trotz Ausschluss von Patienten mit chronischen oder rezidivierenden Infekten mit einem leicht höheren Risiko für schwerwiegende Infektionen und/oder Sepsis assoziiert.
Cardiovascular Inflammation Reduction Trial (CIRT)
Die CIRT-Studie hat gezeigt, dass niedrig-dosiertes Methotrexat weder inflammatorische Marker (IL-1β, IL-6, hsCRP) noch kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit bekannter koronarer Herzerkrankung, Diabetes und/oder metabolischem Syndrom reduziert [2].
In der CIRT-Studie wurden Patienten 1 : 1 randomisiert und erhielten entweder niedrig-dosiert Methotrexat 15–20 mg wöchentlich (n = 1.716) oder Placebo (n = 1.695). Die Methotrexatdosis wurde basierend auf Laborwerten und Symptomen im Verlauf angepasst.
Der primäre Endpunkt waren schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikationen, welche in der niedrig-dosierten Methotrexatgruppe vergleichbar wie in der Kontrollgruppe bei 3,4 pro 100 Personenjahre auftraten (Hazard Ratio 1,01, 95 % confidence interval 0,82–1,25, p = 0,91). Methotrexat veränderte nicht die Blutwerte für Interleukin-1β, Interleukin-6 oder hsCRP. Patienten unter Methotrexatbehandlung hatten mehr Infektionen (62 % gegenüber 56 %, p = 0,004).
Zusammenfassend zeigte diese Studie keinen Effekt auf inflammatorische Parameter und kardiovaskuläre Ereignisse, führte aber zu Nebenwirkungen als Folge der Immunsuppression. Im Gegensatz zur CANTOS-Studie war eine residuale Entzündung keine Bedingung zur Teilnahme an der Studie. Eine optimale Patientenselektion sowie vor allem die Auswahl eines geeigneten anti-inflammatorischen Therapieprinzips wird somit einen kritischen Punkt für den zukünftigen Einsatz immun-modulierender Therapien bei Patienten mit atherosklerotischer Gefäßerkrankung darstellen.
Colchicine Cardiovascular Outcomes Trial (COLCOT)
COLCOT ist eine weitere, gerade abgeschlossene Studie zur immun-modulierenden Therapie bei Patienten nach akutem Myokardinfarkt (innerhalb von 30 Tagen), welche auf dem AHA-Kongress im November 2019 erstmals präsentiert wurde [3]. Die Patienten (n = 4.745) erhielten entweder niedrig-dosiertes Colchicin (0,5 mg einmal täglich) oder Placebo. Der primäre Endpunkt (für kardiovaskuläre Ereignisse) wurde signifikant weniger (5,5 %) bei Patienten in der Colchicin-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe (7,1 %; p = 0,02) beobachtet. Unter Colchicin-Therapie wurde häufiger eine Pneumonie berichtet (0,9 % vs. 0,4 %; p = 0,03). Eine Reihe weiterer Studien zur Evaluation des Effekts von Colchicin bei Patienten mit atherosklerotischen Gefäßerkrankungen laufen aktuell (u. a. LoDoCo2-Studie mit > 5.000 Patienten mit chronischer koronarer Herzerkrankung, CLEAR-SYNERGY-Studie mit > 4.000 Patienten nach ST-Hebungs-Myokardinfarkt).