Mechanismen der IgG-Aktivität in der Therapie von Autoimmunität und Krebs

DOI: https://doi.org/10.47184/ti.2021.03.03

Antikörper stellen eines der am häufigsten verwendeten Biomoleküle für die Therapie von Autoimmunerkrankungen und Krebs dar. Trotz dieser breiten Anwendung in der Therapie fehlt ein vollständiges Verständnis der molekularen und zellulären Grundlagen, über die Antikörper im Menschen ihre Wirkung entfalten. Forschungsarbeiten der letzten Jahre haben faszinierende Einblicke in die vielfältigen Funktionsweisen von Antikörpern gegeben, die zu einer Verbesserung der Wirkung dieser potenten Biomoleküle beitragen.

Schlüsselwörter: Immunglobulin G, Fc-Rezeptoren, Autoimmunität, Krebs, Immuntherapie

IgG-Antikörper in der Therapie von Autoimmunität und Krebs

Ein wichtiger Durchbruch in der Therapie von Autoimmun- und Krebserkrankungen ist der Einsatz von sogenannten „Biologicals“. Rekombinant hergestellte Immunglobulin-G(IgG)-Antikörper sind ein wichtiger Vertreter dieser Klasse von Wirkstoffen und sind inzwischen bei vielen Autoimmun- und Krebserkrankungen ein fester Bestandteil moderner Therapien [1, 2]. Im Menschen werden fünf sogenannte Antikörperisotypen unterschieden: IgA, IgD, IgE, IgM und IgG. Während IgD und IgE im Serum normalerweise nur in sehr geringen Mengen vorkommen, handelt es sich bei IgM, IgG und IgA um die häufigsten Antikörperisotypen. Besonders IgG-Antikörper stellen aufgrund ihrer hohen Aktivität, ihrer langen Halbwertszeit und ihrer Fähigkeit, passiv oder aktiv in fast alle Bereiche des Körpers zu gelangen, eine attraktive Plattform für den therapeutischen Einsatz dar. Verantwortlich für die unterschiedliche Funktion und Aktivität der Antikörperisotypen ist der sogenannte konstante oder Fc (Fragment crystallizable) Teil des Antikörpermoleküls [3]. So ist der Fc-Teil eines IgE-Antikörpers zum Beispiel dafür verantwortlich, dass das Antikörpermolekül an Rezeptoren auf Mastzellen bindet und diese dann im Rahmen der Erkennung eines eindringenden Parasiten oder aber infolge der Aufnahme von Allergenen aktiviert werden können. Im Gegensatz zu diesem sehr engen Wirkspektrum von IgE-Antikörpern zeichnen sich IgG-Antikörper durch ihre Fähigkeit aus, mit fast allen Immunzellen interagieren und diese aktivieren zu können. Die Bindung der vier IgG-Subklassen (IgG1–IgG4) an Immunzellen wird über eine Familie von Rezeptoren, den sogenannten Fcγ-Rezeptoren (FcγR), vermittelt (Abb. 1) [4]. Neben drei aktivierenden Rezeptoren (FcγRI, FcγRIIA und FcγRIIIA) gibt es auch einen inhibitorischen Fc-Rezeptor, FcγRIIB, und einen selektiv auf Neutrophilen exprimierten, GPI-verankerten, FcγRIIIB. Mit Ausnahme von B-Zellen, auf denen nur der inhibitorische FcγRIIB vorkommt, und NK-Zellen, die vorwiegend den aktivierenden FcγRIIIA exprimieren, kommen auf den meisten Immunzellen – wie etwa Eosinophilen, Neutrophilen, Monozyten, Makrophagen und Dendritischen Zellen – sowohl aktivierende als auch inhibitorische FcγR vor (Abb. 1). 

Da beide Arten von FcγR IgG-Antikörper binden können, wird durch die parallele Auslösung sowohl aktivierender als auch inhibitorischer Signale ein Schwellenwert für die Aktivierung der Zelle gesetzt [4]. Neben diesen klassischen FcγR wurden in neueren Arbeiten auch sogenannte Typ-II-Fc-Rezeptoren beschrieben, die vor allem für die entzündungshemmende Funktion von IgG-Antikörpern verantwortlich gemacht werden [5]. Hierzu gehören Moleküle wie zum Beispiel SIGN-R1, DC-SIGN, CD23 und DCIR. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über einige Einsatzgebiete von IgG-Antikörpern gegeben und besprochen werden, welchen Beitrag die Interaktion des IgG-Fc-Teils mit FcγR für deren Aktivität leistet.

Zytotoxische Antikörper: Zielzellen finden und zerstören

Die Fähigkeit von IgG-Antikörpern, Zellen im ganzen Körper auffinden und zerstören zu können, führte zum breiten Einsatz von Tumorzell-spezifischen Antikörpern in der Therapie von Krebserkrankungen [1, 2]. Da IgG1 im Vergleich zu den anderen IgG-Subklassen die längste Halbwertszeit und beste Bindung an FcγR und das Komplementsystem aufweist, befinden sich fast ausschließlich IgG1-Antikörper in der klinischen Anwendung. Neben der Zerstörung von Tumorzellen findet diese Klasse von Anti­körpern inzwischen auch weit verbreitet Verwendung bei der Therapie von Autoimmunerkrankungen, um selbstreaktive Immunzellen wie B-Zellen zu eliminieren. Während initiale, in vitro durchgeführte Studien die Vermutung nahe legten, dass Antikörper ohne Hilfe von Immunzellen, also unabhängig vom Fc-Teil des Antikörpers, in der Lage sein können, bestimmte Zielzellen direkt zu zerstören, sprechen in vivo durchgeführte Studien klar für eine Schlüsselrolle des IgG-Fc-Teils [6]. So sind zum einen zytotoxische Antikörper in Mäusen, denen Fcγ-Rezeptoren fehlen, nicht mehr in der Lage, Zielzellen zu zerstören [4]. Zum anderen führen Mutationen im IgG-Fc-Teil, welche die Bindung an Fcγ-Rezeptoren erhöhen, zu einer Verbesserung der zytotoxischen Aktivität. Neben Fcγ-Rezeptoren kann auch eine Aktivierung der Komplementkaskade über den IgG-Fc-Teil zur zytotoxischen Aktivität beitragen, was die Schlüsselrolle des IgG-Fc-Teils für die Funktion von IgG-Antikörpern weiter unterstreicht. Auch im Hinblick auf die Effektorzellen, die Antikörper-markierte Zielzellen zerstören, gab es in den letzten Jahren sehr interessante neue Befunde. So konnte in verschiedenen Tiermodellen klar herausgearbeitet werden, dass insbesondere myeloide Zellen (Monozyten, Makrophagen) für das Entfernen von opsonisierten Zielzellen in verschiedenen Organen, aber auch in soliden Tumoren verantwortlich sind [7–10]. Da im Gegensatz zu NK-Zellen myeloide Zellen neben der Expression verschiedener aktivierender FcγR auch den inhibitorischen FcγRIIB tragen, ermöglicht dies eine Optimierung der zytotoxischen IgG-Aktivität durch die Einführung von Mutationen, die eine Bindung an den inhibitorischen FcγRIIB minimieren und/oder die Bindung an verschiedene aktivierende FcγR oder das Komplementsystem verbessern [1, 11, 12]. 

Immunmodulatorische Antikörper

Der Einsatz von IgG-Antikörpern, die nicht den Tumor selbst angreifen, sondern die Immunantwort gegen den Tumor modulieren, wurde als großer Durchbruch gefeiert und mit dem Nobelpreis für Tasuku Honjo und James Allison belohnt [13]. Durch die Kreuzvernetzung von immunstimulierenden (CD40) oder die Blockade von immuninhibierenden (z. B. CTLA4, PD-1/PDL-1) Rezeptoren auf T-Zellen oder Antigen-präsentierenden Zellen wie Dendritischen Zellen (DC) soll die Aktivierung einer anti-tumoralen Immunantwort unterstützt werden. Überraschenderweise zeigten auch hier mehrere Studien, dass immunstimulierende Antikörper mit einem IgG-Fc-Teil, der nicht mehr in der Lage war, an FcγR zu binden, anti-tumorale Immun­antworten in vivo nicht mehr verbessern konnten. Im Rahmen der Suche nach den zugrunde liegenden Mechanismen konnten mehrere neue Wege identifiziert werden, die für die Aktivität immunmodulierender IgG-Antikörper verantwortlich waren. So konnte für CD40-spezifische Antikörper gezeigt werden, dass in vivo eine sekundäre Kreuzvernetzung des CD40-spezifischen Antikörpers über den inhibitorischen FcγRIIB stattfand [14, 15]. FcγRIIB auf B-Zellen oder anderen Antigen-präsentierenden Zellen schien dabei als eine Art Plattform zu fungieren, über welche die an DC gebundenen CD40-spezifischen Antikörper eine weitere Kreuzvernetzung und damit eine Signalamplifikation erfuhren. Für CTLA-4- und CD25-spezifische Antikörper, die in einem Tumor an intra-tumorale regulatorische T-Zellen gebunden vorlagen, konnte dagegen gezeigt werden, dass Tumor-assoziierte Makrophagen diese regulatorischen T-Zellen im Tumor erkannten und eliminierten [16]. So verhielt sich der CTLA-4-spezifische Antikörper im Rahmen einer intratumoralen Erkennung von regulatorischen T-Zellen wie ein zytotoxischer Antikörper. Noch komplexer stellte sich die Situation bei PD-1- bzw. PDL-1-spezifischen immunmodulatorischen Antikörpern dar, für deren optimale Aktivität in vivo IgG-Fc-Teil vermittelte Effektorfunktionen teilweise notwendig, teilweise aber sogar nachteilig waren, da es zu einer unerwünschten Reduzierung von zytotoxischen T-Zellen kam. Aufgrund der beschriebenen Ergebnisse werden derzeit Varianten verschiedener immunmodulatorischer Antikörper untersucht, die zum Beispiel eine erhöhte Bindung an den inhibitorischen FcγRIIB (CD40-Antikörper) zeigen bzw. eine höhere Affinität für aktivierende FcγR haben (CTLA4-Antikörper) [17].

Neutralisierende Antikörper

Die Aktivität neutralisierender Antikörper beruht darauf zu verhindern, dass Viren oder bakterielle Toxine an zelluläre Rezeptoren binden und dann in die Zelle eindringen können. Neben dem Einsatz in der passiven Immuntherapie – wie etwa in der gegenwärtigen SARS-CoV-2-Pandemie – ist es auch ein wichtiges Ziel von aktiven Impfungen, neutralisierende IgG-Antikörper hervorzurufen. Aufgrund von in vitro Untersuchungen ist gut belegt, dass IgG-Antikörper unabhängig vom IgG-Fc-Teil in der Lage sind, Zielanti­gene zu neutralisieren [18, 19]. Umso überraschender waren Befunde, dass in vivo die IgG-vermittelte Neutralisierung von bakteriellen Toxinen, aber auch von verschiedenen Viren, vom IgG-Fc-Fragment abhingen. Somit könnte auch hier zumindest im Rahmen passiver Immunisierungen über eine Verbesserung der Interaktion mit aktivierenden FcγR nachgedacht werden. Allerdings muss hier im Auge behalten werden, dass bestimmte Virus-spezifische IgG-Antikörper Infektionen über eine verbesserte Bindung an FcγR auch verstärken können, wie etwa für das Dengue-Virus beschrieben [20]. 

Intravenöse Immunglobuline 

Intravenöse Immunglobuline (IVIg) bestehen aus der Serum-IgG-Fraktion von tausenden Spendern und werden hochdosiert als entzündungshemmendes und immunmodulatorisches Medikament eingesetzt. Auch hier zeigten Studien am Menschen und im Tiermodell, dass ein wichtiger Teil der immunmodulatorischen Aktivität dieser polyklonalen IgG-Präparation im IgG-Fc-Teil liegt [21]. So konnten mit der Infusion der IgG-Fc-Teile in verschiedenen Patientengruppen ähnliche therapeutische Effekte wie mit dem intakten IgG-Molekül erzielt werden. Weiterführende Studien in Tiermodellen identifizierten unter anderem eine wichtige Rolle der IgG-Zuckerseitenkette und insbesondere von Sialinsäureresten für die anti-inflammatorische Aktivität von intravenösen Immunglobulinen [22]. Die klinische Relevanz dieser präklinischen Ergebnisse wurde kürzlich durch erste klinische Studien belegt, die zeigen konnten, dass ein Glykoengineering von IVIg hin zu Varianten mit einem hohen Anteil von sialylierten Zuckerstrukturen  die therapeutische Aktivität beim Menschen verbessern kann.

Fazit und Ausblick

Die Entwicklung neuer Antikörper-basierter Therapeutika schreitet insbesondere in der Klasse der immunmodulierenden Antikörper in einem atemberaubenden Tempo voran. Aktuelle Studien belegen allerdings eindrücklich die Komplexität der Mechanismen, die der Aktivität immunmodulatorischer Antikörper zugrunde liegt und dass zumindest im Moment noch keine generellen Vorhersagen für die Wirkungsweise neuer immunmodulierender Antikörper in vivo gemacht werden können. Daher werden noch viele weiterführende Studien in aussagekräftigen, idealerweise humanisierten Modellsystemen nötig sein, um einen optimalen Einsatz dieser potenten Biomoleküle im Menschen zu erreichen.

Autor
Prof. Dr. Falk Nimmerjahn
Lehrstuhl für Genetik, Department für Biologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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