Nobelpreis in Chemie 2018

Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften hat beschlossen, den Nobelpreis für Chemie 2018 aufzuteilen. Eine Hälfte des Preises geht an Frances H. Arnold (USA) „für die gezielte Entwicklung von Enzymen“, die andere Hälfte teilen sich George P. Smith (USA) und Sir Gregory P. Winter (Großbritannien) „für die Phagen-Display-Technik von Peptiden und Antikörpern“.
Frances H. Arnold führte im Jahr 1993 die ersten gezielten Mutationen an Enzymen durch. Ihre Methode wird heute routinemäßig zur Entwicklung neuer Katalysatoren zur umweltfreundlicheren Herstellung von chemischen Substanzen, wie beispielsweise Pharmazeutika oder erneuerbaren Kraftstoffen, verwendet.
George P. Smith entwickelte 1985 eine elegante Methode, um fremde Polypeptide aus höheren Organismen auf Bakteriophagen zu exprimieren und so mittels der Phagen-Display-Technik neuartige Proteine für die Diagnose und Therapie zu entwickeln.
Gregory Winter verwendete die Phagen-Display-Technik für die Gewinnung von Antikörpern aus einer synthetisch hergestellten menschlichen Antikörper-Phagen-Display-Bücherei. 2002 wurde der erste auf diese Weise gewonnene menschliche monoklonale Antikörper (Adalimumab) gegen das pro-inflamma­torische Zytokin TNF-α zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis, Psoriasis und von entzündlichen Darmerkrankungen zugelassen.

Hans-Martin Jäck

 

Text entnommen, übersetzt und erweitert mit Genehmigung der Pressestelle. Pressemitteilung: The Nobel Prize in Chemistry 2018. NobelPrize.org. Nobel Media AB 2018. Wed. 31 Oct 2018. www.nobelprize.org/prizes/chemistry/2018/summary/).

Nobelpreis für magische Kugeln zur Behandlung von Tumorerkrankungen

Nobelpreis für Medizin 2018

Der Nobelpreis 2018 für Physiologie oder Medizin geht an den US-Amerikaner James P. Allison und an den Japaner Tasuku Honjo für ihre Entdeckung der Krebstherapie durch Antikörper-vermittelte Hemmung der negativen Immun­regulation. Die Nobelversammlung des Karolinska Instituts in Stockholm verleiht die Nobelpreise seit 1901 an Wissenschaftler, die die wichtigsten Entdeckungen zum Wohle der Menschheit gemacht haben. Der erste Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ging an Emil von Behring für seine Entwicklung einer Antikörper-basierten Serumtherapie zur Behandlung von Kindern, die an Diphtherie erkrankt waren [1–3]. Schon Paul Ehrlich, der 1908 den Nobelpreis für das erste Modell zur Erklärung der spezifischen Antikörper­antwort (die sogenannte Seiten-Kettentheorie, siehe [4] und Artikel von Schulz et al. in dieser Ausgabe) erhielt, schlug vor, dass Antikörper als „magische Kugeln“ auch zur Bekämpfung von Tumorerkrankungen eingesetzt werden könnten. Durch die Entwicklung einer Methode zur Herstellung unbegrenzter Mengen monoklonaler Antikörper mit definierter Spezifität (Nobelpreis 1984 für Georges Koehler und Cesar Milstein) wurden die technischen Voraussetzungen hierfür geschaffen [5]. Und dieses Jahr wurde nun tatsächlich erstmals der Nobelpreis für „magische Kugeln” vergeben, die über die Aktivierung inaktiver oder gebremster Tumor-spezifischer T-Zellen erfolgreich zur Bekämpfung z. B. des malignen Melanoms (schwarzer Hautkrebs) eingesetzt werden können.
Fortschritte in der Therapie von Tumor­erkrankungen wurden in den letzten drei Dekaden vor allem im Bereich der Hämatologie in der Behandlung von Leuk­ämien und Lymphomen erreicht. Durch ein immer besseres Verständnis der Differenzierung der verschiedenen Blutzellen sowie des Reifungsweges vom Knochenmark in die Peripherie, konnte eine Vielzahl molekularer Ursachen identifiziert werden, die der Entstehung von Tumoren des blutbildenden Systems zugrunde liegen. Dadurch ergaben sich auch neue therapeutische Prinzipien, die zu verbesserten Behandlungsansätzen führten.
In der gleichen Zeit waren jedoch Erfolge in der Therapie solider Tumoren, d. h. den von Organen und Geweben ausgehenden Krebsarten, in fortgeschrittenen Krankheitsstadien extrem begrenzt. Wenn der Tumor begonnen hatte zu metastasieren, also sich im gesamten Körper zu verbreiten, war in den allermeisten Krankheitsfällen eine Heilung nicht mehr erreichbar. Stattdessen stand die Palliation, also die Verlangsamung des Tumorwachstums zur Erlangung möglichst guter Lebensqualität und eines möglichst langen Überlebens, im Vordergrund der Behandlung.
Mittlerweile hat sich die Situation aber durch das gewachsene Verständnis der Biologie solider Tumorerkrankungen auch in diesem Bereich zunehmend verbessert. Dazu hat im Wesentlichen das Wissen beigetragen, dass selbst Tumoren, die aus ein und demselben Organ hervorgehen, nicht identisch sind. Dies wurde durch große Gensequenzierungsprojekte eindeutig belegt. Tatsächlich lassen sich sogar definierte molekulare Defekte identifizieren, die als Angriffspunkte für zielgerichtete Therapien zur Unterbrechung von intrazellulären Signalketten geeignet sind. Ein deutliches Schrumpfen von soliden Tumoren und die Verlängerung des Gesamtüberlebens von Patienten bei Einsatz dieser neuartigen Therapien sind die ersten Zeichen, dass die neuen Verfahren anschlagen [6, 7].
Ein weiterer Baustein der experimentellen Krebstherapie war aber immer der Einsatz des Immunsystems. Es ist wissenschaftlich lange bekannt und umfassend belegt, dass ein funktionierendes Immunsystem das Entstehen von Tumoren wirkungsvoll unterdrücken kann [8]. Als Beispiel kann die AIDS-Erkrankung dienen, die in der Spätphase, wenn das Immunsystem durch das HI-Virus weitgehend zerstört wurde, durch das Auftreten extrem seltener Tumoren charakterisiert ist, die bei HIV-negativen Individuen praktisch nicht vorkommen. Leider haben sich jedoch die Konzepte der Krebs-Immuntherapie über viele Jahre nicht vom Experimentalstadium in die klinische Anwendung übersetzen lassen. Stets wurden die überragenden Erfolge aus tierexperimentellen Arbeiten durch ernüchternde Studien beim Menschen zunichtegemacht. Das änderte sich schlagartig mit der Entdeckung von Oberflächenmolekülen, die eine Immunzelle inhibieren (auch als Checkpoint- Moleküle bezeichnet), und ihrer Hemmung durch den Einsatz monoklonaler Antikörper, für die Allison und Honjo dieses Jahr den Nobelpreis erhalten haben.
Jeder Kontakt mit einem Pathogen, z. B. einem Grippevirus, führt zu einer Aktivierung des Immunsystems, welches letztendlich das Virus erkennt und alle Virus-infizierten Zellen eliminiert. Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, muss die Aktivierung des Immunsystems aber unbedingt wieder heruntergefahren werden. Dies ist extrem wichtig, um überschießende Immunreaktionen im Körper zu verhindern, die zu Autoimmunkrankheiten führen können. Die beiden Nobelpreisträger wollten verstehen, wie dieser Mechanismus molekular gesteuert wird. Dabei haben sie zwei Moleküle, CTLA-4 und PD-1, entdeckt, die sich auf der Oberfläche aktivierter T-Zellen finden, auch der sogenannten T-Killerzellen, die normalerweise Tumorzellen zerstören. Werden diese Moleküle durch Liganden aktiviert, wird die T-Zelle abgeschaltet [9, 10]. Im Falle der Tumorkontrolle richtet sich dieser Mechanismus aber gegen den Träger. Der Tumor selbst kann nämlich PD-L1 exprimieren, das an PD-1 bindet und die T-Zelle so direkt abschaltet. Gleichzeitig können antigenpräsentierende Zellen CTLA-4 stimulieren und die T-Zelle ebenfalls abschalten (siehe Abb.). Zusammen wirkt die Stimulierung von PD-1 und CTLA-4 auf T-Zellen wie ein Schalter, mit dem die T-Zelle inaktiviert wird. Daher bezeichnet man PD-1 und CTLA-4 auch als Checkpoint-Moleküle und durch Stimulation dieser Moleküle entgeht der Tumor einer wirkungsvollen Immunreaktion. Mit der Entdeckung dieses Prinzips ergab sich nun die Möglichkeit, monoklonale Antikörper herzustellen, die sowohl CTLA-4 als auch PD-1 blockieren können, und so die Abschaltung der T-Zellen wieder aufheben. Dies ist das Prinzip der Checkpoint-Blockade. Wie von Allison und Honjo zum ersten Mal gezeigt, blockiert ein monoklonaler Antikörper gegen CTLA-4 bzw. PD-1 effektiv das Tumorwachstum im Tiermodell [11, 12].
Erstmals klinisch eingesetzt wurde eine Checkpoint-Blockade bei der Behandlung des malignen Melanoms mit einem Antikörper gegen CTLA-4 [13]. Und zum ersten Mal konnten hier die dramatischen Effekte aus den experimentellen Modellen auch bei menschlichen Patienten nachvollzogen werden. Diese „Durchbruchstudie“ untersuchte 2010 die Therapie des Melanoms mit Ipilimumab (= CTLA-4-blockierender Antikörper) als erstem Antikörper [14], dessen Anwendung in 2012 in Europa für die Behandlung des Melanoms zugelassen wurde.
„Als wir Checkpoint-Inhibitoren bei unseren Melanompatienten im weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium eingesetzt haben, konnten wir kaum glauben, wie z. T. dramatisch der Rückgang der Tumoren war. Und nicht nur das, die Tumorkontrolle hielt bei vielen Patienten über Jahre an [15]. So etwas hatten wir niemals zuvor bei einem Medikament beobachten können.“ (Prof. Dr. Dirk Schadendorf, Direktor der Klinik für Dermatologie & des Westdeutschen Tumorzen­trums am Universitätsklinikum Essen).
Nachfolgende Studien auch mit PD-1-blockierenden Antikörpern führten 2015 zur Zulassung der Checkpoint-Blockade bei einer Vielzahl von fortgeschrittenen Tumorerkrankungen (neben dem Melanom u. a. Tumoren der Lunge, im Kopf-Hals-Bereich, der Niere und Blase sowie beim Merkelzell-Karzinom und dem Hodgkin-Lymphom). Derzeit sind mindestens 50 weitere Zulassungsstudien anhängig, die kurz vor dem Abschluss stehen [16].
Im Rückblick der letzten zehn Jahre stellt die Checkpoint-Blockade einen Durchbruch in der Immuntherapie von Krebs dar. Basierend auf den Entdeckungen der beiden Nobelpreisträger, Allison und Honjo, hat sich die Blockade der immunologischen Checkpoint-Kontrolle als wirksames onkologisches Therapieverfahren etabliert. Es sollte dabei nicht übersehen werden, wie fundamental tierexperimentelle Arbeiten im Vorfeld dieser Entdeckungen waren (siehe hierzu auch die Artikel von Thomas Kamradt und Jennifer Landsberg in DGfI Trillium 01/2017 [9, 10]). Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, welche herausragende Rolle tierexperimentelle Forschung bei der Entwicklung neuer Therapieverfahren für den Menschen spielt.

Autoren
Prof. Dr. Matthias Gunzer (korr. Autor)
Institut für Experimentelle Immunologie und Bildgebung,Universitätsklinik,
Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. Dirk Schadendorf
Klinik für Dermatologie, Universitätsklinik,
Universität Duisburg-Essen