HDAC und HDAC-Inhibition in der klinischen Forschung

Einleitung

Histon-Deacetylasen (HDAC) spielen eine wichtige Rolle in der Steuerung der Genexpression, indem sie den Acetylierungszustand von Lysinresten modulieren, die sich an den aminoterminalen Enden von Histonproteinen der Nukleosomen befinden. Durch die Acetylierung wird die Bindung der Histone an die genomische DNA geschwächt und dadurch die Genexpression erleichtert. Durch HDAC deacetylierte Histone hingegen binden die DNA fester und steigern den Packungsgrad des Chromatins, was die Bindung von Transkriptionsfaktoren und somit die Genexpression erschwert. Infolgedessen werden HDAC im Allgemeinen mit einer Unterdrückung der Transkription und einer verringerten Genexpression assoziiert (Abb. 1).

Zusätzlich deacetylieren HDAC auch Nicht-Histonproteine wie p65 oder p53, können Transkription auch durch die Bindung von Transkriptionsfaktoren beinflussen oder wirken allgemein als Komplexbildner.
HDAC umfassen im Menschen eine Familie von 18 Mitgliedern und werden auf Grundlage ihrer Größe, Zelllokalisation, Anzahl der katalytisch aktiven Zentren sowie Homologie zu Hefe-HDAC in vier Klassen unterteilt. Klasse I umfasst HDAC1, HDAC2, HDAC3 und HDAC8,  basierend auf Sequenzhomologien. Klasse IIa umfasst HDAC4, HDAC5, HDAC7 und HDAC9, die jeweils eine einzige katalytisch aktive Stelle enthalten. Klasse IIb umfasst HDAC6 und HDAC10, die beide je zwei aktive Zentren enthalten, obwohl nur HDAC6 zwei katalytisch kompetente aktive Zentren aufweist. HDAC11 ist das einzige Mitglied der Klasse IV, basierend auf phylogenetischen Analysen. Die enzymatische Aktivität von HDAC der Klassen I, II und IV ist Metallionen-abhängig, wie durch kristallografische Analysen nachgewiesen werden konnte. HDAC der Klasse III, die auch als Sirtuine bezeichnet werden (SIRT1–7), sind hingegen NAD+-abhängig und stellen daher eine gesonderte Gruppierung innerhalb der HDAC dar, die hier nicht näher diskutiert werden soll.
Aufgrund ihrer fundamentalen Rolle bei der Genexpression wurden HDAC mit grundlegenden zellulären Ereignissen und Krankheitszuständen in Verbindung gebracht, einschließlich Zellwachstum und -differenzierung sowie Krebsentstehung, weswegen HDAC der Klassen I und II sich als attraktive Ziele für die Krebstherapie herausgestellt haben. HDAC-Inhibitoren bestehen typischerweise aus einer Metallbindungseinheit, die an das katalytische Metallatom im aktiven HDAC-Zentrum bindet, und einer Capping-Gruppe, die mit den Aminosäureresten am Eingang des aktiven Zentrums interagiert, verbunden durch einen sogenannten Linker (Abb. 2) [1].

Gemäß ihrer chemischen Eigenschaften können HDAC-Inhibitoren in fünf Stoffklassengruppen eingeteilt werden: Hydroxamsäuren, kurzkettige Fettsäuren, Benzamide, zyklische Tetrapeptide und Sirtuin-Inhibitoren. Die Mehrheit der HDAC-Inhibitoren, inklusive der, die sich in klinischen Studien befinden, hemmt alle HDAC-Isoformen unspezifisch. Es handelt sich also um sogenannte Pan-HDAC-Inhibitoren. Selektive HDAC-Inhibitoren, die entweder eine einzelne HDAC-Isoform oder mehrere Isoformen innerhalb einer einzelnen Klasse beeinflussen, wären jedoch als therapeutische Substanzen wünschenswert, da dadurch mögliche Nebenwirkungen reduziert werden könnten [1].

Klinische Studien

Vorinostat (Suberoylanilide Hydroxamic Acid, SAHA) war der erste HDAC-Inhibitor, der von der United States Food and Drug Administration (FDA) 2006 zur Behandlung von rezidivierten und refraktären kutanen T-Zell-Lymphomen zugelassen wurde. Vorinostat gehört zusammen mit den ebenfalls zugelassenen Belinostat (peripheres T-Zell-Lymphom) und Panobinostat (rezidiviertes multiples Myelom) zur Gruppe der Hydroxam­säuren und agiert als Pan-HDAC-Inhibitor. Im Gegensatz dazu wird die kurzkettige Fettsäure Valproinsäure, ein schwacher Inhibitor von Klasse-I- und -IIa-HDAC, derzeit nur für die Therapie von Epilepsie, bipolaren Störungen und Migräne verwendet. Sie befindet sich aber in mehreren klinischen Studien zu verschiedenen Krebserkrankungen und auch HIV-Infektionen, die dessen Potenzial als HDAC-Inhibitor zur Anwendung zu bringen versuchen. Romidepsin, ein zyklisches Tetrapeptid und spezifischer Klasse-I-HDAC-Inhibitor, wurde von der FDA zur Behandlung von peripheren T-Zell-Lymphomen freigegeben [2]. Während die genannten HDAC-Inhibitoren in den USA bereits zur ärztlichen Behandlung eingesetzt werden, ist deren Verwendung in Deutschland und Europa weitestgehend eingeschränkt. Vorinostat und Belinostat sind von der European Medicines Agency (EMA) nicht für den klinischen Gebrauch zugelassen. Panobinostat darf jedoch in Kombination mit dem Proteasom-Inhibitor Bortezomib und dem Glucocorticoid Dexa­methason zur Behandlung des multiplen Myeloms eingesetzt werden, wenn mindestens zwei vorangegangene Behandlungsversuche mit Bortezomib und immunmodulatorischen Medikamenten fehlgeschlagen sind. Valproinsäure wird auch in Deutschland zur Behandlung von Epilepsie, bipolaren Störungen und zur Vorbeugung von Migräne eingesetzt, darf allerdings aufgrund ihrer teratogenen Eigenschaften nicht von Schwangeren eingenommen werden [3]. Der Antrag auf Markteinführung von Romidepsin wurde aufgrund fehlender Vergleichsstudien von der EMA abgelehnt.
Eine große Anzahl klinischer Studien untersucht zurzeit das therapeutische Potenzial verschiedenster HDAC-Inhibitoren und versucht auch neue Anwendungsgebiete für die bereits zugelassenen Wirkstoffe zu erschließen. Momentan konzentriert man sich noch auf ein breites Spektrum von Krebsarten, jedoch gibt es auch Studien für immunologische Erkrankungen. Eine der ersten Veröffentlichungen zu diesem Thema erschien 2002 als prä-klinische Studie in Zusammenarbeit zwischen der Gruppe von Charles Dinarello und Italfarmaco [4]. Hier konnte gezeigt werden, dass Vorinostat in verschiedenen Mausmodellen nach oraler Gabe eine anti-inflammatorische Wirkung zeigt. Seither konnte die immunmodulatorische Wirkung der HDAC-Inhibitoren in verschiedensten Mausmodellen immer wieder bestätigt werden, sodass auch klinische Studien zu diesen Anwendungen initiiert wurden. Die in den USA bereits zugelassenen HDAC-Inhibitoren Panobinostat, Vorinostat und Romidepsin werden beispielsweise für die Behandlung der Graft-versus-Host-Erkrankung, die nach allogener hämatopoe­tischer Stammzelltransplantation auftreten kann, getestet. Vor allem Vorinostat scheint dabei vielversprechend. Eine erste Phase-I/II-Studie in Kombination mit der Standardimmunprophylaxe Tacrolimus und Mycophenolat mit 50 Patienten erzielte eine Inzidenzverringerung von 20% an Tag 100 nach Stammzelltransplantation (Studie NCT00810602). Die meisten der dabei beobachteten nicht-hämatologischen Nebenwirkungen waren vom Grad 3, während hämatologische Nebenwirkungen höheren Grades nur transient auftraten. Weitergehende Untersuchungen zeigten, dass die mit Vorinostat behandelten Patienten signifikant reduzierte Plasmalevel pro­inflamma­torischer Zytokine sowie eine erhöhte Anzahl an regulatorischen T-Zellen im peripheren Blutkreislauf aufwiesen [5]. Auch ex vivo mit Lipopoly­saccharid stimulierte mononukleäre Zellen des peripheren Blutes produzierten weniger proinflammatorische Zytokine nach Vorinostateinnahme. Zusätzlich laufen derzeit einige Studien, die das Therapiepotenzial von Vorinostat in Patienten mit Alzheimer, Epilepsie und Morbus Crohn sowie bei HIV-Infektionen untersuchen. Darüberhinaus werden HDAC-Inhibitoren auch als Immunmodulatoren in der Krebs-Immuntherapie erprobt, z. B. in Kombination mit sogenannten Checkpoint-Inhibitoren [6].
Ein äußerst potenter pan-HDAC-Inhibitor ist Givinostat (ITF2357), zu dessen Bewertung als Therapeutikum derzeit 17 klinische Studien eingetragen sind (Stand Oktober 2019). Unter den untersuchten Erkrankungen befinden sich verschiedene Arten der Muskeldystrophie, Polycythaemia vera, chronische myeloproliferative Neoplasie, juvenile idiopathische Arthritis (JIA), Morbus Crohn, myeloproliferative Erkrankungen, multiples Myelom, chronische lymphatische Leukämie und Hodgkin-Lymphome. Vor allem die Studien zur JIA demonstrieren die antiinflammatorischen Eigenschaften dieses HDAC-Inhibitors. In einer Phase-II-Studie (NCT00570661) in Kindern und jungen Erwachsenen zeigten 5 von 9 Probanden in der Per-Protocol-Gruppe bei einer Behandlung über 12 Wochen eine signifikante Verringerung des Disease Activity Scores bei nur leichten Nebenwirkungen [7]. Zusätzlich konnte in einigen Patienten eine Verringerung in der Neutrophilenanzahl und der Konzentration von proinflammatorischen Zytokinen im Blut nachgewiesen werden [8]. Auch wenn die geringe Teilnehmerzahl dieser Studie keine sichere Schlussfolgerung zulässt, so gibt sie doch weitere Hinweise auf das therapeutische Potenzial von Givinostat für die Behandlung von JIA.

Butyrat

Viele der momentan in klinischen Studien untersuchten HDAC-Inhibitoren sind synthetische Stoffe, die eine erhöhte Aktivität aufweisen. HDAC-Inhibitoren sind jedoch keineswegs eine Neuerfindung des Menschen, sondern werden von verschiedenen Mikroorganismen auch natürlich produziert. Trichostatin A (TSA) wurde beispielsweise von dem Bakterium Streptomyces hygroscopicus isoliert und zunächst als fungistatisches Antibiotikum beschrieben. Auch entsteht im Kolon des Menschen durch bakterielle Fermentierung von Ballaststoffen Butyrat, für welches eine Vielzahl von positiven Eigenschaften auf die Darmhomöostase nachgewiesen wurde, die nicht zuletzt auf dessen Aktivität als HDAC-Inhibitor zurückzuführen sind. So stärkt Butyrat die Darmbarriere, moduliert das intestinale Immunsystem und wirkt entzündungs- sowie krebshemmend [9]. Zusätzlich wurde in zahlreichen Studien die Wirkung von Butyrat auch außerhalb des Darms untersucht. Neben zahlreicher weiterer biochemischer Eigenschaften stellte sich heraus, dass Butyrat nicht nur das Wachstum verschiedenster Krebszellen hemmt, sondern auch das Knochenwachstum, die Neurogenese bei ischämischen Gehirnschäden sowie die fetale Hämoglobin­expression in hämatologischen Erkrankungen, wie Thalassämie oder Sichelzell­anämie, anregen kann [10]. Jedoch ist der systemische therapeutische Nutzen von Butyrat durch dessen unvorteilhafte pharmakologische Eigenschaften, wie der kurzen Halbwertszeit im Organismus und dem sofortigen Abbau in der Leber, stark eingeschränkt, was jedoch auch für lokale Anwendungen, wie für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED), Vorteile bietet.
Schulthess et al. aus dem Labor von Fiona Powrie konnten kürzlich in einer prä-klinischen Studie aufklären, wie Butyrat über die Inhibition von HDAC3 die Makrophagenfunktion im Kontext von CED beeinflussen kann, indem insbesondere Stoffwechsel- und Transkriptionsänderungen in den Makrophagen induziert werden, wodurch deren bakterizide Funktionen verbessert werden [11]. Es ist bereits bekannt, dass HDAC3-defiziente Makrophagen nach Stimulation mit IL-4 stärker in Richtung eines M2-Phänotyps polarisieren und dass Makrophagen nach Gabe von Klasse-1-HDAC-Inhibitoren IL-4-hypersensitiv werden [12]. Diese Funktionen sind jedoch kontextabhängig und treten nur auf, wenn tatsächliche IL-4­-Signale vorliegen. Bisher ging man davon aus, dass der Großteil der Wirkung der HDAC3-Hemmung mit der dauerhaften Acetylierung der nuclear factor kappa-light-chain-enhancer of activated B cells (NF-κB)-Untereinheit p65 und der dadurch hervorgerufenen Hemmung von NF-κB erklärt werden kann [13]. Schulthess et al. ergänzen und erweitern frühere Studien, indem sie zeigen, dass Butyrat durch seine Funktion als HDAC3-Inhibitor auch die Differenzierung eines spezialisierten antimikrobiellen Makrophagenphänotyps induziert, wenn die entzündliche Zytokinproduktion nicht verändert wird [11]. Es ergibt sich ein Modell, in dem Butyrat ein antiinflammatorisches und antimikrobielles Programm in Makrophagen induziert, welches die intestinale Homöostase fördert. Dies hat weitreichende Konsequenzen, legen epidemiologische Studien doch nahe, dass eine Exposition in jungen Jahren gegenüber Antibiotika einen Risiko­faktor für CED darstellt und Breitbandantibiotika zumindest in Modellsystemen Butyratmangel und Dysfunktionen von auf Butyrat reagierenden Makro­phagen und T-Zellen verursachen. Die Wiederherstellung der antimikro­biellen Funktion in Darmmakrophagen mittels Butyrat könnte daher ein universeller Mechanismus zur Prävention oder Therapie von CED sein, aber auch Auswirkungen auf (Darm)Infektionen haben. Es bleibt abzuwarten, ob selektive HDAC3-Inhibitoren einen Vorteil gegenüber ihrem natürlichen Gegenstück Butyrat haben. In der Tat könnte die HDAC3-Hemmung auch weitere, bisher unbekannte Auswirkungen auf zusätzliche Zelltypen des Darms sowie anderer Organe haben [11].

Perspektiven

HDAC stellen weiterhin vielversprechende Ziele für therapeutische Interventionen dar. Jedoch werden diese Enzyme ubiquitär in nahezu allen Zellen exprimiert und weisen in verschiedenen Zelltypen häufig unterschiedliche Funktionen auf. Die Nebenwirkungen der HDAC-Inhibitor-Gabe ähneln denen von Chemotherapeutika (Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Infektionen, etc.), weshalb zukünftige Behandlungen entweder HDAC-spezifisch sein sollten oder mit Zell-spezifischen Delivery-Systemen kombiniert werden sollten, um besagte Nebenwirkungen möglichst gering zu halten, aber gleichzeitig die gewünschte gezielte Hemmung dieser wichtigen Enzyme zu erreichen.

Autoren
Dr. Rainer Glauben
Medizinische Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
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