Ein Professor steht im Hörsaal vor seinen Studenten und schärft ihnen ein, dass sie zwei Eigenschaften während ihres Medizinstudiums erwerben sollten, um gute Ärzte zu werden: erstens eine gute Beobachtungsgabe und zweitens die Fähigkeit, vor nichts Ekel oder Abscheu zu haben. Er erläutert dies an einer Urinprobe: „Die alten Ärzte haben den Zuckergehalt mit dem Finger an der Zunge erprobt!“ Er führt diese Untersuchung praktisch vor und lässt es nacheinander alle Studenten ihm nachmachen. Danach äußert er sich zufrieden über ihre redlichen Bemühungen, den Ekel zu unterdrücken, fügt aber dann hinzu: „Leider fehlt Ihnen aber noch gänzlich die Beobachtungsgabe, sonst hätten Sie bemerkt, dass ich mit dem zweiten Finger der rechten Hand in das Glas hineinfuhr, aber am dritten geleckt habe!“ [1].
Dieser Professor war Johann Lukas Schönlein (1793–1864). Die Anekdote stellt ihn in der Situation dar, die er am meisten liebte, beim klinischen Unterricht im Hörsaal und am Krankenbett (Abb. 1, Tab. 1).