B-Zell-Immunität bei Viruserkrankungen – Bei SARS-CoV-2 bisher wenig hilfreich

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2023.02.09

B-Lymphozyten sind durch die Produktion von Antikörpern und die Regulation der Immunantwort ein wichtiger Bestandteil des Immunsystems. Sie werden im Knochenmark gebildet, wo auch ein großer Teil ihrer Entwicklung stattfindet. Ihre Reifung wird in den lymphatischen Organen abgeschlossen. Der Nachweis von Antikörpern wird sowohl zur Diagnose von Infektionserkrankungen als auch zur Einschätzung der Immunität erfolgreich eingesetzt. Im Falle von SARS-CoV-2-Infektionen treten hier aber einige Schwierigkeiten auf.

Schlüsselwörter: Lymphopoese, ProB-Zellen, Enzyme-linked immunosorbent assay, ELISA, Chemilumineszenz-Test

Trotz ihrer monotonen Erscheinung im Differenzialblutbild haben Lymphozyten sehr vielfältige und heterogene Funk­tionen in unserem Immunsystem (Abb. 1).

Auch B-Lymphozyten, um die es in diesem Beitrag schwerpunktmäßig gehen soll, produzieren nicht nur Antikörper, sondern sind wesentlich an der Regulation der Immun­antwort beteiligt.

Das Immunsystem gehört zu den ältesten und wichtigsten Funktionen bei Vertebraten und reicht vermutlich viele Millionen Jahre in der Evolution zurück [1]. Wesentliche und früh beschriebene Bestandteile sind T-Zellen (thymus-derived) und B-Zellen (bursa- oder bone-marrow-derived). Die Beschreibung von B-Zellen ist ursprünglich den von ihnen produzierten Proteinen (Antikörpern) zu verdanken. Diese Erkenntnis stammt bereits aus dem Jahr 1948 [2]. B-Zellen können als Zellen definiert werden, die klonal heterogene Immunglobulin-Rezeptoren auf ihrer Zelloberfläche exprimieren, die wiederum unterschiedliche Antigen-Epitope erkennen. Ihre Charakterisierung durch Techniken der Zelloberflächenanalyse und Durchflusszytometrie ist seit den frühen 1970er-Jahren möglich [3]. Auch die Entwicklung von B-Lymphozyten aus Vorläuferzellen wurde initial in Mäusen [4], dann in Menschen [5] in grundlegenden Arbeiten in den 80er-Jahren aufgeklärt.

(Patho-) Physiologie

Die Analyse der B-Lymphozyten spielt nicht nur eine wichtige Rolle in der Grundlagenforschung des Immunsystems, sondern hat auch eine große Bedeutung in der Medizin. Hier sind im Wesentlichen drei Bereiche zu nennen: ihre Funktion (und Fehlfunktion) in der normalen und gestörten Immunabwehr (Immundefekte) sowie ihre Rolle bei Autoimmunerkrankungen und in der Onkologie (Lymphome). Gerade die letzten beiden Felder tragen zu einem erheblichen Teil zu Morbidität und Mortalität in Industrienationen bei.

Damit gehören Physiologie und Pathophysiologie von B-Lymphozyten zu den seit Langem und sehr intensiv untersuchten Gebieten der medizinischen Forschung und es existiert eine sehr große und detaillierte Wissensbasis zu ihrer Entwicklung und Funktion. Dennoch ist das Immunsystem insgesamt und B-Lymphozyten im Besonderen ein komplex geregeltes System, in dem weiterhin viele Prozesse auf eine detaillierte Aufklärung warten.

Dieser kurze Text soll Grundlegendes zu Entwicklung und Funktionen von B-Lymphozyten zusammenfassen und ihre besondere Rolle in der Abwehr von Virus­erkrankungen, insbesondere von SARS-CoV-2, beschreiben.

Bildung und Differenzierung im Knochenmark

Die Lymphopoese, also die Bildung neuer Lymphozyten, beginnt sowohl für T- als auch für B-Lymphozyten im Knochenmark bei den hämatopoetischen Stammzellen, aus denen sich alle Blutzellen entwickeln. Diese differenzieren initial zu „Multipotenten Progenitor“-Zellen und danach zu „Common Lymphoid Progenitor“-Zellen.

Während T-Lymphozyten rasch in den Thymus wandern, absolvieren B-Lymphozyten einen großen Teil ihrer Entwicklung im Knochenmark, bevor sie zu den sekundären lymphatischen Organen gelangen. In diesem Differenzierungsprozess spielt der FLT3-Rezeptor eine wichtige Rolle, während die anschließende Differenzierung zur ProB-Zelle unter anderem über IL7-Rezeptor und CXCL12 gesteuert wird. Dabei gehen Eigenschaften, die für unreife Zellen charakteristisch sind, schrittweise verloren, während die Eigenschaften, die für die Funktion der reifen Zelle essenziell sind, zunehmend erworben werden.

Bei der Differenzierung der Blutzellen im Knochenmark spielt eine spezialisierte Mikroumgebung aus nicht-lymphatischen Stromazellen des Bindegewebes eine wesentliche Rolle, die über die Expression von Zelladhäsionsmolekülen und die Produktion von membranständigen und löslichen Zyto- und Chemokinen vermittelt wird [6]. In der ProB-Zelle wird zuerst die Gen­umwandlung der schweren und anschließend die der leichten Kette eingeleitet. Dieser als „VDJ-Rekombination“ bezeichnete Vorgang ist für die spätere Funktion der B-Zelle zur Antigen-Erkennung und klonalen Antikörperproduktion von entscheidender Bedeutung. Nach Allel- und Isotyp-Ausschluss entstehen aus den ProB-Zellen über mehrere Zwischenstadien die unreifen B-Zellen [7, 8].

Noch ein weiterer wichtiger Schritt in der Reifung der B-Zellen findet initial im Knochenmark statt: die Prüfung der Toleranz. Hierbei werden die unreifen B-Zellen auf ihre Reaktion mit Autoantigenen geprüft und Zellen, die mit zellständigen Autoantigenen reagieren, eliminiert. Zusätzlich zur zentralen Toleranz besteht eine periphere Toleranz, bei der aus dem Knochenmark in die Peripherie ausgewanderte B-Zellen, die für Gewebe außerhalb des Knochenmarks autoreaktiv sind, in den lymphatischen Geweben ebenfalls an der weiteren Proliferation gehindert werden [9]. Diese Erkennung des „Selbst“ ist von entscheidender Bedeutung für die spätere Funktion des Immunsystems [10]. Das Immunsystem unternimmt quasi eine Gradwanderung, um einerseits möglichst alle autoreaktiven Zellen zu verhindern, andererseits aber nicht zu viele B-Zellen vor ihrer Reifung auszuschalten, um der Immunabwehr eine möglichst breite Palette an Rezeptorrepertoire zu belassen.

Reifung im lymphatischen Gewebe

Die B-Zellen, die dann aus dem Knochenmark in die Peripherie auswandern, werden auch als unreife B-Zellen bezeichnet. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie große Mengen an IgM auf der Zelloberfläche exprimieren (sIgM) und nur eine Lebensdauer von wenigen Tagen haben. Um weiter zu reifen und zu einer langlebigen Zelle zu differenzieren, ist es für die unreifen B-Zellen obligatorisch, in einen Lymphfollikel zu gelangen. Das begrenzte sekundäre lymphatische Gewebe (Milz, Lymphknoten) scheint das „Nadelöhr“ der B-Zell-Reifung zu sein. Hier erfolgt die weitere Entwicklung durch zwei transitionale Stufen, T1 und T2. Während T1-Zellen keinen Komplementrezeptor (CD21) exprimieren, ist dieser auf den T2-Zellen zu finden. Für diesen Schritt spielen Signalwege der TNF-alpha-Familie (BAFF, APRIL) eine wichtige Rolle.

Eine weitere Differenzierung der B-Lymphozyten findet ebenfalls in den Follikeln des lymphatischen Gewebes statt. Hier erfolgt eine Trennung in follikuläre B-Zellen (auch als B2-Zellen bezeichnet) und in B-Zellen der Randzone (B1-Zellen). Man geht davon aus, dass B1-Zellen auch ohne Kontakt zu T-Zellen stimulierbar sind, überwiegend IgM-Antikörper bilden und somit eine sehr frühe Form der Immunantwort erzeugen. B2-Zellen hingegen benötigen den Kontakt zu T-Lymphozyten, um stimuliert zu werden und Antikörper (überwiegend IgG) zu produzieren. Diese reifen B-Zellen können nun Antigene binden und sich an der Immunantwort gegen eine Infektion beteiligen. Dabei differenzieren sie entweder zu Plasmazellen und produzieren und sezernieren Antikörper, oder zu Memory-B-Zellen, die teilweise lebenslang persistieren können. Bei einer Reinfektion mit dem gleichen Pathogen leiten sie eine schnelle Immunantwort ein und können so zu einer lebenslangen Immunität beitragen.

Diagnostik von SARS-CoV-2-Infektionen

Die B-Zell-vermittelte humorale Immun­antwort spielt besonders bei der Abwehr viraler Infekte eine wichtige Rolle. Sie beeinflusst wesentlich den individuellen Krankheitsverlauf und Outcome [11] und so auch den Verlauf von Pandemien wie Influenza und SARS-CoV-2. In Bezug auf Influenza ist die Antikörperdiagnostik in der klinischen Routine wenig relevant. Ganz im Gegensatz dazu standen Antikörper, ihre Bedeutung und Messung bei SARS-CoV-2 sehr im Fokus des Interesses. Schon früh wurden ELISA-Kits (ELISA = Enzyme-linked immunosorbent assay) zur quantitativen Bestimmung von IgG- und IgA-Antikörpern verschiedener Epitope des Virus entwickelt und auf den Markt gebracht. Diese Assays hatten wie alle immunologischen Tests das Problem der unspezifischen Bindung und damit falsch-positiver Resultate, die besonders bei niedriger Prätestwahrscheinlichkeit falsche Datensätze erzeugt hatten. Gut in Erinnerung sind noch Studien in den ersten deutschen „Endemiegebieten“, die eine „Durchseuchung von ca. 3 % der Bevölkerung“ nahelegten. Die gleiche Positivrate fand sich später auch in Serumproben, die vor der Pandemie abgenommen worden waren.

Zusätzlich zu den ELISAs kamen recht schnell auch heterogene Chemilumineszenz-Tests für Random-Access-Analyzer zur Markteinführung. Aufgrund ihrer Einfachheit und Verfügbarkeit führten diese zu einem sehr breiten Einsatz der Antikörpertestung in der täglichen Routine vieler Laboratorien. Meist wurden zwei Assays kombiniert: einer für Antikörper gegen das Spike-Protein, die sich sowohl nach Infektion wie nach einer Impfung bilden, und einer für Antikörper gegen ein virales Strukturprotein, die sich nur nach einer Infektion bilden. Mit diesem Set konnte sehr leicht und schnell zwischen Impfung und Infektion unterschieden werden.

Dennoch stellt sich drei Jahre nach Ausbruch der Pandemie die Frage nach der Wertigkeit der Antikörperdiagnostik. Nach unserem Kenntnisstand gibt es weiterhin keinen allgemein akzeptierten Spike-Antikörpertiter, der als protektiv gilt. Vermutlich muss man sogar davon ausgehen, dass humorale Antikörper unabhängig von der Titerhöhe nicht zwingend protektiv sind. Dies erschwert eine sinnvolle Interpreta­tion der erhobenen Befunde. Ebenso eignen sie sich kaum für diagnostische Zwecke. Das liegt zum einen daran, dass die (IgM-) Antikörper bei SARS-CoV-2-Infektionen nicht so schnell nachweisbar sind wie beispielsweise bei Mykoplasma pneumoniae und sie damit bei Beginn der klinischen Symptomatik oft noch negativ sind; zum anderen liegt es aber vor allem an der nahezu überall verfügbaren PCR-Diagnostik, die die Anti­körperbestimmung zur Diagnosestellung überflüssig macht.