Professionelle Labordiagnostik muss immer zum Wohl der Patient:innen geschehen. Und tatsächlich ist in Deutschland die Labordiagnostik in der Medizin bei den Labormediziner:innen (oder Klinischen Chemiker:innen) verankert. Es gibt aber viele Anwendungen, die in einem Graubereich liegen. Zu diesen Bereichen gehört in der Labormedizin das sogenannte DTCT (Direct to Consumer Testing). Es gibt verschiedenen Definitionen (s. Abb. S. 19), die aber letztendlich in einem Hauptmerkmal enden: Die Patient:innen müssen selbst zahlen. Und das häufig ohne Einschluss einer professionellen Beratung durch Mediziner:innen.
Unreguliertes DTC-Testen ohne festgelegte Standards oder Qualitätssicherung frei von ärztlicher Supervision ist ein Schritt in die falsche Richtung, das ist sicher. Das würde die Autonomie von Patient:innen und die damit verbundenen Folgen zwar maximieren, aber langfristig wohl mehr Schaden als Nutzen bringen.
Fortschritt für die Medizin
Neue Möglichkeiten bergen anfangs immer auch neue Herausforderungen, denen sich Gesellschaft und Politik stellen müssen. Der Einzug von DTCT ist ein logischer Schritt einer Medizin im 21. Jahrhundert, die von selbstbewussten Patient:innen geprägt ist, die sich um ihre Gesundheit Sorgen machen und wissensbasierte Prävention betreiben wollen. Dass diese Entwicklungen neben Chancen auch Probleme und offene Fragen mit sich bringen, liegt in der Natur von Wandel und Fortschritt.
Man darf sich also nicht dazu verleiten lassen, DTC-Tests grundsätzlich abzulehnen, denn durch dieses Konzept ergeben sich Chancen, die eine Integration in die standardisierte Medizin ermöglichen.
DTC-Tests sind benutzerfreundlich, unkompliziert und mit weniger Hürden verbunden als der Besuch bei Ärzt:innen. Die Schwelle für die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen kann damit gesenkt werden. So können Bevölkerungsgruppen angesprochen werden, die tendenziell erst mit Ärzt:innen in Kontakt kommen, wenn Primärprävention nicht mehr möglich ist. Dies kann zu sonst unnötigen Therapien mit erheblichem Kostenaufwand führen [1].
Beispiel HIV
Ein eindrucksvolles Beispiel liefert eine Studie aus den USA mit ca. 2.700 homosexuellen Männern [2]. Unter randomisierten, kontrollierten Bedingungen wurden die über das Internet rekrutierten Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine testete sich regelmäßig selbst zuhause auf HIV. Anhand der durch das häufigere Testen neu erkannten HIV-Erkrankungen in der Interventionsgruppe berechneten die Forscher:innen, dass im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht nur mehrere HIV-Übertragungen verhindert, sondern auch 1,6 Millionen Dollar an potenziellen Kosten für das Gesundheitssystem eingespart werden konnten.
In einer anderen Studie [3] aus dem Jahr 2014 wurde die kritische Frage hinsichtlich der richtigen Anwendung und Interpretation von DTC-Tests beleuchtet. Es stellte sich heraus, dass die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer:innen dazu in der Lage war, einen HIV-Selbsttest richtig anzuwenden und dessen Ergebnis zu interpretieren. Weiterhin war den Testpersonen bewusst, dass ein positives Ergebnis von einem Bestätigungstest und Ärztlichem Rat gefolgt werden sollte. Zugleich gaben viele Teilnehmer:innen an, sich zusätzlich Ärztliche Beratung zu wünschen.
Seit 2016 empfiehlt auch die WHO (World Health Organization) HIV-Selbsttests als sichere, genaue und wirksame Methode, um Menschen zu erreichen, die sonst vielleicht nicht getestet würden. Sie ermutigt dazu, diese in nationale HIV-Testprogramme aufzunehmen. Natürlich muss die Diagnose nach einem positiven Selbsttest von Fachpersonal mit einem weiteren Text bestätigt werden. 2019 wurde die Empfehlung nach einer positiven Evaluation erneuert [4] (Abb. 1).