Nach dem zweiten Weltkrieg gab es – bedingt durch Migration und die durch Bombardements zerstörte Infrastruktur der Städte – in vielen europäischen Ländern Ausbrüche von Infektionen mit S. enterica serovar Typhi. Die Erreger-Typisierung war für das Aufspüren der Infektionsquellen und Verfolgen der Verbreitungswege eine wichtige Voraussetzung. Dafür bot sich zu dieser Zeit die Lysotypie als vielversprechende Methode an. Die Lysotypie fußt auf der unterschiedlichen Empfindlichkeit von Stämmen einer Bakterien-Spezies gegen unterschiedliche Bakteriophagen (nachstehend Phagen). Auf dieses Phänomen war man bereits nach dem ersten Weltkrieg aufmerksam geworden, als nach der Entdeckung der Phagen (F. Twort, 1914; vielleicht unabhängig davon F. De Herelle, 1917) eine Vielzahl von Untersuchungen zu den Möglichkeiten ihres therapeutischen Einsatzes erfolgte, verbunden mit einer Flut von Publikationen – im Jahr 1939 waren es bereits mehr als 2.000. Schon F. De Herelle dachte daran, Phagen für die bakterielle Diagnostik einzusetzen; C. Sonnenschein beschrieb dann 1928 die Verwendung von Phagen für die Typhus-Diagnostik. Zehn Jahre später etablierten Cragie und Yen in den USA für die Typisierung von S. enterica serovar Typhi einen Satz von Phagen, die an das Vi-Antigen (Poly-N-Acetyl-D-Galactosaminuronsäure) binden. Für die Typisierung von S. enterica serovar Paratyphi B stellten Felix und Callow (London) 1943 einen Phagensatz zusammen.
Es waren zwei „Pioniere“, die dann darauf aufbauend die auch noch heute verwendeten Lysotypie-Systeme für beide Serovare etablierten und ihren Einsatz für Ausbruchsuntersuchungen sowie die epidemiologische Überwachung für eine Reihe von bakteriellen Infektionserregern geradezu beispielhaft einführten: E. S. Anderson am Central Public Health Laboratory Service in London und H. Rische in Wernigerode. Die für die Lysotypie verwendeten Phagen stammten zumeist aus Abwasser oder Materialien von Patienten. Ihre Auswahl für die Lysotypie erfolgte damals und auch später weitgehend empirisch. Fast zeitgleich waren Phagen wichtige Modell-Objekte der sich rasch entwickelnden Molekulargenetik, deren Erkenntnisse sich nur teilweise in der Entwicklung der Lysotypie niederschlugen. Immerhin führten die Arbeitsgruppen um Anderson und Rische Experimente zu den Hintergründen der Lysis-Spektren durch („Typ-bestimmende“ Prophagen, Adaptation von Phagen als Wirts-spezifische Modifikation) [1]. Wie wir heute wissen, können Lysis-Spektren von Phagen auf verschiedenen Mechanismen beruhen: (i) Adsorptionsspezifität, (ii) Wirts-kontrollierte Restriktion/Modifikation (HCM), (iii) Phagen-kodierte Mechanismen, die HCM entgegenwirken (iv), Superinfektions-Immunität (vermittelt durch verwandte Prophagen, (v) CRISPR/Cas-Systeme. Dadurch sind Änderungen der Empfindlichkeit gegenüber Phagen im Verlauf der Verbreitung eines Stammes (Evolution) möglich. Für die Klassifizierung der Phagen wurde in Wernigerode die Elektronenmikroskopie etabliert: ein Ansatz, der in späteren Jahren für die Lysotypie-Systeme einer Reihe weiterer Erreger-Spezies am Institut für Immunologie und Experimentelle Therapie, Wroclaw von S. Slopek breit verfolgt wurde. Auch für Salmonella serovar Typhimurium waren frühzeitig Phagensätze für die Typisierung entwickelt worden (Felix u. Callow, 1943; Lillleengen, 1953).
Dem Typhus auf der Spur
Bis zur Verschärfung der Teilung Deutschlands im Jahr 1961 hat H. Rische mit Instituten in der ehemaligen Bundesrepublik [2] und mit dem Robert Koch-Institut [3] gemeinsam zu Salmonellen geforscht und publiziert. In der DDR wurden über die staatliche Hygieneinspektion die Typhus-Dauerausscheider (nach stattgehabter Infektion) und die Lysotypen der damit assoziierten S. enterica serovar Typhi-Stämme in einer im IEE gepflegten Kartei erfasst. Im Falle eines Ausbruchs war es so möglich, Dauerausscheider als Infektionsquelle zu identifizieren und Maßnahmen für die weitere Prävention zu treffen. Beispielsweise konnte Rische den durch kontaminiertes Trinkwasser verursachten Ausbruch mit 65 Erkrankten in Jena 1980 auf eine Dauerausscheiderin zurückverfolgen. Von deren Hauskläranlage war durch das Überlaufen nach starkem Regen eine Kontamination eines Wasserwerkes erfolgt. Damit wurde zugleich die von den „örtlichen Organen der Staatsmacht“ vertretene Auffassung, es würde sich um einen Sabotageakt mit einem gegen Chlor resistenten Stamm handeln, widerlegt. Ganz im Sinne des heutigen One-Health-Konzeptes sah H. Rische die enge Verbindung von Human- und Veterinärmedizin, stellte 1958 für die Bearbeitung der nicht-typhoidalen Salmonellen den Tierarzt H. Kühn (später stellvertr. Direktor des IEE) ein und baute mit ihm eine enge Zusammenarbeit mit veterinärmedizinischen Institutionen auf. Er war damit seiner Zeit deutlich voraus!