Die zukünftige Rolle von Laborärztinnen und -ärzten: Quo vadis?

Die Zukunft birgt für die Labormedizin zahlreiche Herausforderungen: Hierzu gehören u. a. der Nachwuchsmangel, das Verlagern von labormedizinischen Tätigkeiten in den Laienbereich und die Verschiebung der Beschäftigungsmöglichkeiten hin zum MVZ mit potenziell daraus resultierenden Schwierigkeiten für die Weiterbildung.

Schlüsselwörter: 4-P-Medizin, Arztvorbehalt, Weiterbildungsordnung, Management, IT

Gerade durch die Corona-Pandemie wurde bewusst, dass ein sehr hoher Bedarf für In-vitro-Diagnostik besteht, und dass aber auch die Zahl von Labormediziner:innen und anderem spezia­lisierten Laborpersonal begrenzt ist. Wenn in den nächsten Jahren die Babyboomer in den Ruhestand gehen, wird auch ein Großteil des laborärztlichen Personals das Renteneinstiegsalter erreicht haben und die Nachwuchsfrage dramatisch werden. Der Altersdurchschnitt in der Labor­medizin liegt deutlich höher als in anderen medizinischen Fachgebieten: 32,0 % der berufstätigen Laborärzt:innen sind älter als 60 Jahre, 72,1 % sind über 50 Jahre – in der gesamten Ärzteschaft sind dagegen nur 20,1 % älter als 60 und 46,5 % älter als 50 Jahre [1].

Substitution

Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren nur wenige Weiterbildungsassistent:innen ausgebildet wurden. Hintergrund waren in erster Linie ökonomische Überlegungen, die das Labor v. a. als „Cost Center“ gesehen haben. Die Ressourcen wurden daher eher für patientennahe Bereiche verwendet. Daraus erwachsen nun vielfältige Herausforderungen für die Zukunft: Wenn bestimmte Stellen nicht besetzt werden können, werden Überlegungen angestellt, ob durch Delegation oder sogar Substitution die Funktionsfähigkeit gewährleistet werden kann. Ein aktuelles Beispiel zur Substitution sind die buchstäblich an jeder Ecke entstandenen Testzentren, in denen medizinische Laien Befunde erstellen. Diese Diagnostik war vor der Pandemie ausschließlich Ärzt:innen vorbehalten (durch den sogenannten Medical Act, beispielsweise 1858 in UK oder auch durch das Edikt von Salerno von 1231 durch Kaiser Friedrich II.). Dazu gehören auch die aktuellen Bestrebungen von Drogeriemärkten oder von großen Internethändlern, selbst groß in die In-vitro-Diagnostik einzusteigen. Unterstützt werden diese massiven Veränderungen in der In-vitro-Diagnostik durch die sogenannte 4-P-Medizin [2]. Die P4(predictive, preventive, personalized and participatory)-Medicine mit ihrem Fokus auf die Patientenbeteiligung passt auch zur Milleniuminitiative der United Nations University, die gerade auch das „Patient Self Monitoring“ und die rapide Umsetzung von wissenschaftlichen Entwicklungen fordert.

 

Patientenzentrierung

Viele dieser Entwicklungen erscheinen vordergründig sehr vernünftig, weil sie die Verantwortung der Patient:innen stärken. Allerdings ist offen, ob dies nicht zulasten ihrer Sicherheit geht. Gerade bei Labor­untersuchungen müssen Patient:innen sich darauf verlassen, dass das vermeintlich exakte numerische Ergebnis, das sie von irgendwoher bekommen haben, auch tatsächlich korrekt ist und somit die medizinischen Konsequenzen daraus korrekt gezogen werden können. Die Besonderheit der In-vitro-Diagnostik ist ja, dass die Befunde außerhalb der Patient:innen erhoben werden und diese sich dabei komplett auf die primär intrinsische Kompetenz und Verantwortung des Labors verlassen müssen. Dass dies leider nicht immer funktioniert, hat die jüngste Vergangenheit gezeigt: So wurden unzählige Coronatests in den nichtärztlichen Testzentren falsch oder sogar gar nicht durchgeführt. Die derzeitige Gerichtsverhandlung gegen Elisabeth Holmes im Theranos-Prozess zeigt einen spektakulären Betrug im Direct-to-Consumer-Testing(DTCT)-Bereich [3]. Diese Betrügereien stellen auch den bisherigen Wert eines künftigen labormedizinischen Befundes infrage: Bislang gab es ein sehr komplexes System mit einer streng regulierten Aus- und Weiterbildung, einer vorgegebenen Laborstruktur und einer Qualitätssicherung und auch Sanktionen bei Nichteinhaltung – eben damit der Patientenschutz gewährleistet ist. Die Verlagerung dieser labormedizinischen Tätigkeiten in den Laienbereich wie durch die Aufhebung des Arztvorbehaltes hat die Qualität von Laborbefunden massiv beeinträchtigt. So sind Laien von qualitätssichernden Maßnahmen komplett ausgenommen (die Rili-BÄK gilt nur in der Heilkunde) und die schlechte Qualität vieler in der Pandemie eingesetzten Antigentests ist legendär [4]: Selbst erwiesenermaßen komplett unbrauchbare Tests dürfen aufgebraucht werden, nur weil sie irgendwann einmal nur mittels einer Selbstdeklaration und komplett ohne Validierung auf den Markt gekommen sind. Die juristischen Winkelzüge bei der sogenannten Schulung von Laien für die Coronatestung und die Ausnahmen bei der Zulassung von In-vitro-Diagnostika (IVD) sind ja für die Allgemeinheit kaum nachvollziehbar. Leider ausgesprochen frustran sind die Bemühungen der Ärzteschaft, die Aufhebung des Arztvorbehaltes für die Erkrankungen des IFSG (Infektionsschutzgesetzes) wieder zu beenden. Erschwert wird das alles auch dadurch, dass die Labormedizin in Deutschland bislang so hochgradig effizient und effektiv war und die Untersuchungen ungeachtet der äußeren Umstände immer und überall für alle Patient:innen verfügbar waren. Aktuell ist die Zulassung der Medizinprodukte für Kinder in der öffentlichen Diskussion mit einem großen Echo wegen der künftig gefährdeten medizinischen Behandlung der kleinen Patient:innen – eine ähnliche Diskussion bei der Zulassung der IVD wäre geradezu undenkbar.

Anstellung im MVZ

Auch die Beschäftigungsmöglichkeiten der Labormediziner:innen stellen für die Zukunft eine Herausforderung dar. Durch die Pandemie kam es zu einer deutlichen Stärkung der Labormedizin an den Krankenhäusern, teils sogar mit einer neuen labormedizinischen Fachabteilung. Zudem waren war fachärztliches Personal aus Mikrobiologie und Labormedizin fast täglich in den Medien zu sehen. Gleichzeitig ist es Wunsch der Politik, die Zahl der Krankenhäuser weiter zu vermindern, sodass die Anzahl der labormedizinischen Institute als möglicher Beschäftigungsort sich in der nahen Zukunft kaum verändern wird. Dagegen ist die Zahl der Einzel- und Gemeinschaftspraxen stark rückläufig und die überwiegende Beschäftigung im ambulanten Bereich erfolgt als angestellter Arzt oder Ärztin im MVZ. Diese Entwicklung muss eng beobachtet werden und es ist aktuell ungewiss, ob es hier zu weiteren Veränderungen kommen wird. Unklar ist dabei auch die Rolle der Kassenärztlichen Vereinigungen: Einerseits wird es durch die Schaffung von Vorgaben (zum Beispiel zur persönlichen Leistungserbringung und zur Begrenzung der Anzahl technischer Angestellter pro Arzt bzw. Ärztin) sowie durch die massive Begrenzung des laborärztlichen Honorars im EBM2000 nahezu unmöglich gemacht, dass ein Einzelkämpfer sich als Laborarzt/-ärztin niederlassen kann. Eine Anstellung im MVZ scheint da ideal zu sein: Es fängt beim nicht notwendigen Kapitaleinsatz an und geht weiter mit exzellenten Möglichkeiten für die Arbeitszeitwahl wie in kaum einem anderen medizinischen Fach und somit einer optimalen Berücksichtigung der Work-Life-Balance.

 

Weiterbildung

Bei den MVZ dagegen sind die Entwicklungen zu beobachten, die gerade den Einfluss von Hedgefonds beschränken wollen. Hinzu kommt, dass bei einer Anstellung im MVZ – und dann auch noch in Teilzeit – die Identifikation mit dem Fach und der Einsatz für die berufspolitische Arbeit meist sehr gering ist. Diese Schwäche wird dann gerne von den anderen ärztlichen Disziplinen ausgenutzt und in der Selbstverwaltung die Grenzen verschoben (z. B. in der Weiterbildungsordnung und der GOÄ/EBM2000). So sollte der Facharztabschluss eigentlich dazu berechtigen, ein eigenes mittelgroßes Institut leiten zu dürfen. Dafür wäre es notwendig, zwei Jahre Erfahrung im Umgang mit Bakterienkulturen nachzuweisen; dies wäre mit einer sechsjährigen Weiterbildung möglich gewesen. Es hätte auch eine gewisse Logik gehabt, dass die Weiterbildung in der Pathologie (die Spezialisierung für feste Materialien in der In-vitro-Diagnostik) und in der Labormedizin (die Spezialisierung für flüssige Materialien in der In-vitro-Dia­gnostik) gleich lang wären. Diese Forderung des IFSG wurde leider nicht von den Landesärztekammern akzeptiert, sodass die Institutschefärzt:innen entweder nach der abgeschlossenen Weiterbildung noch diese Zeiten nachholen müssen oder aber im Institut eine dritte Person diese Erfahrung nachweist. Die letzte Option ist ausgesprochen unglücklich: Wird ein Arzt oder eine Ärztin zur Weiterbildung eingestellt, muss sichergestellt sein, dass auch die dritte Person mit der Berechtigung nach §47 IFSG während der Weiterbildung anwesend ist. Wir haben somit bei der labormedizinischen Weiterbildung ohnehin schon die Herausforderung, dass die Weiterbildung an mindestens zwei Stellen stattfinden muss (wegen des Klinischen Jahres) und dass die Aufteilung auf Klinische Chemie, Immunologie und Mikrobiologie für viele Einrichtungen herausfordernd ist. Jetzt muss (außer wenn diese Zeit z. B. während einer Doktorarbeit oder als Postdoc bereits absolviert wurde) im Anschluss an die Weiterbildung nochmals unter Anleitung gearbeitet werden, ohne dabei die Befristungshöchstdauer zu überschreiten.

Management und IT

Positiv an der neuen Weiterbildungsordnung (WBO) ist zu werten, dass die Labormanagementtätigkeiten präzisiert wurden. Notwendig für die Tätigkeit sind ja nicht nur die medizinischen und analytischen Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern auch der möglichst optimale Einsatz von Logistik, qualitätssichernden Maßnahmen, Labororganisation und vor allem auch von der IT. Fortschritte bei der IT stellen auch unser Fach vor große Herausforderungen. Wie kein anderes Fach ist die Labormedizin schon seit Langem digital und die aktuelle Herausforderung besteht darin, nicht zum bloßen Datenlieferanten degradiert zu werden. Patient:innen und behandelnde Mediziner:innen müssen sich auf die Laborbefunde verlassen können – und die Erfahrungen mit den sog. Befunden von den „Corona-Freitestzentren“ oder auch die Theranos-Daten (sog. „Sink Testing“) zeigen, dass das Vertrauen in die Labormedizin schnell verloren gehen kann. Es bleibt zu hoffen, dass bei den aktuellen Entwicklungen der elektronischen Patientenakte sowie der digitalen Vernetzung der Ärzteschaft und der Krankenhäuser (Stichwort MIO und Gematik) der labormedizinische Sachverstand genutzt wird.

 

Innovationen

Herausfordernd bleibt die ständige Auseinandersetzung mit Innovationen. Wie in keinem anderen Bereich werden für unsere Patientenversorgung spektakuläre Entdeckungen aus vielen Bereichen der Naturwissenschaften und angewandten Wissenschaften schnellstens umgesetzt. Ein Lehrbuch der Klinischen Chemie aus meinem Geburtsjahr enthält keine einzige Methode, die heute noch verwendet wird. Beim Einsatz von Innovationen muss aber auch das Wohl der Patient:innen berücksichtigt werden und das beinhaltet auch, dass die labormedizinische Versorgung nicht zu einheitlich strukturiert ist. Wichtig ist ein Miteinander einer labormedizinischen Versorgung in Wohnortnähe und daneben auch die Einsendelabore für die eher selteneren Untersuchungen. Bei der Struktur muss auf die notwendige Anzahl von Weiterbildungsstellen und auch auf die Möglichkeit zur Weiterentwicklung des Faches im universitären Bereich Rücksicht genommen werden. Wenn der Fokus zu sehr auf der Kos­teneffizienz oder auch darauf liegt, dass die IVD-Industrie die alleinige Verantwortung für die Innovationen übernimmt, besteht die große Gefahr, dass die Patientenversorgung künftig nicht mehr in der gewohnten Form erfolgen kann. Dies betrifft insbesondere auch die IT: Von Labormediziner:innen muss aktuell schon erwartet werden, dass sie die Möglichkeiten von IT sehr weitgehend nutzen können und dass weitreichende Kenntnisse und Erfahrungen unstrittig Teil der Weiterbildung sind. Gleichzeitig muss auch kritisch beobachtet werden, ob durch die IT Systemveränderungen verursacht werden, die deletär für das Fach sind. Hierzu zähle ich insbesondere die Telemedizin, wenn sie zu einer ökonomisch optimierten räumlichen Trennung von „Produktion von Laborwerten“ und „Medizinischer Interpretation“ führt. Eine Besonderheit der Labormedizin im Vergleich zu anderen medizinischen Disziplinen ist ja das extrem große Spektrum an Untersuchungen, die wir für unsere Patient:innen anbieten. Nur durch den medizinischen Sachverstand und gleichzeitig auch den engen Kontakt zur „Produktion der Laborwerte“ kann hier für die Patient:innen die optimale Diagnostik erreicht werden.    

Autor
Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Orth
Institut für Laboratoriumsmedizin
Vinzenz von Paul Kliniken gGmbH