Trillium Diagnostik 2018; 16(4): 244-249
Die Auswahl von innovativen Medikamenten zur Hämophiliebehandlung wächst. Ein großes Plus dieser Präparate ist eine deutliche Reduktion der Therapiebelastung bei höherem Blutungsschutz. Der Anteil der Patienten, die diese Faktoren erhalten, steigt rapide. Mit Einführung biotechnisch veränderter Faktor- bzw. Non-Faktor-Präparate gelten nun andere Gesetze für aPTT-basierte Tests. Hat die aPTT ausgedient und bemisst sich nun sogar „die Größe ... [dieses] Fortschritts ... nach der Masse dessen, was ihm [möglicherweise]... geopfert werden muss“ [F. W. Nietzsche]?
Schlüsselwörter: aPTT-basierte Gerinnungstests, Hämophilie, extended half-life products, EHL, Emicizumab
Die Hämophilie A (HA) und B (HB) sind vererbbare Erkrankungen der plasmatischen Gerinnung und zeichnen sich in ihrer schwersten Ausprägung durch eine Reduktion der Aktivität von Faktor VIII bzw. Faktor IX auf weniger als 1% aus [1]. Unbehandelt können schwere, möglicherweise lebensbedrohliche Spontanblutungen auftreten. Eine typische Langzeitkomplikation sind blutungsbedingte Gelenkschäden (Arthropathia haemophilica). In den Industrienationen hat sich die Lebenserwartung dieses Patientenkollektivs seit der Einführung einer breit verfügbaren und sicheren Therapie mit Faktor-VIII- bzw. Faktor-IX-Konzentraten normalisiert.
Diese Faktorenkonzentrate können entweder bei Bedarf zum Zeitpunkt einer Blutung bzw. eines bevorstehenden Blutungsrisikos (operative Eingriffe, Sport) oder prophylaktisch zur Vermeidung von Blutungsepisoden appliziert werden. Die prophylaktische Faktorgabe wurde seit den Neunziger Jahren zunehmend der international anerkannte Therapiestandard für die schwerste Form der Hämophilie. Im Zuge dessen hat sich ebenso die Heimselbstbehandlung mit Faktorenkonzentraten durchgesetzt [2].
Individuelle Therapie
Mit der Etablierung der prophylaktischen Faktortherapie entwickelten sich ganz verschiedene Dosierungskonzepte. Dies ist vor allem dadurch erklärbar, dass nach dem ehemals erlebten Mangel an sicheren Therapiemöglichkeiten nun andere Therapieziele außer dem „reinen Überleben“ und der Reduktion von Gelenkschäden in den Vordergrund treten. Die Teilhabe dieses Patientenkollektivs an sozialen Aktivitäten und damit die Verbesserung der Lebensqualität sind wesentliche Überlegungen bei der Auswahl eines geeigneten Therapieregimes.
Abb. 1 zeigt die Faktor-VIII-Aktivitäten nach einmaliger Infusion eines rekombinanten Präparats. Aus solchen Kurven errechnen sich Halbwertszeiten von 8 bis 12 Stunden für Faktor VIII und von ca. 20 Stunden für Faktor IX. Angesichts der großen Schwankungsbreite ist eine allein gewichtsadaptierte Dosierung der Faktorpräparate mit Intervallen von 2 bis 3 Tagen für Faktor VIII bzw. 3 bis 4 Tagen für Faktor IX als überholt zu betrachten [3]. Vielmehr sind für eine individuelle und damit optimierte Faktortherapie
der Blutungsphänotyp [4, 5] (hämophilieassoziierter Gelenkschäden [6]),
die Lebensumstände und
die Pharmakokinetik des Präparats [7, 8]
zu beachten.
Die interindividuelle Variabilität der Faktor-VIII-/IX-Recovery und -Halbwertszeit zog in jüngerer Vergangenheit viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich. Eine Publikation von Björkman und Kollegen stellte die interindividuelle Variabilität der Faktor-VIII-Aktivitäten an einem Datensatz von mehr als 2.000 Einzelmessungen dar (s. Abb. 1).
Die intraindividuelle Variabilität der Faktorclearance ist deutlich niedriger. Daher ist man dazu übergegangen, das Dosisregime an die individuelle Pharmakokinetik des Patienten anzupassen [8]. Mit wenigen Blutentnahmen nach Faktorgabe kann die individuelle Pharmakokinetik über eine Bayes-Analyse aus populationspharmakokinetischen Daten ermittelt werden [11].