Impfmüde? Zeit aufzuwachen!

HPV-induzierte Kopf-Hals-Tumoren

Humane Papillomaviren (HPV) sind vor allem als Auslöser von Gebärmutterhalskrebs bekannt. Seit einigen Jahren verdichten sich Hinweise, dass auch bestimmte Kopf-Hals-Tumoren durch HPV-Hochrisikotypen verursacht werden. Daher empfiehlt die Stiko ganz aktuell in einer Vorab-Info vom 07.06.2018 die Impfung gegen HPV für Jungen und Mädchen. 

Schlüsselwörter: HPV, Zervixkarzinom, Oropharynxkarzinom, HPV-Impfung

Humane Papillomaviren (HPV) bilden eine große Gruppe unbehüllter DNA-Viren, von denen mittlerweile mehr als 150 Genotypen bekannt sind. Sie werden hauptsächlich durch sexuelle Kontakte übertragen und infizieren Epithelien der Haut und verschiedener Schleimhäute. Spätestens seit 2008, als der Heidelberger Virologe Prof. Harald zur Hausen den Nobelpreis für Medizin erhielt, gehört es zum medizinischen Allgemeinwissen, dass die HPV-Hochrisikotypen (HR) 16 und 18 Gebärmutterhalskrebs aus­lösen können, und dass eine Impfung junger Mädchen vermutlich lebenslangen Schutz vor dieser Krebsart bietet. 

Zum Allgemeinwissen gehört leider auch, dass in Deutschland eine gewisse Impfmüdigkeit oder sogar Skepsis herrscht: Die HPV-Impfrate liegt auch zehn Jahre nach der Entwicklung der ersten bivalenten Vakzine unter 50%; in Groß­britannien und Australien sind es bis zu 80%. 

Was weit weniger bekannt ist: Seit 2003 verdichten sich die Hinweise, dass HPV-Hochrisikotypen auch Kopf-Hals-Tumoren verursachen können [1]. Mit über einer halben Million Fälle rangiert diese heterogene Gruppe von Tumor­erkrankungen immerhin auf Platz 6 der weltweiten Häufigkeitsskala. Im HPV-Kontext ist vor allem das Mundhöhlenkarzinom (Oropharyngeal Cancer, OPC) mit einer Inzidenz von weltweit 200.000–350.000 Neuerkrankungen pro Jahr zu erwähnen, denn der Genotyp HR16 findet sich in mindestens 87% der HPV-positiven OPC [2] und ist damit offenbar deren Hauptverursacher (Tab. 1). 

In den letzten vier Jahrzehnten nahm zwar – nicht zuletzt bedingt durch den Rückgang des Tabakkonsums – die Inzidenz der Kopf-Hals-Tumoren ab, doch speziell die Zahl der HPV-assoziierten OPC stieg  gegenläufig an. Über 70% aller OPC in den USA und Westeuropa werden heute mit HPV assoziiert [3]; von den Betroffenen sind ca. 75% männlich.

HPV-Infektion und Pathogenese

Neben HR16 und 18 gibt es eine ganze Reihe weiterer humanpathogener Papilloma-Viren mit unterschiedlichem Risiko für gut- und bösartige Neubildungen (Tab. 2). Der Durchseuchungsgrad in der Bevölkerung ist hoch, doch in vier von fünf Fällen heilt die Krankheit nach 8 bis 18 Monaten aus. Persistiert das Virus jedoch, so können bis zur Manifestation des Tumors Jahrzehnte vergehen. Bei der Infektion mit onkogenen HR-Genotypen wird die zirkuläre Virus-DNA in das Genom der Wirtszellen integriert, während sie bei den LR-Typen extrachromosomal als freies Episom vorliegt [4].

Wie die Weichen im Falle eines HR-HPV in Richtung einer unkontrollierten Zellwucherung gestellt werden können, ist in Abb. 1 dargestellt. Bevor die zirkulär vorliegende Virus-DNA in das Wirtsgenom integriert werden kann, muss sie linearisiert werden. Das geschieht in der Regel durch eine Öffnung des Ringmoleküls innerhalb des E2-Gens; dadurch entsteht wahlweise ein funktionsloses oder überhaupt kein virales E2-Protein. 

Damit entfällt eine wichtige Kontroll­instanz für die beiden viralen Onkoproteine E6 und E7. Diese haben die Aufgabe, den programmierten Zelltod zu verhindern (E6) und die Zellproliferation (E7) zu steigern (vgl. Abb. 2 auf S. 83). Das Virus stellt dadurch u. a. sicher, dass immer ausreichend Wirts-DNA-Polymerasen für die Virus-Replikation zur Verfügung stehen.

Beim HPV-negativen OPC sind prämaligne Veränderungen seit Jahrzehnten bekannt. Sie betreffen Mutationen in TP53, CDKN2A und RB1 (RB, Retinoblastoma-associated protein). CDKN2A kodiert das Tumorsuppressorprotein p16, welches den Zellzyklus inhibiert und dessen Expression bei den HPV-negativen Tumoren durch die Mutation vermindert ist. Bei den HPV-assoziierten OPC findet dagegen eine starke Überexpression statt, sodass p16 als Marker für die HPV-Beteiligung dienen kann [5].

Die Progredienz zu manifesten Neopla­sien lässt sich jedoch nicht (allein) aus der Anwesenheit von HP-Viren vorhersagen. Die Mehrzahl (oraler) HPV-Infektionen heilt innerhalb mehrerer Monate folgenlos aus [1]. Zusätzliche Risikofaktoren für persistierende Infektionen, die zu Karzinomen führen können, sind u. a. das Rauchen und Immunsuppression.

HPV-Diagnostik

Im Bereich des Oropharynx ist die Diagnostik durch die Lage am Zungengrund und den Tonsillen(krypten) erschwert. Die Tumoren werden meist spät entdeckt; Screeningverfahren fehlen. Ein eindeutiges und valides Verfahren zur Diagnose eines HPV-assoziierten OPC existiert bisher nicht. Zu den zurzeit etablierten Methoden der HPV-Diagnostik gehören die immunhistochemische p16-Färbung, der Nachweis HPV-spezifischer DNA und die In-situ-Hybridisierung (HPV-ISH) im Gewebeschnitt.

Die molekularbiologische und virologische HPV-Diagnostik ergänzt den morphologischen HPV-Nachweis durch eine zuverlässige Differenzierung zwischen LR- und HR-Typen und die Differenzierung bestimmter Genotypen, z. B. HR16 und HR18 [6]. Der Nachweis von Antikörpern gegen die Onkoproteine E6 und E7 im Blut kann zur Therapieentscheidung und zur Verlaufskontrolle beitragen. 

Prognose, Therapieoptionen und Prävention

Bei HPV-positiven und HPV-negativen OPC handelt es sich um zwei eigenständige Tumorentitäten mit grundsätzlich unterschiedlicher Karzinogenese. Patienten mit HPV-assoziierten OPC haben trotz häufigerem Lymphknotenbefall bei Diagnosestellung eine gegenüber HPV-negativen OPC-Patienten deutlich bessere Prognose [7] (Abb. 1), denn sie sind häufig jung, relativ gesund und haben weniger Lifestyle-Risiken akkumuliert. Trotzdem ist die Therapie bisher identisch [1, 7]. Daher werden für die HPV-(+)-OPC derzeit zielgerichtete Therapieoptionen erforscht und verschiedene Deeskalationsschemata mit dem Ziel der Toxizitätsminderung bei Erhalt des Gesamtüberlebens untersucht.

Langfristiges Ziel ist es, die Gefahr einer Tumorerkrankung im Oropharynx bereits lange vor ihrem Ausbruch zu entdecken. Mittels Flüssigkeitsbiopsie (Liquid Biopsy) sollen zukünftig weitere Biomarker zur Früherkennung, aber auch zur Überwachung des Krankheitsverlaufs und der Therapie etabliert werden. Somatische Mutationen oder HPV-DNA konnten im Speichel und im Blut von OPC-Patienten in 76% bzw. in 87% der Fälle nachgewiesen werden. In 96% der Fälle war mindes­tens eine Flüssigbiopsie bei der Analyse von Speichel- und Blutproben positiv. Aktuelle Studien lassen jedoch vermuten, dass der Nachweis von HPV in Geweben außerhalb des Oropharynx keine echte HPV-getriebene Karzinogenese anzeigt, sondern eine zufällig nachgewiesene Ko­infektion [1]. 

Impfung

Die Impfung gegen das Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs), den zuerst nachgewiesenen HPV-assoziierten Tumor, hat erstmals in der Geschichte zu einer präventiven Impfung gegen eine onkologische Erkrankung geführt: Die HPV-Impfstoffe Gardasil® und Cervarix® wurden zum Schutz gegen die HPV-Typen 16 und 18 entwickelt und sind seit 2006 bzw. 2007 ab einem Alter von 9 Jahren zugelassen [6]. Gardasil schützt zusätzlich gegen die LR-Typen 6 und 11. Seit April 2016 ist mit Gardasil 9® ein Neunfach-Impfstoff erhältlich, der zusätzlich gegen die HR-HPV-Typen 31, 33, 45, 52 und 58 schützt. Die STIKO empfiehlt die HPV-Impfung für Mädchen im Alter von 9–17 Jahren und ganz aktuell – seit Juni 2018 – auch für Jungen im Alter von 9–14 Jahren [8, 9]. Das RKI bzw. die STIKO hat damit die Impfempfehlung an die aktuelle Datenlage angepasst. 

Es ist davon auszugehen, dass im Sinne einer Herdenimmunität im Falle des HPV 85% aller Jugendlichen geimpft sein müssen, um die Infektionskette zu unterbrechen und die Inzidenzraten bei den HPV-assoziierten Tumorarten zu senken [1, 10]. Eine hohe Abnahme HR-HPV-bedingter Neuerkrankungen (außer Gebärmutterhalskrebs) meldeten Australien und Kanada mit einem Vakzinierungsprogramm und „Catch-up“-Vakzinierung älterer, nicht geimpfter Personen [1].

Vor einer Impfung auf HPV zu testen wird derzeit nicht empfohlen, da selbst bei einem positiven Testergebnis nur in sehr seltenen Fällen eine Infektion mit allen in den Impfstoffen enthaltenen HPV-Genotypen vorliegt [6] und außerdem die Therapieoptionen bei nachgewiesener Infektion mager sind.    

Autoren
Romina Rösch, Dr. Dr. Christof Winter
Klinikum rechts der Isar der TU München
Dr. Gabriele Egert
Mitglied der Redaktion

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