ESMO 2021: Kopf-Hals-Tumoren: neue Erkenntnisse, keine praxisverändernden Daten
Der diesjährige ESMO-Kongress verlief im Hinblick auf Behandlung von Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich (HNSCC) eher enttäuschend. ESMO-Updates mehrerer Studien, die mit Spannung erwartet wurden, verfehlten übereinstimmend ihren primären Endpunkt. Trotz fehlender Therapiedurchbrüche erbrachte der ESMO neue Erkenntnisse, die zur Verbesserung von Behandlungsstrategien beitragen können.
Schlüsselwörter: Kopf-Hals-Tumoren, Immuntherapie, geriatrisches Assessment, Radiochemotherapie, Molekularpathologie
LA-HNSCC: Immuntherapie zum Therapiestandard?
Bei Patienten mit inoperablem LA-HNSCC ist die intensitätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT) in Kombination mit Cisplatin der Therapiestandard; bei Patienten mit Komorbiditäten wird Cis-platin häufig durch Cetuximab ersetzt. Die Phase-III-Studie REACH evaluierte, ob sich die Therapieergebnisse der Patienten verbessern, wenn der PD-L1-Inhibitor Avelumab zu Cetuximab und IMRT hinzugenommen wird [1]. Eingeschlossen waren 707 therapienaive Patienten mit inoperablem HNSCC in den Stadien III, IVA und IVB, von denen 40 % nicht Cis-platin-geeignet waren (unfit). Nach 1:1-Randomisierung erhielten die Patienten im experimentellen Arm eine Triplett-Therapie aus IMRT mit 70 Gy/6,5 Wochen plus wöchentlich Cetuximab und Avelumab 10 mg/kg an Tag 7 und alle 2 Wochen während der Strahlentherapie. Als Vergleichsarme fungierten die jeweiligen Therapiestandards (SOC) für fitte und unfitte Patienten. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS).Jean Bourhis, Lausanne, Schweiz, stellte beim ESMO die Ergebnisse für die unfitte Kohorte vor. Nach einem medianen Follow-up von 21,3 Monaten wurde ein numerischer, jedoch nicht signifikanter Vorteil des experimentellen Arms gegenüber dem SOC dokumentiert (2-Jahres- PFS-Rate 44 % vs. 31 %; HR 0,84; p = 0,14; Abb. 1) [1].

Abb. 1 REACH-Studie: Progressionsfreies Überleben von Patienten mit inoperablem LA-HNSCC (unfitte Kohorte) unter einer IMRT in Kombination mit Avelumab und Cetuximab oder Cetuximab alleine. Mod. nach [1].
Gleichzeitig wurde im experimentellen Arm ein nicht signifikanter Anstieg an Todesfällen gegenüber dem SOC-Arm beobachtet (10 vs. 3).
Für die fitten Patienten ist derzeit noch keine finale PFS-Analyse möglich. Eine Interims- analyse sprach aber für die Unterlegenheit der Triplett-Therapie gegenüber dem SOC (1-Jahres-PFS 64 % vs. 73 %). Insgesamt ist nicht davon auszugehen, dass REACH den Therapiestandard für fitte und unfitte Patienten verändern wird.
Vorhersage der Überlebenswahrscheinlichkeit unter RCT?
Eine US-amerikanische Untersuchung evaluierte, welche Faktoren den Therapieerfolg einer Radiochemotherapie (RCT) beim LA-HNSCC beeinflussen. Dazu wurden nachträglich die Phase-III-Studien RTOG 0129, 0522 und 1016 analysiert, in denen über 2.000 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder inoperablem HNSCC eine Cisplatin-basierte RCT erhalten hatten [2]. Michael Z. Kharouta, Cleveland, Ohio, USA, und Kollegen entwickelten aus den Daten ein Nomogramm, das auf Basis von Faktoren wie Alter bei Diagnose, Raucheranamnese, primäre Tumorlokalisation, HPV-Status sowie T- und N-Klassifikation des Tumors die OS- und PFS-Wahrscheinlichkeit nach 2, 3 und 5 Jahren vorhersagt. Das Nomogramm ist unter https://npatilshinyappcalculator.shinyapps.io/HeadandNeckSCC/ im Internet frei zugänglich. Laut Kharouta wirkte sich das Geschlecht der Patienten nicht auf das Überleben aus.
Die prospektive multizentrische nicht-randomisierte Beobachtungsstudie ELDERLY prüfte, ob sich Therapievorschläge des bei HNSCC üblichen multidisziplinären Teams (MDT) ändern, wenn bei älteren Patienten ein geriatrisches Assessment (GA) mit dem G8-Screening-Tool vorgeschaltet wird [3]. Eingeschlossen waren 101 Patienten ab 65 Jahren mit HNSCC der Stadien III–IVb.
Laut Paolo Bossi, Brescia, Italien, stufte das GA 34 % der Patienten als fit, 39 % als vulnerabel und 27 % als gebrechlich ein. Bei 12 Patienten – in 12 % der Fälle – veränderte sich durch das GA die ursprüngliche Therapieempfehlung des MDT. Durch das GA änderte sich auch die Wahl der supportiven Therapie. So erhöhte sich unter GA-Einfluss u. a. der Anteil der Ernährungsberatungen von 28 % auf 50 % und der neuro-psychiatrischen Therapien von 4 % auf 20 %. Ob die Änderungen zu besseren Therapieergebnissen führen, kann die ELDERLY-Studie allerdings nicht beantworten.
R/M HNSCC: Immuntherapien ohne Erfolg in der Erstlinie
Der PD-1-Inhibitor Nivolumab ist als Monotherapie zur Behandlung des R/M HNSCC während/nach Versagen einer platinbasierten Therapie indiziert – und zwar unabhängig vom PD-L1-Status. Die Hoffnung, dass eine duale Immuntherapie aus Nivolumab und dem CTLA4-Inhibitor Ipilimumab auch in der Erstlinienbehandlung des rezidivierten/refraktären (R/M) HNSCC unabhängig von der PD-L1-Expression einen höheren klinischen Nutzen bringt als eine Vergleichs-Chemotherapie nach dem EXTREME-Schema, bewahrheitet sich nicht. Das zeigten die finalen Daten der beim ESMO präsentierten Phase-III-Studie CheckMate-651. Laut Athanassios Argiris, Marousi, Griechenland, wurde in der Immuntherapiegruppe (n = 472) ein medianes OS von 13,0 Monaten gegenüber 13,5 Monaten unter EXTREME (n = 475) erreicht (HR 0,95; p = 0,5). Lediglich bei PD-L1-Hochexprimierern (PD-L1 ≥ 20 %) zeigte sich ein Trend hin zu einem längeren Überleben unter der dualen Immuntherapie (17,6 Monate versus 14,56 Monate; HR 0,78), der mit einem p-Wert von 0,049 aufgrund der statistischen Vorgaben der Studie aber nicht signifikant war; auch bei PD-L1 ≥ 1 % war ein leichter numerischer Trend zugunsten der Immuntherapie erkennbar (HR 0,82). Die CheckMate-651-Studie reiht sich ein in andere negativen Studien (z. B. EAGLE, CONDOR, KESTREL, CheckMate-714) zur Immunonkologie bei nicht nach PD-L1 stratifizierten HNSCC.
Auch für unfitte Patienten, die in der Erstlinie keine platinbasierte Therapie erhalten können, gab es keine Erfolgsmeldungen. Die von der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der Deutschen Krebsgesellschaft initiierte Phase-II-ELDORANDO-Studie evaluierte, ob in dieser Situation eine Monotherapie mit Pembrolizumab einer Therapie mit Methotrexat (MTX) überlegen ist [5]. Eingeschlossen waren 47 Patienten mit R/M HNSCC (medianes Alter 71,4 Jahre), 87,2 % davon in schlechtem Allgemeinzustand (ECOG-PS 2), die randomisiert entweder Pembrolizumab oder MTX bis zum Progress oder bis zu unzumutbarer Toxizität erhielten. Die Studie, die wegen schleppender Rekrutierung und veränderter Therapielandschaft vorzeitig abgebrochen wurde, zeigte keine relevanten Wirksamkeits-Unterschiede zwischen beiden Armen (primärer Endpunkt 1-Jahres-OS-Rate (17,4 % vs. 37,5 %; p = 0,12). Die Sicherheits-Parameter sprachen aber für den Checkpoint-Inhibitor.
Molekularpathologie wird auch bei HNSCC bedeutsam
Eine retrospektive Studie konnte zeigen, dass platinrefraktäre Patienten mit R/M SCCHN, die auf Checkpoint-Inhibitor-Monotherapie ein Langzeitüberleben über 18 Monate gezeigt hatten, sich in puncto Genexpressionsprofils von Patienten unterschieden, die weniger als 6 Monate überlebt hatten [6]. Bei Langzeitüberlebenden wurde eine positive Korrelation mit dem molekularen CI6-Subtyp gefunden, der für Immunreaktivität bekannt ist; Kurzzeitüberlebende zeigten dagegen eine negative Korrelation.
Eine weitere Untersuchung konnte zeigen, dass bei Patienten mit R/M SCCHN durch die regelmäßige Bestimmung von zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) in Form von Liquid Biopsies Aussagen zur Kinetik des Ansprechens und zum Selektionsdruck unter platinbasierter Chemotherapie (n = 9) oder immunonkologischer Therapie (n = 27) möglich sind [7]. Erste Daten zeigen eine Assoziation von geringem ctDNA-Nachweis bei Therapiebeginn sowie Abnahme der ctDNA unter laufender Therapie mit einem verbessertem PFS und OS.
Claudia Schöllmann