ESMO 2021: Immuntherapie bringt Fortschritte beim Zervix- und Endometriumkarzinom

Anders als in den letzten Jahren betrafen die beim Europäischen Krebskongress 2021 vorgestellten gynäkoonkologischen Highlights nicht die Therapie des Ovarialkarzinoms. Vielmehr waren die Erfolge der Immuntherapie beim metastasierten/rezidivierten Zervixkarzinom ein praxisrelevanter Höhepunkt – und zwar umso mehr, als für diese Entität lange Zeit kaum therapeutische Fortschritte erzielt werden konnten.

Schlüsselwörter: Zervixkarzinom, Endometriumkarzinom, Ovarialkarzinom-Rezidiv, Immuntherapie, PARP-Inhibitoren

Zervixkarzinom 

Immuntherapie verbessert Erstlinientherapie

2014 zeigte die GOG-240-Studie, dass die Ergänzung der Standard-Erstlinientherapie mit Platin und Taxan durch Bevacizumab das Gesamtüberleben (OS) von Patientinnen mit metastasiertem Zervixkarzinom verlängert [1]. Nun untersuchte die KEYNOTE-826-Studie, ob eine zusätzliche Immuntherapie das Outcome weiter verbessert. Die Patientinnen erhielten 1:1-randomisiert entweder nur die Chemotherapie-Doublette +/- Bevacizumab für bis zu 6 Zyklen oder zusätzlich alle 3 Wochen Pembrolizumab für bis zu 35 Zyklen. Prof. Nicoletta Colombo, Mailand, Italien, publizierte die Ergebnisse der doppelblinden Phase-III-Studie zeitgleich beim ESMO [2] und im New England Journal of Medicine [3]. 
Die koprimären Endpunkte waren das progressionsfreie Überleben (PFS) und das OS. Beide wurden hierarchisch getestet: zunächst bei den PD-L1-positiven Patientinnen (Combined Positive Score (CPS) ≥ 1), dann in der Intention-to-treat-Population und schließlich bei Frauen mit einem CPS ≥ 10. Knapp 90 % der randomisierten Patientinnen waren PD-L1-positiv, über die Hälfte hatten einen CPS ≥ 10. Etwa 63 % der Frauen in beiden Armen erhielten Bevacizumab zur Chemotherapie. Zusätzliches Pembrolizumab verlängerte in allen drei Populationen sowohl PFS als auch OS klinisch relevant und statistisch signifikant. Allerdings zeigte die Subgruppenanalyse keinen Benefit durch zusätzliches Pembrolizumab für die 11 % PD-L1-negativen Patientinnen (HR PFS 0,94; HR OS 1,0). Das Nebenwirkungsprofil der Chemo-immuntherapie war handhabbar. 31,3 % der Patientinnen im Pembrolizumab-Arm brachen die Therapie aufgrund von therapieassoziierten unerwünschten Ereignissen ab, im Placebo-Arm waren es 22,3 %. Die Zeit bis zur Verschlechterung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität war im Pembrolizumab-Arm deutlich verlängert.

Zweitlinie: Immun- versus Chemotherapie

Für die Zweitlinientherapie bei Krankheitsprogress existiert bis heute keine Standardtherapie. Eine solche Zweitlinientherapie untersuchte die Phase-III-Studie EMPOWER-Cervical 1/GOG-3016/ENGOT-cx9, deren Ergebnisse schon vorab beim ESMO virtual im Mai gezeigt worden waren [4], aber beim ESMO-Kongress 2021 in der Plenary Session erneut vorgestellt wurden [5]. Zum ersten Mal wurde beim rezidivierten/metastasierten Zervixkarzinom eine Immuntherapie mit Chemotherapie verglichen. Die 608 Patientinnen mit Krankheitsprogress nach Platin-basierter Chemotherapie erhielten in einer 1:1-Randomisierung entweder alle drei Wochen den PD-1-Inhibitor Cemiplimab oder eine Mono-Chemotherapie nach Wahl des Arztes (Pemetrexed, Gemcitabin, Topotecan, Irinotecan oder Vinorelbin) für bis zu 96 Wochen. Die Patientinnen wurden unabhängig von ihrer PD-L1-Expression eingeschlossen. Die meisten Patientinnen (n = 477) hatten ein Plattenepithel-, 131 ein Adenokarzinom. 
Das mediane OS war in der präsentierten Interimsanalyse unter der Immuntherapie mit 12 Monaten signifikant länger als unter Chemotherapie (8,5 Monate; HR 0,69; p = 0,00011). Bei den Patientinnen mit Plattenepithelkarzinom lag die HR bei 0,73. 
Am eindrucksvollsten profitierten Frauen mit Adenokarzinom mit einem medianen OS von 13,3 Monaten unter Cemiplimab gegenüber den mit einer Chemotherapie behandelten Frauen, bei denen das mediane OS bei 7,0 Monaten lag (HR 0,56) – interessanterweise ohne einen signifikanten Vorteil im PFS zugunsten der Immuntherapie zu zeigen. 
In dieser bisher größten Studie in diesem Setting konnte Cemiplimab als erste Immuntherapie einen statistisch signifikanten und klinisch relevanten Vorteil zeigen. 

Neue Substanzen beim Zervixkarzinom

Endometriumkarzinom

Endometriumkarzinome gehören zu den genetisch instabilsten Tumoren. Sowohl Tumoren mit hoher Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) als auch POLe-ultramutierte Tumoren können aufgrund ihrer hohen Mutationslast und der erhöhten Anzahl an Neoantigenen in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt werden. Derzeit kann auf Basis der Studie GARNET bei Patientinnen mit rezidivierendem oder fortgeschrittenem MSI-H/dMMR-Endometriumkarzinom nach Progress nach Platin der PD-1-Antikörper Dostarlimab eingesetzt werden. 

Ansprechen auf Dostarlimab bei TMB-H-Tumoren 

Es wurde bereits gezeigt, dass beim Endometriumkarzinom eine hohe Übereinstimmung zwischen Patientinnen mit hoher Tumormutationslast (TMB-H) und jenen mit MSI-H-Tumoren besteht; das legt nahe, dass in den meisten Fällen MSI-H bzw. die zugrunde liegende defiziente DNA-Mismatch-Reparatur (dMMR) Ursache der TMB-H ist [8]. Auf dem ESMO-Kongress wurde nun eine Analyse der Antitumoraktivität von Dostarlimab in der GARNET-Studie nach TMB vorgestellt, die zum einen die hohe Konkordanz zwischen TMB-H und dMMR/MSI-H bestätigte – das Ansprechen von TMB-H- und MSI-H-Patientinnen auf die Monotherapie mit dem Immuncheckpoint-Inhibitor war ähnlich gut [9]. Dabei sprachen aber TMB-H Patientinnen, bei denen keine dMMR vorlag – deren TMB-H also eine andere Ursache haben musste – ebenso gut auf die 
Immuntherapie an wie dMMR- und TMB-H-Patientinnen. Bei den TMB-H-Patientinnen mit funktionierender MMR wurden auch keine POLe-Mutationen festgestellt, die zu ultramutierten Endometriumkarzinomen führen. Zu beachten sind allerdings die niedrigen Fallzahlen in den Subgruppen.

Pembrolizumab + Lenvatinib unabhängig von Histologie und MSI-Status 

Auch Pembrolizumab wird beim fortgeschrittenen Endometriumkarzinom untersucht, hat hier in Europa aber noch keine Zulassung. Im Frühjahr 2021 wurde eine primäre Analyse der zulassungsrelevanten Phase-III-KEYNOTE-775- Studie vorgestellt, die Pembrolizumab + Lenvatinib bei 827 Platin-vorbehandelten Patientinnen mit fortgeschrittenem Endometriumkarzinom mit einer Chemotherapie mit Doxorubicin oder Paclitaxel vergleicht. Bei  über 84 % der Frauen in beiden Studienarmen lag keine dMMR/MSI-H vor [10]. PFS und OS waren unter Pembrolizumab + Lenvatinib signifikant verbessert, sowohl in der Gesamtpopulation als auch bei Frauen mit profizienter MMR. Auf dem ESMO-Kongress zeigte eine Post-hoc-Analyse nach Tumor-Histologie und vorangegangener Chemotherapie, dass die Kombination aus Immun- und zielgerichteter Therapie bei endometrioidem, serösem und klarzelligem Subtyp unabhängig vom MSI-Status wirksam ist [11]. 
Außerdem wurde ein Update der KEYNOTE-158-Studie mit Daten zu 79 mit Pembrolizumab behandelten Frauen mit fortgeschrittenem Endometriumkarzinom der Kohorten D (Endometriumkarzinome, unabhängig vom MSI-Status) und K (MSI-H/dMMR-Tumoren ohne CRC) mit längerem Follow-up präsentiert. Nach im Median 42,6 Monaten betrug die ORR 48 %. 11 (14 %) der Frauen erzielten ein komplettes Ansprechen. 68 % sprachen über mindestens 3 Jahre an [12]. 

Ovarialkarzinom-Rezidiv

Erhaltungs-Rechallenge mit Olaparib

Die Erhaltungstherapie mit PARP-Inhibitoren ist heute in Rezidiv und Adjuvanz Standard. Werden Patientinnen progredient, werden sie meist erneut mit einer Platin-basierten Chemotherapie behandelt. Ob eine erneute Erhaltungstherapie mit einem PARP-Inhibitor nach stattge-habter PARP-Inhibitor-Therapie für die Patientinnen einen Benefit bringt, untersuchte die randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-IIIb-Studie OReO/ENGOT Ov 38. 
Als PARP-Inhibitor für die Erhaltungs-Rechallenge wurde Olaparib eingesetzt; als erste Erhaltungstherapie durften die Frauen jeden zugelassenen PARP-Inhibitor erhalten haben. Sowohl in der Kohorte mit Patientinnen mit BRCA-Mutation als auch in der Kohorte ohne BRCA-Mutation zeigte sich ein statistisch signifikant längeres PFS durch die Olaparib-Erhaltung gegenüber Placebo (HR 0,57 bzw. 0,43). 
Die signifikante PFS-Verlängerung durch die erneute PARP-Erhaltung wurde außerdem in einer exploratorischen Analyse unabhängig vom HRD-Status beobachtet. Ein kleiner Teil der Patientinnen erzielte einen klinisch relevanten Langzeit-Benefit. Sicherheit und Verträglichkeit von Olaparib beim erneuten Einsatz unterschieden sich nicht vom Sicherheitsprofil beim Erstgebrauch des PARP-Inhibitors [13]. 

Platinresistenz: PARP/VEGF-Inhibition vs. Paclitaxel

Die dreiarmige Phase-II-Studie OCTOVA verglich bei Patientinnen mit rezidiviertem, Platin-resistentem Ovarialkarzinom (Rezidiv binnen 12 Monaten nach Platin-basierter Chemotherapie) randomisiert eine Mono-Chemotherapie mit Paclitaxel weekly, eine Monotherapie mit Olaparib und eine Kombination aus Olaparib und dem Angiogenesehemmer Cediranib [14]. Eingeschlossen waren Patientinnen mit (30 %) und ohne BRCA-Mutation. 22 % der insgesamt 138 Patientinnen waren mit einem PARP-Inhibitor vorbehandelt, 34 % hatten schon Bevacizumab erhalten. Bei 90 % der Frauen war das Rezidiv innerhalb von 6 Monaten nach der Platin-Therapie aufgetreten, im Median waren die Frauen mit 2 Chemotherapie-Linien vorbehandelt. Zwischen den beiden Monotherapien zeigten sich beim PFS keine Unterschiede (HR 0,97; 60%-KI 0,79–1,19), außer einem Trend zugunsten von Olaparib bei den Frauen mit PARP-Mutation. Die zielgerichtete Kombination war alleinigem Olaparib mit einem medianen PFS von 5,4 vs. 3,7 Monaten überlegen (HR 0,70; 60%-KI 0,57–0,86; p = 0,08). Nebenwirkungen waren v. a. gastrointestinale Toxizitäten wie Diarrhö. Eine Biomarker-gesteuerte Patientinnen-Selektion könnte die Ergebnisse verbessern.

Low-grade seröses Ovarialkarzinom: duale RAF/MEK-Inhibition 

Low-grade seröse Ovarialkarzinome (LGSOC) sind selten, im Rezidiv ist das Ansprechen auf Chemo- und antihormonelle Therapien schlecht. Bei etwa 30 % der LGSOC liegen eine KRAS-Mutation, bei 70 % andere RAS-Pathway-assoziierte Mutationen vor, erläuterte Dr. Susana Banerjee, London, UK, die Wirksamkeitsdaten einer Phase-I-Studie mit dem dualen RAF/MEK-Inhibitor VS-6766 und dem FAK-Inhibitor Defactinib [15]. 
Die klinische Aktivität der Kombination war mit einer Gesamtansprechrate von 46 % und 64 % bei Vorliegen einer KRAS-Mutation und einem medianen PFS von 23 Monaten vielversprechend. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat der Kombination aus VS-6766 + Defactinib für die Behandlung des rezidivierten LGSOC nach mindestens einer Platin-Vortherapie die „Breakthrough Therapy Designation“ gewährt. Derzeit rekrutiert die Zulassungsstudie ENGOT-ov60/GOG3052/RAMP201 in Europa und den USA (NCT04625270). 
Die ebenfalls von Banerjee vorgestellten Ergebnisse der EORTC-1508-Studie zeigten, dass die Hinzunahme von Acetylsalicylsäure (ASS) zu Atezolizumab + Bevacizumab bei Patientinnen mit Platin-resistentem Ovarialkarzinom keinen Vorteil bringt. Außerdem zeigte sich ein numerischer Vorteil von Atezolizumab + Bevacizumab gegenüber alleinigem Bevacizumab [16].

Mascha Pömmerl