Myelodysplastische Syndrome (MDS) – eine extrem heterogene Erkrankung
Myelodysplastische Syndrome (MDS) stellen eine sehr heterogene Klasse von Erkrankungen dar, für die die Produktion funktionseingeschränkter dysplastischer Knochenmarks- und Blutzellen charakteristisch ist, die auf einer gestörten Differenzierung der hämatopoetischen Vorläuferzellen beruht. Die Komplexität der Erkrankung geht mit diagnostischen und therapeutischen Herausforderungen einher. Die einzige potentiell kurative Therapieoption ist nach wie vor die allogene Stammzelltransplantation. Das International Prognostic Scoring System (IPSS) berücksichtigt bei der Klassifikation der MDS auch zytogenetische Aberrationen und ermöglicht eine Prognoseeinschätzung hinsichtlich des Überlebens und des Risikos für die Transformation in eine akute myeloische Leukämie (AML) sowie eine Risiko-adaptierte Therapie. Aber auch molekulargenetische Analysen spielen eine immer größere Rolle für die Diagnostik und für eine zunehmend individualisierte Therapie. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Patienten werden meist weniger intensive Therapiemaßnahmen angewandt, die eine supportive Zielsetzung haben und darauf abzielen, die Zytopenien zu lindern, die Lebensqualität zu verbessern und die Progression zu verhindern.
Schlüsselwörter: Myelodysplastische Syndrome (MDS), Erythropoese-stimulierende Medikamente (ESAs), Lenalidomid, Luspatercept, Azacitidin, Eisenchelatoren, Deferasirox, Desferoxamin, subkutanes Erythropoetin
Inzidenz, klinisches Bild, Pathogenese
Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind klonale Erkrankungen der hämatopoetischen Stammzellen. Kennzeichen sind Dysplasien von Blut- und Knochenmarkzellen mit hämatopoetischer Insuffizienz und einem erhöhten Risiko der Entwicklung einer AML, wobei der Leitbefund meist eine Anämie, oft auch Bi- oder Panzytopenien sind [1]. Die ungenügende Bildung funktionsfähiger Blutzellen wird noch verstärkt durch eine erhöhte Apoptose-Rate der Vorläuferzellen im Knochenmark. Mit einer Inzidenz von etwa 4 Fällen pro 100.000 Personen jährlich zählen die MDS zu den häufigsten malignen hämatologischen Erkrankungen [2]. Allerdings beobachtete man eine mit steigendem Lebensalter deutlich zunehmende Inzidenz [3], die etwa bei über 70-Jährigen > 30/100.000 beträgt [1]. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei ca. 75 Jahren [1], Frauen sind seltener betroffen als Männer [1, 3].
Pathogenese
Die Pathogenese der MDS ist komplex. Als ursächlich wird eine schrittweise Akkumulation genomischer Schäden wie chromosomaler Aberrationen, DNA-Mutationen und epigenetischer Veränderungen in hämatopoetischen Stammzellen angenommen. Dies führt im Verlauf vermutlich zu einer Selektion von malignen Stammzellen, die das Knochenmark mit ihren Vorläuferzellen zunehmend klonal besiedeln und die gesunde Hämatopoese verdrängen [1]. Bei etwa 90 % aller MDS- Patienten lässt sich mindestens eine der bislang bekannten rekurrenten Mutationen nachweisen [4, 5]. Neben einer Pathogenese, die auf dem Erwerb somatischer Mutationen im hämatopoetischen Kompartiment basiert, ist in den letzten Jahren auch zunehmend das Knochenmark-Micro-environment in den Fokus gerückt [1].
Ätiologisch werden primäre von therapieassoziierten Formen der MDS unterschieden. Bei etwa 10 % der Fälle handelt es sich um sekundäre MDS (therapieassoziierte MDS), die als Folge einer antineoplastischen oder immunsuppressiven Therapie auftreten und oft mit einer schlechteren Prognose behaftet sind als primäre MDS. Auch eine Exposition gegenüber benzolhaltigen Stoffen, anderen organischen Lösungsmitteln oder Radioaktivität werden als Auslöser für sekundäre MDS diskutiert. Erkrankungen ohne Hinweise auf diese Faktoren werden als primäre MDS bezeichnet. In den letzten Jahren wurden Keimbahnmutationen identifiziert, die mit einem familiären Risiko für MDS bzw. AML assoziiert sind. Da das Erkrankungsalter auch bei einigen Keimbahnmutationen um die 60–70 Jahre liegen kann (z. B. DDX41-Mutation), ist auch hier die Familienanamnese entscheidend [1].
Klinik/Krankheitsbild
Die Symptomatik ist vielfältig und resultiert hauptsächlich aus den peripheren Zytopenien. Die häufig bestehenden Anämien führen bei einem Großteil der Patienten zu einer deutlichen Reduktion der Lebensqualität mit belastenden Symptomen wie Schwäche, Belastungsdyspnoe, Tachykardien, Schwindel und Kopfschmerzen. Wenn sich die Anämie rasch entwickelt, kann es zu Sehstörungen bzw. Verwirrtheitszuständen kommen. Auch eine erhöhte Infektionsneigung ist häufig, initiale Blutungskomplikationen dagegen seltener – bei etwa 10 % der MDS-Patienten manifestiert sich die Erkrankung mit einer schweren Blutung [1].
Diagnostik und Klassifikation
Nach dem Ausschluss diverser Differentialdiagnosen sollten sowohl das periphere Blut als auch das Knochenmark zytomorphologisch auf die typischen Veränderungen hin untersucht werden. Tab. 1 fasst die erforderliche Diagnostik zusammen.
Tab. 1 Diagnostik bei Verdacht auf MDS. Nach [1].
Peripheres Blut | Knochenmark |
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Blutbild | Zytologie mit Eisen- und Esterasefärbung |
Retikulozyten | Zytogenetik, ggf. mit FISH (Chromosomen 5, 7, 8, ggf. weitere) |
Differentialblutbild | Histologie |
LDH | Immunphänotypisierung |
Ferritin | Mutationen (SF3B1) |
Erythropoetin |
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Folsäure |
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Vitamin B12 |
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Ggf. HLA-Typisierung |
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Basis der Diagnostik ist der zytomorphologische Knochenmarksbefund. Mindestens 10 % der Zellen einer Reihe müssen eindeutige Dysplasiezeichen aufweisen [1].
Obligat für die Klassifizierung der MDS nach WHO (Tab. 2) ist u. a. die Festlegung, ob die Dysplasie-Zeichen nur eine Zellreihe betreffen, oder zwei oder drei Zellreihen beeinträchtigt sind.
Kategorie | Dys- plastische Reihen | Zyto- penien | Ringsideroblasten (% der erythroiden Zellen) | Blasten im Knochenmark (BM) und im peripheren Blut (PB) | Karyotyp (konventionelle Bänderung) |
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MDS mit Einliniendysplasie | 1 | 1 oder 2 | < 15 % / < 5 %1 | BM < 5 %, PB < 1 %, keine Auer-Stäbchen | alle außer del(5q) +/- 1 andere Nicht-Chr.- 7-Aberration |
MDS mit Mehrliniendysplasie | 2 oder 3 | 1–3 | < 15 % / < 5 %1 | BM < 5 %, PB < 1 %, keine Auer-Stäbchen | alle außer del(5q) +/- 1 andere Nicht-Chr. -7-Aberration |
MDS mit Ringsideroblasten |
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MDS mit Ringsideroblasten und Einliniendysplasie | 1 | 1 oder 2 | ≥ 15 % / ≥ 5 %1 | BM < 5 %, PB < 1 %, keine Auer-Stäbchen | alle außer del(5q) +/- 1 andere Nicht-Chr.-7- Aberration 5q |
MDS mit Ringsideroblasten und Mehrliniendysplasie | 2 oder 3 | 1–3 |
| BM < 5 %, PB < 1 %, keine Auer-Stäbchen | alle außer del(5q) +/- 1 andere Nicht-Chr.-7-Aberration |
MDS mit del(5q) | 1–3 | 1–3 | irrelevant | BM < 5 %, PB < 1 %, keine Auer-Stäbchen | del(5q) isoliert oder mit 1 anderen Nicht-Chr.-7-Aberration |
MDS mit Blastenexzess |
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MDS mit Blastenexzess (1) | 0–3 | 1–3 | irrelevant | BM 5–9 % oder PB 2–4 %, keine Auer-Stäbchen | irrelevant |
MDS mit Blastenexzess (2) | 0–3 | 1–3 | irrelevant | BM 10–19 % oder PB 5–19 % oder Auer-Stäbchen | irrelevant |
MDS, unklassifizierbar |
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MDS mit 1 % peripheren Blasten | 1–3 | 1–3 | irrelevant | BM < 5 %, PB = 1 %2, keine Auer-Stäbchen | irrelevant |
MDS mit Einliniendysplasie und Panzytopenie | 1 | 3 | irrelevant | BM < 5 %, PB < 1 %, keine Auer-Stäbchen | alle außer del(5q) +/- 1 andere Nicht-Chr.-7-Aberration |
Auf Grundlage definierender zytogenet. Veränderungen | 0 | 1–3 | < 15 %3 | BM < 5 %, PB < 1 %, keine Auer-Stäbchen | MDS-definierende Abnormalität |
1 falls SF3B1 mutiert
2 1 % periphere Blasten müssen zu zwei verschiedenen Zeitpunkten beurteilt werden
3 Fälle mit ≥ 15 % Ringsideroblasten haben definitionsgemäß eine signifikante Dyserythropoese und sind daher MDS mit Ringsideroblasten und Einliniendysplasie
Als weitere Parameter werden in der WHO-Klassifikation bestehende Zytopenien, der Nachweis von Ringsideroblasten, der medulläre Blastenanteil, der Blastenanteil im peripheren Blut und (teilweise) der Karyotyp berücksichtigt [6]. Im Gegensatz zu den Befunden im peripheren Blut findet man im Knochenmark meist eine Normo- bis Hyperzellularität, nur in ca. 10 % der Fälle ist das Knochenmark hypozellulär [1].
Die zytogenetischen Untersuchungen sind zum einen möglicherweise entscheidend bei der Differenzierung zwischen einer reaktiven Ursache der Zytopenie und einer klonalen Knochenmarkserkrankung, zum anderen aufgrund der aktuell verwendeten Prognose-Systeme prognostisch relevant [7–10].
Zur Prognoseabschätzung der MDS stehen das International Prognostic Scor-ing System (IPSS; Tab. 3; [8]) und das revidierte IPSS-R [10] zur Verfügung, wobei letzteres MDS-Patienten in fünf Risikogruppen einteilt (Tab. 3, 4).
Tab. 3 Definition des IPSS (International Prognostic Scoring System). Nach [1, 8].
Score-Punkte | |||||
---|---|---|---|---|---|
0 | 0,5 | 1 | 1,5 | 2 | |
Med. Blasten (%) | < 5 | 5–10 | – | 11–20 | 21–29 |
Karyotyp* | günstig | intermediär | schlecht | - | - |
Zahl der Zytopenien** | 0/1 | 2/3 | - | - | - |
Risiko-Score | Punkte | ||||
Low risk | 0 | ||||
Intermediate-I risk | 0,5–1 | ||||
Intermediate-II risk | 1,5–2 | ||||
High risk | ≥ 2 |
* Günstig: normal, -Y, del(5q), del(20q). Schlecht: komplex (≥ 3 Anomalien) oder Aberrationen von Chromosom 7. Intermediär: andere
** Hämoglobin < 10 g/dl, Neutrophile < 1,8/nl, Thrombozyten < 100/nl
Tab. 4 Definition des IPSS-R (Revised International Prognostic Scoring System). Nach [1, 10].
Score-Punkte | |||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
0 | 0,5 | 1 | 1,5 | 2 | 3 | 4 | |
Karyotyp | A | - | B | - | C | D | E |
Blasten (%) | ≤ 2 | - | > 2 – < 5 | - | 5–10 | > 10 | - |
Hb-Wert (g/dl) | ≥ 10 | - | 8 – < 10 | < 8 | - | - | - |
Thrombozyten (/nl) | ≥ 100 | 50 – < 100 | < 50 | - | - | - | - |
Neutrophile (/nl) | ≥ 0,8 | < 0,8 | - | - | - | - | - |
Risiko-Score | Punkte | ||||||
Very low risk | ≤ 1,5 | ||||||
Low risk | 2–3 | ||||||
Intermediate risk | 3,5–4,5 | ||||||
High risk | 5–6 | ||||||
Very high risk | > 6 |
A: Sehr gut (-Y, del(11q))
B: Gut (normal, del(5q), del(12p), del(20q), Doppel-Klon mit del(5q) außer chr7)
C: Intermediär (del(7q), +8, +19, i(17q), andere Einzel- oder Doppel-Klone)
D: Schlecht (-7, inv(3)/t(3q)/del(3q), Doppel-Klon mit -7/del(7q), komplex (3 Aberrationen))
E: Sehr schlecht (komplex > 3 Aberrationen)
Molekulare Methoden haben seit einigen Jahren die Diagnostik der MDS verbessert. So sollte eine umfassende dia-gnostische Abklärung heute auch eine Mutationsanalyse mittels einer NGS-Panel-Sequenzierung umfassen [4, 11], da bei 80–90 % der MDS-Patienten heute somatische Mutationen nachgewiesen werden können [4, 12]. Über 50 rekurrent mutierte Gene sind an der Pathogenese der MDS beteiligt [12], und die Bestimmung molekularer Mutationen verbessert die Prognose-Einschätzung [4, 13, 14].
Die meisten Mutationen sind – soweit bekannt – mit einer ungünstigen Prognose assoziiert, einzige derzeit bekannte Ausnahme ist die SF3B1-Mutation.
Neben einer verbesserten Einschätzung der Prognose sind eine Reihe von molekularen Aberrationen auch diagnostisch relevant. Die häufigsten ungünstigen Mutationen betreffen die Gene ASXL1, RUNX1, TP53 und EZH2. Gerade bei jüngeren Patienten mit einem IPSS-Score von Intermediate-I könnte der Nachweis einer oder mehrerer dieser ungünstigen Mutationen Konsequenzen in Form einer intensivieren Überwachung oder einer Therapie analog einem Hochrisiko-MDS haben [11]. Dem Nachweis relevanter Mutationen kommt ein ebenso hoher Stellenwert zu wie der Metaphasen-Zytogenetik. Die diagnostische, prognostische und therapeutische Relevanz dieser molekulargenetischen Veränderungen wird weiter zunehmen.
Therapie
Die Therapie der MDS erfolgt in Abhängigkeit von Krankheitsstadium (Low-Risk (LR)-MDS, High-Risk (HR)-MDS) und Prognose-Score, wobei individuelle Faktoren zu berücksichtigen sind. Die Therapieziele unterscheiden sich zwischen LR- und HR-MDS (Abb. 1).

Abb. 1 Priorisierung der Therapieziele in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium der MDS. Mod. nach [11].
Grundlage der MDS-Behandlung ist im Wesentlichen eine supportive Therapie (Transfusionen, bedarfsweise eine frühzeitig Antibiotikagabe und die Behandlungvon Begleiterkrankungen). Die einzige kurative Therapieoption ist die allogene Stammzelltransplantation (alloSCT).
Therapie der Niedrigrisiko-MDS
Die Therapie von LR-MDS zielt im Wesentlichen darauf ab, die Transfusionslast zu senken, die Zytopenien zu lindern, mögliche Komplikationen zu verhindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Watch and Wait
In Abhängigkeit von Alter und Be-gleiterkrankungen benötigen viele MDS-Patienten aufgrund der geringgradigen Zytopenie keine Therapie – eine „Watch-and-wait“-Strategie ist bei ihnen ausreichend [1]. Dazu gehören erwachsene Patienten mit primärem MDS, niedrigem oder Intermediär-1-Risiko nach IPSS,
asymptomatischen Zytopenien, ohne Blasten-Überschuss, wenn keine mit erhöhtem Risiko assoziierte zytogenetische Veränderung vorliegt [15]. Patienten mit LR-MDS, aber mit einem erhöhten Risiko-assoziierten Genotyp wie einer ASXL1-Mutation, sollten besonders engmaschig beobachtet werden [5, 16].
Transfusionen
Transfusionen von Erythrozyten und Thrombozyten sollten nach Bedarf erfolgen. Indikation für die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten ist eine sym-ptomatische Anämie; Thrombozytenkonzentrate sollten bei Blutungszeichen und/oder Thrombozyten-Werten < 10/nl gegeben werden, in der Regel jedoch nicht prophylaktisch [11].
Eisenchelatoren
Bei polytransfundierten Patienten droht längerfristig aufgrund der begleitenden sekundären Eisenüberladung eine Schädigung von Herz oder Leber [17]. Bei Patienten mit einer Lebenserwartung > 2 Jahren, die mindestens 20 Erythro-zytenkonzentrate erhalten bzw. einen Serumferritin-Spiegel von > 1.000 ng/ml haben, kann daher eine Therapie mit Eisenchelatoren (Deferasirox, Deferoxamin) erwogen werden [1, 15].
Am häufigsten eingesetzt wird aufgrund seiner besseren Verträglichkeit Deferasirox [18].
Erythropoese-stimulierende Substanzen
Hauptbestandteil der supportiven Therapie bei MDS-Patienten ist die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten mit der bereits beschriebenen Gefahr der Eisenüberladung. Seit vielen Jahren werden deshalb Erythropoese-stimulierende Substanzen (ESAs) – Erythropoetin-alpha (EPO-α) oder Darbepoetin zur Therapie der Anämie eingesetzt und gelten als Therapiestandard. Zwei prospektiv randomisierte placebokontrollierte Studien haben den Nutzen von EPO-α bzw. Darbepoetin bei LR-MDS gezeigt [19, 20]. Zur Behandlung der symptomatischen Anämie bei erwachsenen Patienten mit LR-MDS zugelassen ist allerdings aktuell nur EPO-α. Ein Ansprechen auf die ESA-Therapie gilt als wahrscheinlich, wenn der endogene Erythropoetin-Spiegel < 500 IE/l beträgt und die Patienten mit IPSS Low/Int-1 weniger als zwei Erythrozytenkonzentrate pro Monat benötigen [21]. Allerdings basierte die Zulassung für EPO-α auf den Studiendaten für Patienten mit einem Erythropoetin-Spiegel < 200 IE/l [19]. Zur Verbesserung der Wirksamkeit der ESAs kann bei Patienten, die entweder gar nicht oder nicht mehr auf die ESA-Monotherapie ansprechen, die Kombination mit niedrig dosiertem G-CSF sinnvoll sein. Dies gilt insbesondere für Patienten mit Ringsideroblasten [1, 22].
Thrombopoetische Wachstumsfaktoren – TPO-Agonisten
Schwere Thrombozytopenien (< 20 x 109/l) treten bei etwa 12 % der Patienten mit LR-MDS auf und gehen mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einher [23]. Mit Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten wie Romiplostim und Eltrombopag können ausgeprägte Thrombozytopenien bei Patienten mit LR-MDS erfolgreich behandelt werden. Erste Ergebnisse aus Phase-II/III-Studien deuten darauf hin, dass bei 30–50 % der Patienten mit Thrombozyten-Werten < 50.000/µl eine signifikante Verbesserung der Thrombopoese, verbunden mit einer geringeren Inzidenz von Blutungsereignissen, erzielt werden kann [24, 25]. Sowohl Romiplostim als auch Eltrombopag sind derzeit nicht für die Therapie von Patienten mit MDS zugelassen.
Lenalidomid
ESAs sind außerdem eine Erstlinien-Option bei Patienten mit LR-MDS, einer Deletion am Chromosom 5 und isolierter, transfusionspflichtiger Anämie sowie einer hohen Response-Wahrscheinlichkeit [21]. Allerdings ist ihr Ansprechen auf ESAs meist schlecht, sodass bei diesen Patienten Lenalidomid als Therapie der Wahl gilt, die bei etwa 70 % der Patienten zu einem erythroiden Ansprechen führt [26–28].
In der Phase-III-Studie von Fenaux et al. [28] führte Lenalidomid in einer Dosierung von 10 mg/d zu einer höheren Rate an zytogenetischen Remissionen. Diese sollte – mit entsprechender Anpassung der Dosis in Abhängigkeit der Thrombozytenzahl – zum Einsatz kommen, wobei bei älteren Patienten gelegentlich eine Initialdosis von 5 mg/Tag angezeigt ist. Sollte nach 4 Monaten keine Verbesserung der Transfusionspflichtigkeit eingetreten sein, sollte die Therapie beendet werden [1].
Vor Beginn der Therapie sollte eine Bestimmung des TP53-Mutationsstatus durchgeführt werden. Patienten mit del(5q) LR-MDS und mit TP53- Mutation sprechen deutlich schlechter auf Lenalidomid an und zeigen einen schnelleren Übergang zu einer AML [29]. Diese Patienten müssen also rechtzeitig identifiziert und regelmäßig im Rahmen von Knochenmarkpunktionen auf eine klonale Evolution überwacht werden [1].
Auch TET2- und RUNX1-Mutationen erhöhen bei Patienten mit del(5q) LR-MDS das Progressionsrisiko [30]. Patienten, die nicht auf Lenalidomid ansprechen, sollten wenn möglich einer allogenen Stammzelltransplantation (alloSCT) oder einer klinischen Studie zugeführt werden. Alternativ kann auf eine Therapie mit hypomethylierenden Substanzen (HMA) wie Azacitidin umgestellt werden [11].
Der Immunmodulator Lenalidomid wurde auch bei transfusionspflichtigen Patienten ohne 5q-Deletion, die nicht auf ESAs ansprachen, untersucht [31]. In der placebokontrollierten Phase-III-Studie erreichten 27 % der Patienten Transfusionsfreiheit. Die Kombination aus ESA und Lenalidomid hat bei ESA-resistenten LR-MDS-Patienten noch höhere Ansprechraten als eine Lenalidomid-Monotherapie gezeigt, ohne allerdings die Ansprechdauer zu verlängern [32].
Immunsuppressive Therapie
Bei jüngeren Patienten mit LR-MDS und hypozellulärem Knochenmark sowie einem geringen Transfusionsbedarf kann eine immunsuppressive Therapie mit Antithymozyten-Globulin (ATG) und Cyclosporin A (CSA) erwogen werden, womit etwa 30 % der Patienten eine Transfusionsfreiheit erreichen. Prädiktive Biomarker für das Ansprechen fehlen [1]. Da auch die Nebenwirkungen der Therapie nicht unerheblich sind, kommt der Patientenselektion große Bedeutung zu, und die Therapie sollte nur an spezialisierten Zentren erfolgen [33].
Luspatercept – Zweitlinienoption zur Therapie der Anämie
Eine alternative Therapieoption für Patienten mit LR-MDS mit symptomatischer und transfusionspflichtiger Anämie ohne Ansprechen auf ESAs ist das modifizierte Activin-Rezeptor-Typ-IIB-(ActRIIB)-Fusionsprotein Luspatercept. Dieses bindet Liganden aus der TGF-β-Familie und inhibiert diese negativen Regulatoren späterer Stadien der Erythropoese (Differenzierung erythropoetischer Vorläuferzellen [34]). In einer Phase-II-Studie zeigten 63 % der Patienten ein erythroides Ansprechen, 38 % erreichten Transfusionsfreiheit [35]. Vor allem Patienten mit niedriger Transfusionsfrequenz und Ringsideroblasten oder mit einer SF3B1-Mutation profitierten von der Therapie, sodass Patienten mit MDS-RS (< 5 % KM-Blasten, ≥ 15 % Ringsideroblasten im KM bzw. ≥ 5 % Ringsideroblasten im KM und Mutation von SF3B1) und einer transfusionsbedürftigen Anämie mit Luspatercept behandelt werden sollten, wenn sie auf ESAs nicht angesprochen haben oder keine hohe Wahrscheinlichkeit des Ansprechens aufweisen [36].
Die placebokontrollierte Phase-III-Studie MEDALIST untersuchte Luspatercept bei transfusionspflichtigen Patienten mit LR-MDS nach ESA-Versagen, bei ESA-Intoleranz oder geringer Wahrscheinlichkeit, auf ESAs anzusprechen. 37,9 % der Patienten erreichten unter Luspatercept eine Transfusionsfreiheit über mindestens 8 Wochen. Die mediane Ansprechdauer lag unter Luspatercept bei 30,6 Wochen, wobei 40 % der Patienten, die eine Transfusionsfreiheit erreichten, auch noch nach 40 Wochen transfusionsfrei waren. Die Anzahl von Transfusionen über 16 Wochen wurde unter Luspatercept um etwa 40 % gesenkt [36]. Die MEDALIST-Studie führte zur Zulassung von Luspatercept für die Behandlung von MDS-Patienten mit transfusionsabhängiger Anämie und mit Ringsideroblasten (MDS-RS), die auf eine Erythropoetin-basierte Therapie nicht zufriedenstellend angesprochen haben oder dafür nicht geeignet sind, und ein sehr niedriges, niedriges oder intermediäres Risiko zur Transformation in eine AML haben. Mittlerweile wurde in einem Update der MEDALIST-Studie gezeigt, dass das Ansprechen auf Luspatercept dosisabhängig ist und eine Eskalation der in der Studie eingesetzten Dosis von 1 mg/kg s. c. auf 1,33 oder 1,75 mg das Ansprechen verbessern kann [37].
Allogene Stammzelltransplantation
Als immer noch einzige kurative Therapieoption sollte die alloSCT v. a. bei jüngeren Patienten mit LR-MDS nach Versagen von ESAs oder Lenalidomid frühzeitig erwogen werden, wenn ein erhöhtes Progressionsrisiko besteht. Dazu gehören auch Patienten mit ungünstigen molekularen Markern wie einer ASXL1-, RUNX1-, TP53- oder EZH2-Mutation. Je früher die Transplantation erfolgt, umso besser sind die Langzeit-Ergebnisse [11].
Therapie der Hochrisiko-MDS
Bei allen Patienten mit Hochrisiko-MDS sollte zunächst die Möglichkeit einer allogenen Stammzelltransplantation geprüft werden [38]. Mit der Verbesserung supportiver Maßnahmen bzw. einer Reduktion der Intensität der Konditionierung ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Indikation auch auf Patienten im Alter von über 70 Jahre zu erweitern. Trotzdem bleibt dieses Verfahren immer ein individuelles Vorgehen, insbesondere bei Patienten über 65 Jahre. Jeder geeignete MDS-Patient sollte deshalb bei Diagnosestellung in einem Transplantationszentrum vorgestellt werden. Patienten sollten vor der alloSCT eine Therapie mit Eisenchelatoren erhalten [11].
Patienten, die nicht für dieses Verfahren infrage kommen, können eine epigenetische Therapie mit Azacitidin erhalten. Azacitidin ist ein Pyrimidin-Analogon, das anstelle von Cytosin in die DNA eingebaut wird. Diese Substanz hat eine direkte zytotoxische Wirkung auf proliferierende Zellen. Zusätzlich verhindert sie die Methylierung von CPG-Abschnitten (sog. CPG-Inseln) in der DNA, indem sie das Enzym DNA-Methyltransferase (DNMT) irreversibel bindet und damit hemmt. Bei Progress und bei ausbleibendem Ansprechen nach 4–6 Zyklen sollten Patienten, wenn möglich, in laufende klinische Studien eingeschlossen werden [1]. Eine andere hypomethylierende Substanz ist Decitabin, das aber in Europa für die Therapie der HR-MDS nicht zugelassen ist. In einer retrospektiven Analyse war das Ansprechen auf Azacitidin und Decitabin vergleichbar [39]. Die Kombination mit Venetoclax ist eine weitere (nicht zugelassene) Möglichkeit, Patienten nach Versagen einer hypomethylierenden Substanz erfolgreich zu behandeln und eine erneute hämatologische Remission zu induzieren. Auch dafür ist der Einschluss in klinische Studien notwendig. Das Ansprechen auf hypomethylierende Substanzen ist allerdings begrenzt und außerdem transient. Leider war die Suche nach prädiktiven Markern für ein Ansprechen bisher kaum von Erfolg gekrönt.