Chronische lymphatische Leukämie: zielgerichtete, Chemotherapie-freie Optionen bestimmen die Therapie
Wenn es um die Entwicklung und Zulassung neuer Medikamente geht, ist die chronische lymphatische Leukämie (CLL) die hämatologische Erkrankung, die seit einigen Jahren die größte Dynamik zeigt. Diese positive Entwicklung beruht darauf, dass die molekularen und genetischen Charakteristika der CLL immer besser verstanden werden und auf dieser Basis zielgerichtete Substanzen zur Krankheitskontrolle entwickelt werden konnten – nicht zuletzt dank einer ausgeprägten Studientätigkeit auf internationaler und nationaler Ebene. Die Therapielandschaft bei der CLL stellt sich heute so dar, dass klassische Chemoimmuntherapien immer mehr an Bedeutung verlieren und zunehmend durch zielgerichtete, Chemotherapie-freie Kombinationen ersetzt werden. Diese können teilweise auch zeitlich beschränkt eingesetzt werden.
Schlüsselwörter: CLL, zielgerichtete Therapie, Chemotherapie-frei, Ibrutinib, Acalabrutinib, Venetoclax, Rituximab, Biosimilars, Obinutuzumab, Bendamustin, Idelalisib, Chemoimmuntherapie
Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) zählt zu den häufigsten hämatologischen Neoplasien. Sie gehört eigentlich zu den indolenten Non-Hodgkin-Lymphomen, wird aber wegen ihres leukämieartigen Verlaufs meist den Leukämien zugerechnet. Unter dieser Prämisse stellt die CLL mit rund 5.600 Neuerkrankungen pro Jahr die häufigste Leukämie in Deutschland dar. Jedes Jahr werden hierzulande ca. sechs CLL-Fälle auf 100.000 Einwohner diagnostiziert [1, 2], wobei Männer etwas häufiger als Frauen erkranken (Verhältnis 1,4 : 1). Das mediane Erkrankungsalter liegt zwischen
70 und 75 Jahren, mit einer großen Altersspannbreite [2]. Rund 1.000 Männer und 850 Frauen versterben jedes Jahr in Deutschland an den Folgen einer CLL [1].
Pathogenese und klinisches Bild
Wie bei den meisten Leukämien ist noch nicht bekannt, wie genau es zur Entstehung einer CLL kommt. Gesichert ist, dass reife B-Zellen proliferieren und sich ansammeln, die – typisch für die CLL – neben den B-Zell-Markern CD19 und CD20 auch den T-Zell-Marker CD5 exprimieren [3, 4]. Darüber hinaus ist die CLL durch eine ausgeprägte genetische Heterogenität gekennzeichnet, etwa durch genetische Alterationen in den Genen TP53, NOTCH1 oder SF3B1 [5]. Zudem sind bei der CLL verschiedene Signalwege, die die Proliferation und Apoptose von Zellen regulieren, fehlreguliert, beispielsweise der B-Zell-Rezeptor-Signalweg, der die Bruton-Tyrosin-Kinase (BTK) oder Phosphoinositid-3-Kinase (PI3K) beinhaltet und die Zellproliferation reguliert [6]. Daneben sind Fehlregulationen proapoptotischer Proteine wie BCL-2 (B-cell lymphoma 2) bekannt. Das bessere Verständnis dieser Dysregulationen eröffnet heute Ansatzpunkte für eine zielgerichtete Therapie [2], die das Ziel verfolgen, die entsprechenden Signalwege zu modulieren und dadurch die Pathogenese der Erkrankung günstig zu beeinflussen.
Klinisch ist die CLL durch eine Lymphozytose gekennzeichnet, die meist als Zufallsbefund entdeckt wird [2]; spezifische klinische Symptome liegen zu Beginn meist nicht vor. Wenn die Erkrankung fortschreitet, treten Lymphadenopathie, Spleno- und Hepatomegalie, Zeichen der Knochenmarkinsuffizienz und evtl. Autoimmun-Zytopenien auf [2]. Bei fortgeschrittener Erkrankung sind vor allem B-Symptome, d. h. Fieber, Nachtschweiß und/oder Gewichtsverlust sowie Infektneigung typisch [2].
Diagnostik und Klassifikation
Die CLL kann in der Regel auf Basis einer Blutuntersuchung erstdiagnostiziert werden; eine Knochenmarkbiopsie wird in der Regel nur bei unklaren oder nicht eindeutigen Befunden bzw. Differentialdiagnosen benötigt. Nach den Kriterien des International Workshop on CLL (IWCLL) 2018 [7] müssen im Differentialblutbild mindestens 5.000 klonale B-Lymphozyten pro μl nachgewiesen werden. Dazu muss mittels durchflusszytometrischer Immunphänotypisierung eine Koexpression von CD5 mit CD19, CD20, und CD23 nachgewiesen werden, ebenso wie eine Klonalität durch Kappa- oder Lambda-Leichtketten-Restriktion [2]. Ist die periphere Ausschwemmung gering, kann mitunter eine Lymphknoten- oder Knochenmarkbiopsie notwendig werden [2, 4].
Im Hinblick auf die Klassifikation der CLL ist hierzulande die Stadieneinteilung nach Binet [8] am gebräuchlichsten, der die Ausbreitung der klinisch palpablen Lymphadenopathie sowie die rote und weiße Blutreihe (Hämoglobin und Thrombozyten) zugrunde liegt (Tab. 1).
Tab. 1 Stadieneinteilung nach Binet (mod. nach [8]).
Stadium | Definition |
---|---|
A | Hämoglobin ≥ 10 g/dl Thrombozyten ≥ 100 G/l < 3 betroffene Regionen (Lymphknoten, Leber oder Milz) |
B | Hämoglobin ≥ 10 g/dl Thrombozyten ≥ 100 G/l ≥ 3 betroffene Regionen (Lymphknoten, Leber oder Milz) |
C | Hämoglobin < 10 g/dl oder Thrombozyten < 100 G/l |
Zu den Lymphknotenregionen zählen zervikale, axilläre und inguinale Lymphknoten sowie Leber und Milz.
Dazu sind lediglich eine körperliche Untersuchung sowie eine Blutbildanalyse notwendig, während die Ergebnisse apparativer Untersuchungen (Organomegalie in Sonografie, CT) für die Stadieneinteilung nicht benötigt werden [2]. Die Abschätzung der Prognose der CLL auf Basis der Binet-Klassifikation hat angesichts der verbesserten Therapiemöglichkeiten der CLL in fortgeschrittenen Stadien insgesamt zwar an Bedeutung verloren, ist für die Indikation zur Behandlung aber nach wie vor relevant [4].
Prognosemarker und Risikoprofil
Bei der CLL gehen bestimmte molekulare und genetische Parameter mit einer schlechteren Prognose und/oder einem schlechteren Ansprechen der Patienten auf bestimmte Therapien einher [LL]. So ist etwa eine TP53-Mutation und/oder eine Deletion 17p [del(17p13)] mit einem kürzeren Ansprechen auf klassische Chemoimmuntherapien und einem schlechteren Überleben assoziiert [9], während zielgerichtete Optionen bei diesen Alterationen besser abschneiden [10, 11]. Ebenso ist der Nachweis eines unmutierten IGHV-Status mit einer schlechteren Prognose assoziiert [12]. Ein weiterer Parameter, der mit kürzerem Therapieansprechen sowie z. T. schlechterem Überleben einhergeht, ist ein komplexer Karyotyp als Zeichen einer hohen genetischen Instabilität [13].
Da der Erfolg einer Erstlinienbehandlung bei der symptomatischen, aktiven CLL neben den genannten Parametern auch von patientenindividuellen Faktoren bestimmt wird, sollte vor Einleitung einer Therapie für jeden Patienten ein persönliches Risikoprofil erstellt werden, das zytogenetische und molekulare Charakteristika ebenso erfasst wie Alter und Fitness (vor allem Komorbiditäten) der Patienten [2]. Ein geeigneter Score zur Erstellung eines solchen Risikoprofils ist etwa der CLL-International Prognostic Index (CLL-IPI), der anhand der fünf Parameter Alter, Binet-Stadium, β2-Mikroglobulin, Deletion17p/TP53mut und IGHV-Status eine einfache Risikoeinteilung erlaubt [14, 4].
Therapie
Die CLL ist nach derzeitigem Kenntnisstand weder durch konventionelle Chemotherapie noch durch Antikörper-basierte Therapien oder zielgerichtete Sub-stanzen (s. u.) heilbar. Die einzige, potentiell kurative Option besteht in der allogenen Stammzelltransplantation [2], wenngleich bei Patienten mit mutiertem IGHV-Status, die mit dem FCR(Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab)-Schema behandelt wurden, Langzeitremissionen von > 10 Jahren beschrieben wurden, die zumindest einer Heilung recht nahekommen [15, 16].
Behandlungsbedürftig wird die CLL wegen ihres indolenten Verlaufs erst im fortgeschrittenen Stadium Binet C oder in früheren Stadien, falls weitere Kriterien vorliegen, etwa Anämie/Thrombozytopenie, progrediente oder symptomatische Splenomegalie; progrediente oder symptomatische Lymphadenopathie, eine Lymphozytenverdopplungszeit von < 6 Monaten oder ein 50%-Anstieg in 2 Monaten und/oder konstitutionelle Symptome wie ungewollter Gewichtsverlust, Fieber ohne Nachweis einer Infektion und/oder schwerwiegende Fatigue. Liegen diese Kriterien nicht vor, können asymptomatische CLL-Patienten mittels einer Watch and Wait-Strategie beobachtet werden, bis etwa krankheitsbedingte Beschwerden wie B-Symptome oder Veränderungen des Blutbilds auftreten [2].
Erstlinientherapie der CLL
Lange Jahre war die Erstlinienbehandlung der symptomatischen, aktiven CLL durch die Kombination verschiedener Chemotherapeutika wie Fludarabin, Cyclophosphamid, Bendamustin und Chlorambucil geprägt, die in Kombination mit einem Antikörper gegen CD20 (Rituximab, Obinutuzumab) im Sinne einer Chemoimmuntherapie verabreicht wurden [2]. Diese Therapiestrategien – insbesondere häufig verwendete konventionelle Chemoimmuntherapien mit FCR oder Bendamustin-Rituximab (BR) – verloren in den vergangenen Jahren aber an Bedeutung und werden zunehmend durch zielgerichtete, Chemotherapie-freie Op-tionen ersetzt, die entweder als Monotherapie oder kombiniert eingesetzt werden [2]. Heute wird die Therapielandschaft bei der CLL im Wesentlichen durch zielgerichtete Substanzen wie Bruton-Tyrosinkinase(BTK)-Inhibitoren wie Ibrutinib und Acalabrutinib, BCL2-Inhibitoren wie Venetoclax und in beschränktem Maße PI3K-Inhibitoren wie Idelalisib geprägt [2]. Diese Wirkstoffe ermöglichen den Einsatz Chemotherapie-freier Regime, die sich zunehmend auch in frühen Behandlungslinien etablieren und von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) als bevorzugte Therapieoption empfohlen werden [2]. Einige der Kombinationstherapien können auch zeitlich begrenzt eingesetzt werden [2].
Auch wenn der Therapieralgorithmus für die Erstlinienbehandlung der CLL komplex erscheint (Abb. 1), gibt es zwei prinzipielle Therapieschemata, die bei allen nicht vorbehandelten Patienten unabhängig von Risikofaktoren, Alter und Fitness eingesetzt werden können: entweder eine Therapie mit den BTK-Inhibitoren Ibrutinib oder Acalabrutinib (mit oder ohne Rituximab) oder die Kombination aus Venetoclax und Obinutuzumab [2].

Abb. 1 Therapiealgorithmus zur Erstlinienbehandlung der CLL. Mod. nach nach [2].
Die Monotherapie mit einem BTK-Inhibitor wird in der Regel als orale kontinuierliche Behandlung bis zur Progression, also mitunter über Jahre – verabreicht, während die Kombinationstherapie Venetoclax/Obinutuzumab zeitlich begrenzt über insgesamt 12 Zyklen à 28 Tage gegeben wird; der Anti-CD20-Antikörper wird dabei intravenös über 6 Zyklen verabreicht und der BCL-2-Inhibitor über alle 12 Zyklen oral eingenommen [2]. Zu den Nebenwirkungen von BTK-Inhibitoren zählen Blutungen, Hypertonus sowie Vorhofflimmern und andere Herzrhythmusstörungen. Unter Venetoclax kann es durch den raschen Zerfall von CLL-Zellen zum Tumorlyse-Syndrom kommen; deshalb muss diese Substanz über 5 Wochen eingeschlichen werden [2].
Ob eine der beiden prinzipiellen Optionen – eine kontinuierliche Monotherapie oder eine zeitlich begrenzte Kombinationstherapie – der anderen überlegen ist, kann derzeit in Ermangelung prospektiv-randomisierter Daten nicht beantwortet werden. Die momentan rekrutierende CLL17-Phase-III-Studie der Deutschen CLL-Studiengruppe (DCLLSG) adressiert aber genau diese Thematik und evaluiert in drei Armen eine Ibrutinib-Monotherapie gegenüber einer zeitlich begrenzten Therapie mit Venetoclax plus Obinutuzumab oder Ibrutinib plus Venetoclax (NCT04608318).
Neben den beiden genannten Behandlungsprinzipien sind, in Abhängigkeit von Risikoprofil und den individuellen Wünschen der Patienten, gemäß den Empfehlungen der DGHO auch noch weitere Therapieansätze in der Erstlinie möglich:
- Bei Patienten, die Ibrutinib oder Venetoclax nicht vertragen oder wegen Kontraindikationen nicht erhalten können, kann auch ein PI3K-Inhibitor wie Idelalisib in Kombination mit Rituximab eingesetzt werden. Allerdings gilt Idelalisib wegen seiner vergleichsweise hohen Rate an Nebenwirkungen, vor allem Kolitiden und Hepatitiden, nicht als Medikament der Wahl bei der CLL [2].
- Für jüngere Patienten (unter 65 Jahre) ohne Begleiterkrankungen und Risikofaktoren, die einen mutierten IGHV-Status aufweisen, kann nach wie vor eine Chemoimmuntherapie mit FCR als Option in Betracht gezogen werden, da bei dieser Klientel in etwa jedem zweiten Fall Langzeitremissionen > 10 Jahre zu erwarten sind [15, 16]. Mögliche Nebenwirkungen wie Infektkomplikationen und Sekundärmalignome sind zu beachten. Bei fitten älteren Patienten ohne Risikofaktoren kann auch die Chemoimmuntherapie mit Bendamustin und Rituximab eine Option sein, die verträglicher ist als FCR, aber mit weniger anhaltenden Remissionen einhergeht [17].
- Für Patienten, die in sehr schlechtem Allgemeinzustand sind und wegen Begleiterkrankungen nur eine kurze Lebenserwartung haben, wird primär keine aktive Behandlung, sondern die bestmögliche supportive Therapie (Best Supportive Care, BSC) empfohlen [2]. Ist der schlechte Allgemeinzustand vornehmlich durch die CLL bedingt, kann der Einsatz von antineoplastisch wirksamen Substanzen wie Steroiden,
- Chlorambucil, Bendamustin, Ibrutinib, Venetoclax oder Anti-CD20-Antikörpern eine Option sein [2].
Therapie im Rezidiv
Vor Beginn einer neuen Therapielinie, die bei wieder auftretender Symptomatik indiziert ist, sollte das individuelle Risikoprofil des Patienten durch eine molekulare Diagnostik erneut bestimmt werden. Das gilt vor allem für CLL-Patienten, die vor der Erstlinientherapie keine Risikofaktoren aufwiesen [4]. Allgemein richtet sich die Rezidivtherapie nach dem Zeitpunkt des Auftretens des Krankheitsrückfalls:
- Patienten, die in der Erstlinie mit einem BTK-Inhibitor oder Venetoclax behandelt wurden und bereits binnen drei Jahren einen Rückfall erleiden (Frührezidiv), sollten auf Kombinationstherapien mit der jeweils anderen Substanzgruppe umgestellt werden [18, 19]. Chemoimmuntherapien nach zielgerichteter Therapie werden nicht empfohlen, da sie in diesem Setting wenig effektiv sind [20–22].
- Bei Patienten mit Spätrezidiven (> 3 Jahre nach Erstlinientherapie) kann die Erstlinientherapie wiederholt werden, zumindest dann, wenn keine TP53-Alteration vorliegt [4].
Aktuelle Studiendaten von hämatologischen Kongressen
Die Therapie der CLL ist derzeit ständig im Fluss, auch und gerade durch eine ausgeprägte Studienaktivität internationaler, aber auch deutscher Studiengruppen wie der DCLLSG. Aus diesem Grund sollen hier zum Abschluss einige wichtige Studiendaten aktueller Kongresse (ASH-Meeting 2020 sowie ASCO- und EHA-Meeting 2021) zusammengefasst werden, die auch einen Blick auf zukünftige Behandlungsoptionen eröffnen.
Erste Head-to-Head-Vergleiche zweier BTK-Inhibitoren
Der erste zugelassene BTK-Inhibitor Ibrutinib hat ohne Zweifel die Behandlung der CLL maßgeblich verbessert Die Substanz besitzt aber auch Nebenwirkungen insbesondere kardiovaskulärer Natur, die beachtet werden müssen.
Nun wurden die beiden BTK-Inhibitoren Ibrutinib und der ebenfalls für die Erstlinie zugelassene Zweitgenerations-BTK-Inhibitor Acalabrutinib erstmals in einem Head-to-Head-Vergleich randomisiert in einer Nicht-Unterlegenheitsstudie miteinander verglichen. Die amerikanisch-europäisch-australische Phase-III-Studie ELEVATE-RR verglich beide Substanzen bei insgesamt 533 vorbehandelten Patienten mit CLL und zytogenetischen Hochrisiko-Anomalien wie 17p- und 11q-Deletion direkt miteinander [23, 24]. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS).
Die Ergebnisse zeigen, dass sich beide Substanzen hinsichtlich der Wirksamkeit im Sinne des PFS kaum unterscheiden, dass aber Unterschiede im Nebenwirkungsprofil dokumentiert wurden (Abb. 2).

Abb. 2 ELEVATE-RR-Studie: Nebenwirkungen unter einer Therapie mit Acalabrutinib oder Ibrutinib bei Patienten mit vorbehandelter CLL. Mod. nach [23, 24].
Nach im Mittel 40,9 Monaten schnitten beide Arme hinsichtlich des PFS mit median 38,4 Monaten exakt gleich ab (HR 1,00; 95%-KI 0,79–1,27); das galt mehr oder weniger für alle untersuchten Subgruppen. Beim Gesamtüberleben (OS) war der Medianwert in keiner der beiden Gruppen bisher erreicht: Unter Acalabrutinib waren 23,5 %, und unter Ibrutinib 27,5 % der Patienten verstorben (HR 0,82; 95%-KI 0,59–1,15).
Allerdings war Acalabrutinib vor allem bei der Häufigkeit von Vorhofflimmern aller Schwergrade Ibrutinib signifikant überlegen (9,4 % vs. 16,0 %; p = 0,023), auch bei Patienten ohne solche Ereignisse in der Vorgeschichte (6,2 % vs. 14,9 %). Vorhofflimmern vom Grad ≥ 3 war unter Acalabrutinib mit 4,9 % versus 3,8 % etwas, aber nicht signifikant häufiger.
Auch einer Reihe weiterer Nebenwirkungen wie Hypertonus (9,4 % vs. 23,2 %), Arthralgien (15,8 % vs. 22,8 %) und Diarrhö (34,6 % vs. 46,0 %) waren unter Acalabrutinib seltener, nicht hingegen Kopfschmerz (34,6 % vs. 20,2 %) und Husten (28,9 % vs. 21,3 %). Blutungsereignisse, die bei Ibrutinib auch beachtet werden müssen, traten unter Acalabrutinib insgesamt seltener auf (38,0 % vs. 51,3 %), bei Ereignissen vom Grad ≥ 3 war allerdings kein Unterschied zu sehen (3,8 % vs. 4,6 %). 14,7 % der Patienten im Acalabrutinib- versus 21,3 % im Ibrutinib-Arm brachen die Behandlung wegen Nebenwirkungen ab.
Insgesamt war in diesem ersten direkten Vergleich zweier BTK-Inhibitoren bei der CLL Acalabrutinib dem bisherigen Standard Ibrutinib beim progressionsfreien Überleben nicht unterlegen, wies aber ein geringeres Risiko für kardiotoxische Nebenwirkungen geringerer Ausprägung auf.
Beim EHA 2021 wurde zudem die erste Interimsanalyse (nach 15 Monaten) der randomisierten Phase-III-Studie ALPINE vorgestellt, die die Nicht-Unterlegenheit des BTK-Inhibitors Zanubrutinib gegenüber Ibrutinib bei vorbehandelten CLL-Patienten unabhängig von genetischen Hochrisikokriterien verglich [25]. Die Daten von 415 der insgesamt 652 eingeschlossenen Patienten konnten analysiert werden. Primärer Endpunkt war das von Prüfärzten analysierte Gesamtansprechen (objektive Ansprechrate, ORR), sekundäre Endpunkte waren das PFS, das OS und präspezifizierte Nebenwirkungen wie Vorhofflimmern, Hypertension und Blutungen. Der primäre Endpunkt ORR wurde unter Zanubrutinib signifikant häufiger erreicht als unter Ibrutinib (78,3 % vs. 62,5 %; p = 0,0006), auch in genetischen Hochrisikogruppen (del(11q) und del(17p)). Die 12-Monats-mPFS-Rate war im Zanubrutinib-Arm im Vergleich zum Ibrutinib-Arm signifikant höher (94,9 % vs. 84,0 %; p = 0,0007), bei der 12-Monats-OS-Rate wurde das Signifikanzniveau verfehlt (97,0 % vs. 92,7 %; p = 0,1081). Es müssen bei dieser Studie aber noch längere Nachbeobachtungszeiten abgewartet werden, um evidenzbasierte Aussagen machen zu können.
MRD-Negativität unter Venetoclax-basierter Therapie
Nachdem die CLL14-Studie die Kombination aus Venetoclax und Obinutuzumab als wirksame Therapieoption für Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand etabliert hatte [10], wurden beim ASH 2020 neue Daten hinsichtlich der minimalen Resterkrankung (MRD) unter der zielgerichteten Kombinationstherapie vorgestellt [26]. Die Daten zeigen eine geringere MRD unter Venetoclax plus Obinutuzumab gegenüber der Vergleichstherapie mit Chlorambucil/Obinutuzumab, die bis zum Ende der Therapie anhielt. Zwei Monate nach Beendigung der Kombinationstherapie hatten 40 % der Patienten einen MRD-Level von < 10-6 erreicht gegenüber 7 % unter der Vergleichstherapie. Gleichzeitig wurde unter der Kombination eine geringere Wachstumsrate der malignen Zellklone berechnet. Die anhaltende Remission spiegelte sich auch in Überlebensdaten wider: Das 4-Jahres-PFS betrug 74 % unter Venetoclax plus Obinutuzumab im Vergleich zu 35 % unter der Chemoimmuntherapie (HR 0,33; p < 0,0001) [27].
Auch in der Phase-II-CAPTIVATE-Studie konnte eine hohe Rate an MRD-Negativität unter einer Ventoclax-basierten Therapie, hier Ibrutinib plus Venetoclax, bestätigt werden. Eingeschlossen waren therapienaive Patienten unter 70 Jahren, die nach initialer Kombinationstherapie aus Ibrutinib und Venetoclax MRD-abhängig randomisiert wurden [28]. Erreichten die Patienten MRD-Negativität mit Leveln von < 10-6, erhielten die Patienten Ibrutinib oder ein Placebo, bei MRD-Positivität Ibrutinib oder die Kombination Ibrutinib plus Venetoclax. Beim ASH 2020 präsentierte erste Daten aus der Kohorte mit MRD-Negativität zeigten keinen Unterschied im krankheitsfreien 1-Jahres-Überleben zwischen Ibrutinib und Placebo – was nahelegt, dass bereits der initiale Zyklus aus Ibrutinib plus Venetoclax ausreichte, um eine anhaltende Remission zu erreichen.
Neuer BTK-Inhibitor für die Rezidivtherapie
Für den Einsatz im Rezidiv sind derzeit nicht-kovalent-bindende BTK-Inhibitoren wie LOXO-305 besonders interessant, die möglicherweise auch bei Resistenzmutationen der Bruton-Tyrosinkinase wirksam sind. Das zeigen die Daten der multizentrischen Phase-I/II-Studie BRUIN, die LOXO-305 bei 186 mindestens zweifach vorbehandelten Patienten mit verschiedenen B-Zell-Neoplasien evaluierte. [29]. In dem stark vorbehandelten Patientenkollektiv wurde ein gutes Ansprechen beobachtet (ORR 63 %), auch bei den mit BTK-Inhibitoren vortherapierten Patienten (objektive Ansprechrate 62 %). Diese Daten machen Hoffnung, dass die gut verträgliche Substanz LOXO-305 Resistenzmutationen der Bruton-Tyrosin-kinase möglicherweise überwinden kann.
Fazit und Ausblick
Die Therapie der CLL beruht heutzutage im Wesentlichen auf dem Einsatz von Inhibitoren des B-Zellrezeptors, insbesondere BTK- und BCL2-Inhibitoren, sodass in den allermeisten Fällen auf eine klassische Chemotherapie verzichtet werden kann. Zweitgenerations-Inhibitoren im Bereich der BTK-Inhibitoren wie Acala-brutinib zeigen in ersten randomisierten Studien eine bessere Verträglichkeit. Zeitlich limitierte Fixkombinationen aus dem BCL-2 Inhibitor mit Obinutuzumab (in der Erstlinie) bzw. mit Rituximab (im Rezidiv) stellen eine effektive Alternative zu einer kontinuierlichen Dauertherapie mit einem BTK-Inhibitor dar. Neben weiteren Entwicklungen im Bereich der small molecules, u. a. nicht-kovalent bindende BTK-Inhibitoren, werden derzeit auch Kombinationen aus verschiedenen Substanzklassen (u. a. BTK-Inhibitor plus BCL2-Inhibitor) im Kontext von klinischen Studien exploriert. Künftige Studien werden zeigen, inwieweit die Prognose für Patienten mit CLL durch Einsatz von modernen immunologischen Interven-tionen auf der Grundlage von modifizierten T-Zellen (CAR-T-Zellen), aber auch bispezifischen Antikörpern, weiter verbessert werden kann.