Akute myeloische Leukämie – auf dem Weg zur molekular-basierten Therapie
Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine hämatologische Erkrankung, die aggressiv verläuft und sich durch eine ausgeprägte Heterogenität auszeichnet. Die klinische Forschung zur AML hat in den letzten Jahren nennenswerte Fortschritte gemacht, weshalb das AML-Management derzeit im Umbruch ist und ein besonders spannendes Kapitel in der Hämatologie darstellt. Basierend auf einem besseren Verständnis der molekulargenetischen und pathophysiolo-gischen Mechanismen der Erkrankung wurden Mutationen identifiziert, die Ansätze für zielgerichtete Therapien bieten. Auch Kombinationen aus neuen zielgerichteten Substanzen und bewährten Wirkstoffen eröffnen neue Behandlungsperspektiven, ebenso wie neue Formulierungen bekannter Wirksubstanzen.
Schlüsselwörter: AML, Akute myeloische Leukämie, Prognosefaktoren, Induktionstherapie, Postremissionstherapie, Rezidivtherapie, zielgerichtete Therapie, Molekularpathologie, Azacitidin, Venetoclax, Gilteritinib, Gemtuzumab-Ozogamicin, Glasdegib, Midostaurin, Ivosidenib"
Die akute myeloische Leukämie (AML), eine Neoplasie der Myelopoese, ist eine biologisch heterogene Erkrankung, deren Inzidenz mit dem Alter ansteigt [1]. Dabei führt eine maligne Transformation und unkontrollierte Proliferation der abnorm differenzierten, langlebigen myeloischen Progenitorzellen zu einer Knochenmarkinsuffizienz. Ohne Behandlung führt die Erkrankung bei jedem zweiten Patienten binnen weniger Monate zum Tode [2].
Ursprung ist die pathologische Proliferation klonaler myeloischer Zellen, die meist dem hochproliferativen Progenitorpool (CD34+/CD38+), in selteneren Fällen dem Stammzellpool (CD34+/CD38-) entstammen. Die genetische Variabilität der Erkrankung ist groß: Neben Gentranslokationen wie t(8;21), t(15;17) finden sich bei AML-Patienten auch numerische Veränderungen wie Trisomie 8, Monosomie 7 oder komplexe Veränderungen mit drei und mehr rekurrenten chromosomalen Aberrationen [1].
Nach der WHO-Klassifikation wird die AML auf Basis u. a. zytomorphologischer, zytogenetischer und molekulargenetischer Charakteristika unterteilt [1]. Therapieentscheidungen werden nach Krankheitsbiologie, Komorbiditäten und den Therapiezielen des einzelnen Patienten ausgerichtet. Krankheitsdefinierend ist ein Blastenanteil von ≥ 20 % im peripheren Blut oder im Knochenmark, bzw. der Nachweis der AML-definierenden genetischen Aberrationen t(8;21)(q22;q22.1) RUNX1-RUNX1T1, inv(16)/t(16;16)(p13.1;1q22) CBFB-MYH11 oder t(15;17)(q22;q12) PML-RARA [3].
Durch die Einführung moderner molekularer Techniken, besonders des Next Generation Sequencing (NGS), wurde deutlich, dass auch bei einem einzigen Patienten die Erkrankung aus genetisch verschiedenen Subklonen bestehen und der Anteil der verschiedenen Klone sich zudem über den Krankheitsverlauf ändern kann. Mutationen lassen sich funktionell wie folgt gruppieren [1]:
- aktivierende Mutationen der Signaltransduktion (FLT3, KIT, KRAS, NRAS u. a.)
- Mutationen von myeloischen Trans-kriptionsfaktoren (RUNX1, CEBPA u. a.)
- Fusionen von Transkriptionsfaktor-Genen (PML-RARA, MYH11-CBFB u. a.)
- Mutationen von Chromatin-Modifikatoren (MLL-PTD, ASXL1 u. a.)
- Mutationen im Kohesin-Komplex (SMC1S u. a.)
- Spliceosomen-Mutationen
- Mutationen in Tumorsuppressorgenen (TP53, WT1 u. a.)
- NPM1-Mutationen
- Mutationen in Genen der DNA-Methylierung (TET1, TET2, IDH1, IDH2, DNMT3B, DNMT1, DNMT3A)
Prognostische Faktoren: ELN-Klassifikation und mehr
Nach aktuellem Wissensstand haben das Alter der Patienten sowie molekulare bzw. zytogenetische Veränderungen den stärksten Einfluss auf die Prognose. Je älter die Patienten sind, umso geringer ist die Chance, eine komplette Remission zu erreichen – bei gleichzeitig steigendem Rezidivrisiko [1]. Schwedischen Registerdaten (1997–2006) zufolge lagen die 5-Jahres-Überlebensraten bei Patienten unter 30 Jahren bei 60 %, zwischen 45 und 54 Jahren bei 43 % und zwischen 55 und 64 Jahren bei 23 %; im höheren Lebensalter waren sie noch geringer [4]. Die Klassifikation des European LeukemiaNet (ELN) von 2017 teilt die molekular-zytogenetischen Veränderungen bei Erstdiagnose einer AML in drei Gruppen ein [5] (Tab. 1), wobei die prognostische Bedeutung der FLT3-ITD Mutant-Wildtyp-Ratio diskutiert wird [1].
Tab. 1 Molekular-zytogenetische Risikogruppen gemäß der Klassifikation des European LeukemiaNet (ELN) aus dem Jahr 2017. Mod. nach [5].
ELN-Risikogruppe | Aberrationen |
---|---|
Günstig | t(8;21)(q22;q22); RUNX1-RUNX1T1 inv(16)(p13.1q22) oder t(16;16)(p13.1;q22); CBFB-MYH11 Mutiertes NPM1 ohne FLT3-ITD oder mit FLT3-ITDniedrig* Biallelisch mutiertes CEBPA |
Intermediär | Mutiertes NPM1 mit FLT3-ITDhoch* Wildtyp-NPM1 ohne FLT3-ITD oder mit FLT3-ITDniedrig* t(9;11)(p22;q23); MLLT3-KMT2A§ Zytogenetische Aberrationen, die nicht als günstig oder |
Ungünstig | t(6;9)(p23;q34); DEK-NUP214 t(v;11)(v;q23); KMT2A-Genumlagerung t(9;22)(q34.1;q11.2); BCR-ABL1 inv(3)(q21q26.2) oder t(3;3)(q21;q26.2); GATA2, MECOM (EVI1) -5 oder del(5q); -7; -17/abnl(17p) Komplexer Karyotyp (≥ 3 Aberrationen†) Monosomaler Karyotyp (eine Monosomie, assoziiert mit mindestens einer weiteren Monosomie oder einer anderen strukturellen, chromosomalen Aberration (außer CBF-AML)) Wildtyp-NPM1 mit FLT3-ITDhoch* Mutiertes RUNX1‡ Mutiertes ASXL1‡ Mutiertes TP53 |
* FLT3-ITDniedrig = Mutant-Wildtyp-Allel-Quotient < 0,5; FLT3-ITDhoch = Mutant-Wildtyp-Allel-Quotient ≥ 0,5. Bestimmung über semi-quantitative Messung des FLT3-ITD Allel-Quotienten mittels DNA-Fragment-Analyse als Quotient der AUC für FLT3-ITD dividiert durch die AUC für FLT3-Wildtyp.
§ In Anwesenheit seltenerer als ungünstig eingestufter Aberrationen „sticht“ die t(9;11), d. h. sie gibt den Ausschlag für eine Einstufung in die intermediäre Risikogruppe.
† Nur zutreffend, wenn nicht gleichzeitig eine der WHO-definierten AML-typischen Aberrationen vorliegt (d. h. t(8;21), inv(16) oder t(16;16), t(9;11), t(v;11)(v;q23.3), t(6;9), inv(3) or t(3;3); AML mit BCR-ABL1).
‡ Nur als ungünstig einzustufen, wenn keine als günstig eingestuften Aberrationen vorliegen, d. h. in Anwesenheit günstiger Veränderungen geben diese den Ausschlag für eine Einstufung in die günstige Risikogruppe.
Im Gegensatz zur ELN-Klassifikation werden in einer jüngeren Untersuchung ungünstige genetische Veränderungen bei gleichzeitiger Anwesenheit einer NPM1-Mutation als ungünstig angesehen [6].
Möglicherweise können computergestützte Methoden die prognostische Sicherheit jenseits von Alter und Einzelaberrationen noch erhöhen. So konnte ein Forschungsteam aus Cleveland/Ohio, Houston/Texas, USA, und München (Münchner Leukämielabor, MLL) mit- hilfe von maschinellem Lernen auf Basis eines Datensatzes von nahezu 7.000 AML-Patienten einen wichtigen Beitrag zu einer potentiell besseren Subklassifikation und Prognoseabschätzung der AML leisten [7]. Die Wissenschaftler analysierten zunächst mittels NGS 6.788 Proben von AML-Patienten und identifizierten dabei insgesamt 13.879 somatische Mutationen. Basierend auf den komplexen Auswertungen des maschinellen Lernens konnten die Forscher insgesamt vier prognostische Subgruppen von AML-Patienten identifizieren, die das Überleben der Patienten auf Grundlage eines spezifischen Mutationsmusters möglicherweise besser vorhersagen können. Dabei entdeckten sie auch Unterschiede zwischen primären AMLs und solchen, die sich sekundär entwickelt hatten. So waren sekundäre AMLs meist mit Hochrisiko-Alterationen wie einem komplexen Karyotyp und/oder Mutationen in ASXL1 oder RUNX1 assoziiert, während prognostisch günstige Mutationen wie NPM1 oder CEBPA (biallelisch) bei der primären AML häufiger vorkamen.
Nach Ansicht der Forscher tragen diese neuen Erkenntnisse dazu bei, auch im Bereich der AML den Weg für eine personalisierte Medizin zu bahnen [7].
Therapiestrategien bei der AML
Die Therapie der AML sollte an einem hämatologisch-onkologischen Zentrum und im Rahmen einer Therapiestudie durchgeführt werden. In Deutschland bestehen mit AML-CG (https://www.kompetenznetz-leukaemie.de/content/studien/studiengruppen/amlcg_muenchen/kontakt/), AMLSG (https://www.amlsg.de/), OSHO (https://osho-studiengruppe.de/) und SAL (https://www.sal-aml.org/) mehrere AML-Studiengruppen, die multizentrische Studien durchführen [1].
Zentren, die nicht in eine AML-Studiengruppe integriert sind, wird eine Therapie in Anlehnung an ein gültiges Studienprotokoll empfohlen [1].
Allgemeine Therapiestruktur
Der Therapieanspruch bei jüngeren und bei älteren fitten AML-Patienten ist kurativ. Allgemein gliedert sich die Therapie für diese Patientenklientel in die Induktionstherapie mit dem Ziel der kompletten Remission (CR) und in die Postremissionstherapie, entweder mit hochdosiertem Cytarabin (z. T. ergänzt durch zielgerichtete Substanzen in molekularen Subgruppen) oder einer allogenen Blutstammzelltransplantation zur Erhaltung der CR (Abb. 1).

Abb. 1 Therapie-Algorithmus für die initiale Therapieentscheidung bei Erstdiagnose einer AML. Mod. nach [1].

Die Chance für das Erreichen einer CR nach intensiver Induktionstherapie wird vor allem durch den genetischen Hintergrund der AML bestimmt [1], wobei Patienten mit günstigen zyto- bzw. molekulargenetischen Veränderungen (u. a. t(8;21), in(16), NPM1-mut, CEBPAdm) CR/CRi-Raten von > 80–90 % erreichen, gegenüber < 30 % bei Patienten mit ungünstigen Alterationen (u. a. TP53 Mutation, monosomaler Ka-ryotyp). Da sich die optimale Induktions- und Postremissionstherapie zunehmend an der Subgruppe der AML ausrichtet, ist eine umfangreiche Diagnostik vor Einleitung der Primär- und auch Rezidivtherapie besonders wichtig. [1]. Lediglich bei Patienten mit Zeichen eines Leukostasesyndroms, mit ZNS-Befall, Tumorlysesyndrom oder entgleister Gerinnung sollte eine standardisierte intensive Therapie nach dem 7+3-Schema notfallmäßig eingeleitet werden [1].
Primärtherapie jüngerer und fitter Patienten
Standard-Induktionstherapie für fitte, also intensiv behandelbare Patienten mit kurativer Therapie-Intention (biologisches Alter bis 75 Jahre ohne schwere Komorbiditäten) ist das 7+3-Schema, die Kombination aus der dreitägigen Gabe eines Anthrazyklins/Anthracendions (z. B. Daunorubicin 60 mg/m², Idarubicin 10–12 mg/m² oder Mitoxantron 10–12 mg/m²) und 7 Tage Cytarabin (100–200 mg/m² kontinuierlich). Gehören die Patienten jedoch bestimmten Subgruppen an, werden folgende alternative Induktionsschemata empfohlen [1]:
Bei Patienten mit CD33-positiver Core-Binding-Factor-AML (CBF-AML) und Patienten mit CD33-positiver NPM1-Mutation bei FLT3wt sollte die Standard-Induktionstherapie mit 7 + 3 durch Hinzunahme von Gemtuzumab Ozogamicin, einem Konjugat aus CD33-Antikörper und Zytotoxin Calicheamycin, im ersten Zyklus ergänzt werden [1]. Diese Empfehlung basiert auf den Ergebnissen der französischen ALFA-0701-Studie und anderer randomisierter Studien sowie deren Meta-Analyse [8, 9], während für NPM1-mutierte Patienten die Ergebnisse der AMLSG-0909-Studie die Datengrundlage für die Hinzunahme von GO liefern [10].
Patienten mit FLT3-ITD oder FLT3-TKD-Mutation sollten von Tag 8–21 der Induktionstherapie mit Midostaurin behandelt werden. Die Substanz ist seit 2017 auf Basis einer randomisiert-placebokontrollierten Studie [11] für die Kombination mit Standard-Induktionschemotherapie, Chemokonsolidierung und als Erhaltungstherapie bei Patienten mit neu diagnostizierter FLT3-mutierter AML zugelassen.
Bei Patienten mit AML-MRC und Patienten mit therapieassoziierter AML (tAML) ist der Einsatz von liposomalem Daunorubicin/Cytarabin (CPX-351) als Ersatz für das Standard-7+3-Schema in der Induktionstherapie zugelassen. In der zulassungsrelevanten Studie war ein signifikanter Überlebensvorteil von 9,6 versus 5,9 Monaten im Vergleich zum 7+3-Schema dokumentiert worden [12].
Bei Patienten mit CD33-positiver Intermediär-Risiko-AML mit FLT3wt kann die Standard-Induktion optional im ersten Zyklus durch Gemtuzumab Ozogamicin ergänzt werden. In einer Metaanalyse konnte ein Überlebensvorteil gezeigt werden, der aber mit einer Erhöhung des 5-Jahres-Überlebens von 35,5 % auf 40,7 % vergleichsweise gering ausfiel [1].
Das Konzept der Erhaltungstherapie, das bei ALL und APL Standard ist, sich mit klassischen Zytostatika bei der AML jedoch in den letzten Jahrzehnten nicht als vorteilhaft erwies, erhält nun durch die Entwicklung des oralen Azacitidin CC-486 eine Belebung. In der randomisiert-placebo-kontrollierten QUAZAR-Studie wurden ältere Patienten ab 55 Jahre, die sich nach Standard-Induktion in CR/CRi befanden und für eine allogene Stammzelltransplantation nicht geeignet waren, mit CC-486 oder Placebo bis zum Progress behandelt. In der Verum-Gruppe konnte das rezidivfreie Überleben um 5,3 Monate und das Gesamtüberleben um 9,9 Monate gegenüber der Placebo-Gruppe verlängert werden [13]. Auf der Basis dieser Ergebnisse wurde 2021 die Zulassung durch die EMA erteilt. Somit steht für intensiv therapierbare Patienten eine weitere Therapieoption zur Verfügung, deren optimaler Einsatz derzeit Gegenstand der Diskussion ist.
Primärtherapie unfitter Patienten
Unfitte Patienten, die ein biologisches Alter > 75 Jahre oder signifikante Komorbiditäten haben oder für die wegen einer ungünstigen Zytogenetik nur geringe Chancen auf eine Heilung bestehen, sollten nicht intensiv induziert werden. Für diese Patienten gilt es, das Leben bei möglichst guter Lebensqualität zu verlängern [1]. Neben einer bestmöglichen supportiven Therapie (BSC) sollte ihnen eine zytoreduktive ambulante Chemotherapie angeboten werden, beispielsweise mit den hypomethylierenden Substanzen (HMA) 5-Azacitidin oder Decitabin [1, 14, 15].
Seit Kurzem stehen für diese Patienten zwei weitere zugelassene Optionen auf Basis zielgerichteter Substanzen zur Verfügung:
Die Kombination aus dem BCL-2-Inhibitor Venetoclax und der hypomethylierenden Substanz Azacitidin bewirkte in der randomisiert-Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie VIALE-A gegenüber einer Monotherapie mit Azacitidin mehr komplette Remissionen (CR/CRi 66,4 % versus 28,3 %) [16]. Das mediane Gesamtüberleben war unter Venetoclax plus Azacitidin mit 14,7 Monaten signifikant länger als unter Azacitidin alleine mit 9,6 Monaten (HR 0,66; p < 0,001). Damit erreichte die Studie ihren primären Endpunkt (Abb. 2).

Abb. 2 VIALE-A-Studie: Gesamtüberleben unter einer Behandlung mit Venetoclax/Azacitidin (Ven + Aza) und Placebo plus Azacitidin (Pbo + AZA). Mod. nach [16].
Diese Daten haben zur Zulassung von Venetoclax in Kombination mit einer hypomethylierenden Substanz bei neu diagnostizierten AML-Patienten geführt, die nicht für eine intensive Chemotherapie geeignet sind. Beim diesjährigen ASCO-Meeting wurde die Bedeutung der MRD für die Prognose der AML-Patienten beleuchtet [17]: Bei Patienten, die unter der Behandlung mit Venetoclax plus Azacitidin nach einem Jahr eine Komplettremission mit einer MRD < 10-3 aufwiesen, betrug die rezidivfreie Überlebensrate 81,2 % und die Gesamtüberlebensrate 94,0 %, während es bei den Patienten mit einem höheren MRD-Niveau 46,6 %, bzw. 67,9 % waren. Die Kombination gilt heute als Behandlungsstandard für ältere oder komorbide AML-Patienten; Hauptnebenwirkung ist die hämatologische Toxizität [16]. Venetoclax verlängert auch in Kombination mit LDAC das Gesamtüberleben (von 4,1 auf 8,4 Monate) [18], erhielt aber aufgrund fehlender Signifikanz in der primären Studienauswertung keine EMA-Zulassung.
Als weitere Option für die Therapie unfitter Patienten wurde im Juni 2020 die Kombination aus LDAC mit dem Hegdehog-Inhibitor Glasdegib zugelassen. Glasdegib bindet selektiv an das Transmem-branprotein Smoothened und hemmt dadurch die Signalübertragung des Hedgehog-Signalwegs. In der randomisierten Phase-II-Studie BRIGHT-1003 überlebten Patienten, die die Kombination aus Glasdegib und LDAC erhalten hatten, im Median signifikant länger als die AML-Patienten, die nur LDAC erhielten (medianes Gesamtüberleben 8,3 vs. 4,3 Monate; HR 0,53; p = 0,002) [19]. Die Ansprechrate (ORR) war bei Patienten im Glasdegib-Arm höher als im Vergleichsarm (26,9 % vs. 5,3 %), mit 17,9 % vs. 2,6 % kompletten Remissionen [20]. Ein direkter Vergleich dieser Kombination mit LDAC plus Venetoclax liegt bislang nicht vor.
Abb. 3 fasst die derzeit zugelassenen und empfohlenen Erstlinien-Therapie-optionen für unfitte AML-Patienten zusammen.

Abb. 3 Therapieoptionen für die Primärtherapie unfitter AML-Patienten. Mod. nach [1].
farblicher Hintergrund - Nicht kurative intendierte Therapie
1 HMA – hypomethylierende Substanzen.
2 LDAC – niedrig dosiertes Ara-C.
Rezidivtherapie
Für fitte Patienten, die im Rezidiv mit kurativer Intention behandelt werden sollen, ist die allogene Stammzelltransplantation nach aktuellem Kenntnisstand das einzige Verfahren mit der Möglichkeit einer Langzeitremission [1]. Außerhalb von Studien gilt die Re-Induktion mit intermediär- bis hochdosiertem Cytarabin in Kombination mit einem Anthracyclin oder Mitoxantron mit dem Ziel der Erlangung einer zweiten CR als beste Voraussetzung für eine Langzeitremission nach allogener SZT [21].
Abb. 4 fasst den Therapie-Algorithmus für die Rezidivtherapie zusammen [1], wobei die Substanzen Ivosidenib und Enasidenib in der EU nicht zugelassen sind.

Abb. 4 Therapie-Algorithmus für die Rezidivtherapie bei der AML. Mod. nach [1].

Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle, dass sich mit dem Zweitgenerations-Typ-I-FLT3-Inhibitor Gilteritinib für die Monotherapie der rezidiviert/refraktären (r/r) AML mit FLT3-Mutation seit dessen Zulassung Ende 2019 ein zusätzlicher Weg zur allogenen Transplantation eröffnet [1]. In der Phase-III-Zulassungsstudie ADMIRAL erhielten AML-Patienten mit r/r FLT3-mutierter AML entweder eine Standardtherapie (60,5 % intensiv und 39,5 % nicht-intensiv) oder Gilteritinib als orale Monotherapie. Die Remissionsrate lag im Gilteritinib-Arm höher als im Vergleichsarm (CR 21,1 % vs. 10,5 %, CR/CRi 25,5 % vs. 11,3 %, CR/CRh 34 % versus 15,3 %). Unter Gilteritinib konnten 25,5 % der Patienten allogen transplantiert werden versus 15,3 % im Standardarm. Das mediane Gesamtüberleben unter Gilteritinib betrug 9,3 versus 5,6 Monate im Kontroll-Arm (HR 0,64; p < 0,001) Da die Therapieergebnisse von Gilteritinib denen einer intensiven wie auch nichtintensiven Standard-Rezidiv-Chemotherapie überlegen waren [22], wird der FLT3-Inhibitor bei r/r AML und FLT3-Mutation generell als Rezidivtherapie der ersten Wahl empfohlen – auch dann, wenn der Patient für eine intensive Salvage-Therapie geeignet und eine allogene SZT geplant ist [1]. In Studien wird Gilteritinib nun auch in früheren Linien in Kombination mit einer Chemotherapie untersucht.
Zukünftige Entwicklungen
Da die pathophysiologischen Grundlagen der AML immer besser verstanden werden, zeichnet sich bereits heute ab, dass zukünftig mit neuen spezifischen Substanzen gerechnet werden kann. Zu den aktuellen Entwicklungen in der klinischen Forschung gehören [23]:
- der Einsatz von Kombinationen aus intensiver Chemotherapie und Venetoclax bei jüngeren/fitten Patienten,
- die Zugabe von verschiedenen neuartigen FLT3-Inhibitoren (Gilteritinib, Quizartinib, Crenolanib u. a.) zu einer intensiven Chemotherapie oder zu Azacitidin- oder LDAC-basierten Therapien bei FLT3-mutierter AML,
- die Zugabe von IDH-Inhibitoren wie Ivosidenib und Enasidenib und/oder Venetoclax bei der IDH1/2-mutierten AML,
- TP53-Modulatoren und der Anti-CD47-Antikörper Magrolimab bei der TP53-mutierten AML,
- Menin-Inhibitoren bei der Akuten Mixed Lineage Leukemia mit MLL-Rearrangement,
- der Einsatz von Kombinationen aus zielgerichteten Therapien mit oder ohne intensiver Chemotherapie oder hypomethylierenden Substanzen +/- Venetoclax mit dem Ziel, nicht nur das Überleben zu verbessern, sondern auch die Heilungsrate bei zuvor unheilbaren AML-Subgruppen zu erhöhen,
- die Etablierung von Erhaltungstherapien,
- die Weiterentwicklung oraler AML-Therapien (wie oralem Decitabin oder oralem Azacitidin), um parenterale Therapien möglicherweise zu ersetzen und zu verbessern, und
- die Verbesserung des T-Zell-basierten immunologischen Ansprechens bei der AML durch den Einsatz von bispezifischen Antikörpern, Immuncheckpoint-Inhibitoren und CAR-T-Zellen.
Fazit und Ausblick
Sowohl Prognostizierung als auch therapeutische Möglichkeiten der AML haben sich allein in den letzten fünf Jahren deutlich weiterentwickelt und werden die Prognose der Patienten noch verbessern. Zukünftige Trends liegen in einer Kombination neuer Substanzen sowie einer MRD-gesteuerten Intensivierung oder Deeskalation der Therapie. Darüber hinaus besteht die begründete Hoffnung, dass in Zukunft auch nichtintensive Therapieansätze ein kuratives Potential entfalten können.