Das kastrationsresistente Prostatakarzinom
Schreitet ein Prostatakarzinom trotz suffizienter Absenkung des Serumtestosteronspiegels (ADT, androgen deprivation therapy) fort, gilt es als kastrationsresistent und damit als unheilbar. Vor allem für Patienten mit einem metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) ist die Prognose limitiert. Zielsetzung der Therapie ist es, den Krankheitsprogress zu verzögern und die Lebensqualität der Patienten zu erhalten bzw. zu verbessern. Zu den Therapieoptionen gehören neben der Fortsetzung der ADT neue hormonelle Substanzen (NHA), Chemotherapie und Radionuklidtherapie sowie bei Patienten mit nachgewiesener BRCA-Mutation PARP-Inhibitoren.
Schlüsselwörter: kastrationsresistentes Prostatakarzinom, PARP-Inhibitoren, PSMA, Radionuklidtherapie, Immuntherapie, mCRPC, PSA, ADT
Die Kastrationsresistenz unter ADT entwickelt sich je nach Aggressivität des Prostatakarzinoms unterschiedlich schnell. Von Kastrationsresistenz spricht man, wenn es trotz Unterdrückung des Serumtestosteronspiegels auf < 50 ng/dl zu einem Anstieg des PSA-Werts in drei aufeinanderfolgenden Messungen im Abstand von mindestens einer Woche mit zwei Anstiegen um 50 % über Nadir kommt. Dabei sollte der PSA-Wert über 2 ng/ml liegen, bevor weitere evidenzbasierte Therapieumstellungen erfolgen. Alternativ sollten Behandelnde aktiv werden, wenn sich bildgebend eine Progression zeigt oder der Patient Symptome entwickelt.
CRPC ohne Nachweis von Metastasen in der konventionellen Bildgebung
In seltenen Fällen findet sich bei PSA-Anstieg kein Anhaltspunkt für eine Metastasierung in der Routinebildgebung mittels CT und Knochenszintigraphie. Dieses Stadium wird als nicht-metastasiertes, kastrationsresistentes Pro-statakarzinom (M0CRPC oder nmCRPC) bezeichnet. Aufgrund des zunehmenden Einsatzes moderner bildgebender Verfahren, v. a. der PSMA-PET/CT, die eine Metastasierung mit höherer Sensitivität frühzeitig detektiert, könnte das Stadium der metastasenfreien Kastrationsresistenz bald der Vergangenheit angehören. Mit der hochauflösenden PSMA-PET/CT können Patienten mit mikro- bzw. oligometastasiertem CRPC identifiziert werden. Diese zusätzliche Information durch die funktionelle PET-Diagnostik kann zu einer patientenindividuellen Therapieplanung im Stadium des M0CRPC führen. Optimalerweise sollte die PSMA-PET/CT jedoch bereits in einem früheren Stadium, nämlich beim hormonsensitiven biochemischen Rezidiv, zum Einsatz kommen.
Während früher bei Patienten mit nmCRPC die alleinige ADT fortgeführt wurde, wird diese heute bei nmCRPC-Patienten mit hohem Progressionsrisiko, d. h. einer kurzen PSA-Verdopplungszeit, mit den NHA Apalutamid, Darolutamid oder Enzalutamid kombiniert. Die drei NHA führten in den zulassungsrelevanten Phase-III-Studien SPARTAN, ARAMIS und PROSPER zu einer signifikanten Verlängerung des metastasenfreien und des Gesamtüberlebens (OS) [1–4].
Metastasiertes kastrationsresistentes Prostatakarzinom (mCRPC)
Eine Erkrankungsprogression kann sich als Anstieg des PSA-Spiegels, als Progress der Metastasen in der Bildgebung und/oder als klinischer Progress manifestieren. Dabei zeigte eine retrospektive Registerstudie, dass ein klinischer Erkrankungsprogress deutlich ungünstiger ist als nur steigende PSA-Werte oder ein Progress in der Bildgebung [5]. Dies verdeutlicht, dass eine späte Diagnose des symptomatischen Progresses prognostisch ungünstig ist, und es unterstreicht die aktuellen Daten zur frühen Therapieintensivierung und zur Durchführung regelmäßiger Staginguntersuchungen auch bei stabilen PSA-Werten.
Kombinationstherapien beim mCRPC
Für Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom und Erkrankungsprogress trotz ausreichender Hormonblockade (Serumtestosteronspiegel auf Kastrationsniveau) stehen in der Erstlinie drei Kombinationstherapien zur Verfügung. Hierbei werden ADT mit den NHA Abirateron oder Enzalutamid oder Docetaxel kombiniert (Tab. 1), die u. a. in Abhängigkeit von der Vorbehandlung ausgewählt werden sollten.
Tab. 1 Zugelassene Therapieoptionen beim mCRPC. Die Optionen in beiden Therapielinien sind in alphabetischer Reihenfolge dargestellt.
ADT | ||||||
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ERSTLINIE mCRPC | Abirateronacetat + Prednison/Prednisolon | Docetaxel + Prednison/Prednisolon | Enzalutamid | |||
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+ ggf. Prämedikation mit Dexamethason + ggf. G-CSF | bei asymptomatischem oder mild symptomatischem Verlauf nach Versagen der ADT,
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FOLGE- THERAPIEN | Abirateronacetat + Prednison/Prednisolon | Cabazitaxel + Prednison/ Prednisolon | Docetaxel + Prednison/ Prednisolon | Enzalutamid | Olaparib | Radium-223 Monotherapie oder in Kombination mit LHRH-Analogon |
+ antiallergische Prämedikation + prophylaktische Antiemese + G-CSF zur Prophylaxe febriler Neutropenien empfohlen | + ggf. Prämedikation mit Dexamethason + ggf. G-CSF |
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Mit allen drei Regimen wurde ein OS-Vorteil erzielt, wobei die beiden NHA diesen zunächst bei Docetaxel-vorbehandelten [6, 7] und später auch bei Docetaxel-naiven Patienten zeigten [8, 9]. In diesem Kontext muss erwähnt werden, dass die oben genannten Studien alle Patienten untersucht haben, die in der ersten Linie der Systemtherapie der hormonsensitiven Erkrankung nur eine ADT-Monotherapie erhalten haben, die heutzutage kein Standard mehr sein sollte.
Nach Therapie mit ADT plus Docetaxel im hormonsensitiven Stadium kann beispielsweise entweder Abirateron oder Enzalutamid zum Einsatz kommen. Oder aber es kann, v. a. bei symptomatischen Patienten, eine erneute Chemotherapie mit dem Taxan Cabazitaxel durchgeführt werden, das in der TROPIC-Studie beim mCRPC nach Versagen einer Docetaxel-basierten Chemotherapie gegenüber Mitoxantron einen Überlebensvorteil zeigte [10]. Die Patienten können aufgrund der ausgeprägten Hämatotoxizität prophylaktisch ein G-CSF-Präparat erhalten.
Olaparib
Patienten mit mCRPC sollte bei Versagen eines NHA ein Therapiewechsel angeboten werden. Das kann zum einen eine Chemotherapie mit Docetaxel sein, zum anderen steht für Patienten mit einer BRCA1/2-Mutation auf Basis der PROFOUND-Studie [11] eine Monotherapie mit Olaparib zur Verfügung. Der PARP-Inhibitor konnte bei Patienten mit BRCA1/2-Mutation das OS gegenüber der Therapie mit Abirateron oder Enzalutamid verbessern [12]. Aus diesem Grund sollte bei den Patienten eine Testung auf BRCA1/2-Mutationen erfolgen. Da bei allen Patienten mit einem mCRPC von einem Krankheitsprogress in absehbarer Zeit auszugehen ist, bedeutet die Empfehlung der S3-Leitlinie für den Praxisalltag, dass alle mCRPC-Patienten schon bei NHA-Behandlungsbeginn auf BRCA1/2-Mutationen untersucht werden sollten. Inwiefern sich dies in Anbetracht der neuesten PROPEL- und MAGNITUDE-Studiendaten ändern wird, bleibt abzuwarten.
Radionuklidtherapie
Nach mindestens zwei vorausgegangenen systemischen Therapielinien zur Behandlung des mCRPC können Patienten mit mCRPC und symptomatischen Knochenmetastasen ohne bekannte viszerale Metastasen in gutem Allgemeinzustand mit dem α-Strahler Radium-223 behandelt werden. Radium-223-dichlorid imitiert Kalzium und wird selektiv im Knochen – und hier insbesondere in Bereichen von Knochenmetastasen – eingelagert. Dort gibt es eine hohe Dosis ionisierender Strahlung ab, die in den angrenzenden Tumorzellen zu Doppelstrangbrüchen der DNA führt. Die Reichweite der Strahlung ist allerdings sehr gering, sodass umgebendes Normalgewebe geschont wird. Von dem Radiopharmakon profitieren besonders Patienten mit schmerzhaften Knochenmetastasen. Radiotherapeutika wie Radium-223 dienen aber nicht nur der Palliation. Gegenüber Best-Supportive Care konnte in der Zulassungsstudie ALSYMPCA eine signifikante Verlängerung des OS von 11,3 auf 14,9 Monate gezeigt werden (HR 0,61), die Verträglichkeit war dabei gut [13]. Wichtigste Nebenwirkung ist eine milde Myelosuppression. Eine retrospektive Studie zeigte, dass mCRPC-Patienten mit Mutationen von an der DNA-Schadensreparatur beteiligten Genen ein signifikant längeres OS nach der Behandlung mit Radium-223 hatten als Patienten ohne solche genetischen Alterationen, wobei diese Daten noch prospektiv validiert werden müssen [14]. In der Regel erfolgen sechs Gaben im Abstand von einem Monat. Radium-223 darf nicht zusammen mit Abirateron/Prednison angewendet werden [15, 16].
Das prostataspezifische Membranantigen (PSMA) ist Target bei der Lutetium-177-PSMA-Radioligandentherapie, die derzeit noch nicht zugelassen ist und nur über den individuellen Heilversuch auf Basis einer interdisziplinären Tumorkonferenz angewendet werden kann. Der β-Strahler bindet auf der Oberfläche der Prostatakarzinomzellen an PSMA, wird mit diesem internalisiert und gibt so gezielt hochenergetische Strahlung an die Tumorzellen ab. Die aktuelle S3-Leitlinie empfiehlt den Einsatz der PSMA-Radioligandentherapie, nachdem die Standardtherapieoptionen ausgeschöpft wurden [17]; allerdings unterstützen aktuelle Daten der VISION-Studie den Einsatz von Lutetium-177-PSMA bereits nach Versagen von Chemotherapie und einer Linie NHA [18]. Eine prospektiv randomisierte Phase-II-Studie verglich eine Lutetium-177-PSMA-Therapie mit Cabazitaxel bei mCRPC-Patienten mit einem PSA-Wert > 20 ng/ml und PSMA-positiver Erkrankung [19]. Die Radioligandentherapie führte zu einem stärkeren Rückgang des PSA-Werts als Cabazitaxel, und gleichzeitig zu weniger Grad-3/4-Nebenwirkungen.
Die bereits oben genannte und beim Jahreskongress der ASCO 2021 vorgestellte Phase-III-Studie VISION verglich maximal sechs Zyklen der Lutetium-177-PSMA-Therapie plus Standard of Care (SOC) mit alleinigem SOC in 2:1- Randomisierung bei 831 PSMA-positiven mCRPC-Patienten, die bereits mit einem NHA und ein bis zwei Taxan-Regimen vorbehandelt waren. Der SOC wurde vom Prüfarzt bestimmt; ausgeschlossen waren jedoch Chemotherapien und Radium-223, da hier Sicherheitsdaten zur Kombination mit Lu-PSMA fehlen. Die Radioligandentherapie verlängerte sowohl das radiographisch progressionsfreie Überleben (rPFS) als auch das OS signifikant (HR 0,40 bzw. 0,62). Die Therapie erwies sich insgesamt als gut verträglich, mit milder Hämatotoxizität, leichter Fatigue und Mundtrockenheit [18]. Während die Therapie mit Radium-223 auf Patienten mit Knochenmetastasen beschränkt ist, können die Lutetium-177-Therapie auch Patienten mit anderen Metastasen erhalten. Therapievoraussetzung sind eine adäquate Nierenfunktion und Knochenmarkreserve sowie ausreichende PSMA-Avidität, die im Gegensatz zu BRCA1/2-Mutationen beim mCRPC häufig vorliegt. Wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr am Therapietag und an den Folgetagen. Für jeden Behandlungszyklus müssen die Patienten etwa drei Tage im Krankenhaus bleiben, wobei aus Strahlenschutzgründen das Zimmer für 48 h nicht verlassen werden darf.
Immuntherapie
Das Prostatakarzinom ist in der Regel ein immunologisch kalter Tumor, was den Einsatz von Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) erschwert und gegenwärtig nur in klinischen Studien verfügbar macht. Für das Ansprechen auf eine ICI-Therapie gibt es Hinweise, dass die Selektion geeigneter Patienten mit hoher PD-L1-Expression und Immunzellinfiltration [20] oder hoher Mikrosatelliteninstabilität [21] möglich ist. Im klinischen Alltag spielt die ICI-Therapie jedoch keine Rolle und bedarf noch der genauen Definition des geeigneten Patientenkollektivs.
Weitere Ansätze, um die natürliche Immunresistenz der meisten Prostatakarzinome zu überwinden, sind Immunkombinationstherapien. So laufen derzeit die Phase-III-Studie CheckMate 7DX, die Docetaxel mit oder ohne den PD-1-Inhibitor Nivolumab beim mCRPC untersucht (NCT04100018), die Phase-III-Studie CONTACT-02 mit der Kombination aus dem Multikinase-Inhibitor Cabozantinib und dem PD-L1-Inhibitor Atezolizumab (NCT04446117) und eine Phase-II-Studie mit der Kombination aus dem PD-L1-Inhibitor Durvalumab und Cabazitaxel (NCT04495179).
Aber auch Antikörper-Drug-Konjugate (ADC) wie Vandortuzumab Vedotin, das gegen STEAP1 (Six-transmembrane Epithelial Antigen of Prostate 1) gerichtet ist [22], oder bispezifische Antikörper wie Pasotuxizumab [23], werden aktuell untersucht.
Osteoprotektive Supportivtherapie
Während beim hormonsensitiven Prostatakarzinom lediglich unterstützende Maßnahmen zur Osteoporose-Prophylaxe empfohlen werden, treten beim mCRPC zunehmend die Komplikationen der Knochenmetastasen wie Schmerzen, Hyperkalzämien und Frakturen sowie eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität in den Vordergrund. Dementsprechend soll deshalb zur systemischen Therapie eine osteoprotektive Behandlung durchgeführt werden. Empfohlen werden sowohl der RANKL-Antikörper Denosumab als auch das Bisphosphonat Zoledronat, ergänzt durch Kalzium (oral mind. 500 mg/d) und Vitamin D (400 I.E./d). Außerdem muss der Kalziumspiegel der Patienten überwacht werden [24]. Zur Prävention von Kieferosteonekrosen werden eine prophylaktische Sanierung des Zahnstatus, eine überdurchschnittliche Mundhygiene und regelmäßige risikoadaptierte zahnärztliche Untersuchungen empfohlen [24].
Fazit
Die PSMA-PET/CT ist eine neue Option in der Diagnostik des Prostatakarzinoms, die eine höhere Sensitivität in der Ausbreitungsdiagnostik erzielt und dann eingesetzt werden sollte, wenn der Nachweis von Rezidiven oder Metastasen eine klinische Konsequenz nach sich zieht. Weitere Neuerungen in der Systemtherapie des Prostatakarzinoms haben zur Entwicklung von Kombinationstherapien geführt, die heute bereits in frühen Stadien der Erkrankung den Standard darstellen. Die individuelle molekularpathologische Charakterisierung des Prostatakarzinoms gewinnt zunehmend an Bedeutung. Den Anfang in dieser Entwicklung machte die PARP-Inhibition, die in Tumorzellen mit defizienter homologer Rekombination bei BRCA1/2-Mutation wirksam und zugelassen ist. Weitere neue Targets und Therapieansätze sind in Erprobung. Auch die systemische Radionuklidtherapie mit Radium-223-dichlorid und radioaktiv markierten PSMA-Liganden hat die Therapieoptionen beim mCRPC erweitert und stellt in Deutschland bereits neue Standards im Behandlungsalltag dar. Der Stellenwert von Immuntherapeutika beim Prostatakarzinom bleibt weiterhin experimentell und ist wahrscheinlich nur spezifischen Subgruppen vorbehalten.
Summary
If prostate cancer progresses during ADT with serum testosterone at castrate levels it is considered castration-resistant and therefore incurable. The prognosis of these patients is limited, especially for patients with metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC). Treatment goals are to delay disease progression and to maintain or improve quality of life.
PSMA-PET is a new, highly sensitive diagnostic option which should be used when the detection of recurrences or metastases has clinical consequences. Further innovations in the systemic treatment of prostate cancer have led to the development of combination therapies, which today represent the standard of care already in the early stages of the disease. The molecular characterization of prostate cancers is becoming increasingly important with PARP inhibition as one of the first steps in this development. PARP inhibition is effective and has been approved for patients with BRCA1/2 mutations causing homologous recombination repair deficiency. Other new targets and therapeutic approaches are being tested. Systemic radionuclide therapy with radium-223 dichloride and radioactively labeled PSMA ligands have also expanded the treatment options for mCRPC and are already setting new standards in everyday treatment in Germany.