Aktuelle Entwicklungen in der Behandlung des Analkarzinoms
Die Entstehung von Analkarzinomen ist in 70–90 % der Fälle mit einer Infektion durch das Humane Papillomavirus (HPV) bedingt. Eine ansteigende Inzidenz wurde in den letzten Dekaden beobachtet. Die definitive Radiochemotherapie (RCT) mit 5-Fluorouracil und Mitomycin C stellt aktuell weiterhin die Standardbehandlung für lokalisierte Erkrankungen dar. Etwa 30 % der Patienten mit lokal-fortgeschrittenen Tumoren sprechen allerdings nicht auf die definitive RCT an oder erleiden ein loko-regionäres Rezidiv. Eine Induktions- oder eine konsolidierende Chemotherapie zusätzlich zur Standard-RCT führte in den bisherigen Studien zu keiner Verbesserung der Therapieergebnisse. Der Einsatz von molekular-zielgerichteten Substanzen, wie z. B. von Hemmern des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR), wurde bislang nur in Phase-I/II-Studien getestet, zeigte dort allerdings auch keine zufriedenstellenden Ergebnisse. HPV-positive Analkarzinome sind grundsätzlich immunogene Tumoren, die mit einer höheren Dichte an tumorinfiltrierenden Lymphozyten, besserem Ansprechen auf die RCT sowie einer günstigeren Prognose assoziiert sind. Daher stellen Therapien mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) eine attraktive Option dar. Für metastasierte oder austherapierte Patienten mit Analkarzinomen wurden zuletzt vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Die Zugabe von ICI zur RCT oder nach der RCT auch bei lokalisierter Erkrankung wird aktuell im Rahmen randomisierter Phase-II-Studien getestet.
Schlüsselwörter: Analkarzinom, klinische Studien, Radiochemotherapie, Immuntherapie
Bei der Behandlung des Analkarzinoms hat sich die organerhaltende kombinierte Radiochemotherapie (RCT) als Primärbehandlung durchgesetzt. Eine chirurgische Entfernung des Tumors kommt nur als Option für Nicht-Ansprecher oder bei lokoregionärem Rezidiv zum Einsatz [1]. Vor der Einführung der RCT war die abdominoperineale Resektion mit Schließmuskelverlust der einzige kurative Ansatz, der aber mit Einbußen an Lebensqualität und schlechten onkologischen Ergebnissen verbunden war [2]. Der Übersichtsartikel fasst die aktuellen, klinisch-therapeutischen Entwicklungen zusammen und gibt einen Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen.
Ätiologie
Analkarzinome sind in 70–90 % der Fälle mit einer HPV-Infektion assoziiert, meist mit dem Hochrisiko-Stamm HPV16. Eine bestehende Immunsuppression ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung des Analkarzinoms. Hier müssen die Infektion durch das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) oder die medikamentöse Immunsuppression nach Organtransplantation als häufigste Ursachen genannt werden [3, 4]. Zigarettenrauchen, rezeptiver Analverkehr und eine hohe Anzahl von Sexualpartnern sind weitere etablierte Risikofaktoren [5].
Therapie
Simultane Radiochemotherapie alleiniger Radiotherapie überlegen
Die primäre RCT, wie sie erstmals 1974 von Nigro et al. beschrieben wurde, ist derzeit die Standardbehandlung [6]. In drei großen Studien wurde die Kombination von Strahlentherapie und paralleler Chemotherapie mit 5-FU und MMC (Mitomycin C) mit der alleinigen Radiotherapie (RT) bzw. einer RCT mit 5-FU alleine verglichen. Dies waren die britischen ACT-I-Studie [7], die EORTC-Studie [8] und die RTOG-87-04-Studie [9]. Zusammenfassend zeigten sich in allen diesen Untersuchungen eine bessere lokale Kontrolle und ein längeres krankheitsfreies Überleben für die Kombination der RT mit 5-FU und MMC.
Rolle von Cisplatin, Induktionschemotherapie und adjuvanter Chemotherapie
Trotz seiner belegten Wirksamkeit ist MMC mit einer hohen Rate an hämatologischen Toxizitäten verbunden, während Cis-platin häufig bei der RCT von Plattenepithelkarzinomen eingesetzt wird und ein etwas günstigeres hämatologisches Nebenwirkungsprofil hat. In Rahmen mehrerer Phase-III-Studien wurde Cisplatin vs. MMC während der RCT sowie im Rahmen einer Induktions- oder adjuvanten Chemotherapie getestet, nämlich in der RTOG 98-11-Studie [10], der britischen ACT-II-Studie [11] und der ACCORD-03-Studie [12] (Abb. 1).

Betrachtet man die Ergebnisse der Studien (Tab. 1) kann man festhalten, dass weder die Induktions- noch die Erhaltungschemotherapie besser abschneiden als eine alleinige RCT.

Für die Induktionschemotherapie gilt sogar, dass sie in der RTOG 98-11-Studie zu einem signifikant schlechteren krankheitsfreien Überleben und Gesamtüberleben geführt hat [10]. Die alleinige RCT mit 5-FU und MMC gilt somit weiterhin als Therapiestandard.
Rolle alternativer Chemotherapieregimes
Im Jahre 2003 führte die EORTC eine randomisierte Phase-II-Studie (EORTC 22011-40014) durch, die eine RCT mit Cisplatin plus MMC mit der Standard-RCT (5-FU plus MMC) bei lokal fortgeschrittenen Analkarzinomen (T2 > 4 cm bis T4, oder N+) [13] testete. Die objektive Ansprechrate (ORR) 8 Wochen nach Abschluss der RCT wurde als primärer Endpunkt festgelegt. Die ORR betrug 91,9 % (34/37) im experimentellen Arm und 79,5 % (31/39) im Standardarm. Aufgrund erhöhter Toxizität und der vermutlich damit assoziierten schlechteren Compliance nach RCT mit Cisplatin/MMC wurde dieses Schema jedoch nicht in weiteren Phase-III-Studien getestet.
Auch im Hinblick auf das Ersetzen von infusionalem 5-FU durch orales Capecitabin gibt es Daten beim Analkarzinom. In einer kleinen Phase-II-Studie wurden 31 Patienten mit einer Capecitabin-plus-MMC-basierten RCT behandelt (Capecitabin 825 mg/m2 zweimal tgl. an Bestrahlungstagen, MMC 12 mg/m2 an Tag 1). Die Therapie war gut verträglich und 24 Patienten (77,4 %) zeigten 4 Wochen nach Abschluss der Therapie ein vollständiges Tumoransprechen [14].
In Zusammenschau mit Phase-III-Daten zur Äquivalenz von infusionalem 5-FU und Capecitabin bei anderen gastrointestinalen Tumoren deuten diese Daten zum Analkarzinom darauf hin, dass Capecitabin auch bei dieser Tumorentität eingesetzt werden kann.
Die Kombination aus Radiotherapie und EGFR-Blockade mit Cetuximab war in zwei nicht-randomisierten Phase-II-Studien mit vermehrten Toxizitäten verbunden, ohne eine deutliche Verbesserung des Therapieergebnisses zu zeigen. Diese Kombination wurde deshalb nicht weiter verfolgt [15, 16].
Dosis und Fraktionierung der RT
Es gibt derzeit keinen internationalen Konsens zur Dosisverschreibung für die Strahlentherapie des Analkarzinoms [1, 17, 18]. Die amerikanischen NCCN-Leitlinien [17] empfehlen ein sequentielles Konzept, bei dem elektive „Niedrig-risiko“-Lymphknoten bis 30,6 Gy/1,8 Gy bestrahlt werden und die elektiven „Hochrisiko“-Lymphknoten weitere
14,4 Gy/1,8 Gy bis zu einer Gesamtdosis von 45 Gy erhalten. Schließlich werden für T1/2-Tumoren mit Resttumor nach
45 Gy, für T3–4-Tumoren sowie für befallene Lymphknoten weitere 5,4–14,4 Gy sequentiell bis zu einer Gesamtdosis von 50,4–59,4 Gy empfohlen. Alternativ wird eine abgestufte Dosisverschreibung mittels IMRT-Technik mit simultan in-
tegriertem Boost (SIB) nach den Vorgaben der RTOG-0529-Studie empfohlen [19]. Nach den aktuellen ESMO-ESSO-ESTRO Leitlinien [1] sollte die applizierte Gesamtdosis bei T1–2N0-Tumoren 50–50,4 Gy (Einzeldosis: 1,8–2 Gy) betragen; bei T3–4N0/+ wird eine Dosis von 50–50,4 Gy plus Boost empfohlen. Für die Höhe der Boost-Dosis des Primärtumors und/oder befallener Lymphknoten werden allerdings keine spezifischen Angaben gemacht. Die britischen Leitlinien [18] empfehlen eine abgestufte Dosisverschreibung mit SIB-Technik (cave: beruhend auf veralteter TNM-Klassifikation, AJCC, 7. Edition). Befallene Lymphknoten werden mit 50,4 Gy in 28 Fraktionen behandelt, während der elektive Lymph-abfluss 40 Gy in 28 Fraktionen erhält. Die Dosis auf die Primärtumorregion richtet sich nach der TNM-Klassifikation: T1–2N0-Tumoren werden mit 50,4 Gy in 28 Fraktionen behandelt und Patienten mit T3–4N0–3 oder T1–2N1–3 erhalten 53,2 Gy in 28 Fraktionen.
Bedeutung moderner RT-Techniken
Eine Reduktion der Strahlendosis auf das gesunde Normalgewebe und eine gleichzeitige Dosiseskalation auf das Tumorvolumen sind durch moderne Strahlentherapie-Techniken wie die intensitätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT) möglich [20]. Die Therapieergebnisse und das Auftreten von Nebenwirkungen der IMRT im Vergleich zur dreidimensionalen konformalen Strahlentherapie (3DRCT) wurden in retrospektiven Auswertungen untersucht [21–24] (Tab. 2).

Trotz des Fehlens eines direkten randomisierten Vergleichs ist die Verwendung der IMRT heutzutage als obligat anzusehen.
Prognostische Faktoren
Mehrere retrospektive und prospektive Studien zielen darauf ab, klinische pro-gnostische Faktoren zu identifizieren. Die Analyse der randomisierten Studien ACT I und RTOG 98-11 zeigte, dass ein initialer Tumordurchmesser > 5 cm, tastbare Lymphknoten und männliches Geschlecht mit einem signifikant schlechteren Therapieergebnis assoziiert waren [25, 26]. Mehreren retrospektiven Analysen und der Phase-III-Studie ACT I zufolge geht eine prätherapeutische Leukozytose im peripheren Blut mit einem schlechteren
Behandlungsergebnis einher [26–28].
HPV-positive Analkarzinome scheinen retrospektiven Auswertungen zufolge eine bessere Prognose zu haben [29]. Andere biologische Marker wie die Infiltration mit CD8+ Lymphozyten wurden ebenfalls als prognostisch wichtig identifiziert. Interessanterweise scheint HPV-Positivität mit einer höheren Dichte an tumorinfiltrierenden Lymphozyten einherzugehen [29]. Eine HPV-Infektion könnte daher zu einem stärker immunogenen Phänotyp und damit zu einer besseren Prognose führen.
Beurteilung des Ansprechens
Im Rahmen der bereits erwähnten ACT-II-Studie wurde das klinische An sprechen zu verschiedenen Zeitpunkten nach Beginn der Behandlung prospektiv untersucht [30]. Insgesamt nahmen 691 Patienten an allen drei Untersuchungen teil, und eine Komplettremission wurde bei 64 %, 80 % und 85 % nach 11, 18 bzw. 26 Wochen beobachtet. Patienten mit einer Komplettremission nach 26 Wochen hatten ein besseres Gesamtüberleben als Patienten ohne Komplettremission [30]. Die stetige Zunahme der Komplettremissionsrate im Verlauf der Zeit bestätigt, dass eine endgültige Beurteilung des Therapieansprechens bei enger klinischer Überwachung nicht vor der 26. Woche nach Beginn der RCT erfolgen sollte. Somit können insbesondere zu frühzeitige Operationen mit daraus resultierenden funktionellen Einschränkungen vermieden werden.
Zukunftsperspektiven
Die krankheitsfreien 3-Jahres-Überlebensraten lokoregionär fortgeschrittener Tumoren (T2 > 4 cm, T3–4, N+) liegen nach Standard-RCT bei nur 30–60 % und sind somit verbesserungswürdig [31]. Obwohl die RCT für frühe Stadien (T1–2N0) hocheffektiv ist, führt die RCT der Beckenorgane zu nicht unerheblichen gastrointestinalen und genitourinären (Langzeit-)Toxizitäten. So wurde eine Stuhlinkontinenz bei bis zu 44 % sowie eine chronische Proktitis bei bis zu 40 % der Patienten beschrieben [19].
Die laufende PLATO-Studie (Tab. 3) untersucht das Konzept einer Risiko-adaptierten Strahlentherapie mit reduzierter Gesamtdosis für intermediäre Tumoren (T1/2 < 4 cm N0/Nx) und Eskalation der Gesamtdosis (bis 61,6 Gy in 28 Fraktionen) für Hochrisiko-Tumoren (T3/4, T2N1–3). Weitere Studien zur potentiellen Reduzierung der Toxizität und/oder Steigerung der Effektivität betreffen den Einsatz der Protonentherapie oder der regionalen Tiefen-Hyperthermie als Addendum zur Standard-RCT (Tab. 3).

Die Einführung der neuen Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) hat das
Potential, die Behandlung des Analkarzinoms zu verändern. HPV-positive Analkarzinome sind immunogene
Tumoren, die mit einer höheren Dichte an tumorinfiltrierenden Lymphozyten, einem besseren Ansprechen auf die RCT sowie einer günstigeren Prognose einhergehen [32]. Kürzlich konnten bereits vielversprechende Ergebnisse für die Behandlung von metastasierten oder anderweitig austherapierten Patienten mit ICI gezeigt werden [33]. Derzeit wird die Zugabe dieser Substanzen zu oder nach der RCT auch bei lokalisierter Er-
krankung im Rahmen randomisierter Phase-II-Studien getestet (Tab. 3).
In Deutschland rekrutiert aktuell die multizentrische, randomisierte Phase-II-Studie RADIANCE (https://clinicaltrials.gov: NCT04230759). Sie testet die Hinzunahme des PD-L1-Inhibitors Durvalumab zur Standard-RCT bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen Analkarzinomen (T2 ≥ 4 cm, T3/4, oder N+; Abb. 2).

Studienhypothese ist, dass die Hinzunahme von Durvalumab zur RCT zu einer Verbesserung der 3-Jahres-Rate für das krankheitsfreie Überleben von 60 % auf 80 % führt. Die Studie wird federführend von der Klinik für Strahlentherapie der Universität Frankfurt an 20 Zentren durchgeführt, inkl. aller Standorte des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK).
Summary
Current developments in treatment of anal carcinoma
In 70–90 % of cases, anal carcinoma is due to infection by human papillomavirus (HPV). In recent decades, an in-crease in incidence has been observed. Definitive chemoradiotherapy (CRT) with 5-fluorouracil and mitomycin C is the standard treatment for localized dis-ease. About 30 % of patients with locally advanced tumors do not respond to primary RCT or suffer a locoregional relapse. Induction or consolidation chemotherapy in addition to standard CRT has not been able to improve the therapeutic outcomes so far.
To date, the use of molecularly tar-geted substances, such as epidermal growth factor receptor (EGFR) inhibitors was only tested in phase I/II studies without improving treatment results. HPV-positive anal carcinomas are immunogenic tumors that are associated with a higher density of tumor-infiltrat-
ing lymphocytes, a better response to CRT and a more favorable prognosis. Therefore, immune checkpoint inhibitors (ICI) are an attractive option; promising results have recently been shown for
metastatic anal cancers. The addition of ICI together with or after CRT is currently being tested in randomized phase II trials, also in localized disease.
Keywords: anal cancer, clinical trials, chemoradiotherapy, immunotherapy
In Kooperation mit:
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg,
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung,
Partnerstandort: Frankfurt a. M.