Lungentumoren: Neues zur Adjuvanz und zu Treibermutationen

ASCO 2019

Zwei Trends, die beim diesjährigen Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago besonders auffielen, sollen in dieser Übersicht schlaglichtartig beleuchtet werden: Zum einen ist ein stärkeres Engagement im Bereich der adjuvanten (und neuerdings sogar der neoadjuvanten) Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) erkennbar, zum anderen scheint die Entwicklung neuer Inhibitoren noch längst nicht an ein Ende gekommen zu sein, mit denen sich durch spezifische Treibermutationen verursachte NSCLC-Erkrankungen immer wirksamer behandeln lassen.

Nicht-metastasiertes NSCLC

Stadium I: Hochrisiko-Patienten profitieren von Adjuvanz

Ob Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) im pathologischen Stadium I von einer adjuvanten Therapie profitieren, ist unklar. In einer japanischen Studie wurden daher pro­spektiv die Daten von 1.278 solcher Patienten gesammelt, die mittels Lobektomie therapiert worden waren [1]. Daraus wurden Risikofaktoren für ein Rezidiv bestimmt: In einer multivariaten Analyse ergaben sich als Hochrisikofaktoren ein Alter von über 70 Jahren, eine Größe der invasiven Komponente des Tumors von mehr als 2 cm, eine Invasion in die Pleura sowie eine lymphatische ebenso wie eine Gefäßinvasion. 

In der Hochrisikogruppe von 641 Patienten, die durch das Vorliegen mindestens eines dieser Faktoren definiert war, war das rezidivfreie 5-Jahres-Überleben signifikant von der Anwendung einer adjuvanten Chemotherapie abhängig (81,4% vs. 73,8%; p = 0,023). Das Gleiche galt für das Gesamtüberleben (92,7% vs. 81,7%; p < 0,0001) und das krebsspezifische Überleben nach fünf Jahren (95,0% vs. 89,5%; p = 0,012). Patienten ohne einen der genannten Risikofaktoren profitierten hingegen nicht von einer adjuvanten Therapie.

Stadium II–IIIA: Pemetrexed besser verträglich als Vinorelbin

Im Stadium II–IIIA des NSCLC ist der Nutzen einer platinhaltigen adjuvanten Chemotherapie erwiesen. Allerdings gab es bisher keine Phase-III-Studie zur Wirksamkeit der Kombination aus Pemetrexed und Cisplatin beim Nicht-Plattenepithelkarzinom. Dies wurde nun in der japanischen JIPANG-Studie untersucht, in der 804 solche Patienten nach kompletter Resektion ihres Primärtumors randomisiert entweder Pemetrexed und Cisplatin oder Vinorelbin plus Cis­platin erhielten [2]. Primärer Endpunkt war das rezidivfreie Überleben; die Studie war angelegt, eine Überlegenheit der Pemetrexed-Kombination nachzuweisen. 

Das gelang zwar nicht, weil sich nach median 45 Monaten mit einer medianen rezidivfreien Überlebensdauer von 38,9 Monaten im Pemetrexed- und 37,3 Monaten im Vinorelbin-Arm kein Unterschied zeigte – ebenso wenig beim Gesamtüberleben. Dafür war die Pemetre­xed-Kombination erheblich besser verträglich, was Grad-3/4-Nebenwirkungen wie Neutropenien (22,8% vs. 81,1%; p < 0,001), febrile Neutropenien (0,3% vs. 11,6%; p < 0,001), Anämien (2,8% vs. 9,3%; p < 0,001) sowie Alopezie aller Schweregrade (12,8% vs. 30,1%; p < 0,001) anging. Mit 87,9% beendeten auch signifikant mehr Patienten die Pemetrexed-haltige als die Vinorelbin-haltige Therapie (72,7%; p < 0,001).

Neoadjuvant mit PD-L1- …

Eine neoadjuvante Therapie ist beim NSCLC weniger gebräuchlich als bei manchen anderen Tumorentitäten. Weil Immuncheckpoint-Inhibitoren in kleinen Pilotstudien einen möglichen Nutzen in dieser Indikation gezeigt haben, sollten in einer Phase-II-Studie 180 Patienten mit NSCLC der Stadien IB–IIIB vor der geplanten Operation zwei Zyklen des PD-L1-Inhibitors Atezolizumab erhalten. In einer Interimsanalyse, die David Kwiatkowski, Boston, in Chicago vorstellte, wurden die ersten 101 Patienten ausgewertet, von denen 90 nach der neoadjuvanten Therapie tatsächlich operiert werden konnten [3]. 

Eine ausgedehnte pathologische Remission (d. h. höchstens 10% vitale Tumorzellen im Resektat) wurde bei 15 von 82 auswertbaren Patienten (18%) beobachtet, davon in vier Fällen eine pathologische Komplettremission. Die Remissionsrate war von der PD-L1-Expression unabhängig, und bei den Patienten, für die eine Exom-Sequenzierung verfügbar war, fand sich auch keine Korrelation zwischen pathologischem Ansprechen und Tumormutationslast.

Die Ergebnisse rechtfertigen die Fortführung der Studie, so Kwiatkowski, in der mittlerweile 151 der geplanten 180 Patienten rekrutiert sind. Außerdem läuft bereits die Phase-III-Studie 

IMpower030, in der neoadjuvantes Atezolizumab randomisiert gegen eine platinbasierte Chemotherapie getestet werden soll [4].

… und mit PD-1-Antikörper

Ebenfalls in einem neoadjuvanten Setting beim resezierbaren NSCLC der Stadien I–IIIA wird in der Phase-II-Studie NEOSTAR der PD-1-Antikörper Nivolumab alleine oder in Kombination mit dem CTLA4-Antikörper Ipilimumab geprüft [5]. Die Rate an ausgedehnten pathologischen Remissionen war bei bislang 41 auswertbaren Patienten mit 24% etwas höher als in der Atezolizumab-Studie, bei den 34 anschließend operierten Patienten betrug sie sogar 29%; insbesondere aber war sie unter der Kombination der beiden Antikörper mit 43% mehr als doppelt so hoch wie unter der Nivolumab-Monotherapie. Nach der Kombinationsbehandlung war auch der Anteil vitaler Tumorzellen im Resektat mit 20% deutlich niedriger als nach Nivolumab alleine mit 65%, und es waren mehr tumorinfiltrierende Lymphozyten zu finden. Hier korrelierte die Anti-Tumor-Aktivität der neoadjuvanten Therapie mit der PD-L1-Expression im Tumor vor der Behandlung.

PD-L1-Inhibition im Stadium III: konsistent längeres Überleben

Die Phase-III-Studie PACIFIC war die Zulassungsstudie für die erste Checkpoint-Inhibitor-Therapie beim NSCLC im nicht resezierbaren Stadium III. 709 Patienten, die nach einer definitiven Chemoradiotherapie nicht progredient waren, hatten randomisiert im Verhältnis 2 : 1 entweder den PD-L1-Inhibitor Durvalumab oder ein Placebo erhalten. Beim primären Endpunkt progressionsfreies Überleben war Durvalumab ebenso signifikant überlegen (HR 0,52; p < 0,0001) wie bei der Interimsanalyse zum Gesamtüberleben (HR 0,68; p = 0,00251; [6]). In Chicago wurden von Jhanelle Elaine Gray, Tampa, die 3-Jahres-Daten vorgestellt, bei denen sich Durvalumab beim Gesamtüberleben nach wie vor überlegen zeigte (HR 0,69; 95%-KI 0,55–0,86); der Medianwert war im Verumarm noch nicht erreicht und betrug im Kontrollarm 29,1 Monate [7]. Diese Wirksamkeit konnte für alle untersuchten Subgruppen bestätigt werden, mit Ausnahme der Patienten mit < 1% PD-L1-Expression. Durvalumab wird durch diese Ergebnisse als Behandlungsstandard für Patienten mit NSCLC im Stadium III bestätigt, die nach einer Chemoradiotherapie nicht progredient sind.

Neue Medikamente gegen Treibermutationen beim NSCLC

Das NSCLC zerfällt in eine große Zahl von Untergruppen, die durch spezifische genetische Veränderungen, meist Treibermutationen, gekennzeichnet sind. Gegen einige der betroffenen Proteine sind bereits sehr wirksame Medikamente im Einsatz (EGFR, ALK, ROS1), bei anderen wird daran gearbeitet. 

MET-Inhibitoren bei Exon-14-Deletion

So wiesen zum Beispiel 3–4% der NSCLC-Erkrankungen eine Deletion in Exon 14 des MET-Gens auf, das für den Rezeptor für Hepatozyten-Wachstumsfaktor (HGF) kodiert. MET wird durch den ALK-Inhibitor Crizotinib gehemmt, aber mittlerweile wurden spezifischere MET-Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) entwickelt. Zu zwei von ihnen wurden in Chicago frühe klinische Daten präsentiert:

  • Jürgen Wolf, Köln, stellte erste Daten der Phase-II-Studie GEOMETRY mono-1 vor, in der 97 Patienten mit fortgeschrittenem MET-mutiertem NSCLC den MET-Inhibitor Capmatinib erhielten [8]. Die Ansprechrate lag in einer Kohorte mit mehrfach vorbehandelten Patienten bei 40,6%, bei therapienaiven Patienten hingegen bei beachtlichen 67,9%. Ebenfalls bemerkenswert war die Dauer des Ansprechens, die bei 9,72 bzw. 11,14 Monaten lag, und das progressionsfreie Überleben mit 5,42 bzw. 9,69 Monaten. 
  • Als ein weiterer MET-Inhibitor wurde Tepotinib in einer ähnlichen Phase-II-Studie getestet [9]. Auch hier wurden Ansprechraten gefunden, die in Abhängigkeit von der Therapielinie zwischen 33,3% und über 90% variierten. Die Dauer des Ansprechens betrug bis zu 17 Monate.

Das Sicherheitsprofil beider Substanzen war gut, und in beiden Fällen ist die Weiterentwicklung in randomisierten Studien geplant.

Woher kommen Resistenzen gegen MET-Inhibitoren?

In einer Analyse von 74 Patienten, die am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York mit MET-TKI – am häufigsten mit Crizotinib – behandelt wurden, fahndeten Robin Guo und Kollegen nach Resistenzmechanismen, die das Ansprechen auf diese Substanzen begrenzen könnten [10]. Sie fanden zum einen eine positive Korrelation der MET-Expression im Tumorgewebe mit Ansprechraten und progressionsfreiem Überleben, zum anderen war eine Aktivierung des RAS-Signalwegs mit schlechteren therapeutischen Ergebnissen assoziiert. Ein weiterer neuer Resistenzmechanismus ist eine Amplifikation des HGF-Gens und damit eine Überexpression des Wachstumsfaktors. Bei weniger als einem Viertel der Patienten war eine Mutation im MET-Gen für die Resistenz verantwortlich. Eine der wichtigsten Folgerungen aus dieser Studie ist, so Guo, dass man in Studien zur MET-Inhibition auch die MET-Protein-Titer im Tumor bestimmen sollte, weil sie durch die Veränderungen im Exon 14 beeinflusst werden können und die Wirksamkeit der Substanzen stark beeinflussen.

EGFR-Exon-20-Insertionen

Insertionen in Exon 20 des EGFR-Gens stellen etwa 4–12% aller EGFR-Mutationen beim NSCLC dar. Diese Tumoren sind refraktär gegenüber 

EGFR-TKI der ersten und zweiten Generation, sprechen aber offenbar auf den Drittgenerations-Inhibitor Osimertinib an [11]. Am Dana Faber Cancer Institute in Boston wurde ein neuer dualer Inhibitor von EGFR und HER2 unter anderem an 26 Patienten mit Exon-20-Insertionen getestet, und mit einer Ansprechrate von über 50% als vielversprechend eingestuft [12]. 

Antikörper gegen EGFR und MET

EGFR-Mutationen, die Resistenzen selbst gegen Drittgenerations-TKI vermitteln, stellen ein besonderes Problem dar. In einer Phase-I-Studie untersuchten Eric Haura, Tampa, und Kollegen einen neuartigen, bispezifischen Antikörper, der die Bindung der jeweiligen Liganden an EGFR und den MET-Rezeptor blockiert, den Abbau dieser Rezeptoren begünstigt und eine Antikörper-abhängige zelluläre Toxizität stimuliert [13]. Von 116 mit dem Antikörper behandelten Patienten hatten 47 zuvor bereits einen Drittgenerations-EGFR-TKI erhalten; zehn von ihnen sprachen auf den Antikörper mit einer partiellen Remission an, darunter vier mit einer C797S-Mutation, einer mit cMET-Amplifikation und fünf ohne eine nachweisbare EGFR- oder MET-abhängige Resistenz. Unter den ansprechenden Patienten waren außerdem sechs von 20 mit einer Exon-20-Insertion.

Immuntoxin bei TKI-Resistenz

Antikörper-Toxin-Konjugate, die bei mehreren onkologischen Indikationen bereits in der Klinik angewendet werden, scheinen nun auch in der Thoraxonkologie anzukommen: Ein solches Präparat, dessen Antikörper-Komponente an den HER3-Rezeptor bindet, wurde in einer Phase-I-Studie bei bislang 15 Patienten mit NSCLC, EGFR-Mutationen und Resistenz gegenüber allen verfügbaren EGFR-TKI getestet [14]; 14 der Patienten hatten bereits Osimertinib erhalten. Alle daraufhin untersuchten Tumoren zeigten eine Expression von HER3, und von 13 auswertbaren Patienten zeigten zwölf eine Abnahme der Tumorgröße, die allerdings bisher nur in zwei Fällen die RECIST-Kriterien für eine partielle Remission erfüllte (Reduktion des Tumordurchmessers um 44% bzw. 67%). Vor allem die HER3-Expression soll nun als möglicher prädiktiver Biomarker weiter untersucht werden.

RET-Fusionen

Bis zu 2% der NSCLC weisen Fusionen auf, an denen das RET-Onkogen beteiligt ist, aber bisher gab es keine selektiven RET-Inhibitoren. Mit der Sub­stanz BLU-667 befindet sich nun ein sehr potenter und selektiver Hemmstoff in der klinischen Entwicklung. Aus der globalen ARROW-Studie präsentierte Justin Gainor, Boston, in Chicago aktualisierte Resultate [15]: Von 57 auswertbaren Patienten sprachen 32 (56%) mit einer partiellen Remission an, die Krankheitskontrollrate (einschließlich Stabilisierungen) lag bei 91%. 29 der Patienten waren zum Zeitpunkt der Auswertung noch in Remission, davon sechs seit mindestens sechs Monaten. Das Ansprechen war unabhängig von allen vorangegangenen Therapien oder vom Typ der RET-Fusion. Wichtig beim NSCLC: Auch bei Hirnmetastasen zeigt der Inhibitor Aktivität. Derzeit rekrutiert die Studie für eine Expansionsphase, deren Ziel eine Zulassung der Substanz ist.

ROS1-Translokationen

Ebenfalls etwa 1–2% aller NSCLC weisen als Treibermutation Rearrangements auf, die das ROS1-Gen involvieren. Das einzige in dieser Indikation zugelassene Medikament ist der Erstgenerations-ALK-Inhibitor Crizotinib; die Behandlung führt häufig zu Resistenzentwicklung, die meist durch die G2032R-Punktmutation verursacht ist. Besonders aktiv bei dieser Mutante ist der neu entwickelte ROS1/TRKA-C/ALK-Inhibitor Repotrectinib, der in der koreanisch-US-amerikanischen Phase-I-Studie 

TRIDENT-1 bei bisher 75 Patienten mit ROS1/TRK/ALK-mutiertem NSCLC getestet wurde [16]. Von zehn TKI-naiven Patienten, so Byoung Chul Cho, Seoul, sprachen neun auf Repotrectinib an, wobei die mediane Dauer der Remissionen noch nicht erreicht ist. Bei 18 mit TKI vorbehandelten Patienten lag die Ansprechrate bei 28%, mit einer medianen Dauer von 10,2 Monaten. Das Ansprechen war dosisabhängig, und ZNS-Metastasen verkleinerten sich bei allen drei behandelten TKI-naiven und bei der Hälfte der TKI-vorbehandelten Patienten. Derzeit wird die Phase-I-Studie komplettiert und eine Phase-II-Studie geplant, so Cho.