Akute Leukämien: IDH1/2-Inhibitoren, BCL2-Inhibition, Prognosefaktoren für die CAR-T-Zell-Therapie
ASCO/EHA 2018
Bei den akuten Leukämien ist in den letzten Jahren therapeutisch vieles in Bewegung gekommen. So hat die immer feinere molekulare Zergliederung der akuten myeloischen Leukämie Diagnostik und Therapie zwar viel komplizierter gemacht, aber durch die Identifizierung von Treibermutationen auch vielversprechende Zielstrukturen für die Entwicklung neuer Therapeutika gebracht. Zwei Beispiele dafür wurden bei den Jahrestagungen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago und der European Hematology Association (EHA) in Stockholm präsentiert. Außerdem zeigt sich zunehmend deutlicher, worauf man bei der Anwendung der neuen CAR-T-Zell-Therapien achten muss: Die Charakterisierung von Risikofaktoren dieser Patienten macht Fortschritte.
Schlüsselwörter: Akute myeloische Leukämie, akute lymphoblastische Leukämie, IDH-Inhibitoren, BCL2-Inhibitoren, CAR-T-Zellen
Akute myeloische Leukämie
Vielversprechend: Hemmung von mutierten IDH-Enzymen
Mutationen in den Genen für die Enzyme Isocitrat-Dehydrase 1 und 2 (IDH1 bzw. 2) sind Treiberalterationen, die bei rund 20% aller Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) hinter dem bösartigen Wachstum stehen und mit zunehmendem Alter häufiger gefunden werden. Sie führen zur Akkumulation des onkogenen Metaboliten 2-Hydroxy-Glutarat, das epigenetische Veränderungen und eine Störung der zellulären Differenzierung verursachen kann. Die mutierten Enzyme stellen daher eine potenzielle molekulare Zielstruktur für therapeutische Interventionen bei dieser Erkrankung dar. Zurzeit sind mehrere Inhibitoren der beiden IDH-Enzyme in der klinischen Erprobung; in Chicago ebenso wie in Stockholm wurden mehrere Studien dazu präsentiert:
Mutiertes IDH1 wird durch den Inhibitor Ivosidenib (auch als AG-120 bekannt) gehemmt, mit dem in einer Phase-I-Studie 258 Patienten mit verschiedenen hämatologischen Erkrankungen behandelt wurden. Wie Daniel Pollyea, Aurora, Texas, berichtete [1, 2], erzielten von 179 Patienten mit rezidivierter oder refraktärer, IDH1-mutierter AML 24% eine komplette Remission und weitere 7,8% eine Komplettremission mit nur teilweiser hämatologischer Normalisierung. Die Summe beider Werte von 31,8% entsprach dem primären Endpunkt, und die mediane Dauer dieser Remissionen lag bei 8,2 Monaten, während es für die vollständigen Komplettremissionen 10,1 Monate waren. Das mediane Überleben lag für diese Patienten mit Komplettremission mit oder ohne vollständige Erholung der Hämatopoese bei 18,8 Monaten und war damit doppelt so lang wie bei den übrigen Patienten (9,2 Monate). Bei etwa einem Viertel der Patienten mit kompletter Remission und vollständiger hämatologischer Erholung war kein mutiertes IDH1 mehr im Knochenmark nachweisbar; diese Patienten hatten mit Abstand die besten Überlebenschancen. Ein IDH-Differenzierungssyndrom wurde bei 10,6% der Patienten registriert, davon bei 5% vom Grad 3 oder höher.
Die Studie wurde parallel zum ASCO-Vortrag voll publiziert [3]. Derzeit läuft eine Reihe von weiterführenden Studien: So wird Ivosidenib in Phase-I-Studien mit Azacitidin oder mit einer Standard-Induktions- und Konsolidierungstherapie kombiniert. Die Phase-III-Studie AGILE hingegen geht bereits in die Erstlinie und überprüft bei Patienten mit neu diagnostizierter, IDH1-mutierter AML die Kombination aus Ivosidenib und Azacitidin gegen eine Azacitidin-Monotherapie.
In einer Phase-I/II-Studie, die ebenfalls von Pollyea vorgestellt wurde, hatten von 345 älteren Patienten mit IDH2-mutierter AML, die den IDH2-Inhibitor Enasidenib erhielten, 39 vorher noch keine Therapie ihrer Erkrankung bekommen [4]. Die Ansprechrate betrug hier 30,8%, wobei 5% lediglich in einem morphologisch leukämiefreien Zustand nach den modifizierten IWG-Responsekriterien von 2003 waren. Immerhin sieben der 39 Patienten (18%) erzielten eine Komplettremission; für sie ist bei der Dauer des Ansprechens der Medianwert noch nicht erreicht.
Auch dieser Inhibitor führt also bei diesen älteren Patienten, die für eine allogene Stammzelltransplantation nicht infrage kommen, in knapp einem Drittel der Fälle zu einer Remission. Er wird derzeit in einer ähnlichen Population im Beat AML Master Trial [5] getestet.
Darüber hinaus werden in einer gemischten Population von Patienten mit AML und IDH1- und IDH2-Mutationen beide Inhibitoren in Kombination mit Azacitidin geprüft [6]. Die Ansprechraten sind ermutigend, so Courtney DiNardo, Houston: Acht von elf Patienten sprachen im Ivosidenib-Arm an, vier von sechs im Enasidenib-Arm, und die Verträglichkeit war gut. Die Rekrutierung in der Phase II dieser Phase-Ib/II-Studie wird fortgesetzt, und außerdem wird Ivosidenib in der Phase-III-Studie AGILE in Kombination mit Azacitidin getestet [7].
Venetoclax: auch bei älteren AML-Patienten eine gute Option?
Venetoclax ist ein Inhibitor des BCL-2-Proteins, das Tumorzellen vor der Apoptose schätzt. Bei der chronischen lymphatischen Leukämie gehört das Medikament bereits zum festen therapeutischen Repertoire, aber auch bei einer Reihe anderer hämatologischer Malignome wie beispielsweise der AML hat es bereits erste Beweise für seine Wirksamkeit geliefert. Da es präklinisch unter anderem synergistische Aktivität in Kombination mit hypomethylierenden Substanzen gezeigt hat, wurde Venetoclax in einer Phase-Ib-Studie bei älteren Patienten, für die diese Medikamente eine Option darstellen, mit Azacitidin oder Decitabin kombiniert [8].
Von den 145 Patienten im Alter von median 74 Jahren erzielten zwei Drittel eine komplette Remission mit oder ohne vollständige hämatologische Erholung, die im Median beinahe ein Jahr andauerte; das mediane Gesamtüberleben lag bei 17,5 Monaten (Tab. 1). 37% der Patienten mit Komplettremission hatten eine minimale Resterkrankung (MRD) unter einem Niveau von 10-3. Höhere Dosen von Venetoclax als die auch bei der CLL gegebenen 400 mg/d scheinen die Wirksamkeit nicht zu verbessern, sodass sie bei diesen Kombinationsregimes das optimale Dosierungsregime zu sein scheint, so DiNardo.

In einer weiteren Phase-Ib-Studie wurde Venetoclax bei 37 fitten älteren Patienten (median 71 Jahre) mit einer Standard-Chemotherapie (5 + 2) kombiniert. Bei einer Dosierung von 600 mg/d Venetoclax ist die maximal tolerierte Dosis noch nicht erreicht, so Andrew Wei, Melbourne [9]. Die Rate an Komplettremissionen mit oder ohne vollständige Erholung der Hämatopoese lag bei immerhin 71% (25 von 35 auswertbaren Patienten, die mediane Nachbeobachtungszeit für die überlebenden Patienten bei 9,2 Monaten.
Akute lymphoblastische Leukämie
Prognostische und prädiktive Faktoren für die CAR-T-Zell-Therapie
Bei den CAR-T-Zellen werden, nachdem mittlerweile zwei Präparate zugelassen sind und weitere in den Startlöchern stehen, nun Feinanalysen der Studien durchgeführt, um prognostische oder womöglich sogar prädiktive Faktoren zu identifizieren, mit denen sich Ansprechen und Überlebenschancen der Patienten vorhersagen lassen.
Kevin Hay vom Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle berichtete, dass die Expansion der genmanipulierten T-Zellen im Körper des Patienten eine hochgradige Assoziation mit der Entwicklung einer MRD-negativen kompletten Remission zeigt [10]. Bei diesen MRD-negativen Patienten wiederum zeigte eine multivariate Analyse, dass niedrige LDH-Werte und höhere Thrombozytenzahlen vor der mit Cyclophosphamid und Fludarabin vorgenommenen Lymphodepletion mit einem längeren krankheitsfreien Überleben einhergehen. Und es scheint, so Hay, als ob sowohl die Patienten mit niedrigem als auch die mit hohem Risiko anhand dieses multivariaten Modells von einer anschließenden allogenen Stammzelltransplantation profitieren würden.
In der ZUMA-3-Studie hatten mit einem anderen CAR-T-Zell-Präparat 71% der Patienten eine Komplettremission mit oder ohne vollständige hämatologische Erholung erzielt. Von den 19 behandelten Patienten hatten elf vorher wegen ihrer anders nicht zu kontrollierenden Blasten den bispezifischen T-Zell-Engager-Antikörper Blinatumomab erhalten, so Bijal Shah, Tampa, Florida. Diese Patienten hatten im Vergleich zu den anderen einen schlechteren Performancestatus und waren doppelt so häufig nach einer Therapie mindestens in der Zweitlinie rezidiviert oder refraktär geworden. Mindestens acht Wochen nach Infusion der CAR-T-Zellen wiesen 63% von ihnen eine Komplettremission auf, von den nicht mit Blinatumomab vorbehandelten Patienten waren es 75%.
Die beiden Subgruppen unterschieden sich nicht, was die Häufigkeit eines Zytokin-Sturms anging, aber die mit Blinatumomab vorbehandelten Patienten entwickelten deutlich seltener neurologische Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher (36% vs. 61%). Zusammensetzung und Entwicklung der CAR-T-Zellen unterschieden sich nicht zwischen beiden Gruppen. Man braucht also offenbar keine Sorge zu haben, so Shah, dass diese Therapie durch eine Blinatumomab-Behandlung negativ beeinflusst werden könnte. Die Neurotoxizität, die nach der Gabe von CAR-T-Zellen teilweise erhebliche Ausmaße annehmen kann, wurde in einer weiteren Analyse unter die Lupe genommen, die Eric Olson, Seattle, vorstellte. Genexpressionsanalysen wurden an Blutproben vorgenommen, die man vor der Apherese zur Gewinnung der patienteneigenen T-Zellen abgenommen hatte. Dabei zeigte sich ein interessanter Zusammenhang: Patienten mit niedrigem Risiko für neurotoxische Reaktionen zeigten eine starke Expression von Genen, die man auch bei Philadelphia-Chromosom-positiven (Ph+) und Ph-ähnlichen Subtypen der ALL nachweisen kann. Dagegen deckte sich das Expressionsmuster von Patienten mit schwerer Neurotoxizität mit dem, das bei ALL-Erkrankungen gefunden wird, die nichts mit dem Philadelphia-Chromosom zu tun haben. Diese Ergebnisse konnten in drei weiteren Studien mit CAR-T-Zellen bei ALL-Patienten bestätigt werden. Außerdem waren hohe Plasmakonzentrationen des Chemokins CCL17, gemessen vor der Infusion der CAR-T-Zellen, mit einem geringen Neurotoxizitätsrisiko verbunden, so Olson.
Sollte sich diese exploratorische Analyse in weiteren Untersuchungen bestätigen lassen, so könnte sich daraus eine Risikostratifizierung ergeben, die eine vorausschauende Betreuung von Patienten ermöglicht, die ein hohes Risiko für neurologische Reaktionen nach der Gabe der lebensrettenden CAR-T-Zellen haben.