Determinanten der coronabezogenen Schutzbereitschaft bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland

DOI: https://doi.org/10.47184/ti.2021.04.05

Insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurde bereits 2020 eine zunehmende Pandemiemüdigkeit beobachtet, die sich in einer geringeren Motivation äußerte, empfohlene Maßnahmen zum Schutz vor COVID-19 einzuhalten. Eine theorie- und evidenzbasierte Kommunikationsstrategie ist daher unerlässlich, um die Schutzbereitschaft effektiv zu steigern. Entsprechend wurde zunächst ein theoretisches Modell zur Erklärung des Schutzverhaltens junger Menschen entwickelt und dieses in zwei aufeinander aufbauenden Befragungsstudien empirisch geprüft, um auf dieser Basis verhaltenswirksame Botschaftsinhalte und geeignete Kommunikationskanäle zu identifizieren. Der vorliegende Beitrag stellt zunächst die theoretische Basis vor, um anschließend die empirischen Befunde zu skizzieren und daraus Handlungsempfehlungen für eine Kommunikationsstrategie abzuleiten.

Schlüsselwörter: COVID-19, Kommunikationsstrategie, Verhaltensdeterminanten, Theorie des geplanten Verhaltens, Risikowahrnehmung

Trendstudien zum Schutzverhalten der Bevölkerung seit Beginn der Pandemie zeigen [1, 2], dass sich vor allem in Phasen der Lockerung regulatorischer Maßnahmen wiederholt eine gewisse „Pandemiemüdigkeit“ feststellen lässt. Diese äußert sich in einer vergleichsweise niedrigen Motivation, empfohlene Schutzmaßnahmen einzuhalten. Jüngere Menschen unter 30 Jahren waren davon Ende 2020 besonders betroffen und verhielten sich insgesamt riskanter als ältere [3, 4]. Dies könnte vor allem zwei Ursachen haben: Zum einen zeigte sich, dass die Risikowahrnehmung in Bezug auf eine COVID-19-Infektion bei Jüngeren geringer war als bei Älteren [4–6] und dass diese mit der Pandemiemüdigkeit korreliert [7]. Zum anderen könnte die mangelnde Einhaltung der Schutzmaßnahmen auch damit erklärt werden, dass Verhaltensempfehlungen wie Kontaktbeschränkungen gerade den Alltag junger Menschen konterkarieren [5]. Inwieweit diese Ursachen die mangelnde Einhaltung von Schutzmaßnahmen bei jüngeren Menschen tatsächlich erklären, galt es zu klären, um auf dieser Grundlage adäquate Botschaften zur COVID-19-Kommunikation an Jugendliche und junge Erwachsene zu identifizieren.

Hintergrund

Grundsätzlich hängt die Wirksamkeit von Kommunikationsmaßnahmen von zahlreichen Faktoren und Rahmenbedingungen ab. Einen entscheidenden Bestandteil der Entwicklung einer Kommunikationsstrategie bildet die theorie- und evidenzbasierte Fundierung. Hierdurch lässt sich die Wahrscheinlichkeit deutlich steigern, dass Kommunikationsmaßnahmen effektiv und effizient zugleich sind [8, 9]. Wichtig sind dabei vor allem Theorien und Erkenntnisse zur Erklärung von Gesundheitsverhalten, zur Wirkung von Botschaftsmerkmalen und Appellformen sowie zur Nutzung und Wirkung unterschiedlicher Kommunikationskanäle. 
Um effektive Botschaften für die Zielgruppe junger Menschen in Deutschland identifizieren zu können, sind zunächst Erkenntnisse zu den verhaltenswirksamen Determinanten des coronabezogenen Schutzverhaltens in dieser Zielgruppe wichtig. Die Gesundheitspsychologie hat zahlreiche Ansätze zur Erklärung von Verhalten hervorgebracht. Wenn es darum geht, herauszufinden, welche Determinanten für die Ausübung eines Gesundheitsverhaltens entscheidend sind, eignet sich die Theory of Planned Behavior (TPB) [10, 11] besonders gut, da sie nicht nur erfasst, welche Faktoren ein Verhalten beeinflussen (Verhaltensintention, Einstellung, subjektive Norm, wahrgenommene Verhaltenskontrolle), sondern auch, welche Vorstellungen diesen Faktoren zugrunde liegen – etwa die Vorstellung davon, welche Konsequenzen ein Verhalten hat oder welche Faktoren die Ausübung des Verhaltens erleichtern oder erschweren. Da diese Vorstellungen themen- und zielgruppenabhängig stark variieren, werden sie idealerweise offen ermittelt (Forschungsfrage 1, Studie 1). 
Zahlreiche Studien, darunter auch Metaanalysen, setzten sich in den vergangenen Jahrzehnten mit der durch die TPB postulierten Erklärung von Verhalten auseinander und bestätigten sie [11]. Auch im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie wurde die Theorie belegt [12–15]. Erste Studien im COVID-19-Kontext [13, 15] legen zudem nahe, die TPB mit risikobezogenen Modellen zu verknüpfen, z. B. mit der Protection Motivation Theory [16] oder dem Health Belief Model [17]. Auch zeigte sich, dass das wahrgenommene Wissen über COVID-19 einen Einfluss auf das Schutzverhalten hat [13]. Auf Basis dieser Befunde wurde ein Modell entwickelt, das die TPB um risikobezogene Konstrukte und coronabezogenes Wissen erweitert (vgl. Abb. 1). 

Die Anwendungslogik des Modells in der Kampagnenplanung besteht darin, diejenigen Determinanten zu identifizieren, die in der anvisierten Zielgruppe für das Verhalten bzw. die Verhaltensintention relevant sind und daraus Kampagnenbotschaften abzuleiten. Dies hat sich bereits in zahlreichen Studien bewährt [18].
Neben den Botschaftsinhalten gilt es auch, die Erreichbarkeit der Zielgruppe in den Blick zu nehmen. Üblicherweise werden Gesundheitskampagnen über massenmediale Kanäle verbreitet und durch zusätzliche Werbematerialien und interaktive Technologien flankiert. Für die Auswahl geeigneter Kommunikationskanäle sind eine Reihe von Merkmalen entscheidend [10], wobei die Reichweite eines Mediums im Vordergrund steht. Aufgrund der hohen Reichweite digitaler, insbesondere sozialer Medien bei jüngeren Zielgruppen bietet es sich an, für die coronabezogene Kommunikation an diese Zielgruppe vor allem auf digitale Kanäle zu bauen. Welche konkreten Medienangebote hier besonders geeignet sind, wurde im Rahmen der vorliegenden Studie ebenfalls empirisch betrachtet. 
Aus den dargestellten Aspekten leiten sich folgende Forschungsfragen ab: 

  • FF1:     Welche Verhaltenskonsequenzen, Bezugspersonen/-gruppen sowie erleichternde und erschwerende Faktoren nehmen junge Menschen in Deutschland im Zusammenhang mit Corona-Schutzmaßnahmen wahr?
  • FF2:     Welche Verhaltensdeterminanten und verhaltensbezogenen Vorstellungen beeinflussen die Intention, coronabezogene Schutzmaßnahmen einzuhalten, am stärksten?
  • FF3:     Wie lässt sich die Zielgruppe Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland im Hinblick auf ihre Mediennutzung beschreiben?

Methode

Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage wurde vom 01. bis 06.12.2020 eine teilstandardisierte Online-Befragung von N = 88 Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 14 bis 29 Jahren durchgeführt. Die offenen Fragen bezogen sich auf das Tragen einer Maske, geltende Kontaktbeschränkungen sowie die Vermeidung stark frequentierter Orte. Die Antworten der Teilnehmenden wurden verdichtet und den Kategorien wahrgenommene Konsequenzen (Vor- und Nachteile des Einhaltens der Maßnahmen), Normvorstellungen (relevante Bezugsgruppen) und Kontrollvorstellungen (erleichternde und erschwerende Faktoren) zugeordnet. Die so ermittelten Vorstellungen wurden anschließend in das Messinstrument der Hauptstudie integriert. Diese bestand in einer standardisierten Online-Befragung von 14- bis 29-Jährigen (N = 984, nach Alter, Geschlecht und Bildung geschichtete Stichprobe). Die Rekrutierung und Datenerhebung erfolgte über den Access-Panel­anbieter Gapfish GmbH und fand zwischen dem 21. und 30.12.2020 statt. Folgende TPB-Konstrukte wurden erfasst: Intention für Schutzverhalten, wahrgenommene Verhaltenskonsequenzen, relevante Bezugsgruppen, Kontrollvorstellungen, Einstellung zum Verhalten, wahrgenommene Verhaltenskontrolle, subjektive Norm [10]. Darüber hinaus wurden Risikowahrnehmung (Wahrscheinlichkeit und Schweregrad), Wissen (elf Wissensitems), Mediennutzung und sozio­demographische Merkmale erhoben.

Ergebnisse

Das theoretische Modell zur Ermittlung der Determinanten des Schutzverhaltens wurde mit Strukturgleichungsanalysen (SEM) nach dem Partial Least Square-Ansatz (PLS) mit SmartPLS 3 geprüft. Es zeigte sich, dass die Modelldeterminanten 20.4 % der Verhaltensintention in der Gesamtstichprobe erklärten (R2adj = .204, p < .001). Nahezu alle postulierten Einflüsse bestätigten sich, wobei Wissen, instrumentelle Einstellung und Risikowahrnehmung die wichtigsten Einflussfaktoren der Intention waren, sich an die Maßnahmen zu halten (vgl. Abb. 2).

Im zweiten Schritt wurden mit Regressionsanalysen die Vorstellungen identifiziert, die die drei zentralen Einflussfaktoren Wissen, Risikowahrnehmung und instrumentelle Einstellung am stärksten bedingten. In Bezug auf das Wissen (N = 982; R2 = .256) zeigte sich, dass die Annahme, eine Ansteckung mit dem Coronavirus sei „so gefährlich wie eine Grippe, nicht mehr und nicht weniger“, die instrumentelle Einstellung am besten erklärte (β = -.262, p < .001): Diejenigen, die dies glaubten, hielten die Schutzmaßnahmen für weniger nützlich. Da insgesamt 40 Prozent der Befragten dieser Aussage zustimmten, sollte diesem Falschwissen in Interventionen entgegengewirkt werden. Im Hinblick auf die Risikowahrnehmung zeigte sich, dass sowohl die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit (β = .066, p < .05) als auch die Schwere einer Ansteckung (β = .200, p < .001) die Intention signifikant beeinflussten (N = 983; R2 = .047). Der Einfluss des wahrgenommenen Schweregrades war jedoch deutlich stärker und verdeutlichte, dass junge Menschen eher dann bereit waren, sich an die Maßnahmen zu halten, wenn sie die Folgen einer eigenen Ansteckung mit dem Coronavirus für schwerwiegend hielten. Die Regression zum Einfluss des wahrgenommenen Nutzens der empfohlenen Maßnahmen auf die Intention (N = 982; R2 = .179) zeigte: Insbesondere die Vorstellung, dass man durch das Befolgen der Schutzmaßnahmen anderen vermitteln kann, dass man die Pandemie ernst nimmt (β = .219, p < .001), hatte einen positiven Einfluss auf die Intention. Bedeutsam waren auch die Vorstellungen, dass man sich selbst vor einer Ansteckung schützen (β = .159, p < .001) sowie Infektionsketten unterbrechen und das Virus eindämmen kann (β = .095, p < .05). Die Vorstellung, dass man durch das Einhalten der Maßnahmen andere Menschen schützen kann, hatte hingegen keinen Einfluss.
Um die Zielgruppe bestmöglich zu erreichen, wurde ihre Mediennutzung betrachtet. In Einklang mit bestehenden Mediennutzungsstudien [19] zeigten die Daten, dass junge Menschen insbesondere das Internet (M = 4.84, SD = 0.55) und Social Media nutzen (M = 4.79, SD = 0.67). Im Internet greifen die Befragten vor allem auf Suchmaschinen (M = 4.3, SD = 1.07), Online-Videoplattformen (M = 4.19, SD = 1.17) sowie Musik- (M = 3.89, SD = 1.42) und Video-Streaming-Dienste zurück (M = 3.79, SD = 1.37). Die am häufigsten genutzten Social-Media-Plattformen sind Messenger-Dienste (M = 4.75, SD = 0.78), Instagram (M = 4.32, SD = 1.34) und YouTube (M = 4.21, SD = 1.14).

Fazit

Aus den Befunden lässt sich ableiten, dass die Kommunikation an junge Zielgruppen darauf ausgerichtet sein sollte, so über das Coronavirus und die damit verbundenen Risiken und Handlungsmöglichkeiten zu informieren, dass das Risiko, insbesondere der potenzielle Schweregrad, einer Erkrankung deutlich wird. Auf diese Weise kann auch das Falschwissen bezüglich der Harmlosigkeit des Virus korrigiert und Wissen über die Effektivität von Schutzmaßnahmen verbessert werden. Zudem sollte betont werden, dass sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch die Einhaltung der Verhaltensregeln selbst schützen und dadurch zeigen können, dass sie die Pandemie ernst nehmen und zu ihrer Eindämmung beitragen. 
Diese Botschaften sollten insbesondere über digitale Medien, vor allem Online-Videoplattformen, Streaming-Dienste und Social Media verbreitet werden. Bei Letzteren stehen Messenger-Dienste, Instagram und YouTube an oberster Stelle. Aufgrund der hohen Relevanz von Messenger-Diensten und Social-Media-Seiten empfiehlt es sich, auf Angebote zu setzen, die die Interaktivität steigern und zum Teilen anregen (etwa durch Hashtags, Badges und selbst erstellbare Videos), sowie Videos und Textbotschaften zu kombinieren. Aufgrund der hohen Relevanz von Suchmaschinen ist darauf zu achten, zielgruppenspezifische Inhalte weiterhin auf solchen Seiten zu verbreiten, die im Kontext coronaspezifischer Informationen bereits zu den präsentesten Treffern gehören (Webseiten des Bundesministeriums für Gesundheit, https://gesund.bund.de und www.zusammengegencorona.de, der BZgA, https://www.infektionsschutz.de und des Robert Koch-Instituts, www.rki.de). 
Neben der Identifikation geeigneter Kanäle und Botschaftsinhalte sollte auch die Darstellung der Botschaft und Auswahl von Appellformen evidenzbasiert erfolgen. Hierzu lassen sich aus der Literatur einige Hinweise ableiten [für eine ausführliche Darstellung auf Basis einer systematischen Literaturrecherche siehe 20]. So ist bei jungen Zielgruppen eine Kombination aus sachlichen Informationen, Furchtappellen/Verlust-Frames und selbstwirksamkeitssteigernden Handlungsempfehlungen sowie die Verwen-dung von Narrativen empfehlenswert – idealerweise kombiniert mit der Möglichkeit, die eigene Geschichte (in Video- oder Textform) zu erzählen. Dies kann auch dazu genutzt werden, dass Inhalte auf Social-Media-Kanälen und über Messenger-Dienste geteilt werden. Von Humor­appellen wird aufgrund der Gefahr von Glaubwürdigkeitsverlusten und Negativbewertungen abgeraten.

Hinweis

Das dieser Publikation zugrunde liegende Projekt wurde von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Auftrag gegeben und finanziert.
 

Autoren
Prof. Dr. Constanze Rossmann
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung
Dr. Anne Reinhardt
Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft
Universität Wien
Winja Weber, M. A.
Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft
Universität Erfurt
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