DGfI-Jahrestagungen – ein Auslaufmodell oder eine notwendige Onsite-Plattform für Immunologinnen und Immunologen?

Viele von uns erinnern sich sicherlich an ihr erstes Meeting, an die erste Konferenz, an der man als junge Wissen-schaftler:innen teilnehmen durfte. Man konnte zum ersten Mal seine Daten einem größeren Publikum vorstellen, hat einige der „Großen“, die man sonst nur von ihren Publikationen kannte, zum ersten Mal live erlebt. Womöglich hatte man noch die Möglichkeit, eine bekannte Wissenschaftsgröße persönlich beim „meet the speakers lunch“ oder einer ähnlichen Veranstaltung zu treffen. Viel wichtiger war aber auch, dass man andere junge Wissenschaftler:innen getroffen hat, die sich mit einem ähnlichen Thema wie man selbst beschäftigt haben. Hier haben sich oft wichtige Bekanntschaften ergeben, die nicht nur dem eigenen Projekt hilfreich sein konnten oder die zu neuen Kollaborationen angeregt haben, sondern die nicht selten auch zu langen Freundschaften geführt haben. Und nicht zuletzt hat man eine neue Stadt oder gar ein neues Land mit all ihren Besonderheiten kennengelernt. So war es zumindest, wenn man seine erste Konferenz vor der Corona-Pandemie besucht hat.
Wie viele andere Dinge hat die Corona-Pandemie auch die Art und Weise verändert, wie Konferenzen abgehalten werden. Persönliche Treffen waren in den letzten 20 Monaten kaum möglich. Am Anfang der Pandemie mussten daher kurzfristig viele geplante Meetings entweder abgesagt werden oder konnten nur virtuell stattfinden. Fast alle haben sicherlich Erfahrungen mit den teils chaotischen Abläufen der ersten Online-Konferenzen – instabile Internetverbindungen, Probleme beim Einwählen, abgehackte oder schlecht verständliche Videoübertragungen und viele andere „Kinderkrankheiten“. Das Tagungsprogramm wurde oft Eins-zu-Eins für die virtuelle Konferenz übernommen. Diese Zeiten sind nun zum Glück vorbei! Videokonferenzen sind stabiler geworden, Online-Plattformen für Konferenzen werden immer ausgefeilter und besser. Und während die ersten virtuellen Meetings eigentlich als Präsenzveranstaltungen geplant, dann aber kurzfristig als virtuelle Events abgehalten worden waren, sind die jetzigen Tagungen oft schon im Vorfeld als virtuelle Veranstaltungen geplant worden. 
Virtuelle Veranstaltungen haben einige Vorteile. Das wichtigste in Zeiten von Corona ist natürlich, dass keine persönlichen Kontakte stattfinden. Online-Meetings können unabhängig von lokalen Eindämmungsmaßnahmen und Hygienekonzepten abgehalten werden. Als Veranstalter spart man sich teure Raummieten, die besonders bei großen Veranstaltungen in Kongresszentren einen sehr großen Posten im Budget ausmachen können. Reise- und Hotelkosten für eingeladene Sprecher:innen entfallen. Catering, ein weiterer teurer Faktor, entfällt ebenfalls. Wenn das System stabil läuft, ist es fast egal, ob hundert, tausend oder gar mehrere zehntausend Personen an der Konferenz teilnehmen. Da alle Präsentationen digital vorliegen, ist es problemlos möglich, die Vorträge aufzuzeichnen und später als on-demand anzubieten. Ein Service, von dem nicht nur die ursprünglichen Teilnehmenden profitieren können, sondern mit dem man auch neue Zielgruppen ansprechen kann. Für die Teilnehmenden entfallen lange Anreisen und Kosten für die Unterkunft. Bei einem virtuellen Meeting können daher auch mal mehr Personen aus einem Labor teilnehmen. Man kann dem Meeting bequem von zu Hause oder dem Schreibtisch im Büro aus folgen.
Nur leider haben virtuelle Meetings auch einige Nachteile. Man benötigt zwar kein Tagungszentrum, stattdessen braucht man eine leistungsfähige Plattform, die stabil läuft und technische Möglichkeiten für Vorträge, Symposien, parallele Workshops, Posterdiskussionen und vieles weitere bietet. Die Kosten für solche Systeme sind nicht unerheblich. Das Tagungsprogramm kann nicht einfach von einer Präsenzveranstaltung übernommen werden. Man kann nicht erwarten, dass die Teilnehmenden acht Stunden oder länger vor dem Rechner sitzen. Daher muss das Format angepasst werden. Als wissenschaftlicher Veranstalter ist es daher genauso aufwändig, ein virtuelles Meeting zu organisieren wie eine Präsenzveranstaltung. Drei bis vier Stunden täglich, dafür die Tagung evtl. einen Tag länger machen. Zeitlich bietet sich für Veranstaltungen in Europa der Nachmittag an. Dann müssen Vortragende aus den USA nicht mitten in der Nacht einen Vortrag halten und Kolleg:innen aus Asien müssen nicht bis in die frühen Morgenstunden wach bleiben. Aber auch wenn Reisen und damit der Jetlag entfallen, muss man immer bedenken, dass bei einem internationalen Meeting für einige Teilnehmende immer Nacht ist. Natürlich können einige Vortragende ihre Vorträge auch vorher aufzeichnen. Aber bei solchen Videos hat man oft das Gefühl, dass die Spontanität auf der Strecke bleibt und die Vorträge sind manchmal weniger ansprechend. Generell hat das digitale Format der Vorträge auch einen bedeutenden Nachteil: Da jeder die Daten relativ einfach kopieren kann, zeigen viele Vortragende gerade bei großen internationalen Konferenzen kaum noch unveröffentlichte Daten. Und wenn ich nur Daten sehe, die ich sowieso spätestens in wenigen Wochen nachlesen kann, dann stellt sich die Frage nach dem Sinn eines solchen Meetings.
Ein noch viel größerer Nachteil sind die fehlenden Interaktionen. Für die Diskussion nach einem Online-Vortrag müssen die Fragen oft in den Chat geschrieben werden. Sie werden dann zwar vorgelesen, dabei gehen aber Feinheiten verloren und Nachfragen oder gar Diskussionen sind oft unmöglich. Nach einem Vortrag sind die Redner:innen bei Online-Veranstaltungen oft nicht mehr zu erreichen, die Diskussion bei der Kaffeepause entfällt. Die direkte Interaktion, das zufällige Treffen von Personen, der Small Talk vor und nach den Sessions, das Kennenlernen von jungen Wissenschaftler:innen bei der Posterdiskussion, die Gespräche beim Gesellschaftsabend – all diese Dinge fehlen bei den virtuellen Events, auch wenn es mittlerweile Formate und technische Möglichkeiten gibt, um einige dieser Dinge auch online abzubilden. Und jeder kennt wahrscheinlich die Situation: Eigentlich nimmt man an einem Online- Meeting teil und sitzt im Büro vor dem Rechner. Aber das Telefon klingelt und E-Mails kommen an. Das Mikrophon und die Kamera sind ja eh aus – da ist man schnell versucht, doch den wichtigen Anruf entgegenzunehmen oder die E-Mail zu beantworten. Und so ist man dann doch nicht wirklich auf dieser virtuellen Konferenz, sondern schaut sich neben der sonstigen Arbeit lediglich ein paar Online-Vorträge an.
Aber nicht nur der Kontakt unter den Teilnehmenden sind bei virtuellen Veranstaltungen schwierig. Auch Kontakte mit Firmen, die durch ihr Sponsoring wissenschaftliche Veranstaltungen erst wirtschaftlich möglich machen, werden erschwert. Bei Präsenzveranstaltungen finden Kaffeepausen und Posterdiskussionen oft in direkter räumlicher Nähe zur Industrieausstellung statt, sodass die Firmen den Teilnehmenden ihre Produkte und Dienstleistungen mit ihre Stand näherbringen können. Online kann man zwar eine virtuelle Ausstellung anbieten, durch die man sich auf dem Weg zu den Tagungsräumen „durchklicken“ muss, der Kontakt zu den Firmen geht aber oft verloren. Und ohne diesen Kontakt sind die Firmen auch weniger bereit, die Veranstaltung durch Sponsoring zu unterstützen. So hat man als virtuelle Konferenz zwar weniger Ausgaben, aber auch deutlich weniger Einnahmen, denn auch die Tagungsgebühren für Online-Veranstaltungen sind oft günstiger.
All diese Überlegungen hat sich die DGfI auch letztes Jahr machen müssen. Die gemeinsame Jahrestagung mit der ÖGAI (Österreichische Gesellschaft für Immunologie und Allergologie) 2020 in Hannover war natürlich ursprünglich als Präsenzveranstaltung geplant. Schnell wurde aber klar, dass ein persönliches Treffen von fast eintausend Personen an der Medizinischen Hochschule Hannover, einer Einrichtung mit Krankenversorgung, unmöglich war. Der Vorstand und Beirat haben sich aus den oben genannten Gründen dagegen ausgesprochen, die Tagung kurzfristig mit identischem Programm online abzuhalten. Die Tagung um ein Jahr zu verschieben war auch keine Option, da im Herbst 2021 der Europäische Kongress für Immunologie (ECI) stattfand. Letztlich hätte man noch eine reine Online-Tagung im Frühjahr 2021 abhalten können, aber auch das wäre nur eine minderwertige Alternative für unser jährliches „Treffen“ gewesen. Daher findet nun die gemeinsame Jahrestagung, die 51-ste der DGfI mit der 50-sten der ÖGAI, zwei Jahre später statt, nun vom 7.–10. September 2022 in Hannover – so zumindest die aktuelle Planung.
Der Vorstand und Beirat der DGfI haben sich klar für eine Präsenzveranstaltung ausgesprochen. Persönliche Kontakte sind für die Jahrestagung enorm wichtig und können nur unzureichend durch ein virtuelles Meeting abgebildet werden. Das soll aber nicht heißen, dass wir nicht auch einige digitale Elemente in die zukünftigen Jahrestagungen einbauen. Vortragende, die sonst auch nur für ihren Vortrag angereist und danach wieder abgereist wären, könnte man auch virtuell zuschalten. Das muss aber die absolute Ausnahme bleiben. Eventuell kann man auch die virtuelle Teilnahme an einigen Symposien ermöglichen, um Personen zu erreichen, die nicht für die ganze Tagung anreisen wollen oder können. Aber eine komplett hybride Veranstaltung ist zumindest für die nächsten Tagungen nicht vorgesehen, denn dies würde vom organisatorischen und finanziellen Aufwand bedeuten, dass man eine virtuelle UND eine Präsenzveranstaltung planen und durchführen muss. Kosten fallen dann sowohl für die Raummiete als auch für die Online-Plattform an. Und einige Nachteile der rein virtuellen Veranstaltung treffen auch auf hybride Treffen zu: Vortragende würden weniger unveröffentlichte Daten zeigen, Diskussionen würden erschwert und persönliche Treffen beschränkt. Natürlich möchte ich meinen Zoom-Account nicht missen. Für Projekt-Besprechungen mit Kollaborationspartnern oder Besprechungen in räumlich verteilten Teams ist dieses ein extrem nützliches Tool nicht missen. Aber bei der Jahrestagung 2022 freue ich mich auch ein persönliches Wiedersehen mit den DGfI-Mitgliedern in Hannover!

Autor
Prof. Dr. Carsten Watzl
Leibniz Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund – IfADo
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