Impfbereitschaft und Homöopathie – eine übersehene Korrelation?

DOI: https://doi.org/10.47184/ti.2021.04.04

Nicht erst in der vierten Welle der Corona-Pandemie stellt sich die Frage, wieso die Impfquote nicht höher ist – nach all der Aufklärung und all den Appellen der letzten Monate. Welche Ursachen hat die weitverbreitete und offenbar aufklärungsresistente Impf- ja Wissenschaftsskepsis? Wie wurde aus den extremen, aber vereinzelten Impfgegner-Gruppen die große Menge der allgemein Impfverunsicherten oder gar Impfverweigernden? Ich war ja auch mal Homöopathin – und deutlich impfkritischer eingestellt. Und ich bin aufgrund meiner Geschichte und der Erfahrungen, die ich in der „Alternativ-Szene“ gemacht habe, ziemlich sicher, dass eine der Ursachen in der jahrelangen falschen Toleranz gegenüber der Homöopathie liegt. Niemand kann so naiv sein zu glauben, es könne folgenlos bleiben, Menschen jahrelang Zuckerkügelchen als „Alternative“ zur Medizin anzupreisen und das Narrativ zu bedienen, Wissenschaft sei nicht das entscheidende Kriterium für Wirksamkeit. Nun aber erwarten wir, dass alle der Wissenschaft, der evidenzbasierten Medizin, vertrauen, die so oft landauf, landab als „Schulmedizin“, gern verkörpert als „böse Pharmaindus­trie“ gebrandmarkt wurde. Über Jahre hat man den Menschen, ja auch den Ärztinnen und Ärzten, weismachen wollen, dass das Bauchgefühl eine gute Alternative zu Evidenz sei – und nun wundert man sich, dass die Leute auch bei den neuen Impfstoffen auf das Bauchgefühl und nicht die Evidenz setzen? 
Gerade die Homöopathie, das Flaggschiff der Pseudomedizin, kann wegen ihrer Verbreitung und vor allem wegen ihres ungerechtfertigten Ansehens, das sie nach wie vor weithin genießt, den „Einstieg zum Ausstieg aus dem kritischen Denken“ immens befördern. Ein paar Globuli fürs Baby von der Hebamme können doch nicht schaden. Und muss die erste Impfung wirklich so früh sein? So fängt es doch an. Und wir haben das viel zu lange toleriert. Dabei stellt die Homöopathie zugleich Symptom und Ursache einer grundsätzlichen Verankerung von Irrationalität und Wissenschaftsskepsis in der Bevölkerung dar. Solange Menschen wirkungslose Zuckerkugeln als Medizin betrachten (dürfen), kann es nur schwerlich gelingen, Akzeptanz für wissenschaftliches Denken zu schaffen.
Dass die Neigung zur Homöopathie konkret mit einer geringeren Impfbereitschaft verbunden ist, weiß man schon recht lange. Erhebungen zum Impfverhalten homöopathischer Ärzt:innen belegten mehrfach, dass Homöopathen zwar nicht pauschal Impfgegner sind, dass sich das Impfverhalten unter den Mediziner:innen mit homöopathischer Ausrichtung aber deutlich von dem ihrer nicht homöopathisch tätigen Kolleg:innen unterscheidet. Schon 2004 fand eine Untersuchung [1], dass vor allem bei den Impfungen gegen die gängigen Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps oder Röteln von homöopathischen Ärzt:innen deutlich zurückhaltender geimpft wurde. Als Begründung wurde tatsächlich angeführt, man könne diese Krankheiten sehr gut homöopathisch behandeln (!). 
Eine Erhebung [2] im Jahre 2012 ergab, dass Kinderärzt:innen mit Zusatzbezeichnung Homöopathie Kinder häufig später impften als von der STIKO empfohlen. Nur 32 Prozent der befragten Homöopath:innen gab an, sich vollständig an die STIKO-Empfehlungen zu halten. Eine in England durchgeführte Umfrage [3] dokumentierte 2003 eine breite Ablehnung der Masern-Mumps-Röteln-Impfung unter homöopathischen Ärzt:innen (was teilweise auf die Auswirkungen der Wakefield-Lüge zurückzuführen sein dürfte, was aber auch nur zeigt, dass Anhänger von Pseudomedizin eher Fake News folgen).
Und wie sieht es mit der Haltung der Patientenschaft und insbesondere der Eltern aus, die für ihre Kinder in Impffragen entscheiden? Mit einem aufwändigen Setting wurde in einer erst kürzlich veröffentlichten Studie angestrebt [4], Aussagen über Korrelationen der Impfbereitschaft mit einem COVID-19-Impfstoff und dem Glauben an „Alternativmedizin“, speziell auch der Homöopathie, zu treffen. Ich finde das Ergebnis erschreckend: Die Bejahung von Homöopathie korreliert mit einer Rate von Impfbereitschaft unter Erwachsenen von nur rund 47 Prozent! Ganz offensichtlich befördert eine Neigung zu Homöopathie/Pseudomedizin neben einem grundsätzlichen Misstrauen gegen die „böse Schulmedizin“ auch eine falsche Risikoeinschätzung sowohl bei der Impfung als auch im Falle einer Erkrankung. Unmissverständlich zeigt das Fazit der Erhebung, dass fehlende Impfbereitschaft insbesondere bei Personen festzustellen ist, die „im Allgemeinen alternative Behandlungsverfahren bevorzugen“. 
Eine ergänzende Studie [5] zur Impfbereitschaft von Eltern förderte zutage, dass diejenigen, die viel von der Homöopathie hielten, zu 62,4 Prozent Impfungen ablehnten. „Bei der Mehrzahl der Eltern besteht bei gleichzeitigem Vertrauen in nicht evidenzbasierte Behandlungsmethoden Unsicherheit bezüglich der Risiken und Nebenwirkungen einer COVID-19-Impfung“, führten die Autor:innen im Fazit aus. In dieser Gruppe, insbesondere bei Müttern, waren erhebliche Risiko-Fehleinschätzungen und häufiger Glaube an Impf-Verschwörungstheorien zu beobachten. 
Diese empirischen Ergebnisse sind ein weiterer Beleg für die Richtigkeit der These, dass pseudomedizinische Versprechungen ihre Anhängerschaft immer weiter in eine wissenschaftsablehnende Haltung und auch in ein verzerrtes Risikowahrnehmen führen können. Und das hat man jahrelang toleriert und die Kritik daran belächelt. Wenn´s nicht hilft, so schadet´s nicht. Es schadet aber doch. Und den Preis dafür zahlen wir jetzt auch deshalb mit schlechten Impfquoten und einem Anhalten der Corona-Situation.
Ich mache dabei nicht den einzelnen Homöopathie-Anwendenden einen Vorwurf, denn letztlich sind die ja auch die Geschädigten, sondern der Politik. Homöopathie-Glaube mag reine Privatsache sein, aber die negativen Auswirkungen können der Gesundheitspolitik nicht gleichgültig sein. Es ist unter dem Motto „Lasst den Leuten doch ihre harmlosen Placebo-Globuli …“ viel zu lange verkannt worden, dass mit solchem Laissez-faire eine Wissenschaftsablehnung legitimiert, ja gefördert wird. Die Folgen führt uns nun die Pandemie drastisch vor Augen. Spätestens jetzt muss endlich die Neu­positionierung der Homöopathie außerhalb der Medizin erfolgen und eine klare Position gegen unwissenschaftliche Mittel und Methoden aller Art entschieden eingefordert werden. Heißt konkret für die Homöopathie (und Anthroposophie): Aberkennung des Status eines Arzneimittels, raus aus der Apothekenpflicht, raus aus der Kassenerstattung. 
Natürlich löst man damit nicht alle Probleme, was die Impfgegnerschaft und auch die Wissenschaftsablehnung angeht, und natürlich braucht diese Entwicklung Zeit. Sie braucht aber vor allem einen entschiedenen Anfang. Dies nun endlich ausdrücklich einzufordern ist eine wichtige Aufgabe aller, die sich einer rational begründeten Gesundheitspolitik und einer Stärkung der allgemeinen Gesundheitskompetenz anstelle opportunistischer Zugeständnisse an eine interessierte Lobby verpflichtet fühlen.

Dr. Natalie Grams-Nobmann ist Ärztin, Autorin und ehemalige Homöopathin. Sie ist heute im öffentlichen Gesundheitswesen tätig und setzt sich für Aufklärung und Wissenschaftskommunikation auch in den Sozialen Medien ein. Sie lebt und arbeitet in Heidelberg und Berlin. Die Neuauflage ihres Buchs „Was wirklich wirkt“, das sich kritisch mit sogenannten Alternativheilverfahren und Wissenschaftsskepsis auseinandersetzt, erscheint im Februar 2022 im Aufbau-Verlag. 
 

Autor
Dr. Natalie Grams-Nobmann
Aus der Rubrik