Gezielte Modifikation des Epigenoms mittels epigenetischer Editierung

Das Epigenom fixiert auf molekularer Ebene die Zelltyp-spezifischen Transkriptionsprofile und bestimmt somit die Aktivität, Funktion und das Überleben einer Zelle. Diese Parameter könnten daher über gezielte Modifikationen des Epigenoms reguliert werden. Dies ist einerseits aus wissenschaftlicher Sicht interessant, um den Einfluss epigenetischer Mechanismen auf die Differenzierung und Physiologie unterschiedlicher Zelltypen zu untersuchen. Zum anderen könnten zukünftig auch Zellpopulationen für therapeutische Zwecke funktionell optimiert werden. Zusätzlich zu den bisherigen „globalen“ Methoden zur epigenetischen Modifikation, mit denen das komplette Epigenom zeitgleich und ungerichtet verändert wurde, erlauben neueste technische Entwicklungen nun den zielgenauen Ansatz zur Gen-spezifischen „epigenetischen Editierung“. In diesem Artikel möchten wir einige der derzeitigen Möglichkeiten zur Manipulation des Epigenoms vorstellen und deren Einsatz in Klinik und Wissenschaft skizzieren.

Schlüsselwörter: Epigenetische Mechanismen der Genregulation, epigenetische Inhibitoren, zielgerichtete (epi)genetische Manipulation

Das Epigenom als Fundament der Zellidentität

Das Immunsystem besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Zelltypen, die sich alle aus gemeinsamen Vorläuferzellen im Knochenmark differenzieren. Es ist daher ein eindrückliches Beispiel für die umfänglichen Differenzierungsprozesse, die kontinuierlich im menschlichen Körper ablaufen. Die dabei zugrunde liegenden molekularen Mechanismen liegen auf der epigenetischen Ebene, d. h. in der dreidimensionalen Struktur des Genoms, und sind damit weitgehend unabhängig von der DNA-Sequenz, die sich ja zwischen den unterschiedlichen Zelltypen nicht unterscheidet (Ausnahme: BCR-, TCR- und Immunglobulin-Gene in Lymphozyten). Es ist also die Struktur des Chromatins, d. h. die Packungsdichte und Zugänglichkeit der DNA für Transkriptionsfaktoren und Polymerasekomplexe, die entscheidet, welche Gene in einer Zelle abgelesen werden können, und welche nicht (Euchro­matin bzw. Heterochromatin, Abb. 1, grüne Kästen).

Daher ist diese übergeordnete Struktur, eben das Epigenom, Zelltyp-spezifisch und festigt das Zelltyp-spezifische Transkriptom – und damit die Identität jeder einzelnen Zelle. Änderungen im Epigenom können wesentliche Auswirkungen auf die Physiologie, Funktion und den Aktivierungs­status einer Zelle haben, weshalb epigenetische Veränderungen in zahlreichen Erkrankungen verzeichnet wurden, allen voran bei Krebserkrankungen [1, 2]. Diese Veränderbarkeit des Epigenoms eröffnet allerdings auch die Möglichkeit zur gezielten Manipulation, um vorsätzlich die Funktion oder das Entwicklungsstadium und Überleben von Zellen epigenetisch steuern zu können – zukünftig vielleicht sogar zu therapeutischen Zwecken. Methoden zur epigenetischen Manipulation können außerdem für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden, um die funktionelle Rolle von epigenetischen Strukturen für die Genregulation und Zellphysiologie zu untersuchen.

Genomweite Manipulationen des Epigenoms

An der Ausbildung von epigenetischen Strukturen sind eine Vielzahl von molekularen Faktoren beteiligt, die auf komplexe Weise wechselwirken können. Die am besten untersuchten sind einerseits die DNA-Methylierung sowie die kovalente Modifikation (Methylierung, Acetylierung, Phosphorylierung und viele mehr) von verschiedenen Aminosäuren an strategischen Positionen von Histonen. Die epigenetischen Marker werden von unterschiedlichen Enzymen gesetzt („writer), gebunden („reader“) oder wieder entfernt („eraser“), wobei hier teilweise eine ausgeprägte Redundanz herrscht, und z. B. mehrere Enzyme die gleiche Modifikation an denselben oder an unterschiedliche Histon-Aminosäuren setzen können. Die Angriffspunkte zur gezielten Manipulation des Epigenoms sind daher einerseits vielfältig. Andererseits kann die Redundanz im System die induzierten Effekte teilweise negieren und somit die Interpretation der molekularen und zellulären Konsequenzen erschweren. Zudem sind die beteiligten Enzyme an sehr vielen Positionen im Genom gleichzeitig aktiv. Daher wirkt eine Manipulation der Expressionslevel oder der Aktivität der beteiligten Enzyme global im Epigenom und kann eine große Anzahl an Genen gleichzeitig betreffen.
Durch die genomweite Wirkung dieser Enzyme könnte man annehmen, dass sich Zelltyp-spezifische genetische Knockouts (KO) einzelner epigenetisch-aktiver Enzyme letal auswirken. Dies ist jedoch nur teilweise der Fall. So führt der genetische Knockout von TET2 und TET3 – beides Enzyme, die an der Demethylierung von DNA beteiligt sind – in murinen regulatorischen T-Zellen (Tregs) nicht zum Zelltod, sondern zu einer funktionellen Änderung: zum Verlust der immunsuppressiven Funktion und zum Erwerb eines dominanten pro-inflamma­torischen Phänotyps [3]. Diese Ergebnisse untermauern die berechtigte Hoffnung, dass trotz der Komplexität des epigenetischen Systems die Inhibition einzelner Enzyme spezifische Effekte haben kann, die möglicherweise in der Zukunft therapeutisch nutzbar werden können. Basierend darauf wird an der Entwicklung von epigenetischen Inhibitoren derzeit intensiv geforscht, z. B. durch das Structural Genomics Consortium (SGC), einer „non-profit public-private partnership“, das bereits eine Reihe gut charakterisierter epigenetischer Inhibitoren zur Verfügung stellt (www.thesgc.org/epigenetics).
Der Einsatz von Wirkstoffen („small-molecules“) zur Inhibition von epigenetischen Molekülen ist nicht neu, und wird in der Klinik schon seit Jahren in der Krebstherapie eingesetzt, z. B. bei der Verwendung von Azacitidin und Deci­tabin (Inhibitoren für DNA-methylie­rende Enzyme) sowie Vorinostat und Romidepsin (beides Histon-Deacetylase-Inhibitoren) [4]. Tumorzellen zeichnen sich durch massive Änderungen im Epigenom aus [5], verglichen zu den jeweiligen normalen Pendants, den nicht-entarteten Gewebezellen, und zeigen zudem oft Mutationen in Genen von epigenetisch-aktiven Enzymen (z. B. TETs, DNMTs). Während diese epigenetischen Therapien für einige Patienten und Krebs­entitäten erfolgreich sind, ist die Wirkungsweise der Therapien noch nicht vollständig geklärt [6]; sie ist wahrscheinlich auf mehrere Effekte zurückzuführen, wie eine Verringerung der Proliferationsrate durch Re-Aktivierung von Tumorsupressorgenen und/oder eine Apoptose-Induktion z. B. durch die Induktion von DNA-Schäden. Interessant ist auch, dass diese Wirkstoffe in Kombination untereinander oder auch mit klassischen Krebstherapien (Chemo- und Strahlentherapie) besonders effizient wirken. Die Klasse der IDH-Inhibitoren zeigt einen weiteren Wirkmechanismus [7]: Durch Mutationen in den IDH-Genen wird das Epigenom stark verändert, was zu einem Block im Differenzierungspotenzial und zu einer Steigerung der Proliferationsaktivitäten in undifferenzierten hämatopoetischen Vorläuferzellen führen kann, und somit zu AML. Der Einsatz von IDH-Inhibitoren führt über epigenetische Manipulation zur Aufhebung der Differenzierungsblockade und damit zur Regression der AML-Blasten.

Zielgenaue Manipulationen des Epigenoms

Die molekularen und zellulären Konsequenzen einer induzierten genomweiten Veränderung des Epigenoms können nicht kausal auf Veränderungen in einzelnen Genloci zurückgeführt werden, selbst wenn einzelne Promotoren oder Enhancer nach Behandlung epigenetische Veränderungen zeigen, die mit den zellulären Veränderungen korrelieren. Zu großflächig sind die induzierten epigenomischen Veränderungen und zu komplex die Interaktionen der beteiligten Faktoren. Tatsächlich war es lange nicht möglich, einen kausalen Zusammenhang zwischen dem epigenetischen Zustand von regulatorischen Kontrollelementen wie Promotoren und Enhancer und einer beobachteten Veränderung in der Genexpression und/oder in der Physiologie der Zelle herzustellen, da lediglich Korrelationen beobachtet werden konnten. Eine gezielte Modifikation der Epigenetik an ausgewählten Zielregionen in lebenden Zellen war technisch schlicht nicht möglich.
Um eine gezielte epigenetische Modifikation spezifisch an einer Zielregion hervorzurufen (epigenetische Editierung), müssen die bekannten Writer-/Eraser-Enzyme präzise und selektiv an die Zielregion gebracht werden, damit sie dort lokal auf das umliegende Chromatin wirken können. Als zielgenaue Fähren wurden hier in der Vergangenheit modulare DNA-bindende Proteinkomplexe, wie z. B. Zinkfinger-Proteine oder TALE-Nukleasen, verwendet [8], die mit aufwendigem Protein-Engineering zur Zielsequenz ausgerichtet werden konnten. Dank neuester Entwicklungen aus dem Feld der Gentechnik (genetische Editierung), wird dies nun technologisch wesentlich einfacher, indem man auf das CRISPR-Cas9-System setzt. Durch die einfache Gestaltung einer kurzen „single-guide RNA“ (sgRNA), deren 20 Nukleotid-lange Guide-Sequenz komplementär zur Zielsequenz ist, kann der CRISPR-Cas9-Komplex an fast jede beliebige Stelle im Genom dirigiert werden [9]. Anstatt jedoch einen Doppelstrangbruch in der DNA mittels Cas9 zu induzieren, und somit eine genetische Mutation zu provozieren, wird für die epigenetische Editierung eine mutierte Version des Enzyms eingesetzt, welche ihre katalytische Aktivität verloren hat („nuclease dead“ Cas9, dCas9). Der „Targeting“-Mechanismus bleibt dabei jedoch erhalten, der Komplex findet weiterhin sein Ziel im Genom, die angesteuerte DNA-Sequenz bleibt aber intakt [9]. Dieses System kann nun als ein zielgenauer Transportmechanismus verwendet werden, indem an das dCas9-Molekül epigenetisch-aktive Proteindomänen von Writer-/Eraser-Enzymen gekoppelt werden, die nach erfolgreicher Bindung an der Zielregion das umliegende Chromatin modifizieren. So können spezifisch ausgewählte Elemente (z. B. Enhancer oder Promotoren) in der lebenden Zelle selektiv adressiert werden, um einen gezielten epigenetischen „switch“ zu induzieren. Als mögliche Effektordomänen stehen mehrere Kandidaten zur Auswahl (Tab. 1), die sowohl DNA-De-/Methylierung als auch diverse Histone-Modifikationen katalysieren können. 

Der Einsatz von epigenetischer Editierung in der Grundlagenwissenschaft erlaubt Einblicke in die Regulation von Genen und in die Funktion der Genprodukte, die bisher nicht möglich waren. So können erstmalig Kausalzusammenhänge zwischen epigenetischen Regulationselementen und der Expression von assoziierten Genen erbracht werden, und dies selbst dann, wenn die Regulatoren weit entfernt von der regulierten kodierenden Sequenz liegen. Zudem können mittels zielgerichteter epigenetischer Aktivierung von Promotoren und Enhancern echte „Gain-of-function-Experimente“ durchgeführt werden, bei denen die modulierten Genprodukte der physiologischen Regulation gehorchen (physiologische Expressionslevel, Kinetiken und Isoformen), im Gegensatz zu den bisher verwendeten artifiziellen Überexpressionsansätzen. Ebenso entfällt bei „Loss-of-function-Experimenten“ durch epigenetische Repression die Notwendigkeit des genetischen KOs mit den benötigten Mutationen. Als zusätzlicher Vorteil, vor allem aus klinischer Sicht, kann die epigenetische Editierung als transiente Intervention durchgeführt werden, d. h. der CRISPR-dCas9-Editierungskomplex wird lediglich transient überexprimiert, z. B. durch die Transfektion von kodierenden Plasmiden oder mRNA. Die platzierte epigenetische Modifikation kann dann durch die endogenen Mechanismen zum Erhalt von epigenetischen Strukturen auch durch die Zellteilung hindurch aufrechterhalten werden. Dadurch werden Artefakte durch eine kontinuierliche Überexpression eines epigenetisch aktiven Enzyms minimiert.
Die CRISPR-dCas9-vermittelte epigenetische Editierung ist inzwischen in diversen zellulären Systemen erfolgreich angewendet worden (Zelllinien wie HEK293T [11], primären humanen T-Zellen [12], humanen iPSCs [13], Maus-Embryo-Stammzellen [14], Maus-Oozyten [15] und Pflanzen (Arabidopsis) [16]).  Beispielsweise wurde gezeigt, dass induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) von Patienten mit Fragiles-X-Syndrom, die eine erhöhte Methylierung des CGG-Wiederholungsmotives zeigen, mittels dCas9-TET1 in dieser Region komplett demethyliert werden konnten. Dies führte zur Aktivierung des FMR1-Promotors und dazu, dass Neuronen, die aus den editierten iPSCs redifferenziert wurden, eine korrigierte normale Funktionalität zeigten [13]. Eine gezielte DNA-Methylierung konnte wiederum mit dCas9-DNMT3a gesetzt werden, um Promotoren durch Methylierung gezielt zu inaktivieren (z. B. BACH2-Promotor in HEK293-Zelllinie [17]). Außerdem konnte gezeigt werden, dass durch de novo Methylierung einer CTCF-Bindungsstelle ganze Chromatin-Schleifen aufgelöst werden konnten und somit grundlegend in die Chromatinorganisation in Maus-Embryo-Stammzellen eingegriffen werden konnte [14].
Allerdings sind die Effizienz, die Stabilität und die funktionellen Konsequenzen einer induzierten epigenetischen Modifikation von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängig. Zum einen ist die Stabilität einer platzierten epigenetischen Modifikation abhängig von der Zielregion und der dort vorherrschenden Chromatinumgebung, da z. B. eine gesetzte aktivierende Modifikation durch ein ggf. repressives Chromatinumfeld rückgängig gemacht oder inaktiv gehalten werden kann [18]. Daher könnte derselbe Genlokus in unterschiedlichen Zelltypen unterschiedlich sensitiv für epigenetische Editierungen sein. Zum anderen können einzelne epigenetische Modifizierungen eine Reihe von Folgemodifizierungen nach sich ziehen und somit zur weiteren Stabilisierung der induzierten Chromatinkonfiguration führen. Das Potenzial zu solch weitreichenden Umbauten der Chromatinstruktur ist jedoch zwischen den epigenetischen Markern unterschiedlich. Z. B. wurde beschrieben, dass die Platzierung des charakteristischen Promoter-Markers H3K4me3 alleine nicht ausreicht, um eine dauerhafte Genexpression nach epigenetischer Editierung zu erreichen. Zusätzlich musste noch eine weitere Aktivierung mittels DNA-De-Methylierung induziert werden [18]. Im Gegensatz dazu ist der KRAB-Effektor, der mehrere repressive Histon-modifizierende Enzyme rekrutiert, in der Regel alleine ausreichend, um eine Inhibition der Genexpression einzuleiten [10]. Zur Verbesserung der Effizienz wurden auch Systeme entwickelt, die die gleichzeitige Rekrutierung von unterschiedlichen Editoren oder von mehreren Molekülen desselben Editors erlauben (SunTag-System [19]). Auch zell-intrinsische biologische Unterschiede können die epigenetische Editierung beeinflussen, wie z. B. das Proliferationsverhalten von Zellen oder die Sensitivität gegenüber Transfektions- und Transduktionsbehandlungen. Neben den bekannten Komplikationen des CRISPR-Cas9-Systems (Off-target-Effekte, Cas9-gerichtete Immunität in vivo, Limitation der Transfektion von großen Proteinkomplexen) muss die Spezifität eines jeden Editors geprüft werden. So wurden in einem modifizierten Maus-Embryo-Stammzellen (mESC)-System mit genomweit sehr niedriger DNA-Methylierung gezeigt, dass dCas9-DNMT3a zu DNA-Methylierungen führen, selbst wenn keine sgRNA vorhanden war [20]. Die Spezifität des DNMT3a-Komplexes konnte aber erhöht werden, indem DNMT3A mittel dCas9-SunTag zur Zielregion lokalisiert wurde [21]. Für andere Editoren wie dCas9-TET1 und dCas9-p300 wurde ebenfalls eine hohe Spezifität für den adressierten Lokus gezeigt [11, 13]. Trotzdem bedingen diese Limitationen in vielen Fällen eine umfangreiche Testung und genaue Planung von CRISPR-dCas9-vermittelten epigenetischen Editierungsansätzen [22].

Fazit

Modifikationen des Epigenoms sind heute sowohl auf genomweiter als auch auf Gen-spezifischer Ebene (epigenetische Editierung) durch neueste technische Entwicklungen möglich. Sie erlauben zukünftig gezielte Veränderungen der Funktionalität [13], der Aktivität oder der Differenzierung [14] von Zellen. Dies ist einerseits aus wissenschaftlicher Sicht von Interesse, da die Methoden der epigenetischen Editierung neue Einblicke in die Regulation von Genexpression erlauben. Zudem könnten genomweite epigenetische Modifikationen, aber auch zielgenaue epigenetische Editierungen zukünftig in der Klinik relevant werden, z. B. als neuer Ansatz für die funktionelle Optimierung von zelltherapeutischen Produkten.

Autoren
Christopher Kressler
Prof. Dr. Julia K. Polansky-Biskup (korrespondierende Autorin)
BCRT – Berlin Institute of Health Center for Regenerative Therapies und Deutsches Rheuma-Forschungszentrum – DRFZ, ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft
Charité – Universitätsmedizin Berlin