Allergiediagnose, -prävention und-therapie: Hürden und Perspektiven einer modernen Medizin

Editorial

Die Prävention und Therapie von Allergien erfordert überregionale, internationale Anstrengungen. Ein Hauptgrund für diese Forderung liegt darin begründet, dass Allergien in aller Regel als die zuerst im Säuglings- bzw. Kleinkindalter oder der frühen Kindheit auftretenden, nicht-übertragbaren Krankheiten (NCDs, non-communicable diseases) darstellen. Ein zweiter, nicht weniger wichtiger Grund für diese Forderung ist, dass die Prävalenzrate bei Allergien weltweit zunimmt, insbesondere in Ländern mit einer raschen Urbanisierung und flächendeckenden industriellen Standorten. Die gesteigerten Fallzahlen allergischer Erkrankungen, die vor allem bei Kindern und Jugendlichen festzustellen sind, kennen noch keine ausreichend fundierte wissenschaftliche Begründung. Genetische Prädisposition ist zwar evident und erst kürzlich wieder umfassend für mehrere atopische Erkrankungen gezeigt, kann allerdings nicht für den rasanten Anstieg der Prävalenz verantwortlich sein. Eine sich ändernde Umwelt ist ein wahrscheinlicherer signifikanter Einflussfaktor.

Umweltfaktoren beeinflussen die Allergieentwicklung auf mindestens zwei unterschiedlichen Ebenen. Einerseits erhöhen bestimmte Faktoren die Anfälligkeit gegenüber der Allergieentwicklung aufgrund der Verursachung einer Funktionsstörung der natürlichen (Schleim-)Hautbarriere. Die Wirkung solcher Faktoren auf den Einzelnen sind mittlerweile auf einer epigenetischen Basis „messbar“ geworden. Andererseits wirken die gleichen oder andere Umweltfaktoren auf die Allergenträger (wie zum Beispiel Pollen) selbst, verstärken deren allergenes Potenzial oder bahnen den Weg, damit die Allergene überhaupt erst angreifen können. Umweltmedizinische Studien beweisen, dass anthropogene Faktoren wie verkehrsbezogene Umweltschadstoffe (Feinstaub) oder Folgen des Klimawandels (Ozon) – die Pflanzenphänologie, die Pollenallergenität und den mikrobiellen Anteil auf Pollen beeinflussen. 

Bereits als sicher gilt ein direkter Zusammenhang zu bestimmten Umweltfaktoren, wie etwa erhöhten Feinstaub- oder Ozonwerten, welche die Regulierung der Toleranz gegenüber Allergenen im Immunsystem negativ beeinflussen. Ebenfalls als sehr wahrscheinlich sind die Auswirkungen des Klimawandels mitverantwortlich, wie das Beispiel erhöhter Trockenzeiten und in Folge dessen längeren Blühphasen allergener Pflanzen anschaulich zeigt. Diesbezüglich sind weitere interdisziplinäre Forschungsanstrengungen unumgänglich. Solche interdisziplinären Anstrengungen schließen Ingenieure, Soziologen, Mediziner und Grundlagenforscher mit ein, was zu sehr umfassenden Darstellungen von Symptomen in Echtzeit mit Korrelation von immunologischen Reaktionen führen kann. Wichtig ist daher die Entwicklung von Werkzeugen für die Aufnahme und Messung von Umweltfaktoren – und dies möglichst auf individueller Ebene.

Umweltfaktoren können auch protektiv wirken. Verschiedene epidemiologische Studien konnten nachweisen, dass eine Exposition gegenüber Umweltfaktoren, wie sie in einer traditionell geführten landwirtschaftlichen Umgebung vorkommen, eine allergieschützende Wirkung entfalten. Die ungelösten Fragen betreffen weiterhin die verantwortlichen Faktoren und die molekularen Mechanismen. Insgesamt allerdings erleben wir gerade einen Paradigmenwechsel in der Prävention von Allergie – von der Vermeidung zur Exposition, um Toleranz zu entwickeln. In der „LEAP“-Studie wurden Risikokinder im ersten Lebensjahr mit Erdnussflips exponiert. Dies führte zu einem beeindruckenden und bis zum 7. Lebensjahr anhaltenden Schutz vor Erdnussallergien. Also Exposition zur Toleranzentwicklung – aber wann? Das erste Lebensjahr scheint die immunologischen Voraussetzungen für eine solche Toleranz­entwicklung zu bieten.

Ein nicht mehr neuer, aber immer noch erst anfänglich erforschter Umweltfaktor ist das Mikrobiom. Die physische Barrierefunktion der Haut und die Oberflächenstruktur des Respirationstraktes sind den mikrobiellen Einflüssen fortwährend ausgesetzt. Die Grenzflächen der Haut und Atemwege sind also gleichermaßen primäre Kontaktzone für Allergene, Umweltschadstoffe und Mikroben. Eine richtig funktionierende Hautbarriere schützt vor Allergenen, während eine defekte Barriere das Eindringen dergleichen zulässt. Eine von der Toleranz abweichende immunologische Antwort wird damit wahrscheinlicher. Staphylococcus aureus konnte zu einem frühen Zeitpunkt als eine der Haupt­ursachen für die starke Entzündung bei Patienten mit atopischem Ekzem ausgemacht werden. Auf welchen Mechanismen die Zunahme in der Anzahl pathogener Mikroben basiert, muss genauestens untersucht werden. Für den Bereich der Therapie gibt es moderne Ansätze, die aus der Mikrobiomforschung resultieren. 

Der gesellschaftliche Nutzen einer verbesserten Prävention und Therapie von Allergien kann aber auch auf ökonomischer Ebene aufgezeigt werden. Ein immenser jährlicher volkswirtschaftlicher Verlust aufgrund niedrigerer Leistungsfähigkeit in Schule, Ausbildung, Studium und Arbeitsplatz (ohne Berücksichtigung der Behandlungskosten für Folgekrankheiten) wäre bei guter Behandlung vermeidbar. In der EU leiden zwischen 44 und 76 Millionen der 217 Millionen Erwerbstätigen an Allergien. Neue Daten zeigen, dass 90% dieser Patienten unzureichend oder gar nicht behandelt sind. Sozioökonomische Schäden durch Abwesenheitszeiten, aber insbesondere durch messbar verminderte Leistungsfähigkeit in Schule, Studium und Beruf sind die Folgen. Kürzlich wurden die möglichen Einsparungen für die EU-Volkswirtschaft auf zwischen 55 und 151 Milliarden Euro pro Jahr beziffert, allein durch konsequente Therapie der betroffenen Arbeitnehmer. Das Einsparpotenzial erklärt sich daher, dass die Lohnkosten durch verlorene aktive Arbeitszeit die Behandlungskosten, die im Durchschnitt nur 125 Euro/Jahr betragen, deutlich übersteigen.

Die Verbesserung der Allergen-spezifischen Immuntherapie (ASIT) scheint hier Abhilfe schaffen zu können. Das ist aktuell die einzige kausale Behandlung allergischer Erkrankungen. Trotz des Wissens darüber beschränken verschiedene Faktoren noch die flächendeckende Anwendung der ASIT. Deshalb ist viel mehr Forschung erforderlich, um die Mechanismen besser zu verstehen und die ASIT effektiver zu machen. 

Eine für Allergien adäquat verlaufende Diagnose- und Therapieform stellt unbestritten eine zentrale Aufgabe der modernen Medizin dar. Jedoch ist das eigentliche Ziel all unserer Anstrengungen, mit einem vollausgereiften Präventionsplan aufzuwarten. Die Möglichkeiten, neue Wege der Prävention zur Verhinderung oder Abschwächung einer epidemiologischen Krankheitsausbreitung von Allergien auszumachen, sind als realistisch einzustufen, wenn interdisziplinäre Arbeiten – auch in national/international geförderten Konsortien – möglich sind. Die Arbeiten der AG Allergologie der DDG und der AG Immunologie in der DGAKI steht exemplarisch für einen solchen interdisziplinären Ansatz. Die AGs adressieren Kernfragen bezüglich epidemiologischer Studien und standardisierter Ansätze zukünftiger Forschung und Erstellung von Behandlungsleitlinien. 

Die daraus resultierenden Forderungen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft können also nur unter Zuhilfenahme einer interdisziplinären Arbeit mit Allergologen, Biologen, Immunologen, medizinischem Personal und vielen weiteren überzeugend vorgebracht und durchgesetzt werden. Das Ergebnis muss eine Zunahme der thematischen Präsenz allergischer Erkrankungen innerhalb der Politik und Gesellschaft im Allgemeinen sein, und im Speziellen verbesserte medizinische Ausbildung, wie diese Art von Erkrankung effektiv zu behandeln ist. Letzteres kann einerseits mithilfe von Ausbildungsprogrammen und andererseits durch die Dokumentation – und dort wo möglich auch Kontrolle von Umweltfaktoren umgesetzt werden. 

Autoren
Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann
Lehrstuhl und Institut für Umweltmedizin UNIKA-T, Technische Universität München und Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Augsburg 2 CK-CARE,
Christine Kühne-Center for Allergy Research and Education Davos, Schweiz
Prof. Dr. med. Thomas Werfel
Division of Immunodermatology and Allergy Research, Department of Dermatology and Allergy,
Hannover Medical School, Hannover