„Allergie kann töten – Anaphylaxie“

Aus der Klinischen Forschung

Die Anaphylaxie ist die schwerste Form einer mastzellabhängigen allergischen Soforttypreaktion, die auch tödlich verlaufen kann. Zu den häufigsten Auslösern gehören Nahrungsmittel, Insektengifte und Medikamente, wobei die Häufigkeit der Auslöser altersabhängig ist (Nahrungsmittel besonders häufig bei Kindern, Insektengifte und Arzneimittel häufig bei Erwachsenen). Ein Erstauftreten einer tödlich verlaufenden Anaphylaxie ist ein sehr seltenes Ereignis und die Wahrscheinlichkeit an einem Autounfall zu versterben, liegt um ein vielfaches höher. Daten aus dem Anaphylaxie-Register haben gezeigt, dass bestimmte Faktoren den Schweregrad einer Anaphylaxie beeinflussen können, hierzu gehören Medikamente, aber auch bestimmte Vorerkrankungen sowie körperliche Aktivität. Zukünftig sind weitere Forschungsarbeiten notwendig, um die Mechanismen der Anaphylaxie insbesondere in Hinblick auf das Zusammenwirken mehrerer Faktoren besser zu verstehen.

Einleitung

Die Anaphylaxie ist die schwerste Manifestation einer IgE-abhängigen allergischen Soforttypreaktion. Zu den häufigsten Auslösern gehören Nahrungsmittel, Insektengifte und Medikamente [1]. Neben den IgE-vermittelten Reaktionen können auch nicht-IgE-abhängige Hypersensitivitätsreaktionen auftreten. Als Pathomechanismus spielt hier wahrscheinlich die Aktivierung von G-Proteinen eine Rolle. Eines von ihnen, das MRGPR (Mas-related G protein-coupled receptor) [2] wurde kürzlich erstmals beschrieben. Es wurde gezeigt, dass bestimmte Antibiotika zu einer Aktivierung dieses Signalweges führen. Weitere häufige Auslöser nicht-IgE-abhängiger Reaktionen sind nicht-steroidale Antiphlogistika oder auch Lokalanästhetika.

Altersabhängigkeit der Anaphylaxie

Die Auslöser einer Anaphylaxie sind altersabhängig. Am häufigsten lösen Nahrungsmittelallergene schwere allergische Reaktionen im Kindesalter aus [3]. Im Kleinkindalter sind dies vor allem Hühner- und Milcheiweiß, während bei jüngeren Erwachsenen Baumnüsse und die Erdnuss die häufigsten Auslöser einer Anaphylaxie darstellen. Die Insektengiftallergie tritt deutlich weniger häufig im Kindesalter als im Erwachsenenalter auf. Auch Todesfälle infolge einer Insektengiftanaphylaxie sind bei Kindern bislang nicht publiziert. Medikamentös ausgelöste Anaphylaxien treten im Kindesalter im Vergleich zu Erwachsenen ebenfalls eher selten auf, wobei die häufigsten Auslöser hier Antibiotika sind [3].
Bei Erwachsenen sind vor allem im deutschsprachigen Raum die häufigsten Auslöser schwerer allergischer Reaktionen Insektengifte, hier primär Wespen- und Bienengift. Unter den durch Insekten ausgelösten Reaktionen werden mehr als 2/3 der Reaktionen durch Wespengift verursacht. Aktuell zeigt sich allerdings eine Zunahme der Reaktionen auf Bienen­gift, da die private Haltung von Bienenstöcken auf Dächern in Städten derzeit zunimmt. Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer Zunahme der Anaphylaxie durch Medikamente. Die häufigsten Auslöser sind hier nicht-steroidale Antiphlogistika und Beta-Laktam-Antibiotika [1].
Ein wichtiger Risikofaktor für das Auftreten einer schwerwiegenden Anaphylaxie ist die Latenz zwischen Kontakt zu dem Allergen und der Auslösung der Symptome. Je kürzer das Zeitfenster ist, desto höher ist das Risiko für eine schwere Reaktion. Dies wird auch mitbestimmt durch die Art der Exposition, das heißt eine hämatogene Exposition beispielsweise mit einem intravenös applizierten Medikament führt viel schneller zum Auftreten klinischer Symptome als eine orale Exposition mit Nahrungsmitteln, wo die Allergene zunächst resorbiert werden müssen [4].

Todesfälle infolge einer Anaphylaxie: Daten vom Einwohnermeldeamt

Eine tödlich verlaufende Anaphylaxie ist ein sehr seltenes Ereignis. So ist zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, an einem Autounfall zu sterben, deutlich höher als den Tod infolge einer Anaphylaxie zu erleiden [5] (Tab. 1). Ähnlich sehen die Daten vom Bundesamt für Statistik aus: Hier wurden in den Jahren 2006–2008 113 und in den Jahren 2009–2011 147 Todesfälle infolge einer Anaphylaxie in deutschsprachigen Ländern (Deutschland, Österreich und der Schweiz) registriert [6]. Es wird davon ausgegangen, dass die tatsächliche Todeszahl infolge einer Anaphylaxie wahrscheinlich um den Faktor 10 höher liegt. Dies steht nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Beobachtung, dass 10–20% der Patienten mit schweren allergischen Reaktionen keine Haut- und/oder Schleimhautsymptome aufweisen, diese aber für die Diagnose einer Anaphylaxie eine wichtige Rolle spielen [7].

 

 

Im Anaphylaxie-Register, das vor mehr als zehn Jahren gegründet wurde, werden Patienten mit schweren allergischen Reaktionen im deutschsprachigen und auch europäischen Raum gemeldet. Bis heute wurden mehr als 10.000 Patienten erfasst. Zu den Erfassungsparametern gehören neben Alter und Geschlecht der Betroffenen der Auslöser, die Symptome, das Vorhandensein von Ko-Erkrankungen und die Therapie. Todesfälle werden nur in Einzelfällen gemeldet, da die Meldung der Daten über Allergiezentren erfolgt. Dies erfordert ein aktives Aufsuchen der Patienten in der entsprechenden Einrichtung. Innerhalb des Anaphylaxie-Registers konnten bis heute 19 (7 Kinder, 12 Erwachsene) Todesfälle europaweit gemeldet werden. Eine Übersicht zu den bisher gemeldeten Fällen ist in Tabelle 2 dargestellt. Sie zeigen exemplarisch sehr gut, welche Patienten von dieser schwersten Form einer Allergie betroffen sein können und welche Auslöser in diesem Zusammenhang relevant waren.

Symptome der Anaphylaxie

Das Besondere einer schweren allergischen Reaktion beziehungsweise der Anaphylaxie ist, dass sie gleichzeitig mehrere Organsysteme betrifft. Daten aus dem Anaphylaxie-Register haben gezeigt, dass das am häufigsten betroffene Organsystem die Haut und Schleimhaut ist, gefolgt vom Respirationstrakt und dem Herz-Kreislauf-System [4]. Auch gastrointestinale Sym­ptome können auftreten, finden sich aber nur bei ca. einem Drittel der betroffenen Patienten [4]. Die Symptome der einzelnen Organsysteme sind in Tabelle 3 dargestellt und können von Patient zu Patient variieren. Die Manifestation von mehr als 2 Organsystemen ist erforderlich, um die klinische Diagnose einer Anaphylaxie zu stellen [7]. Die Klassifizierung erfolgt je nach der Stärke der Symptome eines Organsystems und der Anzahl der betroffenen Organsysteme. Dabei werden weltweit unterschiedliche Klassifikationen zur Bestimmung des Schweregrads einer Anaphylaxie eingesetzt. Die im deutschsprachigen und auch europäischen Raum am häufigsten verwendete Klassifikation ist die nach Ring und Messmer [8]. Hier wird die Anaphylaxie in vier Schweregrade differenziert, wobei diese vom Schweregrad 1 mit Beteiligung der Haut bis zum Schweregrad 4 mit Herz-Kreislauf-Stillstand reichen [9]. Der Anteil sehr schwerer Reaktionen und letztlich auch tödlicher Reaktionen infolge einer Anaphylaxie ist insgesamt sehr selten. So zeigen die Daten aus dem Anaphylaxie-Register, dass am häufigsten Fälle mit dem Schweregrad 2 und 3 registriert wurden, während die Anzahl der Fälle mit Schweregrad 4 beziehungsweise die Anzahl der Todesfälle sehr gering sind.

Risiko- und Kofaktoren der Anaphylaxie

Der Schweregrad einer anaphylaktischen Reaktion kann durch bestimmte Ko- und Risikofaktoren begünstigt werden [10]. Hierzu gehören endogene Faktoren, wie das Vorliegen bestimmter Erkrankungen zum Beispiel genetischer Erkrankungen, die mit einer Mastzellvermehrung einhergehen (Mastozytose), aber auch exogene Faktoren, wie beispielsweise die Einnahme bestimmter Medikamente (ACE-Hemmer und Beta-Blocker) oder auch körperliche Anstrengung. Das Wissen um diese Kofaktoren hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert und ist für die Betreuung von Patienten in der klinischen Praxis essenziell. Wenn ein Patient beispielsweise eine schwere anaphylaktische Reaktion erlitten hat, so sollte das Vorliegen von solchen Kofaktoren unbedingt ausgeschlossen werden, um das Auftreten einer erneut schweren Reaktion zu verhindern.
Die Ko- und Risikofaktoren sind zusammenfassend in Tabelle 4 dargestellt. Grundsätzlich kann man mechanistisch Ko- und Risikofaktoren in solche diskriminieren, die das Auftreten der Reaktion an sich begünstigen und in solche, die den Schweregrad einer Reaktion verstärken können [11].
Wir konnten in früheren Untersuchungen zeigen, dass beispielsweise häufig eingesetzte Herz-Kreislauf-Medikamente, wie ACE-Hemmer und Beta-Blocker das Auftreten schwerer anaphylaktischer Reaktionen verstärken können [12]. Mechanistisch war es uns in Folgeuntersuchungen möglich darzustellen, dass eine direkte Wirkung dieser Medikamente auf Mastzellen hierfür ursächlich war. Insgesamt ist das Verständnis zu den Mechanismen der Kofaktoren bei der Anaphylaxie bislang noch nicht ausreichend erforscht und bedarf weiterer Untersuchungen in der Zukunft.

Therapie

Die Therapie schwerer allergischer Reaktionen wird in die sogenannte Akuttherapie und das Langzeitmanagement differenziert [8]. Zum Langzeitmanagement gehören neben der Meidung der Auslöser auch das Erlernen im Umgang mit Notfallmedikamenten zur Selbstanwendung sowie im Falle einer Insektengiftallergie die Durchführung einer spezifischen Immuntherapie.
Auf die medikamentöse Therapie im Einzelnen soll hier nicht weiter eingegangen werden, jedoch sei nur kurz erwähnt, dass die Daten aus dem Anaphylaxie-Register gezeigt haben, dass das Medikament der ersten Wahl, Adrenalin, viel zu selten in der klinischen Praxis eingesetzt wird. Dies zeigt exemplarisch, wie wichtig es ist, die Versorgung von Patienten in klinischen Registern systematisch zu untersuchen, um mögliche Probleme zu identifizieren und Aktivitäten zu entwickeln, um diese Situation zu verbessern.


Abstract

Anaphylaxis is the most severe manifestation of mast cell dependent allergic hypersensitivity, which can be lethal. The most frequent elicitors are food allergens, insect venom and drugs. The frequency of these causes in anaphylaxis is age dependent. The incidence of a lethal outcome of anaphylaxis is rare and the probability to die from a car accident is much higher. Data from the anaphylaxis register has indicated that certain factors influence the severity of anaphylaxis. Among these drugs but also certain concomitant diseases and physical activity are such factors. In the future, more research is required to better understand the mechanism of anaphylaxis in particular in the context of cofactors.

Autor
Prof. Dr. med. Margitta Worm
Allergologie und Immunologie Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité-Campus Mitte
Universitätsmedizin Berlin
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