Diagnostik der ANCA-assoziierten Vaskulitiden

Likelihood Ratio statt Cut-off?

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.01.03

Die klinische, radiologische und histologische Differenzialdiagnostik der primären und sekundären Vaskulitiden ist schwierig, da sie mit einer bunten und höchst unspezifischen Symptomatik einhergehen. Erst der spezifische Nachweis von Autoantikörpern gegen Proteinase 3 und Myeloperoxidase brachte den entscheidenden Fortschritt für die Diagnostik und die Entwicklung zielgerichteter Therapien. Die klinische Interpretation der Testergebnisse kann durch die Angabe der Resultat-spezifischen Likelihood Ratio anstelle von Cut-off-Werten standardisiert werden.

Schlüsselwörter: Autoimmun-Vaskulitis, PR3, MPO, cANCA, pANCA, Likelihood Ratio, Spezifität, Sensitivität

Die Beschwerden und klinischen Symp­tome der Vaskulitiden sind heterogen und unspezifisch. Abgeschlagenheit, Nachtschweiß, Fieber, Muskel- und Gelenkschmerzen sind häufig ein Zeichen einer akuten Infektion, können aber auch die Symptome bei der Erstvorstellung eines Patienten mit einer Vaskulitis sein. Man unterscheidet primäre oder idiopathische von sekundären Vaskulitiden, bei denen sich ein Auslöser wie etwa ein Medikament oder eine Hepatitis C mit Kryoglobulinen findet.
Die primäre Vaskulitis ist mit einer Prävalenz von weniger als 1:100.000 sehr selten. Sie ist durch eine Autoimmunreaktion gegen das Endothel oder andere Gefäßschichten gekennzeichnet und kann daher fast alle Organe, z. B. Haut, Lunge oder Nieren, aber auch Muskeln, Nervensystem und Herz, betreffen. Unbehandelt kann die Erkrankung zum Tode führen [1]. Deshalb ist „daran denken“ der erste und wichtigste Schritt zur Einleitung spezifischer Therapien.

Labordiagnostik

Im Jahr 1985 wurden erstmals Autoanti­körper gegen zytosolische Bestandteile neutrophiler Granulozyten (ANCA = anti-neutrophile cytoplasmatic antibodies) als spezifische Parameter für die Diagnostik bestimmter Kleingefäß-Vaskulitiden beschrieben [2]. Dieser Parameter war den Klinikern so wertvoll, dass sie eine Entität danach benannten, die ANCA-assoziierte Vaskulitis (AAV).
ANCA wurden viele Jahre überwiegend mit dem indirekten Immunfluoreszenztest (IIFT) bestimmt. Man kann bei der Standardpräparation der Granulozyten mit Ethanolfixierung zwei Färbemuster unterscheiden, nämlich cANCA und pANCA (zytoplasmatische und perinukleäre ANCA). Der IIFT war jedoch aufwendig in der Durchführung und schwer zu interpretieren, da er auch ANCA erfasste, die nicht mit einer Vaskulitis assoziiert waren.
Die Aussage „Vaskulitis-assoziierte ANCA“ (VAA) konnte mit der Entdeckung von zwei spezifischen Zielantigenen erheblich verbessert werden. Autoantikörper gegen die Enzyme Serinproteinase 3 (PR 3) und Myeloperoxidase (MPO) sind stark mit der GPA (Granulomatose mit Polyangiitis, früher Morbus Wegener) und MPA (Mikroskopische Polyangiitis) assoziiert, kommen aber auch bei der EGPA (Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis, früher Churg-Strauss-Syndrom) vor. Spezifische Immunoassays mit diesen Zielantigenen, z. B. ELISA, Westernblot oder Dot-Blots, wurden z. T. über mehrere Test-Generationen weiterentwickelt, sodass jetzt Testsysteme mit exzellenter Sensitivität und Spezifität zur Verfügung stehen [1].

 

Standardisierung

Die aktuellen Konsensusempfehlungen, die auf mehreren, z. T. multizentrischen Studien beruhen, empfehlen als Screening für Vaskulitis-assoziierte ANCA spezifische Immunoassays mit PR3 und MPO als Zielantigen [3, 4]. Der nächste wichtige Schritt in der Weiterentwicklung der Immunoassays ist die bessere Standardisierung, Vergleichbarkeit der Ergebnisse und Interpretation im klinischen Kontext. Standardisiertes Referenzmaterial für MPO-ANCA und PR3-ANCA wird von der IUIS (International Union of Immunological Societies) und IRMM (Institute for Reference Materials and Measurements) zur Verfügung gestellt und von einigen Testherstellern für die Kalibration ihrer Assays auch angewendet. Dies ist ein Fortschritt, der die Vergleichbarkeit der Assays verbessern könnte.
Traditionell werden von den Herstellern ROC-Analysen mit gut definierten Seren von gesunden Spendern sowie Patienten mit gesicherter AAV wie auch solchen mit differenzialdiagnostisch abzugrenzenden Erkrankungen durchgeführt. Auf dieser Basis berechnet man Sensitivitäten und Spezifitäten für unterschiedliche Grenzwerte und ermittelt einen optimalen Cut-off, bei dem die Zahl falsch positiver und falsch negativer Befunde am geringsten ist. Naturgemäß unterscheiden sich die Grenzwerte und Optimierungskriterien von Hersteller zu Hersteller, sodass die Ergebnisse verschiedener Assays nur schlecht miteinander vergleichbar sind. Abhilfe könnte die sog. Likelihood Ratio (LR) schaffen (Abb. 1), die in Deutschland allerdings noch wenig verbreitet ist.

In der aktualisierten internationalen Consensus-Empfehlung zur Bestimmung der ANCA wird die Angabe der LR empfohlen. Dieses Vorgehen findet breite Unterstützung durch internationale Arbeitsgruppen von Fachgesellschaften und Testherstellern, die an einer ANCA-Studie der European Vasculitis Society (EUVAS) teilgenommen haben: die European Federation of Laboratory Medicine (EFLM) Task and Finish Group „Autoimmu­nity Testing“, die European Autoimmune Standardization Initiative (EASI) und die European Consensus Finding Study Group on Autoantibodies (ECFSG) [5]. Zur vereinfachten Interpretation kann man die Patienten in Gruppen mit einer LR von 0,1; 1 und 10 einteilen. Die Zuordnung zu einer Gruppe mit LR 0,1 bedeutet, dass der entsprechende Messwert bei gesunden Kontrollpersonen zehnmal häufiger als bei an AAV Erkrankten gefunden wird. Umgekehrt ist es bei einer LR von 10 zehnmal wahrscheinlicher, dass eine AAV vorliegt.  

Autor
Prof. Dr. Rudolf Gruber
Mitglied der Redaktion