Das Antiphospholipid-Syndrom – Neue Klassifikationskriterien

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2023.02.02

Der Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern ist nicht nur für die Diagnose, sondern auch für die Risikostratifizierung des Antiphospholipid-Syndroms (APS) unerlässlich. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass das aPL-Profil das Risiko für thromboembolische und geburtshilfliche Komplikationen bestimmt. Dennoch bleibt die Labordiagnostik trotz kontinuierlicher Bemühungen zur Standardisierung und Harmonisierung eine Herausforderung.

Schlüsselwörter: APS, aPL-Antikörper, aCL-Antikörper, β2GPI-Antikörper, Lupusantikoagulanz, EULAR, Klassifikation

Das Antiphospholipid-Syndrom (APS) ist eine systemische, thromboinflammatorische Autoimmunerkrankung, die durch eine heterogene Gruppe von erworbenen Antikörpern (aPL) ausgelöst wird. Diese Antikörper haben eine Affinität zu negativ geladenen Phospholipiden (PL) oder PL-bindenden Plasmaproteinen. Die am häufigsten vorkommenden Antikörper sind Lupusantikoagulanz (LA), Anticardiolipin-Antikörper (aCL) und Antikörper gegen β2-Glykoprotein I (aβ2GPI). Klinisch manifestiert sich das APS hauptsächlich durch venöse und arterielle Thrombosen sowie Schwangerschaftskomplikationen wie intrauteriner fetaler Tod, rezidivierende Aborte, Plazentainsuffizienz und Eklampsie [1, 2, 3]. Je nach Gefäßbeteiligung können beim APS auch andere pathologische Manifestationen wie neurologische Dysfunktion (z. B. Epilepsie, Demenz), dermatologische Symptome (z. B. Livedo reticularis, akrale Nekrosen), Thrombozytopenie, Herzklappenerkrankungen (z. B.  nicht-bakterielle thrombotische Endokarditis) sowie Nierenerkrankungen (Nierenarterien-/Nierenvenenthrombose sowie thrombotische Mikroangio­pathie) auftreten [4]. Eine lebensbedrohliche Komplikation ist das katastrophale APS (CAPS), das durch thromboembolische Ereignisse in kleineren Gefäßen an drei oder mehr Organsystemen gekennzeichnet ist, die simultan oder innerhalb von einer Woche auftreten – auch bekannt als „thrombotic storm“ [5].

 

Initiative für neue Klassifikationskriterien

Die aktuellen Klassifikationskriterien, die 1999 entwickelt und 2006 überarbeitet wurden, führen zur Diagnose eines APS [1], wenn mindestens eines der klinischen und eines der laborchemischen Kriterien vorliegen und zweimal im Abstand von zwölf Wochen LA und/oder mittel- bis hochtitrige aPL (aCL und aβ2GPI) nachgewiesen werden (Abb. 1).

Aufgrund der Heterogenität und Unspezifität potenzieller klinischer Symptome erlauben die aktuellen Klassifikationskriterien jedoch nicht bei allen Betroffenen eine sichere Diagnose eines APS. Um zukünftig eine zuverlässigere und präzisere Identifizierung von Betroffenen zu ermöglichen, wird derzeit ein gemeinsamer Entwurf zur Aktualisierung der Klassifikationskriterien des APS vom American College of Rheumatology (ACR) und der European League Against Rheumatism (EULAR) erarbeitet [6]. Die vorgeschlagene Aktualisierung umfasst ein viel breiteres Spektrum klinischer Merkmale, beispielweise Nieren- und Herzklappenerkrankungen sowie Thrombozytopenie. Zudem erfolgt die Neudefinition der Schwangerschaftskomplikationen und es wird eine Risikostratifizierung basierend auf dem aPL-Profil vorgeschlagen (Tab. 1).

Tab. 1: Entwurf neuer Klassifizierungskriterien für das Antiphospholipid-Syndrom [6]. 

Laborkriterien

1A: Antiphospholipid-Antikörpertest,
gerinnungsbasierte funktionelle Assays

  • Lupusantikoagulanzien-Test

1B: Antiphospholipid-Antikörper-Tests, Festphasen-Assays

  • Anticardiolipin-Antikörper IgG, Anticardiolipin-Antikörper IgM
  • Anti-β2-Glykoprotein-I-IgG, Anti-β2-Glykoprotein-I-IgM

Klinische Kriterien

2: Makrovaskulär

  • oberflächliche Venenthrombose
  • venöse Thromboembolie
  • arterielle Thrombose
  • transitorische ischämische Attacke

3: Mikrovaskulär

  • Livedo racemosa
  • Livedoide Vaskulopathie
  • Nebennierenblutung oder Plexusthrombose
  • akute ischämische Enzephalopathie
  • mikrovaskuläre Herzerkrankung
  • Lungenblutung
  • akute aPL-Nephropathie
  • chronische aPL-Nephropathie

4: Geburtshilfe

  • Schwangerschaftsverlust < 10 Wochen (w) der Schwangerschaft
  • Tod des Fötus zwischen 10 w und < 16 w der Schwangerschaft
  • Tod des Fötus zwischen 16 w und 34 w der Schwangerschaft
  • Präeklampsie mit schweren Merkmalen < 34 w der Schwangerschaft
  • Plazentainsuffizienz mit schweren Merkmalen < 34 w der Schwangerschaft

5: Herzklappenerkrankung

  • nicht-infektiöse Klappenvegetation, Verdickung

6: Hämatologisch

  • Thrombozytenzahl < 20 × 109/l
  • Thrombozytenzahl 20–130 × 109/l
  • Thrombozytenzahl 131–150 × 109/l

Pathomechanismus

Die genaue Pathogenese von APS ist noch nicht vollständig geklärt. Obwohl aPL einen prothrombotischen Zustand hervorrufen können, tritt eine Thrombose i. d. R. erst nach einem „zweiten Auslöser“ auf, darunter fallen z. B. Infektionen, Operationen, Tumorerkrankung, Kontrazeptiva oder Schwangerschaft [2]. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass aPL eine Schlüsselrolle bei der Modulation von prokoagulatorischen und proinflammatorischen Wechselwirkungen zwischen Thrombozyten, Endothel- und zirkulierenden Immunzellen und dem Komplementsystem spielen (Abb. 2) [7, 8].

Durch die Bindung von aPL an β2GPI auf Endothelzellen wird die Expression von prothrombotischen zellulären Adhäsionsmolekülen wie E-Selektin und Gewebefaktor (Tissue Factor, TF) induziert. Gleichzeitig wird die Aktivität des Tissue-Factor-Pathway-Inhibitors sowie natürlicher Antikoagulanziensysteme wie Protein C und Antithrombin unter­drückt. aPL aktivieren die Thrombozyten, die durch erhöhte Expression von Glykoprotein IIb/IIIa und P-Selektin verstärkt an Endothelzellen binden können. Ebenso führt eine aPL-induzierte Aktivierung der Thrombozyten zu Thrombozytenaggregation und zur Freisetzung von P-Selektin-tragenden extrazellularen Vesikeln. Aktivierte Blutplättchen produzieren zudem HMGB1, das einerseits die Expression von TF auf Monozyten stimuliert und andererseits die Freisetzung von neutrophilen extrazellulären Fallen (NETosis) fördert. Des Weiteren regen aPL Monozyten zur Expression von TF sowie zur Freisetzung von inflammatorischen Zytokinen und extrazellulären Vesikeln an.

Auch neutrophile Granulozyten werden durch aPL aktiviert und exprimieren mehr PSGL-1 und Mac-1, wodurch sie an P-Selektin auf Thrombozyten und Endothelzellen binden können. Dies führt zu einer verstärkten Aktivierung von Neutrophilen mit NETosis und Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen. Darüber hinaus aktivieren aPL das Komplementsys­tem und führen zu einer komplementvermittelten Zerstörung der Endothelfunktion. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aPL einen proinflamma­torischen und prothrombotischen Phänotyp von Endothelzellen, Komplement und anderen Zellen wie Thrombozyten, Neutrophilen und Monozyten induzieren. Dies wiederum führt zu Entzündungen, Gefäßthrombosen, Schwangerschaftskomplikationen und Funktionsstörungen mehrerer Organe.

 

Labordiagnostik

Die Labordiagnostik von aPL erfordert weiterhin die Kombination verschiedener laborchemischer Testverfahren zum Nachweis von aPL (LA, aCL-IgG und -IgM, aβ2GPI-IgG und -IgM) gemäß den internationalen Empfehlungen [9–12]. Lupusantikoagulanzien werden funktionell durch Gerinnungstests identifiziert, während der Nachweis von aCL- und aβ2GPI-Antikörpern immunologisch durch Festphasen-Immunoassays erfolgt, traditionell mittels standardisiertem ELISA [1]. Ferner wird die zweimalige Bestimmung von aPL im Abstand von mindestens zwölf Wochen gefordert, um den Nachweis transienter Antikörper zu vermeiden, die beispielsweise im Rahmen von Infektionen und Tumorerkrankungen oder durch Medikamente induziert werden, aber auch bei ansonsten gesunden Proband:innen auftreten können [1]. 

Funktionelle Gerinnungstests (LA)

Die Bestimmung von LA erfordert eine komplexe Analytik, die durch verschiedene Interferenzen z. B. durch Antikoagula­tions­therapie und Akute-Phase-Proteine beeinflusst wird. Die Internationale Gesellschaft für Hämostase und Thrombose (ISTH) hat ihre Leitlinien für den Nachweis und die Interpretation von Lupusantikoagulanzien aktualisiert [9]. Die dreistufige Strategie zur Erkennung von LA in jeweils zwei unterschiedlichen Testverfahren (aPTT oder dilute Russell‘s Viper Venom Time dRVVT) bleibt unverändert:

I)   Screening-Test: Verlängerung einer phospholipidabhängigen Gerinnungszeit (> 99. Perzentile),

II)  Mischtest: Bestätigung eines Inhibitors und Ausschluss eines Gerinnungsfaktormangels,

III) Bestätigungstest:  Bestätigung, dass der Inhibitor phospholipidabhängig und nicht gegen einen spezifischen Gerinnungsfaktor gerichtet ist.

Im Hinblick auf die Patientenauswahl wurden die Indikationen erweitert (Tab. 2) und es wurden detaillierte Angaben zum Zeitpunkt der Testung sowie zum Umgang mit Test bei antikoagulierten Patient:innen formuliert.

 

Tab. 2: Indikationen zur Testung von Lupusantikoagulanzien entsprechend der ISTH-Leitlinien 2020 [9].

LA-Bestimmung sollte zusammen mit Tests auf aCL- und aβ2GPI-AK durchgeführt werden, um das Risikoprofil
bei Patient:innen mit wahrscheinlichem APS zu beurteilen

  • Personen (<50 Jahre) mit unprovozierter venöser Thromboembolie (VTE)
  • VTE mit atypischer Lokalisation
  • Personen (<50 Jahre) mit ischämischem Schlaganfall, transitorischer ischämischer Attacke oder Hirnischämie anderer Ursache
  • Personen (<50 Jahre) mit arteriellen Thrombosen anderer Lokalisation
  • Mikrovaskuläre Thrombose
  • rezidivierende VTE, die nicht durch subtherapeutische Antikoagulation, Non-Compliance oder Malignität erklärt werden können
  • Schwangerschaftsmorbidität:

-     fetaler Verlust nach 10 Wochen

-     wiederholte Fehlgeburten im Frühstadium (erstes Trimester)

-     Frühgeburten (< 34 Schwangerschaftswochen) in Verbindung mit schwerer (Prä-)Eklampsie

-     HELLP-Syndrom

-     Plazentainsuffizienz (fetale Wachstumseinschränkung)

-     Totgeburt

 

Systemischer Lupus erythematodes: LA-Bestimmung ist Teil der diagnostischen Kriterien und trägt zur Risikobewertung bei.

LA-Bestimmung kann in den folgenden Situationen in Betracht gezogen werden

  • Immunthrombozytopenie, insbesondere bei Arthralgien oder Arthritis, Haarausfall, Sonnenempfindlichkeit, Mundgeschwüren, Hautausschlag, Thromboembolie
  • Livedo reticularis, insbesondere bei Vorliegen von Symptomen anderer systemischer Autoimmunerkrankungen oder leichter Thrombozytopenie
  • Personen (< 50 Jahre) mit klinischen Manifestationen, die nicht in den Sydney-Kriterien enthalten sind, z. B. kognitive Dysfunktion, Herzklappenerkrankung mit Nachweis anderer systemischer Autoimmunerkrankungen
  • Personen (< 50 Jahre) nach provozierter VTE, wenn der provozierende Umweltfaktor unverhältnismäßig mild ist
  • Personen mit ungeklärter verlängerter aPTT als Zufallsbefund

Es wird empfohlen, die Untersuchung auf LA vorzugsweise nicht während des akuten thromboembolischen Ereignisses durchzuführen, da erhöhte FVIII-Spiegel zu falsch-negativen und erhöhte C-reaktive Proteine zu falsch-positiven Testergebnissen führen können. Die Ergebnisse von LA-Tests sollten während der Schwangerschaft vorsichtig interpretiert werden, da falsch-positive und -negative Ergebnisse auftreten können. Idealerweise sollte die Untersuchung nach der Entbindung wiederholt werden. Da die meisten Antikoagulanzien das LA-Screening beeinflussen, sollte die LA-Bestimmung möglichst vor Beginn einer Antikoagulanzien-Therapie erfolgen. Patient:innen, die mit unfraktioniertem Heparin- sowie Vitamin-K-Antagonisten therapiert werden, sollten nicht auf LA getestet werden. Eine Therapie mit niedermolekularem Heparin hat eine geringere Wirkung auf die LA-Testung, daher kann der Test nach mindestens zwölf Stunden nach der Verabreichung der letzten Dosis LMWH durchgeführt werden kann. Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) wie Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban stören alle LA-Assays und bereits Talspiegel der DOAK können zu falsch-positiven Ergebnissen führen [9].

 

Immunologische Tests

Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Festphasen-Immunoassays zum Nachweis von aCL und β2GPI-AK, beispielsweise Chemilumineszenz-, Fluoreszenz-­Enzym- und Multiplex-Flow-Immunoassays. Diese Assays unterscheiden sich in der festen Phase, dem Nachweisprinzip, der Beschichtung, der Quelle von Antigenen und Antikörpern, den Blockierungsmitteln zur Verhinderung unspezifischer Bindungen, der Kalibrierung und den Einheiten [12]. Aufgrund dieser Heterogenität der Assays kommt es zu einer hohen Variabilität und Diskrepanzen zwischen verschiedenen Festphasenplattformen. Um eine Harmonisierung der Festphasen-Diagnostik zu erreichen, hat die ISTH-SCC detaillierte Empfehlungen veröffentlicht, die sich auf die analytischen Aspekte konzentrieren [11]. Um die Standardisierung der aPL-Testsysteme zu verbessern, wurde vom Committee on Harmonization of Autoimmune Testing in der International Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine in Zusammenarbeit mit dem Joint Research Institut of the European Commission die Möglichkeit untersucht, ein zertifiziertes Referenzmaterial mit standardisierten Eigenschaften (definierte Anti-β2GPI-IgG-Antikörperkonzentration in einem Matrixmaterial) zu entwickeln. Die Verfügbarkeit dieses Referenzmaterials würde es erlauben, die Ergebnisse in absoluten Werten auszudrücken [13].

 

Risikostratifizierung

Das aPL-Profil ist ein wichtiger Faktor für das Thromboserisiko und variiert je nach Kombination der aPL-Positivität, der Isotypen sowie der Titerhöhe der nachgewiesenen Antikörper. Der isolierte Nachweis von aCL-Antikörpern ist mit dem geringsten Thromboserisiko verbunden, während dreifach positive aPL (LA-, aCL- und aβ2GPI-Antikörper positiv) unabhängig von ihrem Isotyp mit dem höchsten Risiko verbunden sind [14]. Es wurde jedoch auch festgestellt, dass die isolierte LA-Positivität mit einem hohen Thromboserisiko einhergeht [15]. Je höher die Titer für aCL und aβ2GPI sind, desto wahrscheinlicher ist auch ein positiver LA-Test und desto höher ist das Thromboserisiko. Hinsichtlich des Thromboserisikos formulierte die ISTH folgende Laborkriterien [16]: Dreifach positive Laborbefunde (LA, ACA und β2GPI-AK) sind mit dem höchsten Thromboserisiko assoziiert. Doppelt positive Patient:innen (meist LA negativ) haben ein niedrigeres Thromboserisiko, während einfach positive Patient:innen (entweder aCL- oder β2GPI-AK) das geringste Risiko aufweisen. In den evidenzbasierten Empfehlungen der EULAR von 2019 für das Management des Antiphospholipid-Syndroms (APS) wurde das aPL-Profil als Hauptrisikofaktor für die Prognose und die Konsequenzen der Therapie definiert [17].

Fazit

Die Labordiagnostik von aPL ist entscheidend bei der Diagnose von APS, bleibt jedoch eine Herausforderung. In den letzten Jahren wurden einige Fortschritte erzielt, um die Heterogenität der Assay-Techniken zu harmonisieren. Es fehlt jedoch nach wie vor an international vorgegebenem Referenzmaterial, um die Variabilität zwischen den Tests und den Laboren zu überwinden. Um den diagnostischen Nutzen zu steigern sowie eine Risikostratifizierung anhand des Antikörperprofils zu ermöglichen, sollten alle drei Assays (LA, β2GPI-abhängige aCL, aβ2GPI-IgG und -IgM) gleichzeitig und gemäß den Richtlinien durchgeführt werden. Eine Bestätigung eines positiven Ergebnisses nach zwölf Wochen ist erforderlich, da im Rahmen des APS nur persistent vorhandene Antikörper klinisch relevant sind. Die Interpretation der Ergebnisse sollte immer in klinischem Kontext und in Kenntnis des Antikoagulationsstatus der Betroffenen in enger Zusammenarbeit von Labor und Kliniker:innen erfolgen.  

Autor
Dr. dr. med. Zsuzsanna Wolf
Institut für Laboratoriumsmedizin
Deutsches Herzzentrum München
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