Neurologie: Infektion, Inflammation und Degeneration

Die Produktinformationen auf dieser Doppelseite machen sehr deutlich, dass entzündliche und degenerative Erkrankungen des Zentralnervensystems heute dank zahlreicher traditioneller und innovativer Biomarker gut diagnostiziert und überwacht werden können. Das „Vier-Kompartiment-Modell“ des Gehirns [1] bedingt aber, dass bei der Interpretation von Messungen im Blut und Liquor cerebrospinalis (CSF, cerebrospinal fluid) deutlich komplexere Verteilungsmodelle zu berücksichtigen sind als bei anderen Organen.

Die vier Kompartimente sind:

  1. Intrazellulärraum der Nerven- und Gliazellen
  2. Labyrinth zwischen deren verflochtenen Fortsätzen
  3. Liquorraum
  4. Intravasalraum von Gehirn, Hirnhäuten und Plexus choroideus

Das Labyrinth ist zum Liquorraum hin offen, während Liquor- und Intravasalraum durch die semipermeable Blut-Hirn-Schranke voneinander getrennt sind. Hierbei handelt es sich um Verbindungen zwischen den Zellen des Kapillarendothels, den sog. tight junctions, die von spezifischen Proteinen wie etwa Occludin, E-Cadherin, Cingulin u. a. gebildet werden.

Ionen, Gase und kleine Moleküle (z. B. Kalium, Sauerstoff, Ethanol) passieren diese zelluläre Schranke leicht, sodass sich zwischen den verschiedenen Kompartimenten ein Gleichgewicht einstellt. Mittelgroße Moleküle bis zu 500 kDa können die Schranke je nach Anteil lipophiler Strukturen unterschiedlich gut passieren, und sehr große Moleküle oder Zellen (z. B. IgM, Lymphozyten) werden nahezu vollständig ausgeschlossen.

Die unterschiedliche Verteilung mittelgroßer und großer Proteine ist die Grundlage von parallelen Messungen in Liquor und Blut mit Berechnung von Liquor-Serum-Quotienten. Damit kann man einerseits die Intaktheit der Blut-Hirn-Schranke prüfen und andererseits bei neuroinflammatorischen Zuständen – etwa der Multiplen Sklerose (MS) – eine autochthone Antikörperbildung im Gehirn beweisen. Besonders aussagekräftig ist der Vergleich der IgG- und Albumin-Quotienten mit grafischer Darstellung im sog. Reiber-Schema. Diagramme wie in Abb. 1 werden von einigen Laborinforma­tionssystemen und Analysegeräten ausgegeben.
 

Jenseits der genannten Verteilungsfragen bestimmen aktive Stoffwechsel-, Transport- und Sekretionsprozesse die Konzentration von CSF-Bio­markern. Proteine mit unerwartet hohen Spiegeln wie β2-Mikroglobulin oder neuronenspezifische Eno­lase (NSE) werden in der Regel im ZNS selbst produziert [1]. 
Generell kann man aber sagen, dass über 80 % der Liquorproteine aus dem Serum stammen, wobei mittelgroße Moleküle wie Albumin oder α1-Antitrypsin dominieren. Umgekehrt lassen sich einige im Gehirn freigesetzte Proteine auch im Rahmen orientierender Untersuchungen im Blut messen und somit ohne Liquorpunktion diagnostisch nutzen, z. B. NFL (neurofilament light chain) bei neurodegenerativen Prozessen oder S100B bei Hirntraumata mit Blutung. Die Zahl solcher ZNS-Marker hat in letzter Zeit enorm zugenommen. Tab. 1 gibt einen Einblick in traditionelle und innovative Biomarker mit Seitenverweisen auf die jeweiligen Produktinformationen. Besonders stark wächst aktuell die Palette spezifischer Tests für Antikörper gegen körpereigene Strukturen und infektiöse Pathogene. So beobachten wir eine Zunahme neuer Erreger von Enzephalitiden,  etwa des Bornavirus. Diese geben der neurologischen Diagnostik immer wieder Rätsel auf, die durch neue Diagnostika gelöst werden müssen – und können. 

Tab. 1: Traditionelle und innovative Biomarker für die Diagnostik neurologischer Erkrankungen.
L = Liquor, S = Serum, PL = Pleuraflüssigkeit, U = Urin

Biomarker

Erkrankungsbild

Link

Neurofilament pNfH (L, S)

Amyotrophe Lateralsklerose

66

Anti-NMDA Rezeptor (S)

Autoimmun-Enzephalitis

66

Anti-VGKC (S)

Autoimmun-Enzephalitis

66

β-Trace-Protein (L, U)

Liquorfistel

 

Amyloid-Spaltprodukte (L, S)

M. Alzheimer

66, 67

Tau-Proteine (L, S)

M. Alzheimer

66, 67

sTREM2 (L)

M. Alzheimer

67

NPTX-2 (S)

M. Parkinson

66, 67

Anti-N-Acetylcholinrezeptor (S)

Myasthenia gravis

66

CXCL13 (L)

Neuroborreliose

66

Immunglobuline (L, S)

Neuroinflammation

69

Freie Leichtketten (L)

Neuroinflammation

69

Neurofilamente (L, S)

Neuroinflammation (MS)

66, 67

Anti-Aquaporin-4 (S)

Neuromyelitis optica

66

S100-Protein (L, S)

Schädel-Hirn-Trauma

 

NSE (L, PL, S)

Tumoren, Neurodestruktion

 

Antikörper gg. z. B. BoDV-1 (L, S)

Enzephalitis

66, 68

Dr. Gabriele Egert
Prof. Dr. Georg Hoffmann 
Mitglieder der Redaktion

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