Das Konzept der Referenzintervalle feiert dieses Jahr einen runden Geburtstag: Vor 50 Jahren gründete die International Federation of Clinical Chemistry (IFCC) ein „Expert Panel on Reference Values“, das die Grundlagen für die Beurteilung von Laborwerten in Gesundheit und Krankheit schaffen sollte [1]. Kein Hersteller könnte heute einen Test mit Erfolg vermarkten, ohne Referenzgrenzen anzugeben, und kein Labor darf Analysenresultate übermitteln, ohne diese Grenzen überprüft zu haben. Was selbst Laborfachleute oft nicht wissen: Für die Geräte- und Reagenzhersteller ist die Angabe von Referenzintervallen nur eine Kann-Bestimmung der IVDR (In-vitro Diagnostics Regulation), für Labore ist die Überprüfung der Angaben dagegen ein Muss.
Mit Hinweis auf ein international anerkanntes IFCC/CLSI-Dokument [2] enthält nämlich nahezu jeder Methoden- Beipackzettel eine explizite Aufforderung zur Referenzintervallprüfung, und da die Herstellerangaben laut Richtlinie der Bundesärztekammer (Rili-BÄK) ein verpflichtender Bestandteil jeder Verfahrensbeschreibung sind, muss die Aufforderung auch umgesetzt werden. Dies lässt sich fachlich durchaus begründen, weil die Referenzgrenzen bekanntlich Schwankungen in Abhängigkeit vom Einsenderkollektiv (Alter, Geschlecht, Ethnie), der Präanalytik (z. B. Röhrchentyp, Abnahmebedingungen) und der Analytik (Methode, Reagenz- und Antikörpercharge usw.) unterliegen.
Hohe Hürden
In der Praxis wurde dieses Konzept allerdings bis vor wenigen Jahren nicht wirklich gelebt, weil die organisatorischen, finanziellen und teilweise auch ethischen Hürden zu hoch waren. Kaum ein Labor ist in der Lage, für alle seine Tests entsprechende Studien an der eigenen Einsenderklientel durchzuführen. Die Überprüfung muss nämlich für jede in den Analysen-Stammdaten aufgeführte Subpopulation (männlich, weiblich, gegebenenfalls Schwangere, Neugeborene, Säuglinge, Kinder, Senioren) erfolgen und nach ISO 15189 „regelmäßig“, zumindest aber bei jeder Umstellung der Präanalytik oder Analytik, komplett wiederholt werden [3]. Hier geht es also bei 200 bis 300 Analyten mit jeweils vier bis zehn Subkollektiven um Hunderte von Überprüfungen pro Jahr und Labor. Der damit verbundene Aufwand ist enorm und war bislang im täglichen Betrieb nicht zu leisten.
Abhilfe versprach eine IFCC-Empfehlung aus dem Jahr 2018 [4], die es erstmals gestattete, die Gruppe der offensichtlich Gesunden nicht mehr rein klinisch, sondern vorwiegend nach statistischen Kriterien zu definieren. Unmittelbar nach Erscheinen der neuen Leitlinie berichteten wir in dieser Zeitschrift über erste eigene Pilotstudien (Heft 2/2018) und entwickelten ein Schulungsprogramm, das seither regen Zuspruch findet (Abb. 1).