Angriff auf den Respirationstrakt

Humane Metapneumoviren

Akute respiratorische Infektionen (ARI) verursachen laut WHO unter den Infektionserkrankungen weltweit die meis­ten Todesfälle. Zu deren Erregern gehört das humane Metapneumovirus, dessen Entdeckung erst wenige Jahre zurückliegt. Seine Prävalenz bei ARI wird in Deutschland mit 7,5% angegeben; die klinische Manifestation reicht von einfachen oberen Atemwegsinfektionen bis hin zu lebensbedrohlichen Pneumonien.

Schlüsselwörter: hMPV, hRSV, Nichtstrukturproteine, Bronchiolitis, Immunfluoreszenz, NAT

Das humane Metapneumovirus (hMPV) wurde erstmals 2001 in den Niederlanden aus respiratorischen Proben eines pädia­trischen Patienten isoliert, dessen Symptome denen einer Infektion mit dem humanen Respiratorischen Synzytial-Virus (hRSV) ähnelten [1]. Seitdem haben Studien gezeigt, dass hMPV weltweit eine der Haupt­ursachen für Atemwegsinfektionen bei Kindern und Erwachsenen ist. Einige Jahre zuvor waren aviäre Metapneumoviren (aMPV) bereits als Erreger respiratorischer Infektionen bei Truthähnen und Hühnern in China und Korea beschrieben worden.

hMPV und hRSV

Als einzelsträngige, negativ-orientierte und unsegmentierte RNA-Viren aus der Familie der Pneumoviridae sind hMPV und hRSV eng miteinander verwandt. Das hMPV liegt in den beiden Genotypen A und B vor. Basierend auf der Variabilität der Anheftungs- (G) und Fusions- (F) Glykoproteine werden diese weiter in die Untergruppen A1, A2, B1 und B2 unterteilt.  Ob die unterschiedlichen Genotypen ähnliche oder unterschiedlich schwere Krankheitsbilder verursachen, ist bisher weitgehend ungeklärt.
Die Genome von hMPV und hRSV ähneln einander zwar sehr stark, jedoch unterscheiden sich die beiden Viren hinsichtlich ihrer Genomorganisation. Eine besondere Erwähnung verdient das Fehlen von Nichtstrukturgenen im hMPV-Genom (siehe Abb. 1), da die beiden Nichtstrukturproteine NS1 und NS2 von hRSV als potente Antagonisten der Interferon-Signalwege identifiziert wurden. Bei Kindern war die daraus resultierende Hemmung der IL-8- und TNF-α-Synthese signifikant mit einem höheren Schweregrad der hRSV-Erkrankung (p = 0,001) und einem verlängerten Krankenhausaufenthalt (p = 0,035) verbunden [2]. Ob hMPV-Infektionen deshalb milder verlaufen, konnte bisher aber noch nicht beantwortet werden.

Prävalenz

Nach der Erstbeschreibung des Virus im Jahr 2001 belegen Studien aus allen Teilen der Welt die frühe Vermutung, dass hMPV omnipräsent ist. Eine Metaanalyse von 75 Studien an hospitalisierten Patienten mit akuter respiratorischer Infektion ergab eine mittlere hMPV-Prävalenz von 6,24% (95%-KI 5,25–7,30%) im Untersuchungsgut [3]. Verfügbare Studiendaten aus Euro­pa kommen diesem Ergebnis sehr nahe. In Studien aus Belgien und Deutschland betrug die Nachweisrate von hMPV im Untersuchungsgut von Patienten mit akuter respiratorischer Infektion 7,3% bzw. 7,5%. Schätzungen in den USA gehen davon aus, dass hMPV in 5–15% der Fälle die Ursache von Bronchiolitis bei Kindern ist.

Risikogruppen

hMPV verursacht sehr häufig Erkrankungen bei Kindern sowie auch bei Erwachsenen aller Altersgruppen. Insbesondere sind Krebspatienten, Patienten mit chronischen Erkrankungen wie chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD), und geriatrische Patienten betroffen. Beispielsweise wurden Ausbrüche mit schweren Verläufen bei älteren Menschen in Langzeitpflegeeinrichtungen beschrieben [4]. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass Frühgeburt, chronische Lungenerkrankung, chronische Herzkrankheit, neuromuskuläre Erkrankungen und Immunsuppression aufgrund peripherer Stammzell- oder Organtransplantation das Risiko für schwere hMPV-Infektionen, die Notwendigkeit einer Hospitalisierung und fatale Verläufe erhöhen. Bei Patienten nach Transplantation hämatopoetischer Stammzellen geht eine hMPV-Infektion in der ersten Woche nach der Transplantation mit einem hohen Mortalitätsrisiko infolge respiratorischen Versagens einher [5].

Klinik

Das klinische Bild einer hMPV-Infektion reicht von einem leichten Infekt der oberen Atemwege bis hin zu einer lebensbedrohlichen schweren Bronchiolitis und Pneumonie, welches die häufigsten Ursachen für einen Krankenhausaufenthalt sind. Erkrankte zeigen Symptome wie Fieber, Husten, Hypoxie und Keuchen. Die durchschnittliche Dauer des Fiebers beträgt etwa zehn Tage, die Fieberkurve verläuft monophasisch. Die pathologischen Befunde einer hMPV-Infektion aus der bildgebenden Diagnostik sind in der Art und Häufigkeit nahezu identisch mit denen einer RSV-Infektion. Ebenso ist die Häufigkeit beobachteter Komplikationen (Abb. 2) und medizinischer Interventionen zwischen beiden Erregern gleich [6].

Sekundäre Erkrankungen

Je nach Studie wurde bei 6–50% der Kinder mit belegter hMPV-Infektion zusätzlich eine Otitis media diagnostiziert. Das Virus wurde hier auch in der Mittelohrflüssigkeit nachgewiesen. Bei Kleinkindern und Erwachsenen kann es zu einer Exazerbation von Asthma bzw. COPD infolge einer hMPV-Infektion kommen. In einigen Studien wurde bei Kindern ein Zusammenhang zwischen einer hMPV-Infektion mit neurologischen Erkrankungen festgestellt, die von Fieberkrämpfen bis hin zu schwerer Enzephalitis reichten; hMPV-RNA konnte aus dem Gehirngewebe eines an Enzephalitis verstorbenen Patienten isoliert werden [7]. Bis heute ist dennoch unklar, wie häufig das hMP-Virus systemische Infektionen und Infektionen außerhalb der Atemwege verursacht.

Ko-Infektionen

Bei vielen Kindern mit tiefen Atemwegsinfektionen kann mehr als eine Virusart in den Atemwegsproben nachgewiesen werden. Auch bei Säuglingen mit Bronchiolitis liegt die Rate multipler Virusnachweise (zwei oder mehr) bei bis zu 20%, wobei in etwa 10% der Fälle eine Ko-Infektion mit hMPV vorliegt. In einigen (jedoch nicht allen) Studien sind bei hMPV-infizierten Kindern virale Ko-Infektionen mit einem erhöhten Schweregrad der Erkrankung vergesellschaftet. So waren in einer der Studien bei Kindern [8] hMPV- und hRSV-Ko-Infektionen mit einer 10-fachen Erhöhung des Risikos für eine schwere Infektion mit der Notwendigkeit intensivmedizinischer Behandlung und Beatmungspflicht verbunden (relatives Risiko: 10,99; 95%-KI 5,0–24,12; p < 0,001).Re-InfektionenBei jungen Erwachsenen gehen Re-Infektionen meist mit milden Erkältungszeichen und selten mit grippeartigen Symptomen und Fieber einher. Reinfizieren sich aber ältere Patienten, kann die Erkrankung im schlimmsten Fall zum Tode führen.

Labornachweis

Da RSV- und hMPV-Infektionen klinisch nicht unterscheidbar sind, ist der Nachweis (oder Ausschluss) des Erregers mittels Labordiagnostik erforderlich. Aus Sichtweise der Krankenhaushygiene ist eine Differenzierung für die adäquate Isolation zur Vermeidung von hMPV- und hRSV-Mischinfektionen sinnvoll, da hier ein höheres Risiko für schwere Infektionen nicht ausgeschlossen werden darf [8]. Zudem kann das Auftreten von RSV-Infektionen zu einer Neubewertung der Infektionsprophylaxe mit Palivizumab bei bestimmten Patientengruppen führen. In Bezug auf die medikamentöse Therapie sind die Erfahrungen bei hRSV- deutlich besser als für hMPV-Infektionen. So wurde bei immunschwachen Patienten mit hRSV-Infektion die Wirksamkeit von intravenösem oder oralem Ribavirin in Kombination mit intravenösem Immunglobulin (IVIG) gezeigt [9]. Normalerweise wird hMPV in Atemwegs­sekreten symptomatischer Patienten nachgewiesen. Da alle Genotypen Infektionen verursachen und in Europa verbreitet sind [10], sollten die verwendeten diagnostischen Verfahren demnach auch alle Genotypen vollständig abdecken.

Virusisolierung

In Studien unter Verwendung von 19 verschiedenen Zelllinien waren die für das Wachstum von hMPV am besten geeigneten Zelllinien eine humane Chang-Konjunktiva-Zelllinie (Klon 1-5C4) und eine feline Nieren-CRFK-Zelllinie [11]. In Zellkulturen hat hMPV allerdings eine langsame Wachstumsrate. Die Virusvermehrung kann 14 Tage oder länger dauern, und die späten zytopathischen Effekte variieren von der Rundung der Zellen und ihrer Ablösung von der Kulturmatrix bis zur Bildung kleiner Synzytien. Zudem benötigt das Virus exogenes Trypsin, um sich in vitro zu replizieren. Angesichts der verlängerten Zeit für die effektive Kultivierung von hMPV ist der klinische Nutzen eingeschränkt. Zudem betrug in Studien die Sensitivität der Zellkultur-Nachweismethoden lediglich 68% (Spezifität 99%) im Vergleich zum molekularen Nachweis von hMPV.

Serologie

Obwohl eine serologische Diagnostik prinzipiell möglich ist, hat aufgrund des hohen Durchseuchungsgrades ein seropositiver Status nur eine eingeschränkte Aussagekraft in Bezug auf hMPV als Auslöser der Erkrankung. Die Diagnose ist somit an eine messbare Serumkonversion oder einen vielfachen Anstieg des Antikörper-Titers bei seriellen Proben gebunden. Der klinische Nutzen in der Akutdiagnostik ist deshalb auch hier eingeschränkt.

Immunfluoreszenz

Der direkte Nachweis des Virus in respiratorischen Proben über Fluoreszenz-markierte Antikörper (direct fluorescent antibody, DFA) ist eine vergleichsweise schnelle und günstige Methode. Die analytische Spezifität in publizierten Studien liegt bei 94–100%. Die analytische Sensitivität ist jedoch im Vergleich zum molekularen Nachweis durchweg geringer und mit hohen Varianzen (40–95%) behaftet. Im Falle eines negativen Testergebnisses ist somit eine Nachtestung mit einer Methode in Betracht zu ziehen, die ohne Verluste in der Spezifität eine höhere Sensitivität verspricht.

NAT

hMPV ist ein einzelsträngiges RNA-Virus. Der Nachweis mittels Nukleinsäure-Amplifikations-Technologien (NAT) mit reverser Transkription wird mittlerweile als Methode der Wahl beschrieben. Sensitivität und Spezifität in publizierten Studien liegen regelhaft bei über 94% bzw. über 97%. Durch Auswahl geeigneter Primer für bestimmte Sequenzen im F- und N-Gen ist ein spezifischer Nachweis von hRSV und die Differenzierung zu anderen respiratorischen Viren möglich [12]. Bei den hoch-sensitiven NAT ist jedoch zu berücksichtigen, dass hMPV auch bei asymptomatischen Trägern nachgewiesen wurde [13], und Ko-Infektionen mit anderen viralen Pathogenen beschrieben sind (siehe oben). Deshalb kann die Anwendung von Multiplex-Tests je nach Fall (z. B. bei grenzwertig positiven hMPV-Testergebnissen) sinnvoll sein, um andere potenzielle Erreger zu erfassen. Hilfreich bei der Interpretation der Testergebnisse kann sein, dass in einer Studie bei Kindern die hMPV-Viruslast mit dem Schweregrad der Erkrankung korrelierte [14].
Des Weiteren ist die Möglichkeit der Probenkontamination in Betracht zu ziehen. Manche Labore empfehlen, das erste Aspirat bei der Probennahme zu verwerfen und das folgende in einem sterilen, geschlossenen Röhrchen der NAT-Untersuchung zuzuführen.    

Autor
Dr. Jürgen Becker
Quidel Germany GmbH