Bei „Grippe“ auch an RSV-Infektion denken

Respiratorische Infektionen

Der molekulardiagnostische Nachweis von Influenzaviren ist heute im Krankenhaus gut etabliert, während RSV-Bestimmungen häufig unterbleiben. Eigene Beobachtungen zeigen, dass RSV-Infektionen bei älteren Patienten unerwartet schwere Verläufe mit erhöhter Mortalität zeigen. Ursächlich hierfür können sowohl die Viruspathogenität als auch erhöhte Raten an bakteriellen Superinfektionen sein. Aus diesen Gründen sollte die RSV-Diagnostik bei grippeähnlicher Symptomatik zumindest bei Risikokollektiven intensiviert werden.

Schlüsselwörter: Influenza, RS-Virus, bakterielle Superinfektion, Mortalität

Respiratorische Infektionen treten besonders häufig bei Kindern unter 5 Jahren und bei älteren Menschen über 65 Jahren auf. Wenn Grunderkrankungen vorliegen, können sie mit Komplikationen einhergehen, die eine Hospitalisierung erfordern. Gefürchtet sind – insbesondere bei älteren Patienten – tödliche Verläufe einer Influenza mit bakterieller Super­infektion.

Betrachtet man epidemiologische Daten zu saisonalen respiratorischen Virusinfek­tionen, so fällt die Häufigkeit positiver Influenzanachweise auf; an zweiter Stelle folgt das Respiratory Syncytial-Virus (RSV), das eine ähnliche Symptomatik auslöst (Abb. 1). Allerdings wird die RSV-Infektion bei Erwachsenen von vielen Ärzten unterschätzt und deshalb selten aktiv diagnostiziert. Dies ist bedauerlich, denn ohne gezielten Virusnachweis ist eine Unterscheidung der beiden Erkrankungen und damit eine korrekte Diagnose schwierig bis unmöglich.

Pädiater kennen das RS-Virus vergleichsweise gut, da es die häufigste Ursache für eine Hospitalisierung von Kindern mit schweren Atemwegsinfektionen (Bronchitis, Bronchiolitis, Pneumonie) darstellt. Zudem kann es über spezifische Virusproteine zum Wegbereiter einer allergischen Prädisposition für Asthma werden[1].

Abb. 1: Bis auf gehäufte Durchfälle zu Beginn einer Influenza weisen beide Infek­tionen ähnliche klinische Zeichen auf. *** p < 0,001

Beobachtungsstudie

Im Rahmen einer retrospektiven Studie gingen wir der Frage nach, ob sich die Indikation für den gezielten Virus-Nachweis bei Erwachsenen aus dem klinischen Verlauf einschließlich labor­diagnostischer Untersuchungen erhärten lässt. Begünstigt wurde die Entscheidung für diese Untersuchung dadurch, dass das Aufkommen Influenza-ähnlicher Erkrankungen in der laufenden Saison 2016/2017 besonders hoch war.

Die Virus-Diagnostik erfolgte im Rahmen der Studie mit einer kombinierten Influenza- und RSV-PCR (Cepheid). Das Ergebnis lag in der Regel innerhalb von 20 bis 30 Minuten vor, was ein optimales Management der potenziell infektiösen Patienten gewährleistete. Zwar existieren auch POCT-fähige Antigentests (meist Lateral-Flow-Verfahren), die die schnelle Vor-Ort-Diagnostik erleichtern; sie sind allerdings weniger sensitiv als die PCR. Da der Krankheitsbeginn in der Regel nicht genau terminiert werden kann und die Virusausscheidung sowohl bei RSV als auch Influenza rasch abfällt, verzichteten wir zur Vermeidung falsch negativer Befunde auf diese Option.

 

Typischer Fallbericht

Ein 69-jähriger Mann wird bewusstlos in seiner Wohnung aufgefunden und in unser Krankenhaus gebracht. Anamnestisch besteht neben einem Diabetes mellitus eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Wegen erhöhter Entzündungswerte und einer O2-Sättigung von 60% liegt der Verdacht auf eine Infekt-exazerbierte COPD nahe. Die PCR auf Influenza und RSV erbringt den Nachweis von RSV im Rachenabstrich, weshalb man auf eine Antibiose verzichtet[2].

Auf der Intensivstation wird der Patient intubiert, da sich die Sauerstoffsättigung unter nicht-invasiver Beatmung nicht stabilisieren lässt. Am zweiten Tag steigen Krea­tinin und die Transaminasen als Zeichen eines beginnenden Nieren- und Leberversagens an. Das CT der Lunge ergibt im rechten Unterlappen fleckförmige Verdichtungen im Sinne einer Pneumonie. Am vierten Tag wird S. aureus im Trachealsekret nachgewiesen. Trotz resistenzgerechter Antibiose verschlechtert sich die kardio­respiratorische Situation dramatisch und der Patient verstirbt am neunten Tag.

Ergebnisse

Zwischen dem 1.1. und 31.3.2017 wurden 2.241 kombinierte Virustests bei hospitalisierten Patienten im Alter von 7 bis 97 Jahren mit grippeähnlichen Symptomen durchgeführt. In 191 Fällen wurden Influenza A und in 98 Fällen RSV nachgewiesen.

Trotz ähnlicher Klinik kam es in der RSV-Gruppe zu deutlich schwereren Verläufen als bei der Influenza (Abb. 2): Etwa dreimal so viele Patienten wurden intensivpflichtig und mussten beatmet werden, und fast doppelt so viele verstarben. Die signifikant höhere Rate an Antibiotika-Behandlungen kann als Surrogatmarker für eine höhere Rate an Superinfektionen interpretiert werden, doch ließ sich diese Vermutung retrospektiv nicht mehr in allen Fällen überprüfen.

Die im Rahmen der vorliegenden Studie gemessenen Laborwerte (z. B. pO2 und Sauerstoffsättigung, LDH und Glukose) unterschieden sich in den beiden Gruppen nicht. Lediglich die Leukozytenzahlen lagen in der RSV-Gruppe tendenziell höher (Abb. 3, p = 0,086).

Abb. 3: Verteilung der Leukozytenwerte in den beiden Gruppen. Die waagrechten Striche geben die Mediane, die roten Boxen die zentralen 50% der Werte an.

Schlussfolgerungen

Unsere Beobachtungen bestätigen, dass Infektionen mit Influenza- und RS-Viren von der klinischen Symptomatik her nicht sicher unterschieden werden können. Wie bereits in früheren Arbeiten beschrieben, spielt vor allem bei älteren Patienten die Falldefinition Influenza-ähnlicher Erkrankungen keine überragende Rolle: Bei einem Drittel der Patienten sieht man gar keine typische respiratorische Symptomatik[3], bei zwei Dritteln ist ein trockener Husten das führende oder einzige Symptom. Auch werden im Regelfall normale Körpertemperaturen gemessen.

All diese aus der Literatur bekannten Beobachtungen konnten wir in unserer Studie bestätigen. Überraschend war hingegen der deutlich schwerere Verlauf und die fast doppelt so hohe Mortalität bei RSV- im Vergleich zu Influenza-A-Infektionen. Dies war in diesem Ausmaß aus der Literatur bislang nicht ersichtlich und verlangt nach einer weitergehenden Analyse.

In einigen klinischen Studien zeigte der Blutzucker prognostische Bedeutung: je niedriger der Wert zu Beginn der respiratorischen Erkrankung, desto schwerer der Verlauf [4]. Diesen Unterschied konnten wir in unserem Krankengut nicht bestätigen. Auch die Rate nachgewiesener nosokomialer Infektionen war in beiden Gruppen gleich, wobei aber zu berücksichtigen ist, dass es sich hier um eine rein retrospektive Beobachtung handelt und kein systematisches Erregerscreening erfolgte.

Auffällig ist dennoch am ehesten der signifikant höhere Bedarf an intensiver Beatmung und Antibiotikatherapie bei den RSV-Infektionen, der für vermehrte bakterielle Superinfektionen sprechen könnte. Dieser Vermutung sollte in einer prospektiven Untersuchung größere Aufmerksamkeit geschenkt werden[5], beispielsweise durch regelmäßige Procalcitonin-Messungen und engmaschigere mikrobiologische Sputumtestungen. Die nicht unerheblichen Raten an nosokomialen Infektionen in beiden Gruppen unterstreichen die infektionspräventive Bedeutung einer frühzeitigen Diagnostik: Infizierte Patienten gelten als infektiös und sollten zumindest unter stationären Bedingungen isoliert werden.


Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Ambrosch

Mitglied der Redaktion