Ein ethischer Drahtseilakt

Präimplantationsdiagnostik versus Genchirurgie

Erinnert sich noch jemand an den Gesetz­entwurf zum Verbot der Präimplantations­diagnostik? Darin stand, die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik (PID) gefährde die Akzeptanz gesellschaftlicher Vielfalt und erhöhe den Druck auf die Eltern, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Weiter hieß es dann ganz lapidar: „Die Durchführung der PID wird unter Strafe gestellt."

 

Nur eine Frage der Technik?

Das war vor gerade einmal fünf Jahren, was angesichts der jüngsten Fortschritte der Biowissenschaften fast wie eine Ewigkeit klingt. Inzwischen ist die PID – wenn auch in engen Grenzen – erlaubt und wird an elf spezialisierten Zentren erfolgreich durchgeführt. Die Zahl der Anträge ist überschaubar, die meisten von ihnen werden positiv beschieden, und in einem ersten Erfahrungsbericht der Bundesregierung vom Dezember 2015 konnte die Geburt von vier gesunden Kindern genetisch schwer vorbelasteter Eltern vermeldet werden.

 

Neuer Diskussionsstoff

Alles schien bestens geregelt und – wie auf den nächsten Seiten dargestellt – nur noch eine Frage der richtigen Untersuchungs­technik zu sein. Doch dann kam CRISPR-Cas9, das „Präzisionswerkzeug der Genchirurgie", und mit ihm flammte die Diskussion wieder auf. Selektion oder Reparatur? Das war die Frage, die sich nun plötzlich stellte.

Auf der einen Seite ist die Genmanipula­tion an Embryonen in Deutschland verboten, weil Eingriffe in die Keimbahn auch alle nachfolgenden Generationen betreffen. Auf der anderen Seite könnte es künftig unzulässig sein, Embryonen aufgrund einer genetischen Analyse auszusortieren, wenn man das krankhafte Gen stattdessen auch gezielt reparieren kann. Ein Drahtseilakt, der bei der Jahrestagung 2016 des Deutschen Ethik­rats kontrovers diskutiert wurde*.

Dort gab Sigrid Graumann, Professorin für Ethik an der Hochschule Westfalen-Lippe, als prominente Gegnerin der Keimbahntherapie zu bedenken, dass CRISPR-Cas9 das Transfergen durchaus auch an falscher Stelle ins Genom einbauen könne; die Folgen würden sich letztlich erst im entwickelten Organismus zeigen, und das sei keine Therapie, sondern ein unzulässiger Menschenversuch. Zwar könne man den Erfolg mittels PID kontrollieren, doch dann sei die Genomeditierung überflüssig.

Dem entgegnete Prof. Reinhard Merkel, emeritierter Rechtsphilosoph der Universität Hamburg, es gebe durchaus Fälle, in denen es trotz PID unwahrscheinlich sei, auch nur einen einzigen gesunden Embryo zu finden, z. B. wenn beide Eltern das krankmachende Gen tragen oder die Krankheit von mehr als einem Gen abhänge. Dann sei die Gentherapie geradezu geboten.

 

Machbarkeit gezeigt

Einig waren sich Gegner wie Befürworter der Keimbahntherapie, dass die Anwendung von CRISPR-Cas9 am Menschen bislang nicht erprobt und die Diskussion deshalb vorerst rein wissenschaftlicher Natur sei. Doch das ist seit November 2016 ebenfalls Geschichte. Laut einem Bericht von Nature News gelang es Forschern der Sichuan-Universität in Chengdu, China, aus den T-Zellen eines Krebspatienten mithilfe von CRISPR-Cas9 ein Gen herauszuschneiden, das eine Rolle bei der Immunabwehr spielt (doi:10.1038/nature.2016.20988).

Die so behandelten T-Zellen konnten den PD-1-Rezeptor nicht mehr exprimieren, was ihre Aggressivität gegen die Karzinomzellen steigerte. Noch ist dieses Experiment nur ein „Proof of Prinicple", denn derselbe Effekt lässt sich auch ohne Genchirurgie durch sog. Check-Point-Inhibitoren medikamentös erzielen. Doch die Machbarkeit am Menschen ist damit gezeigt – und die Bühne frei für neue Diskussionen.

gh

*http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/jahrestagungen/zugriff-auf-das-menschliche-erbgut/