Stolpersteine auf dem Weg zur Perfektion

Point-of-Care-Diagnostik: Ein Erfahrungsbericht

Michael Gruber, Ellen Behler, Josef Mages, Bernhard Tarras, Carsten Gnewuch

 

Trotz aller technischen und organisatorischen Fortschritte gibt es im POCT-Betrieb eines großen Klinikums noch immer viele Reibungsverluste. Um sie zu überwinden, müssen Schnittstellen standardisiert und reduziert werden, sowohl zwischen den Messgeräten und IT-Systemen als auch zwischen den intern und extern beteiligten Menschen.
Schlüsselwörter: POCT, Schulung, Schnittstellenstandards, Dokumentation, Qualitätssicherung, Service

 

Bis vor etwa zehn Jahren wurde patientennahe Sofortdiagnostik am Universitätsklinikum Regensburg (UKR) ausschließlich auf einem abteilungsinternen Niveau abgewickelt. Sowohl für die Auswahl von Parametern als auch für die Anschaffung von Geräten, das Bestellwesen und die Qualitätssicherung gab es klinikumsweit keine zentrale Koordination. Mit Unterstützung eines DFG-Großgeräteantrages und der Ausschreibung von drei Losen (Blutgas- und Glukosemessgeräte sowie Zentralsoftware) wurde ein systematischer Konsolidierungsprozess hin zu einem zentral überwachten, integrierten POCT-System am UKR eingeleitet, um POCT-spezifische Prozesse im Rahmen eines übergeordneten Qualitätsmanagements (QM) zu vereinheitlichen, vom Einkauf über die EDV-Anbindung, den Medizintechnikservice, die Anwenderschulung, das zentrale Geräte-Monitoring bis hin zur POCT-Akkreditierung[1–3].
Eine eigene Arbeitsgruppe POCT sowie ein POCT-Beauftragter und ein POCT-Koordinator konnten viele Verbesserungen hinsichtlich Kostenreduktion (Preis pro Befund), Qualitätssicherung und Ausfallsicherheit erreichen. Trotzdem erscheint das Ziel einer perfekt geölten POCT-Maschinerie immer noch in weiter Ferne. Die Gründe dafür sind vielfältig und lassen sich auf interne und externe Gegebenheiten zurückführen, die im Folgenden anhand von Praxisbeispielen erläutert werden.

Der Faktor Mensch
Selbst vor dem Hintergrund einer Rund-um-die-Uhr-Zentrallaborversorgung mit kurzen Probentransportwegen kann auf eine sinnvolle Ergänzung mit POCT-Systemen, die den Akut-Patientenstatus kontrollieren, nicht verzichten werden. “So viel wie nötig, so wenig wie möglich” bleibt die Richtschnur für die POCT-Entscheider, wobei neben ökonomischen und medizinischen auch pragmatische Aspekte der Anwender- und Servicefreundlichkeit berücksichtigt werden müssen. Nur wenn jedem der über tausend POCT-Anwender vermittelt werden kann, dass er ein wichtiger Teil einer umfassenden – auch diagnostischen – Patientenversorgung ist, die eine optimale Qualitätssicherung erfordert, kann eine erhöhte Compliance erwartet werden.

Leider engen aber Pflegenotstand und zunehmende Dienstpflichten die Schulungszeiten erheblich ein, sodass eine qualitätsgesicherte Patientenversorgung nach den Mindestanforderungen der RiliBÄK oft schwierig wird. Immer noch kommt es durch Fehlbedienungen bzw. Vernachlässigung von Anwenderpflichten zu vereinzelten Geräteausfällen.
Andererseits zeigen Ergebnisse unserer POCT-Audits, die in regelmäßigen Abständen abteilungsweise durchgeführt werden, dass das Qualitätsbewusstsein bei den POCT-Anwendern mit der Qualität der Schulungen zunimmt. Viel hängt letztlich vom Grad der Betreuung durch den POCT-Koordinator ab; E-Learning-Tools können den persönlichen Kontakt nicht wirklich ersetzen.

 

Schnittstellen als Schwachstellen
Großes Optimierungspotenzial besteht weiterhin bei der Anbindung herstellerfremder Geräte an herstellerspezifische POCT-Software. Es reicht eben nicht aus,  “POCT1-A-Standarderfüllung” zu proklamieren und damit zu suggerieren, dass unterschiedliche Systeme leicht anschließbar seien. In der Praxis stellt sich immer wieder heraus, dass Daten mit inakzeptablen Verzögerungszeiten oder auch fehlerhaft übertragen werden, oder dass sie zwar schnell und korrekt übertragen, aber in der Berichtsansicht falsch dargestellt werden.
In dieser Situation liegt es scheinbar nahe, mehrere Datenkonzentratoren hinter­einander zu schalten – also zum Beispiel die POCT-Geräte an verschiedene herstellerspezifische Datenmanager anzuschließen, die die Daten an eine system­übergreifende POCT-Software und von dort an das Laborinformationssystem weitergeben. Eine solche Kaskadierung sollte aber nach Möglichkeit vermieden werden, da sie hohe Kosten verursacht, zusätzliche Schnittstellen benötigt, schwer zu konfigurieren und zu warten ist und am Ende große Probleme bei der Suche nach Fehlerursachen bereiten kann.

Sicherheitsaspekte

Die POCT-Software-Systeme am UKR laufen auf Windows Server 2012 bzw. Windows 7 als eigenständige virtuelle
Maschinen unter VMware. Die mehrfache Redundanz auf Prozessor-, Arbeitsspeicher- und Massenspeicherebene gewährleistet eine hohe Ausfallsicherheit. Der Blutzucker-Server erhält stationsspezifische Patientendaten direkt vom klinikweiten SAP-System, das auch die Zuordnung von Patienten zur Station liefert. Dabei kommt es zeitweise zu kleineren Diskrepanzen zwischen der Stationsbelegung und den auf den Geräten bereitstehenden Stationslisten. In diesen Fällen muss eine manuelle Probenidentifikation ermöglicht werden.
Die POCT-Akkreditierung stellt über die RiliBÄK hinaus zusätzliche Qualitäts- und vor allem auch Dokumentationsanforderungen. Am UKR ist aktuell nur die Blutzuckerbestimmung im Unit-use-Modus akkreditiert, die sich mit überschaubarem QM-Aufwand so kontrollieren lässt, dass sie den normativen Anforderungen entspricht.
Zur Akkreditierung gehört aber auch die Pflicht zur medizinischen Validierung jedes POCT-Ergebnisses, das in einem LIS-Befundbericht mündet. Da die therapeutische Entscheidung allerdings längst am Krankenbett getroffen worden ist, bevor das Zentrallabor eine medizinische Validierung  durchführen kann, ist diese Verpflichtung allenfalls ein retrospektiver Verwaltungsakt.

Vertrauensvolle Partnerschaft
Die Fülle der möglichen internen und externen Schnittstellenprobleme verleitet die Anbieter häufig dazu, sich auf den Verkauf und die standardisierten Servicevereinbarungen zurückzuziehen und jedes darüber hinausgehende Engagement auf ein Minimum zu beschränken. Schlecht abgestimmte oder nicht mehr bediente Serviceprozesse bewirken dann aber, dass die Akzeptanz der implementierten Lösung beim POCT-Endanwender abnimmt und primäre Anwendertätigkeiten an andere  Bereiche delegiert werden, um Personalressourcen am Krankenbett zu schonen.
An dieser Stelle ist es die Aufgabe des POCT-Koordinators, die Vorteile, die sich aus einer vertrauensvollen Partnerschaft zwischen Station, Zentrallabor und Hersteller ergeben, klar herauszuarbeiten und die externen Partner an ihre Qualitätsversprechen zu erinnern.

Generationswechsel erforderlich
Die Realisierung eines einfachen, fehlerfreien und geräteübergreifenden Datenflusses im POCT-Bereich scheint trotz aller technischen Fortschritte und Standardisierungsbemühungen immer noch in weiter Ferne zu liegen, ganz zu schweigen von einer einheitlichen oder zumindest klar definierten Materialschnittstelle für alle POCT-Geräte. Gerade in einem großen Universitätsklinikum oder Klinikverbund mit Hunderten von Messgeräten und Tausenden von Anwendern wäre aber genau dies die Grundvoraussetzung für einen reibungslosen Betrieb.
Im Zentrallabor hat die Industrie vor über zehn Jahren den Sprung von der zweiten in die dritte Generation der Laborsysteme erfolgreich vollzogen – also von einer Ansammlung unterschiedlichster Stand-alone-Geräte zur einheitlichen Systemplattform mit klar definierten Material- und Informationsschnittstellen. Es ist an der Zeit, dass dieser Generationswechsel nun auch im POCT-Bereich vollzogen wird.

Ausblick
Die eigentliche Vision der Anwender am Krankenbett wäre allerdings eine automatisierte Messung von Laborwerten direkt am oder im Patienten, also unter Vermeidung von Blutentnahme, Transport und anderen präanalytischen Prozessschritten – denn hier liegen bekanntlich die gravierendsten Fehlerursachen und Qualitätsmängel.
Erste Ansätze bei der kontinuierlichen Glukosemessung und den sog. „Wearables“ sind zu erkennen, aber bis diese Techniken in breitem Umfang ins Krankenhaus Einzug halten, werden noch Jahre wenn nicht Jahrzehnte vergehen. Das wäre dann die „vierte Generation der Laborsysteme“ – und eine Revolution für die Medizin.