Potenzial mit Fragezeichen

Liquid Biopsy aus Sicht der Molekularpathologie

Die „Flüssigbiopsie“ hat sich rasch als Hoffnungsträger der Krebsdiagnostik etabliert und  deckt zweifellos bislang unbefriedigte Bedürfnisse ab. Eine DGP-Expertengruppe warnt allerdings vor überzogenen Erwartungen und rät zu sorgfältiger methodischer Evaluierung.

Die „Flüssigbiopsie“ (Liquid Biopsy) ist ein relativ junger Fachbegriff, der sich auffallend rasch in der Diagnostik etabliert hat und mit großen Hoffnungen, aber auch mit Skepsis betrachtet wird. Aufgrund rasanter Fortschritte bei der molekularen Analytik freier und zellgebundener Nukleinsäuren im Blut und in anderen Körperflüssigkeiten kommt dieser Untersuchungstechnik vor allem Bedeutung bei onkologischen Fragestellungen zu, beispielsweise zum Nachweis charakteristischer Mutationen (TP53, BRAF, KRAS u. v. a.) oder zur minimal-invasiven Beurteilung der Tumorlast (siehe Kasten ).
Hervorzuheben sind zwei Quellen von Tumor-DNA im Blut, die sich einer molekularen Analyse zu medizinischen Zwecken erschließen: die zirkulierenden Tumorzellen (CTC = circulating tumor cells) und die zellfreie DNA (cfDNA = cell-free DNA) – im onkologischen Kontext auch als zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) bezeichnet. Von eher wissenschaftlichem Interesse sind Nukleinsäuren aus extrazellulären Vesikeln wie etwa den Exosomen.

Anreicherung und Analytik

Aus dem Blut von Tumorpatienten lassen sich CTC und cfDNA in äußerst geringen und sehr variablen Mengen gewinnen; Anhaltswerte aus der Literatur bewegen sich zwischen 0 und 100 Zellen bzw. 0,01 und 1 µg DNA in 10 ml Probe. Deshalb müssen generell Anreicherungsverfahren vorgeschaltet werden, ehe die eigentliche Analytik gestartet werden kann. Im Fall der CTC verwendet man u. a. antikörperbeschichtete Beads, die Oberflächenmarker von Tumorzellen wie etwa EpCAM erkennen; zur Anreicherung von cfDNA wird klassischerweise eine Affinitätschromatografie eingesetzt. Alle Präparationsverfahren haben Vor- und Nachteile. Besonders zu erwähnen sind der potenzielle Verlust der EpCAM-Expression im Rahmen der epithelial-mesenchymalen Transition von Tumorzellen im Blut sowie die unklare zelluläre Herkunft der chromatografisch aufgereinigten Nukleinsäuren.
In der molekularen Analytik finden derzeit vor allem zwei Techniken Anwendung, nämlich die BEAMing-PCR, eine Kombination aus Emulsionsamplifikation und Durchflusszytometrie und das Next Generation Sequencing (NGS). Beide Methoden sind – zumindest potenziell – in der Lage, Mutationen mit Frequenzen von weit unter 1‰ nachzuweisen.

Diagnostischer Wert

Zellfreie zirkulierende Tumor-DNA findet sich bei ca. 70% der metastasierten Fälle, aber es gibt signifikante Unterschiede zwischen den Tumorentitäten: Während bei fortgeschrittenen Kolorektal- und Ovarialkarzinomen fast immer cfDNA nachweisbar ist, findet man diese beim Prostata- oder Nierenzellkarzinom nur in etwa 40% der Fälle, bei Hirntumoren wegen der Bluthirnschranke noch viel seltener. Über alle Tumorarten hinweg liegt die Nachweisrate im Stadium I unter 50%, im Stadium IV über 80%.
Obwohl cfDNA nach Ansicht der meis­ten Autoren aus nekrotischem und apoptotischem Tumorgewebe stammt, scheinen diese „sterbenden Zellen“ klinisch relevante Hinweise auf mögliche Therapie­resistenzen zu geben – womöglich deshalb, weil die betroffenen Tumorareale einen hohen Turnover aufweisen. So zeigte die international führende Gruppe um Nitzan Rosenfeld aus Cambridge, dass PI3KCA- und TP53-Mutationen in der cfDNA von Mammakarzinompatientinnen im Verlauf einer Chemotherapie mit der Tumorlast korrelieren. Parallele Mutationsanalysen im Blut und im Tumorgewebe ergaben beim Mammakarzinom 60%, beim Ovarialkarzinom jedoch nur 19% Übereinstimmung, was einen eigenständigen diagnostischen Wert der cfDNA nahelegt. In der BREAK-2-Studie ergab sich beim mali­gnen Melanom eine Korrelation zwischen BRAF-Mutationsfrequenz und Tumorlast sowie dem gesamten und progressionsfreien Überleben. Ähnlich aussichtsreiche Daten wurden auch für NSCLC, CRC und zahlreiche weitere Tumorarten erhalten.

Zirkulierende Tumorzellen
Im Gegensatz zu cfDNA repräsentieren CTC „lebende“ Tumorzellen mit oft sehr unterschiedlichen genetischen Profilen. In den meisten Studien dient die reine Zellzählung als Surrogatmarker für das Fortschreiten einer Krebserkrankung oder für die Überlebensprognose. Darüber hinaus lassen sich aber auch Mutationen bekannter Onkogene – z. B. ALK, BRAF, cKIT oder EGFR – nachweisen, die spezifische Aussagen zur personalisierten Therapie ermöglichen könnten.
In einer Studie zum Lungenkarzinom wurden die im Primärtumor gefundenen ALK-Gen-Translokationen auch in den CTC bestätigt, in einer anderen Studie zum malignen Melanom war die Übereinstimmung beim BRAF-Gen gut (7 von 8), bei c-KIT aber nur mäßig (2 von 4). Beim Darmkrebs fand man in CTC zusätzliche Mutationen, die in kleinen Subklonen des Primärtumors erst nach intensiver Suche bestätigt werden konnten.
Studien an größeren Kollektiven müssen den diagnostischen Wert von cfDNA- und CTC-Analysen in der Routine erst noch belegen. Auf jeden Fall ist schon jetzt festzuhalten, dass blutbasierte Mutationsnachweise nur in der Zusammenschau mit dem molekularpathologischen Gewebebefund interpretierbar sind.

Fazit
Innovative, hochsensitive PCR- und NGS-Techniken haben der Liquid Biopsy in der Molekularpathologie interessante neue Forschungs- und Aufgabenfelder erschlossen. Allerdings sind weitere Studien nötig, ehe die Technik für die Routineanwendung empfohlen werden kann.