Ein interdisziplinärer Ansatz

Liquid Profiling aus Sicht der Laboratoriumsmedizin

Molekulare Marker erweitern das Spektrum biochemischer Profile im Blut. Davon profitiert vor allem die Onkologie.

Das Blutgefäßsystem ähnelt nicht nur formal dem Einzugsgebiet eines Flusses, sondern auch funktional: Es hat Kontakt zu allen Organen des Körpers, stellt deren Versorgung sicher und beseitigt Abfallstoffe. Die chemische Zusammensetzung des Flusswassers wie auch des Blutes erlaubt Rückschlüsse auf Aktivitäten und Schädigungen entlang des Stromgebiets.
Aus dieser Aufgabenstellung heraus definiert die Labor­diagnostik letztlich ihre spezifische Stellung im Konzert der medizinischen Disziplinen – auch bei der molekulargenetischen Analyse kernhaltiger Blutzellen, die seit Langem zum Standard der Laborato­riumsmedizin gehört, etwa bei der Diagnostik von Leuk­ämien oder Stoffwechselstörungen, bei der Erkennung von Blutungs- und Thromboserisiken oder zur Abschätzung von Arzneimittelwirkungen.

Eine neue Welt

Seit etwa zehn Jahren erschließt die blutbasierte DNA-Analytik den Grenzbereich zur Pathologie und Humangenetik und bereichert so insbesondere die onkologische Diagnostik. Es geht um den Nachweis und die Charakterisierung frei zirkulierender Tumor-DNA (cfDNA) sowie die DNA- und RNA-Analytik in extrazellulären Vesikeln und zirkulierenden Tumorzellen.
In der Pathologie wurde für das benö­tigte Probenmaterial der Begriff Liquid Biopsy geprägt, der die Nähe zu der mittels Biopsie gewonnenen Gewebeprobe zum Ausdruck bringen soll. Das primäre Ziel dieser Untersuchungen ist es, onkogene Mutationen im Primärtumor und im Blut vergleichend zu analysieren, um spezifischere Diagnosen stellen und Empfehlungen für die individualisierte Therapie geben zu können.

Multivariate Analysen

Aus Sicht der Labormedizin, die sich in den letzten Jahren zunehmend auf multivariate Analysen fokussiert hat, sind hoch­parallele Verfahren wie NGS, High-Density-Microarrays und digitale (klonale) Amplifikationsverfahren von besonderer Bedeutung. So erlaubt zum Beispiel die BEAMing-Technologie (Beads, Emul­sions, Amplification, and Magnetics) die ultra­sensitive Detektion krankheitsspezifischer Merkmale auf cfDNA in einem von 10.000 Molekülen – eine Genauigkeit, die neben der Onkologie zum Beispiel auch dem Nachweis fetaler DNA im mütterlichen Blut zugutekommt.
In zirkulierenden Tumorzellen wie auch im Blutplasma können mit diesen Techniken genetische und epigenetische Merkmale der DNA sowie umfangreiche mRNA- und miRNA-Profile sensitiv detektiert und diagnostisch genutzt werden (letztere auch in extrazellulären Vesikeln, vgl. S. 202 ff.). Sie erlauben es, die molekularen Eigenschaften eines Tumors und deren Veränderungen im Krankheitsverlauf mit minimal-invasivem Aufwand elegant zu verfolgen. Hierfür wurde der Begriff Liquid Profiling vorgeschlagen[1].

Onkologische Diagnostik

Früher wurden Tumormerkmale auf Nukleinsäureebene ausschließlich im Gewebe, onkologische Profile auf Protein­ebene dagegen mit Tumormarkern im Blut erstellt. Die blutbasierte Nukleinsäure­diagnostik schlägt nun die Brücke zwischen diesen beiden Paradigmen. Kürzlich zeigten Janku et al. an großen Patientenkohorten eine Übereinstimmung von über 90% der relevanten Mutationen (KRAS, BRAF, PIK3CA u. a.) zwischen ctDNA und Tumor. Beim kolorektalen Karzinom fanden Taber­nero et al. derartige Mutationen im Plasma sogar häufiger als im Gewebe – ein Hinweis auf die potenziell eigenständige Bedeutung zirkulierender Tumor-DNA.
Aufgrund ihrer hohen Aussagekraft kann man DNA-Sequenzen im Blut vor allem als „individuelle Tumormarker“ für die Stratifizierung und das Monitoring einer individualisierten Therapie, die molekulare Charakterisierung von Therapieresis­tenzen sowie die hochsensitive Erkennung einer minimalen Resterkrankung bzw. eines noch präklinischen Progresses ansehen. So entdeckten Morelli et al. 2015 in ctDNA fünf neue EGFR- und 27 neue KRAS-Mutationen bei 62 Patienten mit anti-EGFR-resistenten kolorektalen Karzinomen. Siravegna et al. zeigten, dass nach Absinken der KRAS-Mutationsspiegel im Plasma eine erneute Gabe von EGFR-Inhibitoren wirksam war. Und Garcia-Murillas et al. konnten anhand serieller ctDNA-Bestimmungen beim primär erfolgreich therapierten Mammakarzinom ein Rezidiv mit einer medianen Vorlaufszeit von acht Monaten vorhersagen.

Interdisziplinäre Schnittstellen
Die onkologische Labor­diagnostik ist auf die erfolgreiche Interaktion mit der Pathologie und Humangenetik angewiesen. So bietet es sich unter ökonomischen Aspekten an, im Blut gezielt nach Treibermutationen und Resistenzgenen zu suchen, die bereits aus dem Tumorgewebe bekannt sind. Bei Rezidiven oder Progressionen kann dagegen eine umfassende Sequenzierung im Blut und Gewebe notwendig werden, um seltenere Resistenzgene zu identifizieren.
Die traditionelle Stärke unseres Fachs liegt in der engmaschigen Überwachung des Krankheitsverlaufs, in der Verwaltung und Auswertung großer Datensätze, sowie in der Standardisierung und Qualitätssicherung der eingesetzten Verfahren. Gerade beim letzten Punkt verfügt die Laboratoriumsmedizin über hohe Expertise. Sie entwickelt externe Ringversuchsprogramme zur DNA-Isolation, Genotypisierung und Sequenzierung, die den Anwendern aus allen drei oben genannten Bereichen über nationale und internationale Institute angeboten werden.
Das gemeinsame Ziel sollte es sein, eine patientenbezogene Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle zu gewährleisten, damit „das Ganze mehr ist als die Summe der diagnostischen Einzelteile“.