Selbst für Patienten mit einer metastasierten Krebserkrankung ist heute in vielen Fällen ein Leben mit der chronischen Erkrankung bei guter Lebensqualität möglich“, konstatierte Prof. Christopher Poremba, München, zu Beginn der ersten Session zu interdisziplinären und molekularen Tumorboards. Dass eine molekular gesteuerte Therapie auch außerhalb klinischer Studien funktioniert, demonstrierten aktuell publizierte deutsche Real-World-Daten zu 95 Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom, deren Tumoren mit einem Gen-Panel analysiert wurden und für die teilweise in einem multidisziplinären Tumorboard eine an ihren genetischen Alterationen ausgerichtete Therapie empfohlen wurde [1].
Bildgebende Moleküle
Molekulare Aspekte der bildgebenden Verfahren in der Tumordiagnostik erläuterte PD Dr. Tobias Jakobs, München, der bei der „Schwarzweißbild-Betrachtung der klassischen Radiologie“ die Grenzen erreicht sah und erklärte, dass molekulare Bildgebung das Aufspüren molekularer Prozesse in der Zelle meint. Dafür wirkten Radiologie und Nuklearmedizin zusammen (PET/CT/MRT). Molekulare Bildgebung meint also das Prinzip bildgebender Moleküle: Ein signalgebendes Molekül wird an ein Transportmolekül plus Zielfindungseinheit gekoppelt, sodass es im Tumor zu einer Anreicherung der signalgebenden Moleküle kommt. Die molekulare Bildgebung erfolgt in der Regel mit Radionukliden. Der Zerfall der radioaktiven Isotope kann mit den bildgebenden Verfahren PET (Positronen-Emissions-Tomographie), SPECT (Single Photon Emission Computed Tomography) und Szintigraphie detektiert werden. Mit den Zielen der Tumorstadien-Einteilung, der frühzeitigen Beurteilung des Therapieansprechens, der Erkennung von Rezidiven sowie der Prognoseabschätzung bilden die Verfahren einen Beitrag zur personalisierten Medizin.
Mehr diagnostische Präzision, weniger Unter- und Übertherapien
Jakobs illustrierte zunächst die Möglichkeiten der differenzierteren Beurteilung von Tumorausbreitung und -ansprechen durch ein PET-CT. Vorteil des Verfahrens ist die relativ gute Verfügbarkeit, diskutiert wird allerdings die Strahlenexposition. PET-MRTs können mit geringerer Strahlenexposition die adäquate Menge und Qualität an Information für die Therapieentscheidung innerhalb einer multiskalierten Medizin liefern. „Bei der sequentiellen Diagnostik mit klassischer, morphologisch-deskriptiver Radiologie vergeht viel Zeit – was für den Patienten belastend ist.“ Dagegen sei mit der molekularen Bildgebung ein „One-stop Shop“ möglich, so Jakobs; potentielle Metastasen würden durch die Tracer bei einem Ganzkörper-MRT-Scan gleich miterkannt. Auch eine Heterogenität innerhalb eines Tumors würde deutlich. Eine weitere Effizienz- und Qualitätssteigerung bei reduzierter Strahlen- und Kontrastmitteldosis verspricht die neue Photon-Counting-CT-Technologie, die ab Ende November 2021 verfügbar ist, ein “Quantensprung in der Photonen-basierten Radiologie“, so Jakobs.
Companion Diagnostics und Multigenanalysen für die personalisierte Therapie
Der Weg von einer Therapie für alle über die zielgerichtete Therapie für eine durch einen Biomarker definierte Subgruppe hin zu einer nach genetischem Profil individuell passenden Therapie ist mit einer Reihe von Herausforderungen behaftet, wie Prof. Dirk Hempel, Donauwörth, darlegte. Dazu gehören als derzeit wichtigste Punkte die Gewinnung von Bild- und Probenmaterial, deren Auf-arbeitung im Labor, die Datenspeicherung und -analyse sowie unterstützende Systeme für die Therapieentscheidung. Hempel forderte einen niederschwelligen Zugang zu einer Biopsie bei Erstdiagnose einer metastasierten Tumorerkrankung. Dem Problem der intratumoralen Heterogenität sowie der genetischen Veränderung des Tumors im Laufe der Zeit und infolge von zielgerichteten Therapien könnte man mit (wiederholten) Liquid Biopsies begegnen. Über alle Entitäten und Stadien hinweg entdecke man derzeit bei etwa 20 % der Patienten eine medikamentös angehbare Treiber-Alteration. Tumorpatienten, die nicht an großen Zentren behandelt werden, haben derzeit hinsichtlich einer molekularen Beurteilung ihrer Tumorerkrankung oft Nachteile. Gen-Sequenzierungen müssten also flächendeckend angeboten, die großen Zentren und die Provinz besser vernetzt werden, so Hempel. Eine wichtige Möglichkeit biete das virtuelle Tumorboard.
Molekulare Parameter in der Radioonkologie
Molekulare Marker haben in der onkologischen Radiotherapie zum einen hinsichtlich der Indikationsstellung Bedeutung, erläuterte Prof. Andreas Schuck, Ingolstadt, und nannte ein Beispiel: „Heute ist es bei den Gliomen tatsächlich so: Ohne die molekularen Informationen zum IDH-Mutationsstatus, zur MGMT-Promotormethylierung und zur 1p19q Codeletion können wir keine Therapieentscheidung vornehmen.“ Die molekularen Marker dienten zum einen zur Einteilung der Gliome in Astrozytome, Oligodendrogliome oder Glioblastome (immer IDH-Wildtyp), zum anderen aber auch zur Therapieentscheidung. So erhalten beispielsweise ältere Glioblastom-Patienten nur dann eine Radiochemotherapie, wenn eine MGMT-Promotormethylierung vorliegt, ansonsten eine alleinige Strahlentherapie.
Prädiktion von Radioresistenz und -sensibilität
Zur Frage, ob eine Resistenz gegenüber der Radiotherapie molekular vorhergesagt werden könnte, stellte Schuck eine Studie der Stanford University vor, die bei 232 Patienten mit lokalisiertem nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) zeigte, dass KEAP1- und NFE2L2-Mutationen prädiktiv für eine Radioresistenz ind. Bei diesen Patienten kam es bei Radiotherapie zu hohen Lokalrezidivraten, nicht aber nach einer Operation [2]. Aufgrund der kleinen Fallzahlen der bestrahlten Patienten mit Mutation seien diese vorläufigen Daten nur als Hinweis zu werten, kommentierte Schuck. Eine erhöhte Radiosensibilität werde dagegen bei HPV-assoziierten Oropharynxkarzinomen beobachtet, die damit eine gute Prognose hätten. Der Nachweis könne immunhistochemisch erfolgen.
Personalisierte Hämatoonkologie
Zu Beginn der zweiten Session des Symposiums unter dem Vorsitz von Prof. Torsten Haferlach, München, zur hämatologisch-onkologischen Diagnostik von morgen lieferte ein aufgezeichneter Vortrag von Dr. Ilaria Iacobucci, Memphis, USA, Einblicke in die Forschung zu Single-Cell-Analysen und ihren potentiellen Anwendungen in der Routinediagnostik. Ein Hindernis auf dem Weg zu zielgerichteten und personalisierten Krebstherapien ist die intratumorale Heterogenität. Die Single-Cell-Analyse soll helfen, dieses Hindernis zu überwinden [3, 4]. Im Unterschied zu konventionellen Genomics, wo es v. a. um die Identifizierung spezifischer und sensitiver molekularer Targets geht, beschäftigten sich „single cell multi-omics“ mit der intratumoralen Heterogenität und den Komponenten des tumoralen Mikromilieus, die Therapieansprechen und Resistenzentwicklung beeinflussen, berichtete Iacobucci. Noch befinden sich die Techniken in einem frühen Forschungsstadium; die Verfahren sind teuer, die Sequenzierung und die Datenanalyse sehr aufwendig.
MRD bei akuten Leukämien –diagnostische Herausforderungen
Die messbare (vormals minimale) Resterkrankung (measurable residual disease, MRD) ist im Management von Leukämien ein wichtiger prognostischer Parameter zur Risikostratifizierung, dient zusammen mit genetischen Daten zur Behandlungsplanung und wird als Biomarker zum Monitoring des Therapieansprechens herangezogen. Die MRD-Diagnostik wird von der Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) und in dem aktuell publizierten Consensus-Update zur MRD bei akuten myeloischen Leukämien (AML) des European LeukemiaNet (ELN) [5] empfohlen, an dessen Erarbeitung auch Experten des MLL beteiligt waren. Ob eine MRD nachgewiesen wird, hängt dabei natürlich stark von der eingesetzten Nachweismethode – multiparametrische Durchflusszytometrie oder molekulargenetische Methoden wie PCR oder NGS – und den angesetzten Schwellenwerten ab, erklärte Dr. Constance Bär, München. Dr. Kim Pawelka, München, skizzierte die Messung der MRD in der multiparametrischen Durchflusszytometrie, die bei der AML-Diagnostik zur Identifizierung Leukämie-assoziierter aberranter Immunphänotypen (LAIP), auch Different from Normal (DfN), eingesetzt wird. Der LAIP wird für jeden Patienten individuell definiert. Im Verlauf der Therapie werden die leukämischen Zellen im Knochenmark anhand des LAIP erfasst und so die zytomorphologisch nicht detektierbare MRD quantifiziert.
Voraussetzung für ein aussagekräftiges MRD-Ergebnis ist die Wahl der besten Methode mit ihren spezifischen Vor- und Nachteilen (Tab. 1), so Bär und Pawelka. Unerlässlich sind dabei die Standardisierung der Methoden und regelmäßige Qualitätsüberprüfungen.
Tab. 1 Verschiedene Nachweismethoden der MRD. Quelle: C. Bär und K. Pawelka, Onkologisches Symposium 2021.