Prognostische und prädiktive Marker bei akuten und chronischen Leukämien
Innerhalb weniger Jahrzehnte haben der Paradigmenwechsel in der Leukämiediagnostik vom Phänotyp zum Genotyp sowie Anstrengungen, die genetische Landschaft der Leukämien zu kartieren, zu einem besseren Verständnis der Leukämieerkrankungen geführt. Weiterhin wurde der Weg für eine risikoadaptierte Therapie und zunehmend auch für die Entwicklung und den Einsatz zielgerichteter Therapien geebnet. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die diagnostischen Methoden und Ansätze, die zur Detektion und zum Monitoring prognostischer Marker eingesetzt werden, die die therapeutische Entscheidungsfindung leiten. Ein weiterer Schwerpunkt dieses Artikels ist die Bestimmung prädiktiver Marker bei Diagnose und im Verlauf, die auch die Identifizierung von Resistenzmechanismen bei Therapieversagen umfasst. Prognostische und prädiktive Marker mit klinischer Relevanz werden für die chronische myeloische (CML), chronische lymphatische (CLL), akute myeloische (AML) und akute lymphatische Leukämie (ALL) vorgestellt. Die steigende Zahl der Marker hat die Therapieoptionen erheblich verbessert, stellt jedoch auch neue Anforderungen an Datenerhebung, Interpretation und Befundung. Abschließend gibt der Beitrag einen Ausblick auf ungerichtete genomweite Sequenzieransätze, die abermals zu einem Wissensfortschritt und einer verbesserten Diagnostik, Risikostratifizierung und Therapie führen könnten.
Schlüsselwörter: Leukämie, Präzisionstherapie, prädiktive Marker, prognostische Marker, MRD-Diagnostik, Ibrutinib, Acalabrutinib, Idelalisib, Venetoclax, Rituximab, Dasatinib-Blinatumomab, Obinutuzumab, Gemtuzumab-Ozogamicin, Midostaurin, Sorafenib, Blinatumomab, Nelarabin
In den letzten Jahren erleben wir einen Paradigmenwechsel vom Phänotyp zum Genotyp in der Leukämiediagnostik. Dies geht mit einem besseren Verständnis der Leukämien einher und führt zu stetigen Verbesserungen der Therapie-möglichkeiten und zur Entwicklung gerichteter Therapieansätze. Heute ist das Zusammenspiel der diagnostischen Disziplinen der Immunphänotypisierung sowie der Zyto- und der Molekulargenetik nötig, um die bestmögliche Therapie zu bestimmen. Diese ist nicht nur abhängig von prädiktiven Markern, die die Wirksamkeit eines Therapeutikums „vorhersagen“, sondern auch in großem Maße von prognostischen Faktoren, die eine risikoadaptierte Therapie erst ermöglichen.
Nachweis und Messung prognostischer und prädiktiver Marker
Immunphänotypisierung
Die Charakterisierung der Antigenexpressionsmuster mittels Immunphänotypisierung erlaubt die Abgrenzung zwischen gesunden und malignen Zellen, die Zuordnung zu Zelllinie und Reifungsgrad sowie die Quantifizierung von Zellpopulationen. Die akuten Leukämien weisen darüber hinaus einen Leukämiespezifischen „immunphänotypischen Fingerabdruck“ auf (LAIP, Leukämie-assoziierter Immunphänotyp), der für die Quantifizierung leukämischer Zellen im gesamten Krankheitsverlauf genutzt werden kann (siehe auch Abschnitt „MRD-Diagnostik").
Hinsichtlich prädiktiver Marker definiert die Immunphänotypisierung auch therapeutische Ziele, insbesondere im Hinblick auf Antikörpertherapien.
Zytogenetik
Veränderungen in der Chromosomenanalyse können prognostische oder prädiktive Marker liefern. Die Zytogenetik vereint die Chromosomenbänderungsanalyse und die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH). Die beiden Methoden unterscheiden sich in ihrem Ansatz und ergänzen sich in ihrer dia-gnostischen Aussage. Die Erstellung eines Karyotyps mittels Bänderungstechniken an Metaphasen-Zellen erlaubt eine genomweite Identifizierung und Charakterisierung Leukämie-spezifischer Veränderungen. Die Chromosomenanalyse besitzt jedoch eine begrenzte Auflösung von wenigen Megabasen; je nach Größe der betroffenen Region können chromosomale Veränderungen damit auch zytogenetisch kryptisch sein.
Für FISH werden Fluoreszenzsonden zum Nachweis bestimmter Genregionen eingesetzt. Es handelt sich damit um eine gerichtete Methode, die gezielte Fragestellungen beantworten kann. So eignet sich FISH etwa zum Screening auf Veränderungen, die diagnostische, prädiktive oder prognostische Relevanz haben oder für den Nachweis zytogenetisch kryptischer Veränderungen.
Molekulargenetik
Für die Molekulardiagnostik ergeben sich unterschiedliche Fragestellungen und Anforderungen. So kann die An- oder Abwesenheit bestimmter Mutationen bzw. bestimmter genetischer Veränderungen prädiktiv für das Ansprechen auf bestimmte Therapeutika sein oder die Prognose beeinflussen. Darüber hinaus können im Laufe der Behandlung Re-sistenzmutationen einen Therapiewechsel erforderlich machen. Diese Fragestellungen können z. B. mittels Sequenzierung beantwortet werden, wobei das Next Generation Sequencing (NGS) den heutigen Goldstandard darstellt. Eine weitere zunehmend wichtige Rolle in der Therapiesteuerung spielt die Bestimmung der messbaren Resterkrankung (MRD, measurable residual disease). Hierfür eignen sich insbesondere Ansätze, die auf der Polymerasekettenreaktion (PCR, polymerase chain reaction) basieren (siehe auch Abschnitt „MRD-Diagnostik").
PCR
Die Polymerasekettenreaktion (PCR) erlaubt die spezifische Amplifikation einer bekannten DNA-Zielsequenz und ermöglicht je nach eingesetztem Verfahren ihren qualitativen Nachweis (Endpunkt-PCR) oder ihre Quantifizierung (qPCR, quantitative PCR). Über einen zusätzlichen Schritt der reversen Transkription, bei dem RNA in cDNA (copy DNA) umgeschrieben wird, ist es darüber hinaus möglich, auch Transkripte nachzuweisen oder diese zu quantifizieren.
NGS
Next Generation Sequencing setzt sich in der klinischen Routine-Diagnostik zunehmend gegenüber älteren Verfahren durch. Neben Sequenzvarianten, die sich durch den Austausch einzelner Basen ergeben (SNV, single nucleotide variants) sowie Insertionen bzw. Deletionen, die wenige Basenpaare lang sind, können auch Translokationen mittels NGS nachgewiesen werden, sofern die genauen Bruchpunkte bekannt sind. Auch die Analyse von Kopienzahlveränderungen ist grundsätzlich mittels NGS realisierbar.
Ein wesentlicher Vorteil liegt in der enormen Parallelisierbarkeit; in einem Sequenzierlauf kann so eine Vielzahl an Proben und/oder genomischer Loci untersucht werden. Dies wird heute vor allem im Rahmen der Panel-Testung genutzt. In einem genetischen Panel können z. B. alle Loci zusammengefasst werden, die bekanntermaßen mit leuk-ämischen Erkrankungen assoziiert sind. Auch eine Anpassung an bestimmte Fragestellungen (z. B. die Mutationsanalyse von diagnostischen, prognostischen und/oder prädiktiven Markern) ist möglich. Es handelt sich damit um eine gerichtete Sequenziermethode.
Die Anwendungsmöglichkeiten sind mit der Panel-Testung bei Weitem nicht erschöpft, und in der Forschung werden zunehmend genomweite Ansätze erprobt, die die Sequenzierung des gesamten Genoms bzw. des gesamten Exoms (Gesamtheit aller proteinkodierenden Gene) sowie des gesamten Transkriptoms erlauben (siehe auch Abschnitt „Genomweite Sequenzieransätze – ein Ausblick“).
Resistenzen und deren Messung
Mit dem zunehmenden Einsatz zielgerichteter Therapien wurden in den letzten Jahren auch Resistenzmutationen unter Therapie beobachtet. Eine Verminderung des Therapieansprechens oder der Verlust desselbigen sollte nach Abklärung der Patienten-Compliance Anlass zur Untersuchung auf potentiell vorhandene Resistenzmutationen geben.
Beschrieben sind:
- IDH2-Mutationen bei Enasidenib-Resistenz bei der AML [1],
- BCR-ABL1-Mutationen bei Resistenz gegen gängige Tyrosinkinase-Inhibitoren oder gegen den neuen allosterischen ABL-Inhibitor Asciminib, bei der CML [2, 3], ALL [4, 5] und der AML [6],
- BCL2-Mutationen bei Venetoclax-Resistenz bei der CLL [7] sowie
- BTK- und PLCG2-Mutationen bei Ibrutinib-Resistenz bei der CLL [8–11].
Bei der Analyse von Resistenzmuta-tionen verdrängt das Next Generation Sequencing zunehmend die ältere Sanger-Sequenzierung. NGS weist eine höhere Sensitivität von 1–3 % Mutationslast auf und ist damit der Sanger-Sequenzierung (10–20 %) deutlich überlegen. So können auch Mutationen mit einem geringen Allelanteil detektiert werden, die im Verlauf einer Therapie expandieren und letztendlich eine Therapieresistenz vermitteln können.
Dies lässt sich am Beispiel der CML illustrieren, für deren Behandlung heute verschiedene Tyrosinkinase-Inhibitoren zur Verfügung stehen. Hier gewinnt der frühe und sensitive Nachweis von Resistenzmutationen mittels NGS eine zunehmende Relevanz [12] und ist laut einer ersten projektiven Studie von klinischem Nutzen für CML-Patienten mit suboptimalem Therapieansprechen [13].
MRD-Diagnostik
Dank enormer Fortschritte in der Therapie der Leukämien genügen vielfach klassische Ansprechkriterien wie das Erreichen einer hämatologischen, zytologischen oder einer zytogenetischen Remission nicht mehr zur Therapiesteuerung. Für die Erfassung der messbaren (früher minimalen) Resterkrankung (MRD) sind heute Methoden nötig, die eine leukämische Zelle unter 10.000 bis 100.000 Zellen detektieren können.
Tab. 1 listet die Sensitivitäten derverschiedenen diagnostischen Methoden auf.
Tab. 1 Sensitivität verschiedener diagnostischer Methoden. Quelle: Autor.
Methode | Sensitivität | Sensitivität (leukämische Zellen/untersuchte Zellen) |
---|---|---|
Zytomorphologie | 5–10 % | 5–10/100 |
Chromosomenanalyse | 5–10 % | 1–2/20 |
Interphase-FISH | 1–5 % | 1–5/100 |
Next Generation Sequencing | 1–3 % | 1–3/100 |
Quantitative PCR (qPCR) | 0,01–0,001 % | 1–10/100.000 |
Immunphänotypisierung | 0,01 % | 1/10.000 |
Für das MRD-Monitoring kommen damit aktuell in der Routine nur die
Immunphänotypisierung und die quantitative PCR infrage.
Als MRD-Marker in der Molekulardiagnostik können dienen [14, 15]:
- Fusionstranskripte (z. B. BCR-ABL1 bei CML, AML und ALL),
- Genmutationen (z. B. NPM1 bei AML),
- Genrearrangements (z. B. Rearrangements der Immunglobulin bzw. T-Zellrezeptorgene bei den lymphatischen Leukämien) sowie
- Genexpressionslevel (z. B. WT1 bei AML).

Aufgrund ihrer hohen Sensitivität kommt in der molekularen MRD-Dia-gnostik die Methode der qPCR zum Einsatz. Allel-spezifische qPCR-Strate-gien bieten die Möglichkeit, die Mutationslast bzw. Allelfrequenz zu quantifizieren, während Fusionstranskripte oder Expressionslevel mittels RT-qPCR (qPCR nach reverser Transkription) gemessen werden können. Während NGS geeignet ist, bei Diagnose potentielle molekulare MRD-Marker zu identifizieren, fehlt bisher die nötige Sensitivität zum Einsatz der Methode in der Routine-MRD-Verlaufsdiagnostik. Experimentelle wie bioinformatische Strategien zur Verbesserung der Sensitivität könnten dies in Zukunft ändern [16, 17].
Prognostische und prädiktive Marker der Leukämien
Chronische myeloische Leukämie (CML)
Die CML ist das ideale Beispiel dafür, wie Fortschritte in unserem Verständnis der Pathobiologie zur Therapieverbesserung führen können. Die der CML zugrunde liegende Veränderung ist die Translokation t(9;22)(q34;q11), die zur Fusion der Gene BCR und ABL1 führt. Das Fusionsprotein zeigt im Gegensatz zu dem Wildtyp ABL1 eine konstitutive Aktivierung der ABL1-Tyrosinkinasefunktion, was in einem aberranten Zell-Signalling resultiert und Zellüberleben und vor allem Zellproliferation begünstigt. Damit ist die CML eine biologisch außerordentlich homogene Entität und besitzt im BCR-ABL1-Fusionsprotein ein klares therapeutisches Ziel. Mit der Einführung von Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) wurde die BCR-ABL1-Fusion somit vom diagnostischen auch zum prädiktiven Marker.
Heute entspricht die Lebenserwartung eines Patienten mit CML dem der Normalbevölkerung [2]. Gleichzeitig hat die starke Reduktion der leukämischen Last, die bei Therapieansprechen zu beobachten ist, zur diagnostischen Herausforderung geführt, die Resterkrankung möglichst sensitiv messen zu können. Die Quantifizierung der BCR-ABL1-Transkriptlevel relativ zu einem Referenzgen (meist ABL1) spielt die zentrale Rolle in der MRD-Diagnostik. Dank Bemühungen zur Standardisierung durch EUTOS (European Treatment and Outcome Study) sind die Ergebnisse zwischen EUTOS-zertifizierten Laboren vergleichbar und werden als % BCR-ABL1/ABL1 nach International Scale (IS) angegeben. Dies erlaubt die Definition molekularer Ansprechkriterien; so wird beispielsweise ein %-BCR-ABL1/ABL1IS-Wert ≤ 0,1000 als major molecular response (MMR) gewertet [18].
Die Beurteilung des molekularen Ansprechens leitet heute die Therapie bei der CML. Bei Nicht-Erreichen oder Verlust des molekularen Ansprechens ist eine Mutationsanalyse des BCR-ABL1-Gens notwendig, um abzuklären, ob eine Resistenzmutation ursächlich für das Therapieversagen ist. Die Mutationsanalyse ist zudem Voraussetzung für die Wahl eines geeigneten alternativen TKI (vgl. Tab. 2).
Tab. 2 Auswahl des geeigneten TKI in Abhängigkeit der vorliegenden Punktmutation (kleine Auswahl) in der ABL1-Kinasedomäne. Mod. nach [2].
Punktmutation der ABL1-Kinasedomäne | Wirksame TKI |
---|---|
T315I | Ponatinib |
T315A | Nilotinib, Bosutinib oder Ponatinib |
F317L/V/I/C | Nilotinib, Bosutinib oder Ponatinib |
V299L | Nilotinib oder Ponatinib |
Y253H | Dasatinib, Bosutinib oder Ponatinib |
E255V/K | Dasatinib, Bosutinib* oder Ponatinib |
F359V/I/C | Dasatinib, Bosutinib oder Ponatinib |
* Es liegen In-vitro-Daten vor, die auf eine potentiell sehr geringe Sensitivität der E255K-Mutation (und in geringerem Maße auch der E255V-Mutation) gegenüber Bosutinib hindeuten. Klinische Daten zur Wirksamkeit von Bosutinib bei diesen Mutationen fehlen bislang [2].
Für Patienten mit einem langanhaltenden tiefmolekularen Ansprechen besteht auch die Option des Therapiestopps. Studien haben gezeigt, dass etwa 50 % der Patienten auch nach Absetzen des TKI in molekularer Remis-sion bleiben [2]; in diesem Kontext kann auch von einer „funktionellen“ Heilung gesprochen werden. Wichtig nach Absetzen ist ein engmaschiges Monitoring, um etwaig auftretende molekulare Rezidive früh zu erkennen – diese können durch TKI-Reinitiierung therapeutisch abgefangen werden [2].
Chronische lymphatische Leukämie (CLL)
Bei dieser Entität werden das Zellüberleben und die erhöhte Zellproliferation durch eine Antigen-unabhängige Daueraktivierung des B-Zell-Rezeptors und eine Überstimulation zellulärer Si-gnalwege begünstigt. Zentrale Faktoren in diesen Signalwegen sind u. a. die Bruton-Tyrosin-Kinase (BTK) sowie die Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K), die bei der CLL überaktiviert sind [19].
An diesen Faktoren setzen BTK-Inhibitoren (Ibrutinib und Acalabrutinib) und der PI3K-Inhihibitor Idelalisib an. Auch dem gesteigerten Zellüberleben kann heute durch BCL2-Inhibitoren (Venetoclax) therapeutisch entgegengewirkt werden. Resistenzmutationen können unter Behandlung auftreten; so vermitteln BTK- und PLCG2-Mutationen Re-sistenzen gegenüber Ibrutinib [8–11] und BCL2-Mutationen Resistenzen gegenüber Venetoclax [7]. Eine Mutationsanalyse mittels NGS sollte erfolgen, wenn im Therapieverlauf ein unzureichendes Ansprechen oder dessen Verlust beobachtet wird.
Die Expression des B-Zell-Antigens CD20 ist ein prädiktiver Marker für eine Therapie mit Anti-CD20 Antikörpern (u. a. Rituximab und Obinutuzumab).
Prognostische Faktoren spielen für die Wahl des geeigneten Therapiealgorithmus bei symptomatischen, therapiebedürftigen CLL-Patienten eine zentrale Rolle. So entscheidet das Vorliegen von TP53-Deletionen (del(17p13)) bzw. einer TP53-Mutation, eines komplexen Karyotyps oder eines unmutierten IGHV-Status über die Erstlinientherapie.
Patienten mit diesen genetischen Risikomarkern zeigen ein verringertes Ansprechen auf eine Chemo- bzw. Chemoimmuntherapie und ein schlechteres Überleben nach Behandlung unter entsprechenden Regimen [20–22]. Daher sollten hier in der Erstlinientherapie gerichtete Therapiestrategien eingesetzt werden (BTK-Inhibitoren +/- Anti-CD20 Antikörper oder Venetoclax + Obinutuzumab). Dabei sollte nach neuer Daten-lage ein komplex aberranter Karyotyp beachtet werden, da dann das Ansprechen auf Ibrutinib schlechter zu sein scheint [23, 24] und die Kombination Venetoclax-Obinutuzumab die bessere therapeutische Wahl darstellt [25].
Für Patienten mit einem unmutierten IGHV-Status wird hingegen eine Ibrutinib-Therapie in der Erstlinie empfohlen [22], selbiges gilt für Patienten mit TP53-Aberration [26].
Im Gegensatz zu anderen Leukämien besitzt der MRD-Status bei der CLL bisher keine therapeutische Konsequenz, auch wenn MRD-Positivität nach Chemotherapie mit einem verringerten progressionsfreien Überleben und Gesamtüberleben assoziiert ist und der MRD-Status somit einen wichtigen prognostischen Parameter darstellt [27–30].
Akute myeloische Leukämie (AML)
Der Subtyp der akuten Promyelo-zytenleukämie (APL) nimmt eine Sonderrolle unter den akuten myeloischen Leukämien ein. Ursächlich ist ein Rearrangement unter Beteiligung des Retinsäurerezeptor-α(RARA)-Gens, meist durch die Translokation t(15;17)(q24;q21); PML-RARA. Mit dem heutigen Therapiestandard von ATRA (All-trans-Retinsäure) und Arsentrioxid erreichen über 90 % der Patienten eine molekulare Remission [31]. APL-Patienten profitieren von dem Monitoring der Resterkrankung mittels RT-qPCR (Messung der PML-RARA-Transkriptlevel), und eine Präventiv-Intervention bei MRD-Positivität kann das Rezidivrisiko nachweislich senken [32].
Für alle weiteren Subtypen der AML bildet zunächst das 7+3-Chemotherapieregime (Cytarabin in Kombination mit einem Anthrazyklin/Anthracendion) das therapeutische Rückgrat. Hinzu tritt dann aber eine zunehmende Anzahl gerichteter Therapien, die die Anwesenheit prädiktiver Marker erfordern (vgl.
Tab. 3).
Tab. 3 Auswahl der Therapieoptionen für die Erstlinie bei der AML
Diese können in verschiedene Kategorien fallen:
- Immunphänotypische Marker: CD33-Expression (Gemtuzumab-Ozogamicin (GO)),
- AML-Subtyp: AML mit MDS-assoziierten Veränderungen (AML-MRC) oder therapieassoziierte AML (t-AML) (CPX-351, liposomale Formulierung von Cytarabin u. Daunorubicin) und
- genetische Veränderungen:
- FLT3-Mutationen (Midostaurin, Sorafenib, Gilteritinib)
- BCR-ABL1 (TKI)
- IDH-Mutationen (Ivosidenib (IDH1) und Enasidenib (IDH2), derzeit im europäischen Zulassungsverfahren).
Das Erreichen einer kompletten Remission (CR) unter Induktion variiert je nach genetischen Veränderungen sehr stark und reicht von > 80–90 % bei Patienten mit günstigen Aberrationen bis zu unter 30 % für Patienten mit ungünstigen Veränderungen [33]. Die Therapieplanung der Post-Remissionstherapie zum Erhalt der CR orientiert sich daher an prognostischen Markern (vgl. Tab. 3). Insbesondere die Entscheidung für oder gegen eine allogene Stammzelltransplantation (allo-SZT) kann nicht ohne Kenntnis der prognostisch relevanten Veränderungen getroffen werden (vgl. auch Tab. 3).
Die MRD-Diagnostik spielt eine zunehmend wichtige Rolle bei der AML und ist ein wesentlicher prognostischer Faktor für die Einschätzung des Rezidivrisikos [15, 34]. Klinische Implikationen für die Wahl der geeigneten Postremissionstherapie hat der MRD-Status von NPM1 bei gleichzeitigem Vorliegen einer FLT3-Mutation (vgl. Tab. 3).
Akute lymphatische Leukämie (ALL)
Die B-ALL zeigt eine hohe Hetero-genität hinsichtlich auftretender genetischer Veränderungen und des Immunphänotyps und bietet so Möglichkeiten zur Einteilung in Subgruppen. In der Immunphänotypisierung orientiert sich die Subklassifikation der B-ALL vor allem am Reifestadium der leukämischen Zellen (B-ALL: Pro-B, common, Prä-B). In der genetischen Subklassifikation lassen sich Subtypen mit Veränderungen der Ploidie (ALL mit Hypo- bzw. Hyperdiploidie) abgrenzen von Subtypen, die spezifische Translokationen aufweisen. Weitere Subtypen nach WHO sind die ALL mit intrachromosomaler Amplifikation des Chromosoms 21 und die BCR-ABL1-like-ALL, die durch ihr Genex-pressionsprofil definiert ist [35].
Das Rückgrat der ALL-Therapie bildet ein komplexes Chemotherapie-Regime. Die Indikation zur allogenen Stammzelltransplantation ergibt sich durch die Anwesenheit mindestens eines prognostisch ungünstigen Faktors bei Diagnose oder im Verlauf (vgl. Tab. 4).
Tab. 4 Prognostische Risikofaktoren bei der adulten Form der ALL. Nach Studienprotokoll der GMALL 08/2013 [36].
Bei Diagnose | |
---|---|
Hohe Leukozytenzahl | > 30.000/µl bei B-Vorläufer-ALL |
Subtyp |
|
Genetische Merkmale |
|
Im Verlauf | |
Späte CR | > 3 Wochen (nach Induktion II) |
Minimale/messbare Resterkrankung |
|
Nach einer Studie stellt der MRD-Status den zentralen Risikofaktor im Verlauf dar. Das 3-Jahres-Rezidivrisiko lag bei 0 %, wenn der MRD-Status während der Induktionsphase unter 10-4 bzw. unter das Detektionslimit fiel. Im Gegensatz dazu betrug das Rezidivrisiko 94 % für Patienten, bei denen nach der ersten Konsolidationsphase noch eine Resterkrankung nachweisbar war. Patienten, die erst im späteren Verlauf die MRD-Negativität erreichten, sowie Patienten mit Verlust der molekularen Remission zeigten ein intermediäres Rezidivrisiko von 47 % [37]. Nachfolgende Studien bestätigten den prognostischen Einfluss des MRD-Status [38]. Entsprechend ist für Patienten mit Standardrisiko-ALL, d. h. ohne Risikomarker bei Diagnose, die sensitive Bestimmung der Resterkrankung essentiell. Für die molekulare MRD-Diagnostik sind spezifische genetische Aberrationen ebenso geeignet wie die Leukämie-spezifischen klonalen Rearrangements der Immunglobulin- bzw. T-Zellrezeptor-Loci. Die immunphänotypische MRD-Diagnostik basiert auf dem LAIP. Zur MRD-Reduktion vor Stammzelltransplantation wird bei der B-ALL der bispezifische Anti-CD3- und Anti-CD19-Antikörper Blinatumomab eingesetzt und bei der T-ALL Nelarabin, ein T-Zell-spezifisches Purinanalogon [36].
Die Translokation t(9;22)(q34;q11), BCR-ABL1 ist derzeit der einzige direkt-prädiktive genetische Marker bei der ALL. Bei der ALL mit BCR-ABL1-Fusion hat sich die Prognose durch die Ergänzung des Chemotherapie-Regimes durch TKI und die Indikation zur Stammzelltransplantation bei jüngeren Patienten wesentlich verbessert [4, 39–41]. Für die BCR-ABL1-positive ALL könnte die gerichtete Therapie die Chemotherapie zukünftig ablösen. In einer Phase-II-Studie, bestehend aus einer Dasatinib-Blinatumomab-Kombinationstherapie, konnte ein exzellentes Ansprechen beobachtet werden, mit einer CR-Rate von 98 % und einer molekularen Remissionsrate von bis zu 81 % (nach vier Therapie-Zyklen). Mit einem Gesamtüberleben von 95 % (18-Monatszeitraum) bei stark verringerter Toxizität ist dies eine vielversprechende Therapieoption [42].
Laborabläufe und Turn-around-Zeiten
Der zytomorphologische Phänotyp und der Immunphänotyp sind wesentlich für die Diagnostik der verschiedenen Leukämieerkrankungen und essentiell für die Abgrenzung verschiedener Krankheitsbilder. Gleichzeitig eröffnen sie dank kurzer Turn-around-Zeiten die Möglichkeit der zeit- und kosteneffizienten Stufendiagnostik, bei der in Abhängigkeit von den (immun-)phänotypischen Befunden der Workflow hinsichtlich diagnostischer, prognostischer und prädiktiver Marker koordiniert werden kann (Abb. 2).

Der Wert dieses Vorgehens zeigt sich am Beispiel der APL mit PML-RARA, die aufgrund des hohen Risikos für lebensgefährliche Blutungen die Diagnosestellung binnen Stunden erfordert. Die charakteristische Morphologie gibt Anlass zur raschen Abklärung der zugrunde liegenden pathogenen Veränderung durch FISH bzw. einen PCR-Ansatz. Beide Methoden zeichnen sich durch eine kurze Turn-around-Zeit aus, die je nach Dringlichkeit wenige Stunden beträgt.
Für weitere AML-Subtypen muss abgewogen werden, ob ein sofortiger Therapiestart erforderlich ist oder ob auf die Befunde der Zyto- und Molekulargenetik gewartet werden kann. Die genetische Charakterisierung beinhaltet die Mutationsanalyse und die Karyotypisierung. Für die Therapieplanung der ALL ermöglicht die 5-tägige Vorphasentherapie die Evaluierung von therapeutisch wichtigen Befunden (z. B. den BCR-ABL1-Status).
Datenerfassung und Datenauswertung
Während sich die „Daten“ der Zytomorphologie in der (Differential-)Dia-gnostik am Mikroskop überschaubar gestalten, ergibt sich für andere diagnostische Disziplinen eine wahre Flut an Informationen.
Die Auswertung in der Immunphänotypisierung, für die heute 8–10 Farben pro Messung parallel erfasst werden, kann nur mit Softwareunterstützung erfolgen, und in der FISH-Diagnostik steht ein immer größeres Arsenal an Gensonden zur Verfügung.
Am deutlichsten wird der Datenzuwachs aber am Beispiel der Molekulargenetik. Während noch vor einem Jahrzehnt die Mutationsanalyse einzelner Gene ausreichend für Diagnose und Therapiewahl war, ergibt sich heute, insbesondere bei der AML, die diagnostische Notwendigkeit, ein Panel einzusetzen. Die größte Herausforderung dabei ist nicht mehr technischer Natur, sondern betrifft die Interpretation der erhobenen Daten. Insbesondere die Bewertung von Sequenzvarianten hinsichtlich ihrer Pathogenität erfordert neben großem Fachwissen auch den Abgleich mit Informationen aus verschiedenen Datenbanken (z. B. ClinVar, COSMIC, gnomAD); nicht immer sind diese Informationen jedoch verfügbar, ausreichend oder eindeutig. Bis heute stellt die Varianteninterpretation damit einen bioinformatischen Flaschenhals dar.
Befundschreibung
Die Arbeit der verschiedenen dia-gnostischen Disziplinen ist nicht damit abgeschlossen, die Ergebnisse fachlich zu validieren, sondern muss in einen klinisch relevanten, verständlichen und validierten Befund münden. Mit der zunehmenden Zahl der Marker, die von diagnostischer, prognostischer oder therapeutischer Relevanz sind, können sich entsprechend komplexe Konstellationen der verschiedenen (immun-)phänotypischen, zyto- und insbesondere molekulargenetischen Einzelbefunde ergeben. Die Herausforderung liegt darin, hieraus eine übersichtliche, verständliche und differenzierte Interpretation zu schaffen, die auch als Grundlage für die Patientenaufklärung dienen kann.
Solch ein „integrierter Befund“ sollte neben diagnostischen und prognostischen Faktoren (zur Bestimmung des optimalen Therapiealgorithmus) auch Marker aufführen, die für die Auswahl geeigneter gerichteter Therapien erforderlich sind. Bereits bei Diagnose kann darüber hinaus der Grundstein für eine spätere MRD-Diagnostik gelegt werden – die genaue Charakterisierung des Leukämie-assoziierten Phänotyps (LAIP) bzw. die Identifikation geeigneter molekularer MRD-Marker erlauben es dem Kliniker, unter den Leukämie-spezifischen Optionen die bestmögliche Strategie für ein sensitives Monitoring im weiteren Verlauf auszuwählen. Gerade bei den akuten Leukämien, die eine hohe biologische Heterogenität aufweisen, trägt ein integrierter Befund als Orientierungshilfe wesentlich dazu bei, jedem Patienten die bestmögliche Therapie zu ermöglichen. Abb. 3 fasst den gesamten Workflow in der Präzisionsmedizin zusammen.

Genomweite Sequenzieransätze – ein Ausblick
Genomweite Sequenzieransätze sind in der Lage, Fragestellungen zu beantworten, die heute das Zusammenspiel verschiedenster genetischer Methoden erfordern. So macht es die Sequenzierung des Genoms (WGS, whole genome sequencing) möglich, Sequenzveränderungen zu detektieren, aber auch, numerische und strukturelle Aberrationen zu identifizieren. Sie vereint damit die dia-gnostischen Disziplinen der Mutationsanalyse und der Zytogenetik. Die Ana-lyse des Transkriptoms (WTS, whole transcriptome sequencing) erlaubt die Beschreibung von Fusionstranskripten und die Mutationsanalyse exprimierter Gene. Darüber hinaus liefert WTS Daten zur genomweiten Genexpression. Trotz der hohen Relevanz der Genexpressionsanalyse bei Leukämien hat sich diese Technik bislang in der klinischen Routine nicht durchgesetzt. Insbesondere Genexpressionsdaten könnten jedoch wichtige Hinweise für neue Zielstrukturen liefern. Als Beispiel sei die CLL genannt, bei der das Wissen um die Überexpression zentraler Faktoren des B-Zellrezeptor-Signalweges (u. a. BTK) zur Erweiterung des therapeutischen Arsenals beigetragen hat [19].
Ein weiterer Vorteil genomweiter Analysen liegt in dem ungerichteten Ansatz, der die Re-Identifikation bereits bekannter Marker ebenso erlaubt wie die Identifikation neuer Marker und neuer potentieller Zielstrukturen für gerichtete Therapien. Dies könnte gerade auch im Rezidiv von Bedeutung sein.
Es ist zu erwarten, das WGS und WTS die aktuellen Goldstandards Zytogenetik und NGS-Paneltestung schon bald übertreffen werden – nicht nur in ihren dia-gnostischen Aussagen, sondern auch hinsichtlich der Reproduzierbarkeit, der Kosteneffizienz und der kürzeren Bearbeitungszeit. Zur Beurteilung des Stellenwertes der genomweiten Ansätze in der klinischen Routine bedarf es deshalb Studien, die den klinischen Nutzen für unsere Patienten sowie die Vor- und Nachteile im prospektiven Vergleich mit heutigen Goldstandards bewerten. Auch die Kosten müssen verglichen werden.
Fazit
Durch die umfassende genetische Charakterisierung der Leukämien ist unser Wissen um prognostische Faktoren und prädiktive Marker in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewachsen. Heute eröffnet dies für viele Patienten eine risikoadaptierte Therapieplanung und zunehmend die Personalisierung des Therapieansatzes. Eine solche Präzisionsmedizin erfordert den Einsatz begleitender Diagnostik, von der Detektion therapierelevanter Zielstrukturen, dem Monitoring im Therapieverlauf bis zur Aufklärung auftretender Resistenzmechanismen. Ein übersichtlicher, verständlicher und differenzierter Befund bildet hierfür die Basis.
In den nächsten Jahren ist eine Anwendung genomweiter Sequenzieransätze in der klinischen Routine denkbar. Die Zahl prognostischer und prädiktiver Marker wird hierdurch weiter zunehmen und uns vor neue Herausforderungen in der Diagnostik und Datenauswertung stellen, aber vor allem eine weitere Verbesserung der Therapieoptionen bedeuten.
Summary
Within just a few decades, the paradigm shift in leukemia diagnostics from phenotype to genotype as well as major efforts to comprehensively map the genet-ic landscape in leukemia have not only led to a better understanding, but have also paved the way for risk-adapted therapy, and increasingly for the development and implementation of targeted therapeutic strategies. This article provides an overview of the diagnostic methods and approaches used to identify and monitor prognostic markers that aid therapeutic decision making. A further focus of this article is the companion diagnostics for predictive markers throughout diagnosis and disease course, which also includes the identification of resistance mechanisms in case of therapy failure. Prognostic and predictive markers with clinical relevance are discussed in more detail with respect to the leukemic entity, namely chronic myeloid leukemia (CML), chronic lymphocytic leukemia (CLL), acute myeloid leukemia (AML) and acute lymphocytic leukemia (ALL). While the increasing number of markers has greatly improved leukemia treatment, it poses a challenge for data collection, interpretation and reporting. Finally, this article will give an outlook on how non-targeted genome-wide approaches might advance our understanding and improve diag-nostics, risk stratification and therapeutic options, yet again.
Keywords: leukemia, precision therapy, predictive markers, prognostic markers, MRD diagnostics