Urologische Tumoren – derzeitige und zukünftige Behandlungsperspektiven

Genitourinary Cancers Symposium (ASCO-GU), Februar 2020

Das Genitourinary Cancers Symposium ist in jedem Jahr der erste Kongress zu den urologischen Entitäten und bietet neben Fortbildungsmöglichkeiten und einem Austausch mit Kollegen auch erste neue Studienauswertungen. Beim diesjährigen ASCO-GU stärkten viele Ergebnisse der großen Studien die gängige Praxis, andere gaben Ausblicke auf das, was uns in nächster Zeit erwarten mag.

Schlüsselwörter: Urologische Tumoren, Prostatakarzinom, hormonsensitives Prostatakarzinom, kastrationsresistentes Prostatakarzinom, Nierenzellkarzinom, Abirateron, Apalutamib, Cabazitaxel, Nivolumab, Ipilimumab, Docetaxel, Luminal-B-Prostatakarzinom

Hormonsensitives Prostatakarzinom

Für neu diagnostizierte, hormonsensitive metastasierte Prostatakarzinompatienten wurden die Therapieoptionen in den letzten Jahren heiß diskutiert. Insbesondere wurde anhand der Daten aus den Studien GETUG-AFU 15, STAMPEDE, CHAARTED sowieLATITUDE differenziert betrachtet, welche Patienten besser von einer Chemotherapie und welche Patienten von einer An-drogenrezeptor(AR)-gerichteten Therapie zusätzlich zur Androgendeprivationstherapie (ADT) profitieren. Beim ASCO-GU in San Francisco wurden neue Auswertungen zur STAMPEDE- und CHAARTED-Studie präsentiert.

Luminal B ist prädiktiver Biomarker für Chemotherapie

Die CHAARTED-Studie verglich eine alleinige ADT gegenüber eine ADT plus Docetaxel und kam zu dem Schluss, dass Prostatakarzinompatienten mit hormonsensitiver metastasierter Erkrankung von der zusätzlichen Chemotherapie bezüglich des Gesamtüberlebens (OS) profitieren [1]. Mit der Identifizierung von molekulargenetischen Tumorsubtypen, vergleichbar der Einteilung beim Mammakarzinom, wurden neue Möglichkeiten der Patientenselektion eröffnet. Beim Prostatakarzinom wurden sowohl luminale als auch basale Abstammungen identifiziert. In einer Analyse der 198 verfügbaren Proben von Patienten der CHAARTED-Studie konnten 160 Proben einer der molekularen Subgruppen zugeordnet werden [2]. Der Unterschied des OS-Ergebnisses in diesem Kollektiv entsprach dem der gesamten Studienpopulation.
Es wurden innerhalb der hormonsensitiven Population ein basaler Subtyp bei 52,1 % der Patienten, und die Subtypen Luminal B und Luminal A bei 46,1 % bzw. bei 1,8 % der Patienten festgestellt. Unter alleiniger ADT betrug das mediane OS 29,8 Monate für den luminalen und 47,1 Monate für den basalen Subtyp,
unter ADT plus Docetaxel wurde ein Median von 52,1 versus 49,2 Monate beobachtet. Der Unterschied zwischen den beiden Regimen war für Patienten mit einem Luminal-B-Prostatakarzinom statistisch signifikant (HR 0,45; 95-%-KI 0,25–0,81; p = 0,007), nicht aber für Patienten mit basalem Subtyp (HR 0,85; 0,47–1,55; p = 0,60). Die molekulargenetische Luminal-B-Ausprägung scheint somit prädiktiv für einen Überlebensvorteil unter Docetaxel zu sein, wohingegen der basale Subtyp mit einem fehlenden Vorteil von der Chemotherapie assoziiert ist.

Chemotherapie verschlechtert Lebensqualität

Neue Ergebnisse der STAMPEDE-Studie zeigen einen Vorteil der Abirateron- gegenüber der Chemotherapie bezüglich der Lebensqualität. Die mehrarmige Studie verglich bei Prostatakarzinom-Patienten mit hormonsensitiver Erkrankung unter anderem Docetaxel plus ADT versus Abirateron plus ADT [3]. Im direkten Vergleich von Docetaxel mit Abirateron wurde kein Unterschied in der Wirksamkeit beider Therapien festgestellt. Im Rahmen der STAMPEDE-Studie wurden die Fragebögen QLQ-C30 und QLQ-PR25 zur Lebensqualität im 6-Wochen-Rhythmus in den ersten 6 Monaten und in einem 12-Wochen-Rhythmus in den Monaten 6 bis 24 von den Patienten ausgefüllt [4]. Es zeigte sich, dass die Docetaxel-Therapie insbesondere innerhalb des ersten Therapiejahres zu einer Verschlechterung der Lebensqualität führte (Abb. 1).

Nach dieser Zeit wurde die Lebensqualität unter beiden Therapien mit einem vergleichbaren Wert angegeben. Ein ähnlicher Effekt wurde auch in den funktionellen Domänen „körperliche Funktion“, „Rollen-Funk-tion“ und „soziale Funktion“ sowie bezüglich der Symptome Fatigue und Schmerzen gesehen. Diese Ergebnisse sollten bei der Therapiewahl Berücksichtigung finden, so das Fazit der Autoren.

Apalutamid-Einfluss bis in die Folgetherapie

In der TITAN-Studie erhielten insgesamt 1.052 Patienten mit metastasiertem hormonsensitivem Prostatakarzinom entweder Apalutamid plus ADT oder Placebo plus ADT. Die ko-primären Endpunkte der Studie, eine Verlängerung des OS und des radiologischen progressionsfreien Überlebens (rPFS), wurden erreicht [5]. In einer explorativen Analyse wurden die Studienergebnisse nun bezüglich des PFS der ersten nachfolgenden Therapie (PFS2) ausgewertet [6]. Das PFS2 war definiert als Zeit ab Randomisierung bis zum ersten Auftreten einer vom Prüfarzt festgestellten Krankheitsprogression unter Behandlung mit der ersten nachfolgenden Therapie oder dem Versterben aufgrund jedweder Ursache. 87 Patienten des Apalutamid-Arms sowie 190 Patienten des Kontrollarms erhielten eine nachfolgende systemische Therapie, davon
27,6 % bzw. 32,6 % eine AR-gerichtete Hormontherapie und 34,5% bzw. 36,3% eine Taxantherapie, hauptsächlich mit Docetaxel. Im Ergebnis war das Apalutamid-haltige Regime dem Kontrollarm auch bezüglich des PFS2 signifikant überlegen (HR 0,66; 95-%-KI 0,50–0,87; p = 0,0026). Mit Hinblick auf die Art der Nachfolgetherapie zeigte sich kein Unterschied, ob eine Hormontherapie oder eine Taxantherapie verabreicht wurde. Die Hazard Ratio betrug 0,684 (95-%-KI 0,482–0,971) für die Hormontherapie und 0,634 (95-%-KI 0,456–0,881) für die Chemotherapie.

Kastrationsresistentes Prostatakarzinom

Cabazitaxel schlägt zweiten AR-Antagonisten

Bei Prostatakarzinom-Patienten mit metastasierter kastrationsresistenter Erkrankung verglich die CARD-Studie Cabazitaxel versus AR-gerichtete Therapie nach Versagen einer vorangegangenen Hormontherapie. Die Studie zeigte eine signifikante Verlängerung des rPFS (HR 0,54; 95-%-KI 0,46–0,73; p < 0,0001) und des OS (HR 0,64; 95-%-KI 0,46–0,89; p = 0,0078) bei Behandlung mit Cabazitaxel gegenüber Abirateron oder Enzalutamid [7]. In einer vorgeplanten Analyse wurde die Lebensqualität mit Fokus auf das Schmerzansprechen und die Zeit bis zum Schmerzprogress, symptomatische skelettale Ereignisse und den FACT-P-Fragebogen untersucht [8]. Die 255 eingeschlossenen Patienten waren im Median 70–71 Jahre alt und wiesen in etwa 95 % der Fälle einen guten bis sehr guten ECOG-Performance-Status auf. 67–71 % der Patienten verzeichneten bei Einschluss in die Studie einen Schmerzprogress. An Vortherapien hatten alle Patienten Docetaxel sowie jeweils etwa die Hälfte der Patienten beider Studienarme entweder Abirateron oder Enzalutamid erhalten. Im Ergebnis zeigten 45,0 % im Cabazitaxel-Arm versus 19,3 % der Patienten im Hormontherapiearm ein Ansprechen bezüglich der Schmerzen (p < 0,0001). Die Wahrscheinlichkeit für keinen Schmerzprogress war über die gesamte Beobachtungszeit von 12 Monaten im Cabazitaxel-Arm höher als unter den Hormontherapien. Auch die Zeit bis zum ersten skelettalen Ereignis war unter Cabazitaxel um 41 % gegenüber einer Hormontherapie reduziert (HR 0,59; 95-%-KI 0,35–1,01; p = 0,05). Die Verschlechterung der Lebensqualität laut FACT-P-Fragebogen trat in allen Kategorien im Cabazitaxel- später auf, ver-
glichen mit dem Hormontherapie-Arm.
Mit diesen Ergebnissen wird der Wechsel auf Cabazitaxel vor alternativer AR-gerichteter Therapie nach Docetaxel und Progress innerhalb von 12 Monaten unter einer der AR-gerichteten Therapien erneut bestätigt.

Nierenzellkarzinom

Langzeitbeobachtung bestätigt Nivolumab plus Ipilimumab …

Die Ergebnisse der CheckMate- 214-Studie führten zur Zulassung der immunonkologischen Kombination Nivolumab plus Ipilimumab in der Erstlinientherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (aRCC) und mittlerem sowie hohem Risiko für einen Progress. Die primäre Analyse der Wirksamkeitsend-punkte zeigte mit einer Nachbeobachtungszeit von minimal 17,5 Monaten eine signifikante Überlegenheit der Immuntherapie gegenüber Sunitinib bezüglich des OS (p < 0,001), des Ansprechens (p < 0,001) und des PFS (p = 0,03) [9]. Beim ASCO-GU bestätigten nun die Ergebnisse der Phase-III-Studie mit einer Nachbeobachtungszeit von minimal 42 und median 49 Monaten die anhaltende Überlegenheit der Kombinationsimmuntherapie [10]. Das mediane Gesamtüberleben wurde für Patienten mit mittlerem oder hohem Risiko im Nivolumab plus Ipilimumab-Arm auf 47,0 Monate (95-%-KI 35,6–nicht erreicht) extrapoliert und betrug unter Sunitinib 26,6 Monate (95-%-KI 22,1–33,5). Das Risiko zu versterben war unter der
kombinierten Immuntherapie um 34 % gegenüber dem jahrelangen Standard Sunitinib reduziert (HR 0,66; 95-%-KI 0,55–0,80; p < 0,0001). Ein Ansprechen zeigten 42 % versus 26 % der Patienten mit Raten an Komplettremissionen von 10 % versus 1 %. Nebenwirkungen traten in beiden Studienarmen in den ersten
6 Monaten am häufigsten auf und verringerten sich im Verlauf der Studie kon-stant. Patienten, die Nivolumab plus Ipilimumab aufgrund von Nebenwirkungen abbrachen, zeigten keinen Unterschied bezüglich des Gesamtüberlebens verglichen mit der gesamten Immuntherapie-Studienpopulation.

… und die Nivolumab-Monotherapie

Mit mehr als 5 Jahren Nachbeobachtungszeit wurde Nivolumab auch als Zweitlinientherapie in der finalen Analyse der CheckMate-025-Studie bestätigt [11]. Die Phase-III-Studie verglich Nivolumab versus Everolimus bei aRCC-Patienten mit ein bis zwei vorangegangenen antiangiogenen Therapien. Mit 72 Monaten medianer Nachbeobachtungszeit betrug das mediane OS 25,8 Monate im Nivolumab- versus 19,7 Monate im
Everolimus-Arm (HR 0,73; 95-%-KI 0,62–0,85; p < 0,0001). Nach 24 Monaten waren 52 % versus 42 %, nach 48 Monaten 30 % versus 23 % und nach 60 Monaten 26 % versus 18 % der Patienten beider Studienarme am Leben. Ein Ansprechen auf die Studienmedikation zeigten 23 % versus 4 % der Patienten mit einer medianen Dauer des Ansprechens von 18,2 versus 14,0 Monaten. Im Nivolumab-Arm erhielten 37 % der ansprechenden Patienten bislang keine nachfolgende Therapie, 29 % der ansprechenden Patienten haben die Nivolumab-Therapie beendet und benötigten bislang keine Nachfolgetherapie. Nebenwirkungen traten weniger häufig unter Nivolumab im Vergleich zu Everolimus auf. Die Therapie mit Nivolumab führte zu einer schnellen und anhaltenden Verbesserung der Lebensqualität.

Neue Therapien am Horizont – mit Sitravatinib …

Eine einarmige Phase-I/II-Studie untersuchte die zusätzliche Gabe von Sitravatinib zu Nivolumab bei Patienten, die den CheckMate-025-Einschlusskriterien entsprachen [12]. Sitravatinib ist ein
Tyrosinkinaseinhibitor, der u. a. Rezeptoren der TAM-Familie (TYRO3, AXL, MERTK), der Split-Familie (VEGFR2/PDGFR, d-KIT) und c-MET inhibiert und damit in der Tumormikroumgebung wirkt. Es wurden 40 Patienten mit fortgeschrittenem klarzelligem Nierenzellkarzinom eingeschlossen und mit 4 Dosierungen Sitravatinib (60, 80, 120, 150 mg/d) plus Nivolumab (240 mg, q2w) behandelt. 87,5 % der Patienten hatten bereits eine und 12,5 % zwei systemische Therapien erhalten.
Ein bestätigtes Ansprechen wurde bei 39 % der Patienten beobachtet, eine Krankheitskontrolle bei 92 %. Das mediane PFS betrug 10,3 Monate (95-%-KI 6,8–13,8) und das mediane OS war mit einer Nachbeobachtungszeit von 17,7 Monaten noch nicht erreicht. Zum Zeitpunkt der Auswertung waren 79 % der mit Sitravatinib plus Nivolumab behandelten Patienten am Leben. 10 % der Studienteilnehmer brachen die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen ab. Sitravatinib wird in der Dosierung 120 mg in Kombination mit Nivolumab auch bei weiteren Tumorentitäten in die klinische Prüfung gehen.

… und dem HIF-2α-Inhibitor MK-6482

90 % der Patienten mit sporadischem klarzelligem Nierenzellkarzinom weisen Defekte des Von-Hippel-Lindau-Tumorsuppressorproteins (pVHL) auf, welches eine Aktivierung von Hypoxie-induziertem Faktor (HIF)-2α bewirkt. Eine Phase-I/II-Studie untersuchte den HIF-2α-Inhibitor MK-6482 bei 55 Patienten mit vorbehandeltem fortgeschrittenem, klarzelligem Nierenzellkarzinom [13]. Die Patienten waren intensiv vorbehandelt;62 % hatten bereits drei oder mehr systemische Therapien erhalten. Zurzeit der Auswertung hatten 71 % der Patienten die Therapie mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 13,0 Monaten, hauptsächlich aufgrund einer Krankheitsprogression, abgebrochen. Ein Ansprechen wurde bei 24 % der Patienten beobachtet, eine Krankheitskontrolle bei 80 %. 29 % der Patienten erhielten die Studienmedikation für mehr als 12 Monate, 81 % erreichten eine Remission, die ≥ 6 Monate anhielt. Das PFS betrug median 11,0 Monate und die 12-Monats-PFS-Rate 49 %. Klinische Aktivität zeigte sich über alle Risikokategorien hinweg (Abb. 2).

Dr. Ine Schmale