Akute lymphatische Leukämie: Neue Medikamente und Strategien zur Therapiesteuerung

ASH 2017

Die Therapie der akuten lymphatischen Leukämie wurde in den letzten Jahrzehnten maßgeblich durch die Arbeit großer multizentrischer Studiengruppen wie der Deutschen Multizentrischen Studiengruppe für die akute lymphatische Leukämie des Erwachsenen (GMALL) oder im pädiatrischen Bereich der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) vorangetrieben. Die pädiatrischen Kollegen waren bisher erfolgreicher, was die Heilungsraten angeht, aber auch bei den erwachsenen Patienten verheißen neue Medikamente und ausgefeiltere Strategien zur Therapiesteuerung für die Zukunft weitere Fortschritte – eine Auswahl von Studien zu diesen Themen, die bei der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) im Dezember 2017 in Atlanta präsentiert wurden.

ALL bei Erwachsenen

Der Status bezüglich der minimalen Resterkrankung (MRD) unter Chemotherapie, d. h. das Verschwinden der mali­gnen Zellen unter die Nachweisgrenze, gilt als wichtigster prognostischer Faktor bei der ALL. Verglichen mit Patienten, die eine molekulare Komplettremission erreichen, haben diejenigen mit molekularem Therapieversagen geringere Überlebenschancen und eine kürzere Remissionsdauer, und selbst nach allogener Stammzelltransplantation ist ihre Prognose schlechter [1]. Wie es Patienten ergeht, die außerhalb dieser Kategorien (MRD-negativ oder -positiv) fallen, ist ebenso wenig im Detail bekannt wie der Einfluss von Folgetherapien auf die Prognose von Patienten mit molekularem Versagen. In Atlanta wurde deshalb eine Analyse von 2.061 erwachsenen ALL-Patienten präsentiert, die in der GMALL-Studie 07/03 oder mit dem dort verwendeten Protokoll im GMALL-Register behandelt wurden [2]. Die minimale Resterkrankung wurde für alle Patienten zentral im Referenzlabor an der Universität Kiel bestimmt; primäres Zielkriterium war das molekulare Ansprechen in Woche 16 der Therapie. Folgende Kategorien wurden unterschieden: Patienten mit molekularer Komplettremission mussten MRD-negativ sein bei einer Sensitivität von < 10-4, ein molekulares Versagen war durch einen positiven MRD-Nachweis (über 10-4) definiert, als MRD-positiv galten Patienten, bei denen unterhalb einer Sensitivität von 10-4 noch eine MRD gefunden wurde oder die nachgewiesene MRD nicht quantifizierbar war.
90% der Patienten wiesen zu diesem Zeitpunkt eine hämatologische Komplettremission auf, für 57% (n = 1.057) liegt ein MRD-Test in Woche 16 vor. Dieser Anteil hat mit der Zeit zugenommen: Im Zeitraum zwischen 2003 und 2009 lag er bei 53%, zwischen 2010 und 2016 war er auf 69% angestiegen. 60% der Patienten lebten nach fünf Jahren noch, bei 64% derer mit einer Remission dauert diese noch an. Die Raten hingen stark vom molekularen Ansprechen ab: Aus der Kohorte von Patienten mit molekularer Remission lebten noch 83%, 80% waren weiterhin in Remission. In der Kohorte mit molekularem Versagen waren es mit 43% bzw. 38% deutlich weniger. Patienten mit positivem MRD-Status (unter 10-4 oder nicht quantifizierbar – immerhin jeder sechste Patient) haben eine intermediäre Prognose (5-Jahres-Überleben 68%, andauernde Remission 56%) und sollten engmaschig nachverfolgt werden.
Die allogene Stammzelltransplantation bietet für Patienten mit molekularem Versagen Vorteile: 62% dieser Patienten, die keine molekulare Remission erreicht hatten, wurden in der ersten Komplettremission transplantiert (ebenfalls mit steigender Tendenz über die Zeit). Das resultierte in deutlich höheren 5-Jahres-Raten für Überleben (53% versus 28%; p < 0,0001) und vor allem für nach fünf Jahren anhaltende Remissionen (56% vs. 9%; p < 0,0001).
Dabei erschien es sinnvoll, vorher die Leukämielast zu reduzieren, um nach Möglichkeit eine molekulare Remission zu erreichen. Dafür ist allerdings eine weitere Chemotherapie wenig geeignet: Mit zielgerichteten Substanzen wie Blinatumomab waren die erreichten molekularen Komplettremissionsraten deutlich höher (91%) als mit einer Chemotherapie aus Methotrexat und pegylierter Asparaginase (24%) und auch höher als bei sofortiger Transplantation (75%).
Erforderlich erscheint für die Zukunft eine einheitliche Definition des MRD-Ansprechens, um vor allem die internationale Vergleichbarkeit von Studiendaten zu ermöglichen.

ALL mit t(4;11): MRD-Status vor Transplantation entscheidend

Patienten mit ALL und einer Translokation t(4;11) haben eine ungünstige Prognose, vor allem wegen eines erhöhten Rezidivrisikos, weshalb die meisten Expertengruppen hier eine allogene Stammzelltransplantation in der ersten Komplettremission als Therapie der Wahl favorisieren. Allerdings ist nie im Detail untersucht worden, wie die Prognose dabei tatsächlich ist und von welchen Faktoren sie abhängt. Die Acute Leukemia Working Party der European Group for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) identifizierte daher in der EBMT-Datenbank 151 erwachsene ALL-Patienten mit t(4;11), die sich zwischen 2000 und 2016 einer allogenen Transplantation von einem gematchten verwandten oder nicht verwandten Spender unterzogen hatten. Analysiert wurde vor allem die Rolle des MRD-Status zum Zeitpunkt der Transplantation, und die Patienten wurden mit einer Kohorte von 567 Patienten verglichen, die an B-Vorläufer-ALL mit normalem Karyotyp litten [3].
Im Vergleich zum Kontrollkollektiv waren die Patienten mit t(4;11) älter, hatten höhere Leukozytenzahlen und ein kürzeres Intervall zur Transplantation und wurden häufiger von einem nicht verwandten Spender transplantiert. Zwei Jahre nach Transplantation wiesen 30% von ihnen ein Rezidiv auf, 19% waren an den Folgen der Transplantation verstorben, 51% waren leukämiefrei und 60% insgesamt noch am Leben. Nur 35% wiesen aber weder eine Graft-versus-Host-Reaktion (GvHD) noch ein Rezidiv auf. Der MRD-Status zum Zeitpunkt der Transplantation war wichtig für die Prognose (Tab. 1): MRD-negative Patienten (69%) schnitten nach zwei Jahren gegenüber MRD-positiven (31%) durchweg deutlich günstiger ab, sowohl was die Rezidivhäufigkeit (21% vs. 45%; p = 0,003) als auch das leukämiefreie Überleben (67% vs. 27%; p 0,0001) und die Freiheit von GvHD und Rezidiven anging (47% vs. 24%; p = 0,01). Dieser Vorteil der MRD-Negativität blieb auch in einer multivariaten Analyse aufrechterhalten, in die außerdem das Alter der Patienten und das Jahr der Transplantation eingingen.
Auch beim Vergleich mit den Patienten mit normalem Karyotyp zeigte sich ein starker Einfluss des MRD-Status: Von den MRD-negativen Patienten schnitten diejenigen mit t(4;11) mindestens so gut und tendenziell sogar etwas besser ab als die mit normalem Karyotyp (Rezidivhäufigkeit 21% vs. 26%; p = 0,35; nicht rezidivbedingte Mortalität 12% vs. 18,5%; p = 0,37; leukämiefreies Überleben 67% vs. 56%; p = 0,14; Gesamtüberleben 81% vs. 69%; p = 0,069). Bei den Patienten mit positivem MRD-Nachweis war es umgekehrt (leukämiefreies Überleben 27% vs. 50%; p = 0,02; Gesamtüberleben 26% vs. 62%; p = 0,01).
Die Daten dieser Registerstudie lassen interessante Schlussfolgerungen zu: Die Ergebnisse der allogenen Stammzelltransplantation bei Vorliegen einer t(4;11) erscheinen insgesamt sehr positiv, wobei die Rolle von Selektionseffekten unklar bleibt – die untersuchte Kohorte enthielt ja nur tatsächlich transplantierte Patienten. Deutlich wird außerdem auch hier die wichtige prognostische Rolle der MRD-Negativität vor der Transplantation: Man müsste deshalb eine weitere Verbesserung der Heilungschancen erwarten, wenn es gelänge, durch weitere therapeutische Maßnahmen bei noch mehr Patienten die minimale Resterkrankung vor der Transplantation zu eliminieren.

Nach Inotuzumab Ozogamicin möglichst rasch transplantieren

Im rezidivierten oder gar refraktären Zustand ist die Prognose einer ALL deutlich schlechter als bei Neudiagnose, vor allem, weil sich viel schwerer eine Komplettremission erzielen lässt, die Voraussetzung für ein langfristiges Ansprechen nach Stammzelltransplantation ist. Das gegen das CD22-Antigen gerichtete Immunkonjugat Inotuzumab Ozogamicin hat bei solchen Patienten ein deutlich besseres Ansprechen gezeigt als eine Standardchemotherapie alleine [4]; es erhöht vor allem die Chancen, eine allogene Stammzelltransplantation durchzuführen, durch die sich die 2-Jahres-Überlebensrate von 29% auf 39% erhöhen lässt. Um Prognosefaktoren für ein besseres Überleben in dieser Situation zu etablieren, wurden die Daten von 101 Patienten analysiert, die in zwei Studien mit Inotuzumab Ozogamicin (eine Phase-I/II-Studie sowie die Zulassungsstudie) transplantiert worden waren [5].
Wie Partow Kebriaei, Houston, in Atlanta berichtete, war die Behandlung mit dem Immuntoxin bei 62% dieser Patienten die erste Salvagetherapie nach dem Versagen der Erstlinienbehandlung, und lediglich 15% von ihnen hatten vorher bereits eine allogene Stammzelltransplantation erhalten. Die Überlebenschancen nach Transplantation hingen davon ab, ob es die erste derartige Prozedur war und wie schnell sie nach der Immuntherapie durchgeführt wurde (Abb. 1): Für sämtliche Patienten lag die mediane Überlebensdauer bei 9,2 Monaten, und nach zwei Jahren waren noch 41,4% von ihnen am Leben. Patienten, für die die aktuelle Transplantation die erste war, schnitten mit median 11,8 Monaten und einer 2-Jahres-Rate von 45,7% etwas besser ab. Den besten Verlauf aber zeigten diejenigen, die sofort nach der Therapie mit Inotuzumab Ozogamicin transplantiert werden konnten und keine Bridging-Therapie zur Aufrechterhaltung einer Komplettremission benötigten, etwa weil die Spendersuche sich länger hingezogen hatte: Bei ihnen war der Medianwert des Gesamtüberlebens noch nicht erreicht, nach 24 Monaten waren noch 51,1% von ihnen am Leben. Von diesen 73 Patienten waren 80% unter der Immuntherapie MRD-negativ geworden, und für zwei Drittel von ihnen war die Studienbehandlung die erste Salvagetherapie.

In einer multivariaten Cox-Regressionsanalyse erwiesen sich folgende Faktoren als signifikante Prädiktoren für das Überleben nach Transplantation (s. Tab. 2): Eine vorangegangene allogene Stammzelltransplantation, ein positiver MRD-Status und höheres Alter wirkten sich ebenso negativ auf das Überleben aus wie ein erhöhtes Bilirubin und die Gabe von Thiotepa, während eine erhöhte Laktatdehydrogenase ein günstiger Prognosefaktor war.
Wenn Patienten mit rezidivierter oder refraktärer ALL auf eine Salvagetherapie mit Inotuzumab Ozogamicin so ansprechen, dass sie eine allogene Stammzelltransplantation erhalten können, sind ihre Überlebenschancen also nicht ganz schlecht. Am besten schneiden diejenigen ab, für die es die erste Transplantation war und die sofort nach der Therapie mit dem Immuntoxin transplantiert werden können, und zwar im Zustand der MRD-Negativität.

PH+ ALL: bei älteren Patienten Ponatinib und Steroide

Ältere und weniger fitte Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver (Ph+) ALL sind meist nicht imstande, die Kombination aus Chemotherapie und Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) zu tolerieren, die bei dieser Indikation heute den Standard darstellt. Die italienische GIMEMA-Studiengruppe ließ bei solchen Patienten daher in der Phase-II-Studie LAL1811 die Chemotherapie weg und gab den insgesamt 42 Patienten nur Kortikosteroide sowie als TKI die Drittgenerations-Sub­stanz Ponatinib, die bei fitten Erwachsenen in Kombination mit Chemotherapie zu einer ereignisfreien 2-Jahres-Überlebensrate von 81% geführt hatte [6]. Ponatinib wurde mit 45 mg/d über 48 Wochen dosiert (bei Nebenwirkungen war eine Dosisreduktion möglich), mit den Steroiden wurde bereits zwei Wochen vor dem TKI begonnen, und sie wurden insgesamt sechs Wochen lang gegeben. Als ZNS-Prophylaxe erhielten alle Patienten außerdem Methotrexat, Cytarabin und Dexamethason intrathekal. Primärer Endpunkt war die Rate für komplettes hämatologisches Ansprechen nach 24 Wochen.
Diese Rate lag nach dem ersten sechswöchigen Zyklus bei 95% und nach 24 Wochen bei 90%, so Giovanni Martinelli, Bologna. Ein komplettes molekulares Ansprechen (BCR-ABL/ABL < 0,01 bei einer Messung von wenigstens 30.000 ABL-Molekülen) hatten nach 24 Wochen elf von 24 auswertbaren Patienten erzielt (46%). Nach einem Jahr waren noch 87,5% der Patienten am Leben.
15 der 42 Patienten nahmen nach 24 Wochen immer noch Ponatinib ein, nur vier hatten die Behandlung endgültig abgebrochen. Von den 75 registrierten Nebenwirkungen wurde bei 36 ein Zusammenhang mit Ponatinib angenommen, ebenso bei 13 der 26 schweren unerwünschten Ereignisse. Nur wenige Toxizitäten waren kardiovaskulärer Natur. Ein Todesfall war auf den TKI zurückzuführen. Mutationsanalysen, zu Beginn und nach Woche 24 durchgeführt, ergaben lediglich in einem Fall eine T315L-Mutation im BCR-ABL-Fusionsgen, bei den übrigen Rezidiven ist der Mechanismus unklar.
Diese beeindruckende und rasch auftretende therapeutische Wirksamkeit bei der Mehrzahl dieser Patienten lässt sich wahrscheinlich durch mehrere Mechanismen erklären: Ponatinib könnte sehr effektiv das Auftreten von BCR-ABL-Mutationen und dadurch von resistenten Klonen verhindern, und Steroide, so Martinelli, üben durch Hemmung verschiedener durch Tyrosinkinasen kon­trollierter zellulärer Signaltransduktionswege synthetische Letalität aus.

Immunkonjugat und TKI bei Ph+ ALL in Blastenkrise

Patienten in der Blastenkrise haben bei Ph+ ALL eine ebenso schlechte Pro­gnose wie bei der chronischen myeloischen Leukämie. Der TKI Bosutinib ist zur Behandlung der CML in akzelerierter Phase oder Blastenkrise zugelassen und wurde deshalb in einer Phase-I-Studie bei Patienten mit Ph+ ALL oder chronischer myeloischer Leukämie in der lymphoiden Blastenkrise getestet, und zwar in Kombination mit dem Immunkonjugat Inotuzumab Ozogamicin, das bei rezidivierter oder refraktärer ALL aktiv und als Monotherapie zugelassen ist [7]. Das CD22-Antigen, gegen das sich der Antikörper richtet, wird von mehr als 90% aller ALL-Erkrankungen exprimiert.
Elf der 14 bisher in der Studie mit steigenden Dosierungen beider Medikamente behandelten Patienten erzielten eine komplette Remission mit oder ohne vollständige hämatologische Erholung, so Nitin Jain, Houston. Von diesen elf Patienten erreichten wiederum zehn eine zytogenetische Komplettremission, acht eine durchflusszytometrisch bestimmte MRD-Negativität, und sechs von ihnen wurden auch BCR-ABL-negativ.
Mit median 8,2 Monaten ist das Gesamtüberleben dieser Patienten identisch mit dem medianen ereignisfreien Überleben (8,1 Monate), aber insgesamt weiterhin nicht gut. Die Kombination scheint sicher und auch wirksam zu sein, wobei die Rationale für gerade diese Zusammenstellung von Medikamenten nicht ganz klar ist. Überdies reichen Fallzahl und Nachbeobachtungsdauer in dieser Studie für weitergehende Aussagen noch nicht aus.

Pädiatrische ALL

Genetische Korrelate für Asparaginase-assoziierte Pankreatitis

Die Erfolge in der Therapie vor allem der kindlichen ALL mit Heilungsraten von deutlich über 80% lassen leicht den hohen Preis in Vergessenheit geraten, der dafür zu bezahlen ist. Die zum Teil sehr aggressiven Therapien ziehen beträchtliche Toxizität nach sich, beispielsweise eine Pankreatitis, die mit der Asparaginase-Therapie einhergeht und sehr schwer sein kann: In einer retrospektiven Auswertung von 465 Fällen waren 8% der Patienten beatmungspflichtig geworden; 26% hatten pankreatische Pseudozysten und 9% einen persistierenden Diabetes mellitus entwickelt [8]. Die Ponte di Legno Toxicity Working Group analysierte daher retro­spektiv die Daten von 1.544 Kindern mit ALL, die in zehn Studien überwiegend in Europa behandelt worden waren, und versuchte, genetische Varianten von Trypsin-regulierenden Genen ausfindig zu machen, die als Risikofaktoren für die Entstehung einer Pankreatitis unter Asparaginase-Therapie infrage kommen könnten [9]. Die Arbeitsgruppe hat bereits früher eine Konsensus-Definition für eine Asparaginase-assoziierte Pankreatitis vorgelegt, der zufolge mindestens zwei von drei Kriterien erfüllt sein müssen [10]:
– Konzentrationen von Amylase, pankreatischer Amylase oder pankreatischer Lipase, die das Dreifache der oberen Grenze des Normbereichs überschreiten,
– abdominelle Schmerzen,
– Ergebnisse aus der Bildgebung, die mit einer Asparaginase-assoziierten Pankreatitis kompatibel sind.
Die Genotypisierung von 244 Patienten mit Asparaginase-assoziierter Pan­kreatitis ergab im Vergleich mit Patienten, die trotz Asparaginase-Therapie keine Pankreatitis entwickelt hatten, mehrere Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs), die eine starke Assoziation mit der Komplikation aufwiesen. Die genetischen Risikovarianten bei diesen Kindern sind identisch mit denen, die man bei Erwachsenen mit Pankreatitis anderer Genese gefunden hat. Interessanterweise liegen zwei der Varianten in einer Region auf Chromosom 7, wo „Gain-of-function“-Mutationen in einem Trypsin-regulierenden Gen (PRSS1) bei hereditärer Pankrea­titis mit Autoaktivierung, erhöhten intra-acinären Trypsin-Spiegeln und Selbstverdauung in dem Organ in Verbindung gebracht wurden.
Diese gemeinsame genetische Prädisposition und damit vermutlich auch Pathogenese, so Wolthers, wird es hoffentlich erleichtern, die Mechanismen dahinter zu eruieren und effektive Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Interessant ist zum Beispiel die Frage, ob man Asparaginase nach einer Pankreatitis-Episode wieder geben kann.

Pilzinfektionen bei pädiatrischer ALL selten

Invasive Pilzinfektionen sind eine Hauptursache für Morbidität und Mortalität bei malignen hämatologischen Erkrankungen. Für pädiatrische Patienten und junge Erwachsene gibt es aufgrund von Unterschieden in Chemotherapie-Protokollen, Patientenpopulationen, diagnostischen Strategien und Definitionen für diese Infektionen nur wenige zuverlässige epidemiologische Daten. Außerdem fehlen klare Empfehlungen für eine Pilzprophylaxe in der Induktionstherapie, bedingt durch Interaktionen zwischen Azolen und Vinca-Alkaloiden sowie anderen Toxizitäten. Eine Behinderung der ordnungsgemäßen Durchführung der Chemotherapie kann deshalb zusätzlich zur Pilz-bedingten Mortalität die Prognose der Patienten negativ beeinflussen.
Um zuverlässigere Zahlen über diese Infektionen zu erhalten, sammelten britische Kollegen retrospektiv Daten von insgesamt 296 ALL-Patienten im Alter von bis zu 24 Jahren, die von 2013 bis einschließlich 2016 in zwei großen Londoner Zentren (Great Ormond Street Hospital und University College London Hospital) mit dem UKALL2011-Protokoll behandelt worden waren [11]. Daten zu Pilzinfektionen wurden separat für Induktions-, Konsolidierungs-, Interim-Erhaltungs- und späte Intensivierungsphase erhoben; die Infektionen wurden als belegt, wahrscheinlich oder möglich nach den Kriterien der EORTC klassifiziert [12].
Eine routinemäßige Pilzprophylaxe wurde nicht gegeben, lediglich 16 junge Erwachsene erhielten wegen niedriger Neutrophilen-Zahlen während Induktion und Konsolidierung eine Prophylaxe mit oralem Itroconazol oder, wenn Vinca-Alkaloide im Spiel waren, mit liposomaem Amphothericin B. Für sechs Pilzinfektionen konnte ein sicherer Nachweis geführt werden, fünf weitere wurden als wahrscheinlich und zwölf als möglich eingestuft. Von den sieben positiven Erregernachweisen handelte es sich in fünf Fällen um Candida-Arten.
In 16 Fällen führten Pilzinfektionen zu einer Therapieverzögerung um median drei Wochen, in zwei Fällen musste sie komplett ausfallen, und bei vier Patienten musste die Dosierung signifikant reduziert werden. Von 22 nachverfolgten Patienten mit sicherer, wahrscheinlicher oder möglicher Pilzinfektion waren nach median 16 Monaten 20 noch am Leben und in fortgesetzter Remission. Von drei dieser Patienten, die sich einer allogenen Stammzelltransplantation unterzogen, sind zwei verstorben, einer an einer rezidivierenden Candida-Infektion.
Pilzinfektionen sind offenbar bei pädiatrischen Patienten mit ALL zumindest unter dem UKALL2011-Protokoll selten, und das Mortalitätsrisiko ist ebenfalls gering. Es kann aufgrund dieser Komplikationen zwar zu Verzögerungen bei der Chemotherapie kommen, aber die Autoren empfehlen trotzdem nach wie vor keine Routineprophylaxe bei Kindern und jungen Erwachsenen – wie eine Pilzprophylaxe ja auch bei den erwachsenen ALL-Patienten trotz höherer Infektionsraten [13] in der Induktionstherapie nicht routinemäßig eingesetzt wird.

Ph+ ALL: zusätzlich Imatinib geben

Die akute lymphatische Leukämie mit Philadelphia-Chromosom (Ph+ ALL), die etwa 3–5% aller pädiatrischen ALL-Erkrankungen ausmacht, war in der Vergangenheit mit einer schlechten Prognose und ereignisfreien Langzeitüberlebensraten von lediglich rund 30% assoziiert. Standardtherapie ist daher nach wie vor eine allogene Stammzelltransplantation in der ersten Komplettremission. In ihrer AALL0031-Studie konnte die US-amerikanische Children´s Oncology Group zeigen, dass die Zugabe von hochdosiertem Imatinib zur Chemotherapie die Heilungschancen erhöht, ohne die Toxizität zu verstärken; dieses Protokoll war der Stammzelltransplantation ebenbürtig [14]. Etwa zur gleichen Zeit hatten in der multizentrischen europäischen Phase-III-Studie EsPhALL 2004–2009 Patienten mit Hochrisiko-ALL, die auf die Induktions-Phase des entsprechenden BFM-Protokolls angesprochen hatten, zur Hälfte randomisiert Imatinib erhalten, wodurch das krankheitsfreie Überleben um 10% erhöht wurde. Bei Patienten, die nicht angesprochen hatten, war die Imatinib-Gabe obligat, und insgesamt 80% aller Patienten wurden transplantiert [15].
Das Studienprotokoll wurde daraufhin durch ein Amendment ergänzt: In der resultierenden EsPhALL 2010–2014-Studie bekamen alle Hochrisiko-Patienten ab Tag 15 der Induktionstherapie kontinuierlich täglich 300 mg/m2 Imatinib, und die Indikation zur Transplantation wurde zunächst vom frühen Ansprechen und ab 2012 vom Status der minimalen Resterkrankung (MRD) nach Ende des Induktionsblocks II und des Konsolidierungsblocks 3 abhängig gemacht. Die nicht transplantierten Patienten sollten Imatinib bis zu zwei Jahre, die transplantierten bis zu ein Jahr nach Transplantation erhalten.
Die Komplettremissionsrate nach der Induktionstherapie lag bei 97%, so Andrea Biondi, Monza, die die Resultate in Atlanta vorstellte [16]; in der Vorgängerkohorte (2004–2009) hatte sie nur 50% betragen. Insgesamt unterzogen sich nur 38% der Patienten einer allogenen Stammzelltransplantation, wobei sich die Rate zwischen 2010 und 2014 von 56% auf 28% halbierte; in der Vorgängerkohorte waren es 81% gewesen. Trotz dieser reduzierten Transplantationsrate zeigten diese Patienten mit der Vorgängerkohorte vergleichbare 5-Jahres-Raten für ereignisfreies (57% vs. 60%) und Gesamtüberleben (jeweils 72%).
Diese Resultate zeigen, dass Rezidivraten (33%) und Mortalität (15% Todesfälle in Komplettremission) mit der reinen Chemotherapie nach wie vor relevant sind; bei den transplantierten Patienten lag die Rezidivrate bei 14% und die Mortalität in Komplettremission bei 19%. Außerdem traten in 11% der Fälle Rezidive im ZNS auf.

Zweitgenerations-TKI mit guter Wirksamkeit

Die Children´s Oncology Group wählte in ihrer Phase-II-Studie CA180-372, an der auch italienische und britische Zentren beteiligt waren, den Zweitgenerations-TKI Dasatinib und kombinierte ihn mit dem gleichen BFM-Chemotherapie-Protokoll, das in der europäischen EsPhALL-Studie verwendet worden war [17]. Dasatinib wurde, wiederum ab Tag 15 der Induktion, mit 60 mg/m2 täglich verabreicht. Auch hier wurde die Indikation zur Transplantation vom MRD-Status abhängig gemacht. Die Dasatinib-Gabe nach Transplantation war optional, während die nicht transplantierten Patienten es zwei Jahren lang erhalten sollten.
Die Komplettremissionsrate betrug bei den insgesamt 109 Patienten 100%, und lediglich 14% von ihnen mussten hier transplantiert werden (gegenüber 80% in der EsPhALL-2004–2009- und 38% in der EsPhALL-2010–2014-Studie). Nach drei Jahren lag das ereignisfreie Überleben (der primäre Endpunkt) bei 66%, die Gesamtüberlebensrate bei 92%. An Grad-3/4-Toxizitäten waren vor allem febrile Neutrope­nien (75%), Septikämien (19%), Bakteriämien (22%) und Leberenzym-Erhöhungen bemerkenswert. Rezidive traten bei 26 Patienten auf, wobei die Rate nach Stammzelltransplantation mit 33% höher war als nach ausschließlicher Chemotherapie (26%); in 7% der Fälle betrafen sie das ZNS.
Dasatinib ist also bei pädiatrischen Patienten mit Ph+ ALL sicher und wirksam: Vor allem scheint es die Notwendigkeit für eine allogene Stammzelltransplantation (die mit 17% eine relevante Mortalität aufwies) gegenüber der reinen Chemotherapie und auch gegenüber Imatinib zu reduzieren. Ob auch das Risiko für einen ZNS-Befall gegenüber Imatinib geringer ist, lässt sich bei den relativ niedrigen Patientenzahlen nicht sicher beurteilen.