CAR-T-Zell-Therapie bei der ALL

Bei Erwachsenen: geringeres Ansprechen, mehr Nebenwirkungen
Für pädiatrische Patienten mit therapierefraktärer ALL, bei denen alle herkömmlichen Therapieoptionen versagt haben, gibt es seit einiger Zeit neue Hoffnung in Form von autologen T-Lymphozyten mit chimärem Antigen-Rezeptor (CAR-T-Zellen). Dabei wird in T-Zellen, die dem Patienten entnommen werden, auf gentechnischem Weg die Information für einen gegen ein Zelloberflächen-Antigen (im Fall der ALL das CD19-Antigen) gerichteten Rezeptor eingebracht. In den Körper reinfundiert, vermehren sich die zuvor in vitro expandierten zytotoxischen T-Zellen bei Anwesenheit des Antigens weiter und eliminieren die leukämischen Zellen. Zur Therapie lymphatischer, CD19-positiver B-Zell-Erkrankungen wurde bereits eine bemerkenswerte Liste von entsprechenden Präparaten entwickelt, die sich derzeit in klinischer Erprobung befinden (Tab. 3; [18]). Bei Kindern hat dieser Ansatz zu erstaunlichen Erfolgen und Heilungen in zuvor als hoffnungslos angesehenen Fällen geführt, die auch bereits in Zulassungen in den USA resultierten (in Europa wird in Kürze die erste Zulassung erwartet). Auch zu erwachsenen Patienten mit ALL wurden in Atlanta Ergebnisse aus klinischen Studien vorgestellt, von denen hier die Phase-I-Studie ZUMA-3 herausgegriffen sei [19]:

Darin erhielten bisher 22 Patienten mit rezidivierter oder refraktärer ALL (auch Ph+ ALL) und mindestens 5% Blasten im Knochenmark nach einer zytoreduktiven Therapie mit Fludarabin/Cyclophosphamid das Anti-CD19-CAR-T-Zellpräparat KTE-C19 in einer einmaligen Dosierung von 1 oder 2 x 106 Zellen/kg. Primärer Endpunkt war – als klassische Phase-I-Fragestellung – die Inzidenz dosislimitierender Toxizitäten. Diese traten bei bisher 16 auswertbaren Patienten nicht auf, so Bijal Shah, Houston, aber ein Patient erlitt nach der höheren Zelldosis ein Zytokin-Release-Syndrom vom Grad 5. An Toxizitäten vom Grad 3 oder höher wurden registriert: Hypotension (56%), Anämie (50%) Fieber (50%), Thrombozytopenie (44%), Zytokin-Release-Syndrom (25%), neurologische Ereignisse (63%). Bei 15 der 16 Patienten musste der Interleukin-6-Antikörper Tocilizumab gegeben werden, und drei Viertel von ihnen bekamen Steroide.
Die Wirksamkeit war initial hoch: Von elf bislang auswertbaren Patienten erzielten acht eine MRD-negative Komplettremission und einer ein Blasten-freies Knochenmark; allerdings traten in vier Fällen zwischen 63 und 168 Tage nach der Therapie Rezidive auf. Weitere Patienten werden sukzessive in die Studie eingeschlossen, so Jain, aber diese Ergebnisse lassen bereits erkennen, dass die CAR-T-Zell-Therapie bei Erwachsenen bei niedrigeren Ansprechraten mehr Nebenwirkungen verursacht als bei Kindern. Weitere Daten zu diesem und anderen gegen CD19 gerichteten Produkten muss man abwarten, und ebenso sind längere Nachbeobachtungszeiten erforderlich, bevor man aus den Ergebnissen belastbare Schlussfolgerungen ziehen kann.
Erste Testungen von allogenen CAR-T-Zellen
Autologe CAR-T-Zellen sind eine Form der Zelltherapie, die wesentliche Vorteile der autologen und der allogenen Stammzelltransplantation vereint: Der rekombinante chimäre Antigen-Rezeptor auf ihrer Oberfläche, der sich direkt gegen ein Antigen auf der Tumorzelle richtet, bewirkt im Grunde einen Graft-versus-Leukämie-Effekt, wie wir ihn von der allogenen Transplantation kennen. Er fällt aber hier durch den maßgeschneiderten chimären Rezeptor sehr viel fokussierter aus. Hingegen vermeidet man mit diesen Zelleneinen Graft-versus-Host-Effekt, weil es sich um autologe
T-Lymphozyten handelt, die keine Autoaggression beim Empfänger verursachen. Ein wesentlicher Nachteil der Methode ist, dass es sich um einen individualspezifischen Ansatz handelt, bei dem die Zellen mit einem erheblichen logistischen und Kostenaufwand für jeden Patienten eigens hergestellt werden müssen. Ein weiterer Nachteil ist die mangelnde Kontrollierbarkeit der Zellen im Körper, die neben den leukämischen Zellen auch normale, CD19-tragende B-Lymphozyten ausschalten und dadurch regelmäßig zu einer B-Zell-Aplasie führen. Mit ausgeklügelten Kon­strukten gelingt es beispielsweise einer Gruppe am King´s College in London, beide Nachteile zu umgehen [20].
Ihr Präparat UCART19 besteht aus nicht HLA-kompati­blen T-Zellen, so Charlotte Graham, London, an denen neben der Einpflanzung des Gens für den chimären Antigen-Rezeptor weitere genetische Veränderungen vorgenommen wurden:
– Zum einen erhielten die Zellen einen „Sicherheitsschalter“ in Form eines Oberflächen-Antigens, dass ein Epitop des CD20-Antigens enthält, sodass die Zellen mithilfe von Rituximab eliminiert werden können.
– Außerdem wurde die α-Kette des T-Zell-Rezeptors ausgeschaltet, sodass die Zellen keine normalen Körperzellen angreifen können und sich damit auch bei allogener Applikation das Risiko für einen Graft-versus-Host-Effekt verringert.
– Ebenfalls ausgeschaltet wurde das Gen für das CD52-Antigen, was in der Phase-I-Studie, die Frau Graham vorstellte, gestattete, eine lympho-depletierende Behandlung mit Fludarabin und Cyclophosphamid gegebenenfalls durch zusätzliche Gabe von Alemtuzumab zu unterstützen.
Dieses ausgefeilte Konstrukt sollte daher eine CAR-
T-Zell-Therapie mit einem vorgefertigten Präparat ermöglichen, das nicht für jeden Patienten individuell hergestellt werden muss und daher erheblich preiswerter sein könnte. Auch in der Phase-I-Studie, die Frau Graham in Atlanta vorstellte, war das primäre Ziel die Bestimmung der maximal tolerierten Dosis durch die Testung von bis zu vier Dosisstufen. Bei den bisher sechs behandelten erwachsenen Patienten mit rezidivierter oder refraktärer ALL, die die beiden niedrigsten geplanten Dosierungen erhielten, zeigten sich keine unerwarteten Toxizitäten. Vier der Patienten erzielten eine MRD-negative Komplettremission, einer erwies sich nach vier Wochen als refraktär auch gegenüber den CAR-T-Zellen, und einer verstarb nach zwei Wochen an einer neutropenen Sepsis.
Die vier in Remission gegangenen Patienten wurden da­raufhin allogen transplantiert; zwei von ihnen sind in anhaltender Remission, einer erlitt ein CD19-positives Rezidiv, und einer verstarb an einer Infektion. Es wird weiterer Daten und einer längeren Nachbeobachtung bedürfen, bevor man Genaueres über die Aussichten dieser Therapieform sagen kann. Die Studie ist derzeit in Großbritannien aktiv, wird aber auch auf andere Länder in Europa und auf die USA ausgedehnt.
Woher kommt die Neurotoxizität unter CAR-T-Zellen?
Eine wichtige und in ihrer Pathogenese bislang nur sehr unvollständig verstandene Toxizität bei der Behandlung mit CAR-T-Zellen stellen neurologische Nebenwirkungen dar, die das Zentralnervensystem betreffen und bis zu einem Delirium und einem Hirnödem gehen können. Am Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle wurden 133 Fällen von Patienten mit lymphoiden B-Zell-Malignomen analysiert, die mit gegen CD19 gerichteten CAR-T-Zellen behandelt worden waren [21]. 54 von ihnen (40%) hatten neurologische Auffälligkeiten entwickelt, davon 19% vom Grad 1 oder 2, 16% vom Grad 3, 2% vom Grad 4 und immerhin 3% mit letalem Ausgang. Etwa zwei Drittel dieser Patienten waren in ein Delirium geraten, 55% hatten Kopfschmerzen und ungefähr jeder dritte (34%) Sprachstörungen entwickelt, so Cameron Turtle, Seattle. In einer multivariaten Analyse kristallisierten sich als prädiktive Faktoren für die Neurotoxizität sowie für ein Zytokin-Release-Syndrom ein hoher Blastenanteil im Knochenmark, eine Lymphodepletion mit Fludarabin und Cyclophosphamid sowie eine hohe CAR-T-Zell-Dosierung heraus.
Der Schweregrad der Neurotoxizität korrelierte mit den Spitzenkonzentrationen von Zytokinen wie Interleukin 6, Interferon γ oder Tumornekrosefaktor α; dahinter könnte eine Aktivierung von Endothelzellen stehen, so Turtle. Dafür spricht auch eine Hypofibrinogenämie mit Gerinnungsstörungen sowie hohe Konzentrationen von Serum-Angiopoietin-2 und von-Willebrand-Faktor in vivo. Die durch Zytokine bedingte Aktivierung von Endothelzellen könnte die Integrität der Blut-Hirn-Schranke beeinträchtigen, sodass es zum Übertritt von Proteinen, Leukozyten einschließlich CAR-T-Zellen und von Zytokinen in das Gehirn kommt – mit vielfältigen Störungen der zerebralen Homöostase. Eine Reduktion der Zell-Dosis würde wahrscheinlich das Risiko für Neurotoxizität reduzieren, dürfte aber gleichzeitig die antileukämische Wirkung kompromittieren.
Am besten wären Strategien, mit denen man vulnerable Patienten rechtzeitig identifizieren könnte, möglichst bereits vor Verabreichung der CAR-T-Zellen, so Turtle. Hier scheinen Marker für eine endotheliale Aktivierung vielversprechend, wie zum Beispiel ein erhöhtes Verhältnis zwischen Angiopoietin-2 und -1 vor Durchführung der Lymphodepletion; dadurch lassen sich offenbar Patienten, die später eine Neurotoxizität vom Grad 4 oder höher entwickeln, detektieren, sodass man sie mit einem modifizierten Regime behandeln könnte. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind mittlerweile auch als Vollpublikation erschienen [22].

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