Akute myeloische Leukämien (AML) sind eine genetisch heterogene Gruppe maligner Neoplasien von Blutstammzellen. Neben Patientenfaktoren (Alter, Geschlecht etc.) sind sowohl das Überleben als auch das Ansprechen auf unterschiedliche Therapieregime stark genetisch determiniert. Daher beziehen die derzeit wichtigsten Systeme zur Klassifikation und Risikostratifizierung hauptsächlich genetische Kriterien mit ein, während morphologische Kriterien zunehmend in den Hintergrund treten. In den vergangenen Jahren erfolgte die Klassifikation der Erkrankung üblicherweise nach der Klassifikation der World Health Organization (WHO) für myeloische Neoplasien [1]. Leider hat sich während des letzten Updates dieser Klassifikation ein konkurrierendes Klassifikationssystem (International Consensus Classification; ICC) entwickelt [2].
In der Risikostratifikation haben sich die Empfehlungen des European LeukemiaNet (ELN) zum internationalen Standard entwickelt. Allerdings ist zu beachten, dass die Empfehlungen in der Vergangenheit auf Daten intensiv behandelter Patienten basierten und für nicht intensiv therapierbare Erkrankte schlecht anwendbar waren [3, 4]. Deshalb existieren zur parallelen Verwendung derzeit das aktuelle Update der Klassifikation für mittels intensiver Chemotherapie Behandelte und ein zusätzliches Update zur Verwendung bei Betroffenen, die mit weniger intensiven Therapien behandelt werden [5, 6]. Relevante Charakteristiken der genannten Klassifikationen werden im Folgenden beleuchtet.
AML-Klassifikationssysteme
Die Klassifikation der AML hat ihre Ursprünge in der rein morphologischen FAB-Klassifikation, die erstmals im Jahr 1976 publiziert wurde [7]. Seitdem hat sich allerdings ein anderes Krankheitsverständnis der AML etabliert. Dieses misst vor allem genetisch definierten Subentitäten der AML mehr Gewicht zu, da diese sich prognostisch relevant und prädiktiv für das Ansprechen auf bestimmte Therapien gezeigt haben. Folglich wurde über subsequente Iterationen der WHO-Klassifikationen ein immer größerer Anteil der AML mittels klassendefinierender genetischer Alterationen gruppiert. So sind in einer großen Studie noch 13 % der Fälle gemäß WHO-2016 nach der Morphologie definiert, während die WHO-2022 nur noch 5 % der Fälle derselben Kohorte morphologisch definiert. Auch die konkurrierende ICC definiert lediglich 5 % der Fälle über die Morphologie [8]. Beide aktuellen Klassifikationen sind dementsprechend als genetische Klassifikationen zu verstehen.
Unterschiede zwischen den Klassifikationen WHO- und ICC-2022
Dennoch gibt es relevante Unterschiede zwischen beiden Systemen. Diese sind in Tab. 1 gegenübergestellt.