ESMO Immuno-Oncology Congress 2024
Immunonkologie: Evidenz erhöhen für die Therapie immunbedingter Toxizitäten
Mit der Immuntherapie und dem Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren (CPI) gelingt es bei immer mehr Tumorentitäten, die Prognose der Patienten zum Teil deutlich zu verbessern – bis hin zur Chronifizierung beziehungsweise einem Langzeitüberleben. Mit der Ausweitung der Indikationen für den Einsatz einer Immuntherapie, zunehmend auch in frühere Erkrankungsstadien, richtet sich ein besonderes Augenmerk auf mögliche Langzeittoxizitäten – ein Thema, das beim ESMO Immuno-Oncology Congress 2024 diskutiert wurde.
Schlüsselwörter: Immuntherapie, Checkpoint-Inhibitoren, immun(therapie)bedingte Toxizitäten, Organtoxizitäten, Risikofaktoren, prädiktive Biomarker
Immun(therapie)bedingte Toxizitäten („immunrelated adverse events“; irAEs) seien grundsätzlich gut zu handhaben, betonte Prof. Christina H. Ruhlmann, Odense, Dänemark. Schwere Nebenwirkungen vom Grad 3–4 seien jedoch oftmals eine Herausforderung im klinischen Alltag. Um dies zu verhindern, müssten irAEs frühzeitig erkannt und behandelt werden. Dies gelte insbesondere für potenziell lebensbedrohliche Organtoxizitäten, wie beispielsweise eine Myokarditis oder eine Pneumonitis. Die Immuntherapie sei eine wichtige neue Therapieoption, die den Patienten die Chance auf ein längeres Überleben und eine günstigere Prognose biete. Dies dürfe nicht durch irAEs gefährdet werden.
Konsequentes Monitoring und rechtzeitige evidenzbasierte Intervention
Neben einem konsequenten Monitoring der Patienten und gegebenenfalls rechtzeitiger Intervention sei es wichtig, die Evidenz für die Behandlung von irAEs zu erhöhen. „Wir sind verpflichtet, die Messlatte hoch zu legen, um das Nebenwirkungsmanagement unter der Immuntherapie weiter zu verbessern“, forderte die Expertin.
Ruhlmann erinnerte daran, dass alle Organe von irAEs betroffen sein können. Die Patienten müssten darüber aufgeklärt sein, um sich frühzeitig zu melden. Ob und in welchem Ausmaß sich irAEs entwickeln, hänge von verschiedenen Faktoren ab, weshalb die Ausprägung sehr unterschiedlich und auch von Patient zu Patient sehr variabel sei. Wichtig sei es, daran zu denken, dass irAEs in Abhängigkeit vom betroffenen Organ zu verschiedenen Zeitpunkten auftreten. Einige irAEs bilden sich innerhalb von Stunden oder wenigen Tagen aus und andere erst nach Wochen oder Jahren.
Multidisziplinäres Vorgehen
Kommt es zu irAEs, sei die Kooperation mit den entsprechenden Fachärzten essenziell. Die multidisziplinäre Zusammenarbeit und der fachliche Austausch von Onkologen und den jeweiligen Organfachdisziplinen seien die Grundlage für ein gutes Nebenwirkungsmanagement, so Ruhlmann. Oftmals treten mehrere Organtoxizitäten bei einer Person auf, was beim Management der irAEs beachtet werden müsse.
Standard bei der Erstlinienbehandlung sind Kortikosteroide. Sprechen Patienten auf Kortikosteroide nicht an oder entwickeln sich sehr schwere irAEs, sollten immunmodulierende Substanzen eingesetzt werden. Weitere Alternativen sind laut Ruhlmann die Plasmapherese oder eine intravenöse Immunglobulin-Ersatztherapie. Die meisten irAEs seien mit einem adäquaten Management reversibel. Nach erfolgreicher irAE-Behandlung werden für weitere sechs Monate regelmäßige Kontrollen empfohlen, um Anzeichen erneuter irAEs frühzeitig zu erkennen und um rechtzeitig intervenieren zu können.
Erneute Immuntherapie nach irAE?
Umstritten ist laut Ruhlmann, ob nach erfolgreicher Behandlung insbesondere schwerer irAEs erneut mit einer Immuntherapie behandelt werden sollte. Grundsätzlich sei dies eine Option, es müsse aber im Einzelfall entschieden werden und hänge letztlich vom Schweregrad und dem befallenen Organsystem ab. Bei schweren irAEs mit potenziell lebensbedrohlichem Risiko wie beispielsweise einer Myokarditis oder Pneumonitis rät Ruhlmann davon ab. Es gebe andere Therapieoptionen, die dann zum Einsatz kommen sollten.
Chronische irAEs können auftreten
Halten irAEs auch drei Monate nach Ende der Immuntherapie weiter an, gelten sie als chronisch. Dass diese Möglichkeit besteht, müsse vor Therapiebeginn mit den Patienten besprochen werden – mit der Option, gegebenenfalls auf eine Immuntherapie zu verzichten und andere Therapien einzusetzen. Allerdings, so Ruhlmann, zeigten Studiendaten, dass Patienten mit chronischen irAEs im Vergleich mit jenen ohne chronische irAEs länger rezidivfrei geblieben sind (Abb. 1) [1] und im metastasierten Setting auch länger überlebt haben [2].
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL) wurde durch die Chronifizierung der irAEs nicht zusätzlich beeinträchtigt, erklärte Ruhlmann. Auch dies sollte mit den Patienten diskutiert werden. Möglicherweise sei die Chronifizierung der irAEs ein Hinweis auf ein besonders gutes Ansprechen auf die Immuntherapie.
Ziel ist es, die Prädiktion zu verbessern
Um den Umgang mit irAEs zu optimieren, seien translationale Forschungsprojekte notwendig, betonte die Ärztin. Insbesondere müsse es darum gehen, die Prädiktion – und hier speziell die diagnostische Prädiktion – zu verbessern, um Patienten mit hohem Risiko frühzeitig identifizieren beziehungsweise bereits vor Therapiebeginn Risikoparameter definieren und die Therapie entsprechend anpassen zu können. Ihrer Ansicht nach sollten zielgerichtete immunsupprimierende Substanzen in frühere Therapielinien gebracht und dort im Rahmen eines personalisierten irAE-Managements eingesetzt werden. Ziel sollte es sein, die Effektivität der Behandlung und die Prognose der Patienten auch dadurch zu verbessern, dass der Umgang mit irAEs optimiert wird.
Therapien modifizieren und erweitern?
Auch über Modifikationen der Therapiemöglichkeiten werde nachgedacht, erläuterte Ruhlmann. Dabei verwies sie auf eine französische Studiengruppe, die im Rahmen einer „praxisrelevanten“ Untersuchung bei Patienten mit immunbedingter Myokarditis die Kombination aus hochdosiertem Abatacept (CD86-Agonist), Ruxolitinib (JAK1/2-Inhibitor) und niedriger dosierten Kortikosteroiden eingesetzt hat. Im Vergleich zu einem Standardvorgehen mit mehrheitlich hochdosierten Kortikosteroiden und Plasmapherese konnte das Risiko, an einer durch die Immuntherapie induzierten Myokarditis zu sterben, von 60 auf 3 % statistisch signifikant (p < 0,0001) gesenkt werden [3].
Aktuelle Daten einer gepoolten Analyse aus Holland mit sechs Phase-II/III-Studien weisen darauf hin, dass eine höhere Spitzendosis („peak dose“) der Kortikosteroide – nicht eine höhere kumulative Dosis – mit einem schlechteren Gesamtüberleben assoziiert ist [4].
Zudem gehe es darum, potenzielle Treiber von irAEs zu identifizieren und entsprechende zielgerichtete Therapien einzusetzen. Derzeit liege ein Fokus auf der Interleukin(IL)-6-Rezeptor-Blockade und dem Einsatz von Tocilizumab. Diskutiert werde allerdings, ob die IL-6-Rezeptor-Blockade die Wirksamkeit der Immuntherapie beeinträchtige. Dies sei noch nicht abschließend geklärt.
Im Rahmen einer retrospektiven multizentrischen Studie bestätigte sich dies nicht [5]. Gleichzeitig erwies sich die IL-6-Rezeptor-Blockade als sehr effektiv. Bei den mit Kortikosteroiden vorbehandelten Studienteilnehmenden besserten sich die irAEs unter der IL-6-Rezeptor-Blockade innerhalb von zwei Monaten bei 73 % der Behandelten, die zuvor auf die Kortikosteroide nicht adäquat angesprochen hatten. Eine erst kürzlich erschienene Publikation mit präklinischen Daten am Mausmodell sowie bei Patienten mit Pankreaskarzinom konnte dies nicht bestätigen [6]. Nicht auszuschließen sind laut Ruhlmann Unterschiede zwischen den einzelnen Tumorentitäten, weshalb weitere Studien notwendig seien, um den Einfluss der IL-6-Rezeptor-Blockade auf die Wirksamkeit der Immuntherapie zu validieren.
Patienten mit hohem Risiko vor Therapiebeginn identifizieren?
Um irAEs vorherzusehen beziehungsweise Patienten mit hohem Risiko bereits vor Therapiebeginn zu identifizieren, könnten poligene Risiko-Scores („polygenic risk scores“; PRS) eine Option sein, wie es sie zum Beispiel beim Typ-I-Diabetes (T1D PRS) gibt. Tatsächlich scheint der T1D PRS mit einem erhöhten Risiko für einen immunbedingten Diabetes mellitus assoziiert zu sein. Klinische Risikofaktoren, die als prädiktiver Marker infrage kommen, sind laut Ruhlmann ein vorbestehender Typ-II-Diabetes und die Behandlung mit einer Kombinationsimmuntherapie. Möglicherweise ließen sich die klinischen Risikofaktoren in den PRS integrieren.
Eine perspektivische Option für den klinischen Alltag ist laut Ruhlmann das Darmmikrobiom, das verstärkt im Fokus der translationalen Forschung stehe. Studienergebnisse zeigten, dass sich das Mikrobiom im Darm bei Patienten, die unter Immuntherapie eine Kolitis entwickelten, bakteriell anders zusammensetzte als bei Patienten ohne immunbedingte Kolitis. Die Frage sei, wodurch die Entzündungen im Darmmikrobiom initiiert werden. Passiert tatsächlich etwas im Mikromilieu des Darms und/oder der Darmwand, oder handelt es sich um Signale der (unterschiedlichen) Bakterienstämme? Dies verdeutliche ein weiteres Mal, wie wichtig die translationale Forschung sei, die eine Grundlage für klinische Studien sein müsse, resümierte Ruhlmann. Nicht nur für die Wirksamkeit von Therapien würden klinische Studien benötigt, sondern auch für den Umgang mit therapiebedingten Nebenwirkungen.
Prädiktive Biomarker und neue Studienkonzepte
Prädiktive Biomarker seien die Schlüsselherausforderung für das Management von irAEs, bestätigte Prof. Jarushka Naidoo, Dublin, Irland. Die Kenntnisse über Biomarker müssten zudem auf die verschiedenen klinischen Phänotypen der Tumorerkrankungen übertragen werden. Die vorhandenen Biomarkerdaten basierten im Wesentlichen auf großen gepoolten Datenanalysen von Patienten mit unterschiedlichen Tumorentitäten, die eine große Bandbreite verschiedener Therapie erhalten haben. Dies müsse sich ändern.
Derzeit zeichne sich ab, dass einzelne Genpolymorphismen („single gene polymorphisms“), Genotypen von humanen Leukozytenantigenen und polygene Risiko-Scores potenzielle Biomarker für das Auftreten von irAEs sein könnten.
Zudem zeige sich, dass klinische und pathologische Subphänotypen mit unterschiedlichen Toxizitäten assoziiert zu sein scheinen, die im Wesentlichen über T-Zellen vermittelt werden. Laut Naidoo sollten die unterschiedlichen Phänotypen separiert werden, um die jeweils zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen und darauf aufbauend spezifische klinische Studien durchzuführen. In der Folge müssten die Daten im Rahmen prospektiver Studien – unter Berücksichtigung des Mikrobioms im Darm, proteomischer Biomarker und zirkulierender Biomarker – validiert werden, um im Realtime Setting die Veränderungen zu verstehen, die unter einer Therapie ablaufen und möglicherweise mit dem Auftreten von irAEs assoziiert sind.
Bericht vom ESMO Immuno-Oncology Congress 2024 vom 11. bis 13.12.2024 in Genf, Schweiz.