Der lange Weg von der Korrelation zur Kausalität

Mikrobiom und Erkrankungen

Forschungsarbeiten der letzten zehn Jahre verdeutlichen, dass das Mikrobiom im Darm einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen hat. Veränderungen in der Zusammensetzung und Funktion dieses komplexen Ökosystems (oft als Mikrobiomsignatur bezeichnet) korrelieren mit einer Reihe von Erkrankungen. Die Verfügbarkeit neuer Technologien erlaubt eine mehr und mehr detaillierte Beschreibung aller Mikroorganismen und Metaboliten im Darm, wobei die gezielte diagnostische und therapeutische Verwertung dieser neuen Erkenntnisse noch in den Anfängen steckt. Wir besprechen hier die Chancen und Limitationen der Mikrobiomforschung im Kontext von Entzündungs- und Tumorerkrankungen.
Schlüsselwörter: Mikrobiom, Entzündungserkrankungen, Tumorerkrankungen, Darmflora, SPP1656

Einführung

Das menschliche Darmmikrobiom besteht aus einer Vielfalt von Mikroben, darunter Bakterien, Viren, Archaeen, Pilze und andere Eukaryoten. Eine zunehmende Zahl von Forschungsarbeiten über die letzten zehn Jahre gibt Hinweise darauf, dass die Zusammensetzung und Funktion dieses komplexen Ökosystems (Mikrobiom) einen fundamentalen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen hat. Die Verfügbarkeit neuer Sequenziertechnologien (NGS; Next Generation Sequencing) und bioinformatischer Methoden erlaubt es mittlerweile, das Mi­krobiom des Menschen schnell und erschwinglich auf molekularer Ebene zu analysieren. Metagenomische und taxonomische, 16S-rRNA-basierte Untersuchungen geben erste Hinweise, dass das Darmmikrobiom an der Entstehung von Entzündungs- und Stoffwechselerkrankungen beteiligt ist. Beispiele dafür sind Veränderungen des Darmmikrobioms, auch Signaturen genannt, bei intestinalen Infektionen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), Spender-gegen-Empfänger-Reaktionen (GvHD; Graft versus Host Disease) und Krebs. Die Ursachen und Folgen der beobachteten Veränderungen im Kontext der jeweiligen Erkrankung sind aber größtenteils unbekannt. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Mikrobiomanalysen noch keinen Eingang im klinischen Alltag erreicht haben. Die große Herausforderung ist, die molekularen Mechanismen einer Mikrobiom-Wirt-Interaktion besser zu verstehen, und dem langen Weg von der Korrelation zur Kausalität konsequent nachzugehen. Nur dann wird es möglich sein, das Mikrobiom gezielt für Diagnose und Therapie spezifischer Erkrankungen einzusetzen.

Aufbau und Funktionalität des intestinalen Mikrobioms

Die überwiegende Anzahl der Forschungsarbeiten zum Darmmikrobiom beschäftigt sich mit Bakterien, wobei die Bedeutung viraler und eukaryotischer Bestandteile zur Funktionalität und klinischen Relevanz stark zunimmt. Die Diversität der Darmbakterien entlang des Verdauungstraktes ist auf der übergeordneten taxonomischen Ebene der Phyla relativ gering. Über 95% der detektierten Bakterien gehören zu den Phyla Bacteroi­detes oder Firmicutes. Auf der Spezies­ebene sind aber bereits in einem Individu­um 200–400 verschiedene Bakterien nachweisbar. Insgesamt wurden im menschlichen Darm bereits über 1.500 verschiedene Spezies identifiziert (Donaldson et al., 2016). Interessanterweise ist es jedoch schwierig, eine Gruppe von Bakterienarten zu identifizieren, die bei allen Menschen vorhanden ist (core micro­biome). Stattdessen hat jeder Mensch eine einzigartige Sammlung von möglichen mikrobiellen Kolonisatoren, was zu einem hohen Maß an Individualität führt, die auch als Beta-Diversität bezeichnet wird. Im Gegensatz dazu ist die Variabilität auf der Ebene der funktio­nellen Kategorien innerhalb des Metagenoms vergleichsweise geringer (Knight et al., 2017; Lloyd-Price et al., 2016). Eine mögliche Erklärung ist die umfangreiche funktionale Redundanz des Darmmikrobioms (Lozupone et al., 2012). Funktionale Redundanz ist die Fähigkeit einer taxonomischen Entität, einen Prozess auf die gleiche Weise wie ein anderer durchzuführen, wobei die Zusammensetzung der Mikrobiota zwischen Individuen variieren kann, ohne dass ein Funktionsverlust zu beobachten ist. Es ist also der funktionellen Redundanz des Darmmikrobioms zuzuschreiben, dass Änderungen in Umwelt- und Lebensbedingungen bzw. der Ernährung zu Anpassungen in der Zusammensetzung der Mikrobiota führen, ohne dabei das Gleichgewicht des Ökosystems entscheidend zu stören. Diese Anpassungsmechanismen des Darmmikrobioms werden auch als Resilienz bezeichnet und führen meist nicht zu einer pathophysiologisch relevanten Konsequenz im Wirt. Eine dauerhafte Störung des Darmökosystems, z. B. durch eine vermehrte Antibiotikaexposition, kann aber zur Dysbiose und zur Störung einer homöostatischen Mikrobiom-Wirt-Interaktion führen. Dysbiose ist eine pathophysiologisch relevante Veränderung in der Zusammensetzung und Aktivität des Mikrobioms (Butto and Haller, 2016).
Im weiteren Verlauf dieses Beitrags diskutieren wir die Frage, wie vergleichbar oder unterschiedlich Mikrobiom­signaturen in entzündlichen bzw. Tumor­erkrankungen im Darm sind. Interessant ist auch die Frage, ob es erkrankungsspezifische Veränderungen gibt, und inwieweit dysbiotische Veränderungen kausal in die Pathogenese dieser Erkrankungen eingebunden sind. Es ist davon auszugehen, dass die Mikrobiota eine Vielzahl von Signalen im Darmlumen erzeugt, die von sehr unterschiedlichen Zellen prozessiert werden. Rezeptoren des Wirts verarbeiten unterschiedliche Signale der mikrobiellen Gemeinschaft und beeinflussen dadurch die Immunreaktion des Wirtes. Das Darmepithel stellt die Grenzfläche zwischen Immunsystem und Mi­kro­biom dar. Verschiedene Zelltypen im Epithelverband spielen eine wichtige Rolle für die Mikrobiota-Wirt-Homöostase: Becherzellen produzieren Schleim (Muzine), der eine physikalische Barriere darstellt und das Epithel vor direktem Kontakt mit Bakterien schützt. Muzine dienen aber auch als Nährstoffe oder zur Adhäsion für Darmbakterien. Paneth-Zellen, die sich am Grund der Dünndarmkrypten befinden, produzieren antimikrobielle Wirkstoffe, und sind daher wichtig für die angeborene Immunabwehr (Abb. 1). Der Erhalt der Barriere- und Immunfunktion des Epithels ist entscheidend für die Darmgesundheit. Eine Fehlfunktion dieser Wirtsmechanismen kann zu der Entwicklung von Entzündungs- und Krebserkrankungen sowie Infektionen beitragen (Abb. 2).

Mikrobiom und intestinale Infektionen

Schon in den 1950er-Jahren wurde im Tiermodell ein Zusammenhang zwischen Dysbiose infolge einer Antibiose und einer deutlich erhöhten Suszeptibilität gegenüber bakteriellen Infektionen beschrieben (Bohnhoff et al., 1954). In der Tat spielt das Mikrobiom eine zentrale Rolle bei Infektionen mit Bakterien, Viren, und eukaryotischen Erregern (Stecher et al., 2013). Diese Schutzfunktion wird auch als Kolonisierungsresistenz bezeichnet. Wie schützt uns das Mikrobiom vor Infektionen? Man unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Mechanismen: der indirekte Schutz durch Stimulation der mukosalen Immun­abwehr, wie z. B. Produktion von antimikrobiellen Peptiden oder Aktivierung von regulatorischen T-Zellen, und die direkte Interferenz mit dem Wachstum der Erreger. Man nimmt an, dass die komplexe bakterielle Gemeinschaft im Kolon zur Limitierung frei verfügbarer Nährstoffe führt. Weitere Mechanismen der direkten Interferenz stellen die Blockierung von Pathogen-Bindestellen durch Kommensale, wie z. B. an Muzine oder zelluläre Rezeptoren, sowie die Bildung von Bakteriozinen und toxisch wirkenden Stoffwechselprodukten dar. Vergleichende Mikrobiomanalysen von Patienten nach Antibiotikabehandlung und Kontrollen liefern darüber hinaus Hinweise, dass der durch die Einnahme von Antibiotika verursachte Diversitätsverlust mit einem erhöhten Infektionsrisiko einhergeht (Dethlefsen and Relman, 2011). Ein Problem der Forschung am Patienten ist jedoch die unzureichende Datenlage zur Beschaffenheit des Mikrobioms im gesunden Zustand, d. h. bevor eine Infektion eintritt. So können Mikrobiom-assoziierte Risikofaktoren bzw. metabolische oder immunologische Defizite, die zur Infektion geführt haben, meist nicht klar abgegrenzt werden. Allerdings kann man durch die Wahl einer geeigneten Patientenkohorte dennoch zum gewünschten Ergebnis gelangen: Eine Studie untersuchte beispielsweise die Wiederherstellung des Mikrobioms nach erfolgter Vibrio-cholerae-Infektion in einer Kohorte infizierter Erwachsener in Bang­ladesch. Hier wurde gezeigt, dass Bakterien wie Ruminococcus spp. mit schnellerer Genesung korrelieren (Hsiao et al., 2014). Des Weiteren wurden potenziell protektive Mikroorganismen durch Mikrobiomanalysen von Clostridioides-difficile-infizierten Patienten nach erfolgreicher Fäkaltransplantation bestimmt (Song et al., 2013). Neben der Etablierung geeigneter Kohorten ist die Entwicklung von Computer-basierten Ansätzen (z. B. maschinelles Lernen) und sogenannten „Multi-omics“-Analysen (Korrelation von Metagenom-, Metatranskriptom- und Metametabolom-Analysen) zielführend zur Identifizierung protektiver Organismen und der zugrunde liegenden Schutzmechanismen aus menschlichen Proben (Schubert et al., 2015). Die Maus als Modellsystem bietet die Möglichkeit zur gezielten Manipulation der Mikrobio­ta, beispielsweise über Antibiotikagabe oder Verwendung gnotobiotischer Modelle. Hier können einzelne Spezies oder mikrobielle Konsortien kausal auf ihre potenzielle Schutzfunktion hin untersucht werden und deren molekulare Mechanismen aufgeklärt werden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das Bakterium Clostridium scindens, das durch die Bildung von sekundären Gallensäuren die Besiedlung mit C. difficile hemmt (Buffie et al., 2015). Infektionen mit Gram-negativen Erregern, wie z. B. nicht-typhösen Salmonellen, können u. a. durch kommensale E. coli (Brugiroux et al., 2016), Bacteroides spp. (Jacobson et al., 2018) und Butyrat-produzierende Clostridien verhindert werden (Rivera-Chavez et al., 2016). In den letzten Jahren wurden viele Tierhaltungen mit Isolatoren für die Zucht und Haltung keimfreier Mäuse ausgestattet. Dies erlaubt u. a. die Herstellung von Mäusen mit humaner Mikrobio­ta, mit deren Hilfe die Zusammenhänge zwischen Mikrobiota, Ernährung, Umweltfaktoren (Medikamente) und Infektionsrisiko im Tiermodell ermittelt werden kann. Eine randomisierte Studie belegt, dass eine Transplantation der Stuhlmikrobiota (FMT, fecal microbiota transplantation) gesunder Spender die Kolonisierungsresistenz gegen C. difficile wiederherstellen kann, und dies sogar effizienter als die konventionelle Antibiotikatherapie mit Vancomycin ist (van Nood et al., 2013). Dieser Erfolg machte Fäkaltransplantation erstmals klinisch „hoffähig“. Fäkaltransplantation soll daher auch bei anderen Krankheitsbildern als Therapeutikum eingesetzt werden, bei deren Genese das Mikrobiom erwiesenermaßen eine Rolle spielt (siehe S. 34 ff.). Da jedoch derzeit die Risiken einer Fremdstuhl-Transplantation noch nicht abgeschätzt werden können, ist die Entwicklung von definierten mikrobiellen Konsortien, die eine hohe Wirksamkeit gegen die jeweiligen Erreger aufweisen, zu bevorzugen, um mögliche Kollateralschäden zu vermeiden. Einige Studien berichten von erfolgreicher Behandlung von infizierten Patienten mit bakteriellen Konsortien, welche jedoch nicht kommerziell verfügbar sind (Petrof et al., 2013).

Mikrobiom und GvHD

Die allogene Stammzelltransplantation (aHSCT) ist heute eine etablierte Therapie bei aggressiven Leukämien und Lymphomen, aber immer noch mit einer Mortalität von 15–20% und Langzeitmorbidität durch immunologische Komplikationen assoziiert. Hauptsächlich sind dafür die Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (Graft versus Host) und Infektionen durch den langanhaltenden Immundefekt verantwortlich. Während im Zentrum der Pathophysiologie der akuten GvHD die Aktivierung von Spenderlymphozyten durch Empfänger-HLA-Antigene und die anschließende Zerstörung der Zielgewebe insbesondere an Haut und Darm steht, wird das Ausmaß der Aktivierung in hohem Maß durch das entzündliche Umfeld des Empfängers gesteuert. Schon 1974 beobachtete van Bekkum, dass hier die Mikrobiota im Darm eine wichtige Rolle spielt, da keimfrei aufgezogene Mäuse vor einer letalen GvHD geschützt waren, während Mäuse in konventioneller Umgebung eine 90 bis 100% Mortalität durch GvHD hatten (van Bekkum et al., 1974). Nach entsprechenden Beobachtungen in Großtiermodellen und bei pädiatrischen Patienten wurde deshalb seit den 80er-Jahren höchstmögliche Keimarmut und zusätzliche antibiotische Prophylaxe, auch mit dem Ziel der Prävention neutropener Infektionen, als klinischer Standard betrachtet, und die GvHD-Prophylaxe und Therapie auf T-Zell-supprimierende Maßnahmen fokussiert. Mit der Einführung der molekularen Mikrobiomanalytik durch 16S-rRNA-Sequenzierung wurde erstmals eine vollständige Analyse des humanen Stuhlmikrobioms auch bei HSCT-Patienten möglich, die zeigte, dass selten eine komplette Dekontamination, dafür aber sehr häufig ein massiver Verlust an mi­krobieller Diversität mit hoher Abundanz einzelner Pathobionten wie Proteobakterien oder Enterokokken in der Frühphase nach aHSCT erreicht wurde. Nach den ersten Beobachtungen (Holler et al., 2014; Jenq et al., 2012) wurde rasch klar, dass dieser Verlust an Diversität ein unabhängiger ungünstiger prognostischer Faktor ist, der mit hoher Inzidenz an intestinaler GvHD und Therapie-assoziierter Mortalität auch langfristig assoziiert ist. Diese Assoziationen wurden seither in vielen monozentrischen Studien bestätigt, und der massive Einsatz von Breitspektrum­antibiotika als ein Hauptrisikofaktor identifiziert (Weber et al., 2018). Während die kausale Rolle der Mikrobiota an der Pathophysiologie der GvHD bereits durch van Bekkums Experimente in keimfreien Mäusen gezeigt wurde, wurden experimentell GvHD-Modelle untersucht, in denen die endogene Mikrobiota durch Antibiotika manipuliert und dann durch Gavage gezielt einzelne Stämme oder Konsortien eingeführt wurden. So zeigte Jenq bereits 2012, dass die Gabe von Lactobacillus johnsonii nach Ampicillinbehandlung die GvHD-Mortalität reduzieren kann (Jenq et al., 2012). Zum Nachweis, dass kurzkettige Fettsäuren, die durch Clostridiales bereitgestellt werden, eine zentrale Rolle in der intestinalen Immunregulation spielen, behandelte Mathewson 2016 Mäuse vor Stammzelltransplantation mit einem Cocktail an protektiven Clostridiales und konnte eine deutliche GvHD-Protektion erzielen (Mathewson et al., 2016). Die zentrale Rolle Mikrobiota-abhängiger Metaboliten wurde kürzlich durch Swimm und Kollegen eindrucksvoll demonstriert (Swimm et al., 2018): Die Gavage mit Indoxylcarbaldehyd konnte experimentell dosisabhängig die GvHD-Mortalität von 100% auf weniger als 20% senken und hatte starken protektiven Einfluss auf die T-Zellaktivierung. Ausgehend von den starken experimentellen Hinweisen und klinischen Assoziationen sind erste kleine Studien zur Behandlung der steroidrefraktären GvHD von 3rd party Stuhlspendern durchgeführt worden. Bei insgesamt 23 berichteten FMTs kam es in 16 Patienten zu einer Stabilisierung der GvHD, sodass gegenwärtig Phase-II-Studien zur Behandlung, aber auch zur Prophylaxe der GvHD und anderer Knochenmarkstransplantations- und Mikrobiota-assoziierter Komplikationen, wie pulmonaler Virusinfektionen, durchgeführt werden (aktuelle Übersicht, DeFilipp et al., 2018)

Mikrobiom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind chronisch rezidivierende Entzündungserkrankungen im Darm, bei denen eine Beteiligung des Mikrobioms schon lange vermutet wird. Morbus Crohn zeichnet sich durch diskontinuierliche (patchy) und transmurale Entzündungsverläufe im gesamten Oro-Gastro-Intestinaltrakt aus, während die Entzündungspathologie der Colitis ulcerosa auf die Mukosa des Dickdarms beschränkt ist. Die Ätiologie beider Erkrankungen stellt sich als eine komplexe Verknüpfung aus genetischer Suszeptibilität und konditionierenden Umweltfaktoren dar (Khor et al., 2011). In den vergangenen 15 Jahren wurden mehr als 240 krankheitsrelevante Genvarianten identifiziert, wodurch fundamental neue Einblicke in die Pathomechanismen dieser chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) geschaffen wurden (Ellinghaus et al., 2016). Paradoxerweise waren Loss-of-function-Genvarianten in der mikrobiellen Mustererkennung (NOD2, CARD9) oder der Autophagie (ATG16L1, IRGM) mit erhöhtem Erkrankungsrisiko für Morbus Crohn assoziiert. Interessanterweise sind Mutationen im NOD2-Gen (Rezeptor für das bakterielle Muramyl-Dipeptid) ebenfalls als Risikofaktor für die GvHD identifiziert (Holler et al., 2006). Die Erkenntnis, dass ein Funktionsverlust im innaten Immunsystem zu Defekten in der Infektionsabwehr, Schleimhautarchitektur (Verlust von Paneth- und Becherzellen) und Darmbarriere führen, unterstützen die Hypothese, dass eine deregulierte Mikroben-Wirt-Interaktion ursächlich an der Pathogenese der CED beteiligt ist. Zusammen mit Störungen in der Regulation des adaptiven Immunsystems (u. a. IL-10, IL-10R, IL-23R) ist die Grundlage für chronische Entzündungsprozesse gelegt (Kaser et al., 2010). Eine Konkordanzrate von maximal 18–50% für Colitis ulcerosa und Morbus Crohn bei eineiigen Zwillingen zeigt aber (Kaplan, 2015), dass neben einer genetischen Suszeptibilität bisher nicht näher definierte Umwelteinflüsse eine entscheidende Rolle in der Pathogenese von CED spielen. Epidemiologische Studien zeigen eine zunehmende Erkrankungsinzidenz in westlichen Industrienationen und Asien (Ng et al., 2018), was die Frage aufwirft, welche gemeinsamen Umwelt- und Lebensstilfaktoren für die Entstehung dieser komplexen Erkrankungen verantwortlich sind. Ernährung hat einen wichtigen Einfluss auf die Aktivität des Darmmikrobioms (Xu and Knight, 2015), und die enterale Ernährungstherapie hat in der Behandlung von Kindern mit Morbus Crohn eine klinische Bedeutung (Schwerd et al., 2016). Die Annahme, dass das Mikrobiom als Mittler zwischen Umwelt und Wirt eine pathophysiologisch relevante Bedeutung für die Entstehung chronischer Entzündungen im Darm haben könnte, wird durch klinische Befunde unterstützt. Hier konnte in ausgewählten Patientengruppen gezeigt werden, dass eine Umlenkung des Fäkalstroms (Rutgeerts et al., 1991) und die FMT zu einer klinischen Verbesserung führen (Paramsothy et al., 2017). Die klinische Anwendung der FMT bleibt aber bei der Behandlung von CED umstritten und bedarf der Validierung in kontrollierten Studien (Imdad et al., 2018). Mithilfe der 16S-rRNA-Sequenzie­rung und metagenomischer Sequenzierung von Stuhl und Biopsiematerial konnte gezeigt werden, dass die Zusammensetzung, Diversität (reduziert) und Funktionalität des mikro­biellen Ökosystems im Darm von CED-Patienten gegenüber gesunden Individuen nachweislich verändert ist. Enterobacteriaceae, Pasteurellaceae, Veillonellaceae und Fusobacteriaceae sind in CED-Patienten mit erhöhter Abundanz nachweisbar, während Peptostreptococcaceae, Christensenellaceae, Erysipelotrichales, Bacteroidales und Clostridiales reduziert sind (Gevers et al., 2014; Pascal et al., 2017). Das Fehlen eines Referenzmikrobioms für Gesunde limitiert jedoch die Interpretation der Daten. Interindividuelle Unterschiede zwischen den Patienten und das Fehlen longitudinaler Proben entlang eines Erkrankungsverlaufs erschweren darüber hinaus die Identifizierung erkrankungsspezifischer Mikrobiomsignaturen. Fusobakterien beispielsweise sind sowohl bei Morbus Crohn als auch bei Patienten mit kolorektalem Karzinom vermehrt nachweisbar (Zeller et al., 2014). Das veränderte Darmmilieu (Durchfall, Blutungen, Strikturen u. a.) hat einen gravierenden Einfluss auf das Mikrobiom, und Medikamente sind wichtige Einflussgrößen (Lee et al., 2017). Es bleibt also abzuwarten, inwieweit die Spezifität und Sensitivität derzeit verfügbarer Risikoprofile ausreicht, um CED-Patienten und deren Erkrankungsverlauf diagnostisch und prognostisch nutzen zu können. Keimfreie Tiermodelle sind weitestgehend geschützt vor der Entstehung CED-ähnlicher Erkrankungssymptome, was konzeptionell die Hypothese unterstützt, dass das mikrobielle Milieu eines „kommensalen“ Mikrobioms wesentlich zur Pathogenese dieser Erkrankungen beiträgt. Kausale Zusammenhänge entlang der Koch‘schen Postulate wurden für krankheitskonditionierte Mikrobiome in gnotobiotischen Tiermodellen gezeigt (Schaubeck et al., 2016). Die Frage jedoch, inwieweit einzelne Mikroorganismen (Pathobionten) oder komplexe mi­kro­bielle Netzwerke über metabolische Veränderungen funktional relevant sind, bleibt nach wie vor unklar. Tatsache ist, dass der Wirt mit einem Repertoire an Rezeptoren auf unterschiedlichen Zellen der Schleimhaut Signale aus dem Darmlumen integriert und im Tiermodell nur der genetisch suszeptible Wirt chronische Entzündung entwickelt (Ocvirk et al., 2015). Die mechanistische Auflösung individueller Gen-Mikrobiom-Interaktionen wird dazu beitragen, die Ätiologie der CED besser zu verstehen. Die Herausforderung liegt darin, die Mechanismen im Tiermodell auf individuelle Erkrankungssituationen beim Menschen zu übertragen.

Mikrobiom und Darmkrebs

Das kolorektale Karzinom (CRC) ist eine der häufigsten Tumorentitäten und entsteht auf der Basis somatischer Mutationen in Tumor-Suppressorgenen (APC, TP53), Onkogenen (KRAS) und des TGF-β-Signalweges. Hierbei kommt es in einem sukzessiven Prozess zur Transformation des intestinalen Epithels und Entstehung von meist polypösen Adenomen, die sich im Verlauf weiter zu invasiven und metastasierenden Karzinomen entwickeln können. Wegweisende Arbeiten der Gruppe von Ruslan Medzhitov konnten zeigen, dass die spontane intestinale Tumorentwicklung in Mäusen mit Mutation des APC-Gens (APCMin/+) im Kontext einer Defizienz des Toll-like-Rezeptor(TLR)-Adapters MyD88 deutlich reduziert ist (Rakoff-Nahoum und Medzhitov, 2007). Die Inhibition der Tumorentwicklung ist dabei die Folge von Defekten im TLR-Signalweg, und nicht der MyD88-abhängigen Signaltransduktion von IL-1 und IL-18 (Scheeren et al., 2014). Auch konnte gezeigt werden, dass die keimfreie Rederivierung von Mäusen oder deren Breitspektrum-antibiotische Behandlung ebenfalls mit einer Inhibition der Tumorentstehung und des Tumorwachstums verbunden ist (Belcheva et al., 2014; Coleman et al., 2018; Li et al., 2012). Zusammengefasst dokumentieren diese Daten eine überraschend zentrale Rolle der intestinalen Mikrobiota und ihrer TLR-abhängigen Erkennung in der intestinalen Tumorentwicklung. Tumor-fördernde Signale der intestinalen Mikrobio­ta werden dabei sowohl in Zell-autonomer Weise vom intestinalen Epithel als auch von Tumor-infiltrierenden myeloiden Zellen über TLRs erkannt, und führen auf Ebene des intestinalen Epithels zur Aktivierung von Transkriptionsfaktoren wie NF-κB, STAT3 und NFAT, die über ihre transkriptionellen Effekte die Proliferation von Tumorzellen sowie deren Überleben fördern. Tumor-assoziierte Veränderungen der mikrobiellen Stratifizierung und Komposition tragen zur Mikrobiota-abhängigen Förderung der intestinalen Tumorentwicklung bei. So weisen bereits frühe Adenome eine Barrierestörung auf, die mit einer bakteriellen Infiltration der Mukosa verbunden ist und in MyD88-abhängiger Weise zur Aktivierung von STAT3 und NFAT im intestinalen Epithel führt (Grivennikov et al., 2012; Peuker et al., 2016). Ähnliche Veränderungen konnten vor allem in rechtsseitigen humanen CRCs nachgewiesen werden, in denen sich teils dichte bakterielle Biofilme zeigen, die das Epithel infiltrieren und lokal mit der Produktion von IL-6, Aktivierung von STAT3 und Induktion epithelialer Proliferation verbunden sind (Dejea et al., 2014). Über diese Defekte in der bakteriellen Stratifizierung hinaus konnte eine Vielzahl von aktuellen Arbeiten Veränderungen in der Komposition der Tumor-assoziierten Mikrobiota nachweisen. Erwähnenswert ist hier vor allem das erhöhte Vorkommen von Fusobakterien, insbesondere von Fusobacterium nucleatum (Castellarin et al., 2012). Fusobakterien sind anaerobe, Gram-negative Bakterien, die typischerweise im Oropharynx zu finden sind. In CRCs ist die erhöhte Abundanz von Fusobakterien zumindest partiell auf die Bindung von membranständigen Polysacchariden von Wirtszellen zurückzuführen, die in CRCs im Vergleich zur normalen Mukosa überexprimiert sind und vom fusobakteriellen Lektin Fap2 gebunden werden (Abed et al., 2016). Studien in APCMin/+-Mäusen und in Tieren mit humanen CRC-Xenografts konnten dabei zeigen, dass F. nu­cleatum nicht nur in erhöhter Abundanz in der Tumor-assoziierten Mikrobiota nachgewiesen werden kann, sondern aktiv die Tumorentwicklung fördert. Onkogene Effekte von Fusobakterien werden vermittelt durch Expansion Tumor-fördernder myeloider Zellen, Inhibition zytotoxischer NK-Zellen und Aktivierung des Wnt-Signalweges. Interessanterweise sind diese Prinzipien möglicherweise nicht nur von Relevanz für die Entstehung der Primärtumoren, sondern auch für deren Metastasierung, da gezeigt werden konnte, dass viable Fusobakterien in CRC-Metastasen vorkommen können (Bullman et al., 2017). In Einklang mit dem Konzept Tumor-fördernder Effekte von Fusobakterien im humanen CRC stehen auch die Beobachtungen, dass der Nachweis von F. nucleatum mit der Häufigkeit Tumor-fördernder myeloider Immunzellen und mit der Zahl Tumor-infiltrierender CD3+-T-Zellen im CRC korreliert (Kostic et al., 2013) und mit einem reduzierten CRC-spezifischen und Gesamtüberleben assoziiert ist (Mima et al., 2015a). Onkogene Effekte intestinaler Bakterien sind jedoch nicht auf Fusobakterien beschränkt. So konnten auch Tumor-fördernde Effekte von Colibactin-produzierenden, genotoxischen E. coli vor allem im Kontext Colitis-assoziierter Karzinome beschrieben werden (Arthur et al., 2012). Darüber hinaus können beispielsweise Enterotoxin-bildende Bacteroides fragilis und Streptococcus spp. über entzündliche Prozesse das kolorektale Tumorwachstum fördern. Zusammengefasst zeigen diese Daten die zentrale Rolle der Mikrobiota in der Entstehung und dem Wachstum intestinaler Tumoren auf (Dzutsev et al., 2017).

Herausforderung und zukünftige Entwicklungen

Die Datenintegration aus Metagenom-, Metatranskriptom-, Metaproteom- und Metametabolom-Analysen ermöglichen in Zukunft voraussichtlich entscheidende Einblicke in die Funktionsweise des komplexen mikrobiellen Ökosystems. Unter Einbeziehung dieser Informationen ist die Identifizierung von erkrankungsspezifischen Signaturen ein wesentliches Ziel in der klinisch angewandten Mikrobiomforschung. Starke regionale Unterschiede im Mikrobiom verdeutlichen aber den Einfluss von Umweltfaktoren und erschweren deshalb die diagnostische und therapeutische Anwendung dieser Signaturen (He et al., 2018). Darüber hinaus unterscheiden sich Patienten dramatisch im Erkrankungsverlauf, Alter und Medikation, sodass gut stratifizierte Patientenkohorten longitudinal verfolgt werden müssen. Neben der Beschreibung aller „OMICS“-Variablen sollte deshalb nicht vergessen werden, die funktionelle Relevanz dieser komplexen Veränderung auf mechanistischer Ebene zu charakterisieren. Gnotobiotische Tiermodelle liefern dafür wertvolle Hinweise, wobei letztlich die Anwendung beim Menschen ausschlaggebend für die erfolgreiche Implementierung der Mikrobiomforschung in den klinischen Alltag ist. Die FMT ist ein erster Schritt in diese Richtung, jedoch ist die klinische Relevanz dieser Intervention noch sehr variabel und bisher für nur wenige Erkrankungen validiert. Die Entwicklung von definierten Konsortien in Form von Mikroben-Cocktails als Weiterentwicklung zur FMT wäre ein Durchbruch für die personalisierte Therapie. Diese könnten, nach eingehender Anamnese des patienteneigenen Mikrobioms, präventiv oder zu Therapiezwecken eingesetzt werden, um gezielt bestimmte Defizite auszugleichen. Darüber hinaus sind weitere Möglichkeiten für die gezielte Manipulation eines Erkrankungs-suszeptiblen Mikrobioms denkbar (z. B. Ernährung, Phagen, Metaboliten) (Peled et al., 2016), wobei der Nachweis für die klinische Relevanz in kontrollierten Studien erbracht werden muss.

Autoren
Prof. Dr. Bärbel Stecher,
Ludwig-Maximilians-Universität München, Max von Pettenkofer-Institut
München
Prof. Dr. John Baines
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Experimentelle Medizin, Kiel
Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, Plön
Prof. Dr. Ernst Holler
Universitätskrankenhaus Regensburg, Innere Medizin III, Regensburg
Regensburg
Prof. Dr. Sebastian Zeissig
TU Dresden, Klinik für Innere Medizin I,
Dresden
Prof. Dr. Dirk Haller
Technische Universität München Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie
Freising-Weihenstephan