Triebkraft und Therapieziel der Tumormetastasierung

Zelluläre Plastizität

Metastasierung ist die Haupttodesursache bei soliden Tumoren. Neben der Akkumulation und Selektion von Mutationen ist die erhöhte phänotypische Plastizität von Krebszellen eine wichtige Triebkraft der Tumorprogression. Diese Plastizität erlaubt eine dauernde Anpassung der Tumorzelle an sich permanent ändernde äußere Bedingungen auf dem Weg vom Primärtumor bis zur Makrometastase. Dementsprechend kommt der Wechselwirkung zwischen Tumorzelle und Tumorumgebung, insbesondere mit Zellen des Immunsystems, eine zentrale Bedeutung für die Tumorprogression zu. Dabei ermöglicht die transiente und partielle Aktivierung des embryonalen Programms der epithelialen-mesenchymalen Transition (EMT), sowie daran gekoppelter Stammzell- und Überlebens-Eigenschaften, die effiziente Disseminierung widerstandsfähiger Tumorzellen. Die nachfolgende Rückdifferenzierung zum epithelialen Phänotyp (MET) fördert starkes Metastasenwachstum. Ein Verständnis der zugrunde liegenden intra- und extrazellulären molekularen Mechanismen ist die Basis neuer therapeutischer Konzepte gegen die tödliche Metastasierung.

Schlüsselwörter: Plastizität, EMT, Metastasierung, Tumorstammzellen, Tumorimmunologie

Von der Tumorentstehung zur Metastase – zelluläre Plastizität als Triebkraft

Für über 90 Prozent aller Krebstodesfälle bei soliden Tumoren (v. a. Karzinomen) ist nicht der Primärtumor verantwortlich. Die Patienten versterben an den Metastasen. Um Krebs besser behandeln zu können, muss man daher vor allem verstehen, wie Metastasen entstehen. Karzinome bilden sich aus ortsständigen, epithelialen Geweben. Wie schafft es ein aus immobilem Gewebe entstehender Tumor überhaupt, sich im Körper auszubreiten und Fernmetastasen zu bilden? Dazu müssen Krebszellen die Fähigkeit erwerben, sich vom Primärtumor abzulösen, sich über Blutgefäße im Körper zu verteilen (Dissemination) und in anderen Organen, z. B. in Leber und Lunge, wieder anzuwachsen (Kolonisierung) und sich dort zu vermehren (Mikro-, Makrometastasen) (Abb. 1a) [1, 2]. Zudem generieren Krebszellen Neoantigene und sind daher permanent potenziellen Angriffen des Immunsystems ausgesetzt. Ein hürdenreicher Weg, den glücklicherweise nur wenige Tumorzellen beenden können. Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen sind nicht vollständig verstanden. Die allgemein akzeptierte Tatsache ist, dass die Tumorprogression, von der Initiation, über gutartige Vorstufen bis zur finalen Metastasierung durch die schrittweise Akkumulation und Selektion von Mutationen in Onkogenen und Tumorsuppressorgenen getrieben wird. Dieser lineare Prozess – Mutationen sind irreversibel – kann aber nicht alle Beobachtungen im Zuge der Metastasenbildung erklären. Vor ca. 20 Jahren fiel uns auf, dass gut differenzierte Tumoren an der Invasionsfront de-differenzieren und separierte, kleine Tumorzell-Cluster oder Einzelzellen bilden, die somit potenziell leicht in Blutgefäße eindringen und disseminieren können. Erstaunlicherweise sind Meta­stasen solcher Tumoren meistens wieder gut differenziert [3] (Abb. 1b). Offenbar können Krebszellen transient ihren Phänotyp wechseln und sich damit an die sich laufend ändernden Bedingungen einer fremden Umgebung im Zuge der Metastasierung anpassen, was sich mit irreversiblen Mutationen nicht vereinbaren lässt. Die Grundlage hierfür – so die resultierende Hypothese – ist eine abnorme Plastizität der Tumorzellen, die neben der Akkumulation von Mutationen, bzw. auf deren Basis, als eine zweite zentrale Triebkraft der Progression bis zur Metastasierung fungiert. Was ist die Grundlage dieser Plastizität von (einigen) Tumorzellen innerhalb eines Tumors?

Konzepte zur zellulären Plastizität 

Zwei Konzepte wurden zur Erklärung der abnormen Plastizität von Tumorzellen im Zuge der Krebsprogression herangezogen und zunächst parallel weiterentwickelt. Wir und andere verfolgten die Idee, dass Krebszellen das embryonale Programm der epithelialen-mesenchymalen Transition (EMT) reaktivieren können. Die EMT ist ein zentrales, lebenswichtiges Entwicklungsprogramm zur Festlegung des Körperbauplans, das den Wechsel von epithelialer zu mesenchymaler Zelldifferenzierung und damit von immobilem zu mobilem Phänotyp ermöglicht [4]. Wir postulierten konsequenterweise, dass Metastasierung durch einen transienten Wechsel zwischen einer (partiellen) EMT-artigen De-Differenzierung und einer MET (mesenchymal-epithelialen Rückdifferenzierung) getrieben wird [3]. Das zweite Konzept war bereits als eine Grundlage zur Tumorentstehung entwickelt – das Tumorstammzell-Konzept. Demnach sind Tumoren – ähnlich normalen Geweben – hierarchisch organisiert. Die meist differenzierte Hauptmasse entsteht permanent aus wenigen, undifferenzierten, oft sehr resistenten Tumor-Stammzellen [5]. Beide Konzepte konnten teilweise die beobachlen mit aktiviertem EMT-Programm erwerben Stammzell-Eigenschaften und Tumor-Stammzellen besitzen oft einen EMT-ähnlichen mobilen Phänotyp [6]. So weisen zirkulierende und disseminierende Tumorzellen, z. B. in der Blutbahn, oft einen EMT-/Stammzell-Phänotyp auf [7]. Diese Daten stützten das von uns entwickelte „Migrating Cancer Stem Cell“-Konzept als Basis der Metastasierung, welches auf der Integration von EMT- und Stammzell-Eigenschaften beruht, und mittlerweile in vielen experimentellen Systemen bestätigt wurde [8]. Warum wechseln Tumorzellen am Ort der Metastasenbildung überhaupt zurück in einen epithelialen Phänotyp? Auch das lässt sich mit beiden Konzepten zumindest teilweise erklären. Sowohl EMT- als auch Stammzelleigenschaften erlauben zwar hohe Mobilität (und damit Disseminierung) und besseres Überleben (und damit Therapieresistenz), sind aber oft mit einem Wachstumsstopp assoziiert („go or grow“-Prinzip) [6]. Eine Rückdifferenzierung (MET) ermöglicht damit stärkeres Wachstum der Metastase.

Eine wesentliche Konsequenz der abnormen Plastizität von Krebszellen ist, dass sie im Gegensatz zur zweiten zentralen Triebkraft (Akkumulation von Mutationen) nicht Tumorzell-autonom fungiert. Plastizität spiegelt die Reaktion der (genetisch veränderten) Tumorzelle auf Signale der wechselnden Umgebung wider. Somit kommt dieser Wechselwirkung und der Zusammensetzung der Tumorumgebung eine zentrale Bedeutung für die Tumorprogression bis zur Metastase zu. Diese Interaktion bestimmt maßgeblich den aktuellen Phänotyp der Tumorzelle (z. B. partielle EMT/stemness oder differenziert) mit enormen Konsequenzen für ihr biologisches und klinisches Verhalten. Die Einflüsse der Tumorumgebung sind extrem mannigfaltig und variabel (Entzündung, Immunreaktion, Stroma, Matrix, Hypoxie, Hormone und Zytokine, physikalische und chemische Noxen …) [1], eine detaillierte Abhandlung dazu ist allerdings hier nicht möglich (siehe unten einige wichtige Beispiele zur Rolle des Immunsystems). 

Molekulare Mechanismen der zellulären Plastizität 

Wie lässt sich die abnorme Plastizität von Tumorzellen auf molekularer Ebene erklären? Wie erwähnt bilden Mutationen die Grundlage. So erlauben z. B. häufige, onkogene Mutationen im K-Ras-Gen die rasche Reaktivierung des EMT-Programms durch Signale der Umgebung. Wichtige extrazelluläre Aktivatoren einer EMT sind Zytokine wie TGFβ, TNFα, PDGF, FGF, EGF, IL-6, IL-1β, CCL18, und Noxen wie Hypoxie, UV-Licht, Nikotin [6]. Intrazellulär wird EMT durch sog. EMT-aktivierende Transkriptionsfaktoren (EMT-TFs), v. a. der Snail-, Twist- und Zeb-Familie gesteuert und ausgeführt. EMT-TFs fungieren hauptsächlich als transkriptionelle Repressoren von Differenzierungsgenen (z. B. epithelialer Gene wie E-Cadherin, Polaritätsfaktoren …) [4, 9]. Ein Schlüssel-Ziel des EMT-TFs Zeb1 sind die Gene der microRNA-200 (miR-200)-Familie [10, 11]. Dabei konnten wir einen doppelt negativen Feedback-Loop beschreiben, der mittlerweile als zentraler molekularer Motor der zellulären Plastizität betrachtet wird und enorme Auswirkung auf die Tumorprogression bis zur Metastasierung hat: Zeb1 inhibiert die Transkription von miR-200, und miR-200 blockiert hocheffizient die Translation von Zeb1 (Abb. 2) [12]. Zudem zeigten wir, dass miR-200 Expression Differenzierung induziert, indem es auch Stammzellfaktoren blockiert; somit konnte eine direkte molekulare Verbindung zwischen EMT und stemness hergestellt werden [13]. Mit diesem Feedback-Loop lassen sich zwei extreme Zustände von Tumorzellen erklären, die tatsächlich oft innerhalb desselben Tumors zu finden sind: Zeb1+ (Motilität, hohe Resistenz, stemness, aber Wachstumsstopp) versus miR-200+ (ortsständig, differenziert, weniger resistent, aber Proliferation). Passend dazu wurde nachgewiesen, dass die Zeb1-abhängige Plastizität von Tumorzellen ein zentraler Faktor der Metastasierung des Pankreaskarzinoms ist [14]. Mittlerweile wurden solche Feedback-Loops auch zwischen anderen EMT-TFs und weiteren micro­RNAs beschrieben, und stellen die molekularen Grundlagen der zellulären Plastizität auf eine breitere Basis 4.

Tumorzell-Plastizität: Wechsel­wirkung mit dem Immunsystem

Die Bedeutung der Tumorzell-Plastizität für klassische Prozesse der Tumorprogression, wie Invasion, Migration, Dissemination, Metastasierung ist offensichtlich. In den letzten Jahren wurde zunehmend deutlich, dass die gegenseitige Wechselwirkung zwischen Tumorzelle und Immunsystem eine maßgebliche Rolle in der beobachteten Plastizität von Tumoren spielt. Dies betrifft beide Richtungen und schließt die oben beschriebenen molekularen Mechanismen der Plastizität mit ein.

Zum einen induzieren Entzündungsprozesse und die Infiltration von Lymphozyten durch die Freisetzung einer Vielzahl von Zytokinen (v. a. TGFβ, TNFα, IL-6, IL-1β, CCL18) direkt das EMT-Programm in Tumorzellen [6]. Passenderweise finden sich Entzündungs-/Immunreaktionen oft im Invasionsbereich von Tumoren, wo man auch gehäuft den Wechsel von Tumorzellen in den EMT-/Stammzell-Phänotyp findet. Zum anderen beeinflusst der EMT-/Stammzell-Phänotyp maßgeblich die Interaktion mit dem Immunsystem. Grundsätzlich inhibiert dieser Phänotyp Apoptosemechanismen, was zu gesteigerter Resistenz von Tumorzellen gegen Chemotherapie und “small drug targeted therapy“ führt [4]. Aber auch die Lyse von Tumorzellen durch zytotoxische T-Zellen ist im EMT-Status reduziert [15]. Aufgrund des großen Erfolges der Immun-Checkpoint-Therapie, auch in der Behandlung solider Tumoren [16], sollen hier einige Beispiele aufgeführt werden, wie die Tumorzell-Plastizität die zentralen Angriffsziele dieser Therapie beeinflusst. Beobachtungen an humanen Mamma-, Lungen- und Harnblasentumoren zeigten, dass der EMT-/Stammzell-Status besonders aggressiver Tumore oft mit erhöhter Expression des Checkpoint-Faktors PD-L1 einhergeht [17–19]. Die Expression von Immun-Checkpoint-Faktoren beeinflusst nicht nur die Immunantwort, sondern hat auch weitere Effekte in der Tumorzelle selbst. V. a. PD-L1 wurde als direkter Aktivator einer EMT selbst identifiziert [17]. Auch der oben beschriebene Feedback-Loop zwischen Zeb1 und miR-200 spielt in der Regulation der Immunantwort eine wichtige Rolle [20, 21]: Expression von miR-200 in differenzierten Tumorzellen inhibiert die Expression von PD-L1 und hebt damit die Blockade der Immunantwort auf. Im Gegensatz dazu führt Zeb1 in aggressiven Tumorzellen – indirekt über Repression von miR-200 – zur Expression von PD-L1 und damit zur Immunsuppression und erhöhter Fähigkeit zur Metastasierung (Abb. 2). Möglicherweise sind damit gerade die Chemotherapie-resistenten, aggressiven Tumoren im EMT-/Stammzell-Status besonders prädestiniert für die Immun-Checkpoint-Therapie. Insbesondere weil dieser Phänotyp auch zur Expression zusätzlicher Neoantigene führen kann. Auf der anderen Seite wurde aber auch nachgewiesen, dass die Aktivierung einer EMT in Tumorzellen zur Reduktion der MHC-I-Expression führt, was die Immunantwort wieder abschwächen könnte [22]. Weitere Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Differenzierungs-Status und Immunantwort in Tumoren sollten zeigen, ob sich die EMT als prädiktiver Marker für die Immun-Checkpoint-Therapie eignet.

Zusammengefasst kann die gesteigerte Plastizität von Tumorzellen – neben der Akkumulation und Selektion von Mutationen – als weitere, zentrale Triebkraft der Tumorprogression angesehen werden. Die Interaktion mit der Tumorumgebung, insbesondere mit dem Immunsystem ist hierbei von zentraler Bedeutung. Ein Verständnis dieser Interaktion und der zugrunde liegenden intra- und extrazellulären molekularen Mechanismen ist die Grundlage neuer therapeutischer Konzepte.

Autor
Prof. Dr. Thomas Brabletz, PD Dr. Simone Brabletz, PD Dr. Marc P. Stemmler
Lehrstuhl für Experimentelle Medizin I, Nikolaus-Fiebiger-Zentrum für Molekulare Medizin
Universität Erlangen-Nürnberg
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